Ich habe die Aufzeichnungen aus einen Irrenhaus von Christine Lavant gelesen. Das Werk war ursprünglich nicht zu Veröffentlichung vorgesehen, da es ein sehr persönliches Werk der Autorin war. Nora Wydenbruck, Übersetzerin und Bekannte der Autorin, hat ein Manuskript von Christine Lavant für Übersetzungszwecke und der Publikation in England erhalten. Lavant hatte sich dann aber nachträglich darum gebeten, von einer Veröffentlichung abzusehen und das Manuskript zu vernichten. Zum Glück wurde das Werk nicht vernichtet. So schrieb Nora Wydenbruck in einen Brief am Lavant „Sie sollen das Manuskript aber nicht vernichten, sondern eventuell im Nachlaß mit dem Vermerk „erst nach 30 (oder 50 Jahren) veröffentlichen einordnen. Denn – ich wiederhole – es ist die beste Ihrer Prosaarbeiten“ Über den Nachlass von Nora Wydenbruck hat Werk dann letztendlich dann doch noch Weg an die Öffentlichkeit gefunden.
Es handelt sich um eine Erzählung, die ca. 10 Jahre nach einem Aufenthalt in einen Landeskrankenhaus entstanden ist und viele autobiographische Züge trägt. Die Autorin hat sich nach einem Selbstmordversuch, der nicht vom Erfolg gekrönt war, „freiwillig“ einliefern lassen und 6 Wochen in einen Landeskrankenhaus verbracht. Wie sie noch erwähnt übrigens auf Kosten der Gemeinde.
Das Werk ist vielschichtig. Ich möchte hier einfach mal ein Gespräch zwischen den Ärzten zitieren, das so einige über soziale Klassen und das Frauenbild der Zeit (um 1935) aussagt. Bei dem Gespräch geht es um die Einordnung des Falls von Christine Lavant:
„Der Kleine fragte zu ihm hin: Aber warum arbeitet sie eigentlich nicht? Wenn sie auch etwas schwächlich zu sein scheint, so könnte sie immerhin einen leichteren Posten ausfülllen, und Arbeit vertreibt Dummheiten, die diese jungen Damen im gewissen Alter manchmal ankommen. Von der Schule heraus auf einen ordentlichen, strengen Dienstplatz ist immer noch das beste Mittel gegen Hysterie. Na vielleicht haben Sie sie in einem Jahr so weit, dass man sie dann wo unterbringen kann.“ … „Sie will ja nur dichten“ sagte da die spitze Zimmer vom Fenster her. Alle lachten, warum hätte ich nicht auch lachen sollen? Ja, meine Teure – „ sagte da der Kleine, „diese Gewohnheiten wirst du dir freilich abgewöhnen müssen. Düchten mit Umlaut Ü, gelt, wahrscheinlich kann sie nicht einmal ordentlich rechtschreiben, aber dichten will Sie. Sehen Sie, Kollege, solche Geschichten kommen dabei heraus, wenn jeder Bergarbeiter schon glaubt, seine Sprößlinge in Hauptschulen und so schicken zu müssen“… „Wieder ein abschreckendes Beispiel dafür, wohin es komm, wenn Arbeiterkinder Romane lesen, anstatt zur ordentlichen Arbeit herangezogen werden“.
Zentrale Motive sind neben Armut, Standesbewusstsein, gesellschaftliche Stellungen, Einbeziehung und Ausgrenzung innerhalb der Gesellschaft noch Gruppendynamik und Machtgefälle im Innenleben des Landeskrankenhauses. Lavant kennzeichnet sich als gute Beobachterin aus. Sie reflektiert die eigene und Fremdwahrnehmung, analysiert Situationen und leuchtet Handlungsmöglichkeiten aus. Die Grenzen zwischen „normal“ und „unnormal“ verschwimmen bei den anderen Patienten mitunter. Analysiert werden neben den Ticks der Patienten die Beziehungs- und Gruppenkonflikte zwischen Patienten, Personal, Ärzten und Besuchern. Es gibt innerhalb der Gruppe der Patienten ein Machtgefälle und jede Patientin nimmt ihren eigenen Platz in der Gruppe ein. Lavant, die anfangs versucht sich zu integrieren, merkt recht schnell, dass Sie nicht wirklich akzeptiert wird in dieser Mikrogesellschaft.
Das Pflegepersonal nutzt regelmäßig die Androhung der Zwangsjacke, vor der sich nahezu alle Patienten fürchten, und schafft so ein Klima der Angst. Das Pflegepersonal kommt sehr abgebrüht und autoritär rüber und nimmt wenig Anteil an der Lebenssituation der Patienten.
Für Lavant scheint das Schreiben während ihrer Aufenthalt auch eine Art Therapie zu sein bzw. ist es ihr zumindest sehr wichtig. Hierbei wird Sie ständig vom Pflegepersonal oder anderen Patienten aufgehalten und gestört. Es fehlt letztendlich der Raum für Privatheit und Ruhe. Die Privatspähre geht in einen Irrenhaus komplett verloren. Um ein Patientin loszuwerden, die vom Buddhismus besessen ist, erfindet Lavant die Notlüge, dass ein Gott mit ihr in Kontakt treten will und Sie Ruhe benötigt.
Lavant schafft es eine recht beklemmende Atmosphäre zu schaffen. Es tun sich in der Erzählung diverse Abgründe der menschlichen Psyche auf und man erfährt viele zeithistorische Hintergründe. Ich kann das Werk absolut empfehlen.