• Einen Thread zu Henry James hab ich nicht gefunden. Und meine, dass er einen verdient hat. Falls es schon einen gibt, ist es ja vielleicht möglich, umzuhängen?


    Hierzu

    Was lest ihr gerade?


    Henry James, Die Gesandten.

    Einige unfertige Anmerkungen.


    Ich meine, einen wirklich GROẞEN Roman gelesen zu haben, in schöner Ausgabe

    https://www.hanser-literaturve…andten/978-3-446-24917-2/


    Sie enthält, laut Nachwort Seite 615, zum ersten Male komplett deutsch, das Vorwort des Verfassers zur New York Edition 1909

    https://gutenberg.org/ebooks/432

    Und das ist eine Romantheorie, die ich schwer verständlich und sehr spannend finde. Wiederlektüre projektiert.


    Die Übersetzung ist, denke ich, beim DEM Übersetzer, in Ordnung. Ein bisschen verglichen hab ich ab und an auch.


    Eine dicke Leseempfehlung, eventuell ja nicht nur für ältere Herrschaften (wie ich) ;) ;( , die meinen, ihre Jugend verpasst zu haben (wie ich) ;( ;)


    So wie es steht in Book 5, Chapter II:

    Zitat

    “It’s not too late for you, on any side, and you don’t strike me as in danger of missing the train; besides which people can be in general pretty well trusted, of course—with the clock of their freedom ticking as loud as it seems to do here—to keep an eye on the fleeting hour. All the same don’t forget that you’re young—blessedly young; be glad of it on the contrary and live up to it. Live all you can; it’s a mistake not to. It doesn’t so much matter what you do in particular, so long as you have your life ...

    ... and so on.

    Endlich hab ich mal eine Schlüsselszene als solche erkannt, und das in dem Alter ...


    Ein Roman voll wunderbarer Dialoge, bei dem ich permanent das Gefühl hatte - noch mehr als bei vielen anderen - wer-weiß-wie-viele-Subtexte zu verpassen. Aber manchmal auch einen zu finden.

    Ein Roman, der es hinkriegt, dass eine der weiblichen Personen (Mrs. Newsome) nie leiblich auftaucht, aber ständig im Hintergrund dräut ... oder so.


    Ein Roman, der .... gelesen werden will.


    Henry James generell: ich hab ein bisschen recherchiert in Sachen Übersetzungen. So viele gibt es gar nicht, und das bei solch einem Autor ...

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)

  • Ich hatte seinerzeit die drei letzten großen Romane gelesen, in nicht ganz der chronologischen Reihenfolge.

    Die Flügel der Taube, 1902

    Die Gesandten, 1903

    Die goldene Schale, 1904


    Und, nachdem es ein paar Monate gesackt ist, weiß ich immer noch nicht, was mich daran so fasziniert hat.

    Die pure Romankunst jedenfalls nicht.

    Das hat bei mir noch nie funktioniert. Es muss schon was Handfesteres drin sein.


    Ich bin inzwischen soweit dahintergekommen, dass es mit der Formulierung von Gesetzen des Umgangs miteinander, des Verständnisses für- oder gegeneinander, zu tun hat.

    Schlussendlich mit der völligen Unmöglichkeit, einander überhaupt zu verstehen.

    Scheint mir, dass Mr. James es literarisch löst durch eine zunehmende Indirektheit, nicht Doppel- sondern Vielbödigkeit in der Beschreibung von allem. Personen, Vorgänge, Handlungen ...


    Wo Proust (den ich zur Zeit, auf dem Kobo, (wieder)lese) einen endlosen inner stream präzis aufschreibt, geht es bei James immer mehr in die Auflösung.


    Jetzt ist es einer der früheren Romane.

    Vertrauen, 1879.

    Der Manesse Verlag bewirbt es als die erste deutsche Übersetzung.


    Unterschiede sind augenfällig: hier löst sich nicht alles in's Indirekte auf, das ist ganz "klassisches" Erzählen.

    Allerdings haben auch hier die Damen und Herren unendlich viel Zeit, und über Geld spricht man nicht (oder allenfalls, wenn es um Eheschließung geht), sondern man hat es.

    (Als Ausnahme fällt mir Merton Densher aus "The Wings of the Dove" ein, der als Journalist dilettiert und es wirklich nicht hat. Aber irgendwie regelt sich das.)


    Man lernt sich kennen in Siena, trifft sich wieder in Baden-Baden, und dialogisiert .... hier geht's noch konkret um das immerwichtigste: der Kontakt zwischen den konträren Geschlechtern ;)


    eine wunderbar erzählte Geschichte.

    Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber soviel, beides trägt nichtsdestoweniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (G. C. Lichtenberg)