Lewis Grassic Gibbon, Lied vom Abendrot

  • In Schottland ist das Buch lange ein Klassiker und wurde wiederholt bei Abstimmungen zum beliebtesten schottischen Roman aller Zeiten gewählt. In Deutschland war es bisher nicht sehr bekannt, allein in der DDR erschien einmal eine Ausgabe der Trilogie 'A Scots Quair', zu dem der Roman 'Sunset Song' (dt. Lied vom Abendrot) den Auftakt bildet. Die Rezensionen zur jetzt vorliegenden Neuübersetzung waren ausgesprochen positiv: https://www.perlentaucher.de/b…on/lied-vom-abendrot.html


    Lewis Grassic Gibbon (bürgerlich: Leslie Mitchell) erzählt in dem Roman die Geschichte eines schottischen Dorfes in der Nähe von Aberdeen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, Chris Guthrie, die als Tochter eines Hofpächters aufwächst, zunächst eine höhere Bildung und den Lehrerinnenberuf anstrebt, dann aber nach dem Tod beider Eltern den Hof übernimmt, einen Mann aus dem Dorf heiratet und mit ihm gemeinsam die Landwirtschaft betreibt. Dem Paar ist nur eine kurze Zeit des Glücks beschert, dann verändert der Erste Weltkrieg alles, auch Chris' Ehemann Ewan zieht in den Krieg.


    Für mich war das Buch tatsächlich ein Lesehöhepunkt in diesem Jahr. Diese Prosa ist hinreißend. Das liegt vor allem daran, dass der Autor sein Englisch mit zahlreichen Redensarten und Begriffen aus dem lokalen schottischen Dialekt durchsetzt. Esther Kinsky hat das auf großartige Weise ins Deutsche übertragen. Der Text fließt und singt, er rumpelt und poltert, er ist rhythmisch und manchmal sperrig, aber er trifft den Ton einer Landbevölkerung so treffend, dass man alles versteht, auch wenn man nicht jedes Wort versteht. Ich habe beim Lesen so oft laut gelacht, weil die handfeste Art der Dörfler ungeheuer gut getroffen war und ich den Eindruck hatte, mittendrin zu sein.


    Die Handlung hat romantische Anklänge, ist jedoch alles andere als idyllisch oder romantisch im platten Sinn. Die Erzählung wird von einer großen Menschenfreundlichkeit getragen, verschweigt aber weder die menschlichen Abgründe, die Schwierigkeiten des (Über)lebens noch die Bedrohungen des Landlebens. Chris' Mutter etwa begeht Selbstmord an sich und zwei ihrer jüngsten Kinder, weil sie den Gedanken an eine neuerliche Schwangerschaft nicht erträgt. Ein Nachbar, der als Pazifist den Kriegsdienst verweigert, wird übel misshandelt und von den Nachbarn geschnitten. Und auch zwischen dem jungen Paar Chris und Ewan kommt es zu Ausbrüchen von Gewalt.


    Gleichwohl gibt es viele poetische Szenen im Buch, in denen die Schönheit der Landschaft die Mühen des Alltags überstrahlt. Es ist diese Spannung zwischen Schönheit und Last, zwischen Lebensbejahung und Lebensbedrohung, zwischen Träumen und ihrer Zerstörung, aber auch die einnehmende Menschlichkeit vieler Charaktere, die diesen Roman so wundervoll macht.


    Dazu kommt die - wie üblich - sehr schöne Gestaltung des Buches durch den Verlag, mit Karte, Anmerkungen, Nachwort und Biographien.

    Wie man hört, plant der Guggolz-Verlag nun auch, die anderen beiden Bände der Triologie übersetzen zu lassen. Darauf kann man sich wirklich freuen!


    Eine herzliche Empfehlung!


    http://www.guggolz-verlag.de/lied-vom-abendrot


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