Apuleius: Metamorphosen oder "Der goldene Esel"

  • Im Rahmen des Klassikerforum-Wettbewerbs lese ich diesen ersten vollständig erhaltenen Roman der Antike. Von Apuleius (123 bis nach 170 u.Z.) unter dem Titel "Metamorphoses" veröffentlicht und seit dem Kirchenvater Augustin unter dem heutigen Titel "Der goldene Esel" bekannt, schildert der Roman die Verwandlung des magiegläubigen Lucius in einen Esel. In dieser Gestalt erlebt er die unglaublichsten, oft auch erotisch-frivolen Ereignisse, bevor er zurückverwandelt wird. Enthalten sind außerdem viele kleine Erzählungen und die berühmte Märchennovelle "Amor und Psyche".


    Der Roman ist nicht sehr umfangreich und leicht zu lesen. Inzwischen habe ich sechzig Seiten gelesen und erfreue mich an der eleganten Übersetzung August Rodes, eines Philologen des 18. Jahrhunderts und ein Hochkaräter als Übersetzer, durchaus auf gleichem Niveau wie die großen zeitgenössischen Shakespeare-Übersetzer.
    Ein Beispiel seiner Sprachkunst: Lucius - noch vor seiner Verwandlung- steigt von seinem Pferd und schließt sich zwei anderen Fußreisenden an, von denen der eine eine haarsträubende Wundergeschichte erzählt, über die sich der andere lustig macht. Der magiegläubige Lucius jedoch steht dem Wundererzähler bei:


    [...] ich weiß ihm auch den herzlichsten Dank dafür. Bin ich doch darüber weder der Länge noch der Rauhigkeit des Weges gewahr geworden. Auch mein Gaul hat sich dabei wohl gestanden; da ich so ohne Beschwerde seines Rückens auf dem Vergnügen meiner Ohren bis vor das Tor dieser Stadt hergeritten bin.
    (1. Buch)
    Der Roman enthält auch viel Zeitkolorit, das das Alltagsleben der Spätantike lebendig macht.


    Ich freue mich aufs Weiterlesen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

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  • Bin gespannt was Du hier darüber weiterberichtest, den ersten vollständig erhaltenen Roman der Antike zu lesen klingt auf jeden Fall interessant und das "Amor und Psyche" nur ein Teil eine andere Geschichte ist wußte ich auch nicht. Wieder was dazugelernt :smile:

    "Lesen stärkt die Seele" (Voltaire)

  • Inzwischen habe ich knapp die Hälfte des Romans gelesen und bin mitten drin im Märchen von Amor und Psyche, das ungefähr die mittleren 50 der insgesamt knapp 330 Seiten einnimmt. Im Gegensatz zu den anderen eingebauten Erzählungen, die bisher immer durch eine der handelnden Personen mit der Hauptgeschichte verbunden waren, ist dieses Märchen nur durch ein schwaches erzählerisches Band an den Haupttext angeschlossen. Eine Alte, die den Räubern dient, welche den armen Lucius als Esel raubten, erzählt einem entführten Mädchen, um dieses aufzuheitern, das Märchen.
    Ich kannte bisher "Amor und Psyche" nur mittelbar aus Anspielungen und Anverwandlungen späterer Autoren und bin überrascht, wie frisch und witzig hier die antike Götterwelt dargestellt wird. Venus ist sehr erbost über die Königstochter Psyche, die so schön ist, dass sie als Inkarnation der Göttin verehrt wird und setzt ihren Sohn Amor auf sie an, der sie mittels eines Liebespfeiles an den unattraktivsten und ärmsten Mann binden soll, den er ausfindig machen kann. Aber der Bengel verliebt sich selbst in das Mädchen und entführt es in ein Märchenschloss, was die Mutter vor Zorn erbeben lässt. Nun spinnt sie eine Intrige gegen ihn und Psyche, die eh schon durch ihre bösen und neidischen Schwestern (Aschenputtel-Motiv) von ihrem Liebsten getrennt wurde. Eine echte Telenovela der Antike!

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Und noch ein Zeichen, dass sich "Aschenputtel" an Amor und Psyche bedient hat, auf welchen Umwegen sich solche mündlichen Überlieferungen auch immer ereignen.


    Psyche erhält, als ihr die erboste Venus, als eine ihrer Rache-Aufgaben, aufträgt, extra zusammengeschüttete unterschiedliche Getreidesamen zu sortieren, Hilfe von einem Ameisenvolk!


    Insgesamt ist "Amor und Psyche" wirklich ein Höhepunkt antiker Erzählkunst. Es ist köstlich, wie menschlich getrieben die Götter in all ihrer Herrlichkeit geschildert werden und zum Beispiel zu Jupiters Gericht über Psyche alle bereitwillig erscheinen, weil sie im Falle der Abwesenheit ein Bußegeld von "10 000 Mark (!)" zu entrichten hätten.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Was Du über den goldenen Esel schreibst, hört sich richtig gut an, finsbury! Ich stelle fest, dass der Wettbewerb den klitzekleinen Nachteil hat, dass die lange Leseliste noch länger wird. Aber egal. Das Bild der Getreidesamen sortierenden Ameisen ist toll. :smile:

  • Ja, am Anfang hatte ich etwas Schwierigkeiten, mich in diese Welt hereinzufinden, aber seitdem Lucius nun Esel ist und die abenteuerlichsten Dinge erlebt und nachdem ich dieses hübsche "Amor und Psyche" -Märchen gelesen habe, macht mir die Lektüre viel Freude.


    Übrigens habe ich über Aschenputtel ein bisschen nachrecherchiert. Unsere Grimmsche Version hat wohl viel von dem Franzosen Charles Perrault übernommen, dessen Märchen auch die Vorlage von Walt Disneys "Cinderella" ist. Jetzt wundere ich mich auch nicht mehr über die aus Mäusen verwandelten Pferde und Ähnliches bei Walt Disney.
    Aber viele Motive aus Aschenputtel hat es wohl in allen möglichen Kulturen gegeben, von der Antike (wo ich gerade auf die Motive gestoßen bin) über China und Persien, und sogar bei den nordamerikanischen Indianern gibt es Archetypen dieses Märchens.
    Solche Motiv- und Stoffverbindungen zwischen den unterschiedlichsten Weltliteraturen finde ich sehr spannend, zeigt es doch, wie Geschichten mit Reisenden schon ganz früh über die ganze Welt verbreitet wurden bzw. wie bestimmte Vorstellungen wie zum Beispiel die von der sinnlosen Bestrafung wie die der helfenden Tiere in allen Völkern zu allen Zeiten immer wieder auftauchen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

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  • Ach ja und noch ein witziges Beispiel für Apuleius' respektlose Art, mit der antiken Götterwelt umzuspringen: Eine neue Idee, wie Pegasus zu seinen Flügeln kam, ganz nach Auffassung des Esels Lucius, der während großer Teile seiner Tier-Inkarnation auf der Flucht vor Schlägen und Schlimmerem ist:


    Furcht beflügelte mich wie einst den Pegasus, denn der ehrliche Gaul hat zuverlässig seine Flügel auch nur der Feigheit zu danken. Er fürchete sich vor den Bissen der feuerspeienden Chimära und tat Sätze bis in den Himmel, da sagte man, er sei beschwingt.
    (Achtes Buch)

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Nun hat der Esel zum letzten Mal IA gebrüllt.


    Lucius ist wieder zurückverwandelt worden, mit Hilfe der ägyptischen Göttin Isis und wird plötzlich ganz fromm. Nachdem er die griechisch-römisch-endemische Götterwelt ziemlich durch den Kakao gezogen hat, wird Apuleius am Ende plötzlich ernst und schildert ausführlich den Götterkult um Isis, Osiris und Co, dem sich Lucius anschließt und drei Weihen erhält. Laut dem Nachwort hatte Apuleius selbst auch das Amt eines "Provinzialoberpriesters" inne, allerdings der Staatsgottheiten insgesamt.
    Schon komisch, wie hier der römische Staat den Esel zum Gärtner machte, ein Treppenwitz der Literaturgeschichte.
    Ein wirklich witziges und farbiges Leseerlebnis. Nun liegt noch das "Satiricon" des Petronius da, Apuleius macht mir mehr Appetit auf römische Literatur!


    Bei Literaturschock stelle ich noch eine zusammenfassende Besprechung ein, weil ich den ROman auch im Rahmen der Februar-Leserunde gelesen habe.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

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