Victor Hugo: Das Teufelsschiff (Die Arbeiter des Meeres)

  • „Das Teufelsschiff“ (wörtliche Titelübersetzung: Die Arbeiter des Meeres) ist laut Vorwort der dritte Teil einer Trilogie über die Gewalten, denen der Mensch ausgesetzt ist. Teil 1 „Der Glöckner von Notre Dame“ widmete sich dem Dogma, Teil 2 „Die Elenden“ dem Gesetz und den gesellschaftlichen Regeln. Im „Teufelsschiff“ nun soll es um die Natur gehen.

    Der Roman spielt auf der Kanalinsel Guernsey. Die Hauptfigur ist ein Fischer namens Gilliatt, ein nachdenklicher Außenseiter in seinem Dorf und unsterblich in die hübsche Déruchette verliebt, die bei ihrem Onkel lebt. Dieser Onkel ist Eigentümer des Dampfschiffs Durande, das als hauptsächliches Transportschiff zwischen der Insel und dem Festland für alle Dorfbewohner wichtig ist. Durch ein absichtliches Manöver des verbrecherischen Schiffsführers Clubin läuft die Durande eines Tages auf einer Klippe auf und bricht auseinander, die Dampfmaschine jedoch bleibt an den Klippen hängen. Darauf verspricht Déruchette ganz offen demjenigen die Ehe, der die Maschine wieder an Land schafft – ein seltsam märchenhafter Zug in dem realistisch-naturalistischen Roman.

    Gilliatt macht sich heimlich auf den Weg und versucht die Maschine zu bergen – eine wochenlange Aktion, die übermenschliche Kraft und Todesverachtung erfordert. Während dieses Zeitraums verbleibt Gilliatt in einem selbstgebauten Unterschlupf auf der Klippe, ernährt sich von Krabben und Muscheln und trinkt Regenwasser, nachdem ihm der Proviant ausgegangen ist. Ich musste beim Lesen mehrmals an „Moby Dick“ denken, einmal wegen Gilliatts letztlich ungenügend motivierter Besessenheit (er kennt das Mädchen kaum), zum anderen wegen eines lang und breit erzählten Kampfs mit einem Riesenkraken am Ende der Bergungsaktion.

    Der Einzelgänger Gilliatt, den in seinem Dorf niemand mag (er wird sogar der Hexerei beschuldigt), ist ein durch und durch romantischer Held. Seine Verliebtheit in Déruchette stützt sich lediglich darauf, dass sie hübsch ist und einmal spielerisch seinen Namen in den Schnee geschrieben hat. Vermutlich hat sie sich gar nichts dabei gedacht. Nachdem er nämlich unter schwersten Bedingungen und Einsatz seines Lebens die Maschine geborgen hat, stellt sich heraus, dass sie einen anderen liebt, den jungen und hübschen Pfarrer des Dorfes. Gilliatt besteht nicht auf Einhaltung ihres Versprechens, sondern fungiert sogar bei der Heirat der beiden als Trauzeuge, um sich anschließend das Leben zu nehmen.

    Als Leser bzw. Leserin des „Teufelsschiffs“ steht man vor einigen Problemen. Das Meer, die Wetterphänomene, das Aussehen der Klippen usw. sind nachvollziehbar und mit großartiger visionärer Kraft geschildert. Dazwischen finden sich aber immer wieder langatmige Beschreibungen irgendwelcher seemännischer oder technischer Aktivitäten, die für mich schlicht unverständlich sind. Zola soll sich begeistert über „Das Teufelsschiff“ geäußert haben, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Die Romantisierung technischer Vorgänge, die auch bei Zola mehrfach auftaucht (vor allem in „Das Tier im Menschen“ bei der Behandlung der Eisenbahn), nimmt auch im „Teufelsschiff“ breiten Raum ein und ist genauso schwer verdaulich wie bei Zola.

    Ich habe eine 1994 erschienene Ausgabe von Diogenes mit der Abbildung eines Kraken auf dem Titel, die von Victor Hugo selbst stammt. Die Übersetzung ist von Hans Kauders.