Arthur Schnitzler: Traumnovelle

  • Heute beginnt die Leserunde zur "Traumnovelle" von Arthur Schnitzler.


    "Sie erschien 1925 kapitelweise in der Berliner Modezeitschrift Die Dame. Die erste Buchausgabe kam 1926 im S.-Fischer-Verlag heraus." (Wikipedia)


    Ich bin gespannt, was "Die Dame" vor 90 Jahren gelesen hat.


    Ich wünsche uns viel Spaß beim Lesen und regen Austausch. :sonne:


    Gruß, Gina

  • Ich habe jetzt bis einschließlich Kapitel 4 gelesen.


    Mir gefällt die Traumnovelle bisher sehr. Das liegt einmal daran, dass ich Schnitzler generell gerne lese – ich mag seine Sprache, sie liegt mir. Dann natürlich an der Novelle selbst: Sie ist wunderbar dicht und intensiv erzählt. Dabei gelingt es Schnitzler sehr gut, die einzelnen Regungen, das Nachhorchen, die Neugier, die aufkeimende Eifersucht etc. darzustellen. Das ist fein beobachtet.


    Auch der Titel "Traumnovelle" scheint nach ca. der Hälfte des Textes gut gewählt: Denn spätestens, nachdem Fridolin das Haus des Hofrats verlassen hat, wirkt sein Durch-die-Nacht-Driften auf mich immer mehr wie ein Traum, der dann in dem “geheimen Fest” gipfelt. Fridolin ist nach Albertines “Geständnis” ihrer Gedanken und Träume so aufgewühlt, dass er das Abenteuer sucht. Um sich zu beweisen? Aus “Rache”? Dabei ist er sich seiner Selbst gar nicht sicher und hofft, dass sein Abenteuer durch äußere Umstände abgebrochen wird. (Er hofft, dass der Maskenverleiher gar nicht in dem Haus wohnt und er, Fridolin, dadurch nicht an das notwendige Kostüm gelangt.)


    Wer wohl die geheimnisvolle Frau ist, die ihn rettet?


    Gruß, Gina

  • Hallo zusammen,


    finsbury
    Schade. Aber vielleicht klappt es beim nächsten Projekt wieder :winken:


    Ich habe das 1. Kapitel gelesen und finde das "Spielchen" das die Eheleute treiben sehr gefährlich, aber interessant, und wie @Gina bereits schrieb, der Autor hat eine gute Beobachtungsgabe. Ein passender Titel, da kommt einen auch Sigmund Freud in den Sinn. Ich denke mal die beiden Männer kannten sich und das Thema Unterbewusstsein und Traumdeutung war damals aktuell. Gefällt mir bisher gut.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Ich habe auch gleich angefangen, bin bis Kapitel 3 gekommen. Ich mag die Sprache auch. Dafür, dass es ein Klassiker und "Literatur" ist sehr flüssig zu lesen und trotzdem nie simpel oder trivial. Ich werde morgen mit Vergnügen weiterlesen. Ich bin neugierig wie es weitergeht, das ist immer gut. Das Thema wird wohl nie alt. Bisher denke ich, es ist die Geschichte eines Paares, das so 6-8 Jahre glücklich zusammen war, und trotz echter Liebe und harmonischem Alltag ist die Leidenschaft am einschlafen, wie es eben so ist. Ihnen wird gerade so halb bewußt, dass es so ist, und sie schwnken zwischen Versuchen, wieder interessant für einander zu werden und sich anderswo auszusprobieren, und sei es auch nur in ihren Phantasien. Besonders gespannt bin ich, ob dies auch der Frau zugestanden wird. Oder vielleicht geht es am ende doch im was anderes?


  • Besonders gespannt bin ich, ob dies auch der Frau zugestanden wird. Oder vielleicht geht es am ende doch im was anderes?



    ja, darauf bin ich auch gespannt. Sie hegt ja den Wunsch (1. Kapitel), dass auch sie, wie ihr Ehegatte, vor der Ehe mehr sexuelle Erfahrung gehabt zu haben. Der Gedanke macht ihn wütend.


    Zitat von "Gina"

    Fridolin ist nach Albertines “Geständnis” ihrer Gedanken und Träume so aufgewühlt, dass er das Abenteuer sucht. Um sich zu beweisen? Aus “Rache”?


    Hass und Wut kommt dem Menschen schneller hoch als Liebe. Der Ansicht war auch Arthur Schnitzler, wenn man seine "Beziehungen und Einsamkeiten" liest:


    Der Mensch will lieben, will hassen, ebenso wie er Schadenfreude, Entrüstung, Neid, Bewunderung empfinden will....


    Der Genius des Hasses auf Erden ist vielleicht noch ein gewaltigerer als der Genius der Liebe....


    Ich komme zum 4. Kapitel.

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • ... finde das "Spielchen" das die Eheleute treiben sehr gefährlich, aber interessant ...


    Ein wirklich gefährliches Spiel, dass auch schnell - ohne dass es einer der beiden will - aus dem Ruder laufen kann.


    ja, darauf bin ich auch gespannt. Sie hegt ja den Wunsch (1. Kapitel), dass auch sie, wie ihr Ehegatte, vor der Ehe mehr sexuelle Erfahrung gehabt zu haben. Der Gedanke macht ihn wütend.


    Ja, nicht einmal für den Wunsch konnte sie wohl von Fridolin Verständnis erwarten. Er ist ganz seiner "Männerrolle" verhaftet, daher eigentlich erstaunlich, dass Albertine so offen alles erzählt hat.



    Hass und Wut kommt dem Menschen schneller hoch als Liebe. Der Ansicht war auch Arthur Schnitzler, wenn man seine "Beziehungen und Einsamkeiten" liest:


    Der Mensch will lieben, will hassen, ebenso wie er Schadenfreude, Entrüstung, Neid, Bewunderung empfinden will....


    Der Genius des Hasses auf Erden ist vielleicht noch ein gewaltigerer als der Genius der Liebe....


    Die Zitate passen hervorragend. :klatschen:



    Ich habe gestern nur die wenigen Seiten von Kapitel 5 gelesen, weiter geht es frühestens heute Abend.


    Gruß, Gina

  • Hallo alle miteinander :winken:


    Ich habe die ersten beiden Kapitel mit Genuss gelesen. Bisher kenne ich nichts von Schnitzler. Das wird sich aber schnell ändern denn sein Stil liegt mir sehr.


    Die Eheleute treiben ein sehr gefährliches Spiel und ich bin sehr gespannt wie es weiter geht mit den beiden. Ob wirklich wer untreu wird oder ob sich alles nur in der Gedankenwelt abspielt.


    Tenar: ich gehe mal davon aus, dass ein Ehebruch einer Frau nicht zugestanden wird.


  •   Tenar: ich gehe mal davon aus, dass ein Ehebruch einer Frau nicht zugestanden wird.


    ja, nicht mal in Gedanken !


    Zitat:
    (...) In der Tiefe seiner Seele war er doch fertig mit ihr, wie immer das äußere Leben weitergehen sollte... (..)



    Zitat von "Gina"


    Sie erschien 1925 kapitelweise in der Berliner Modezeitschrift Die Dame. Die erste Buchausgabe kam 1926 im S.-Fischer-Verlag heraus." (Wikipedia)



    ganz schön gewagt. In den 1930er Jahren wäre die Geschichte womöglich nicht erschienen.



    Ich finde der Autor spielt raffiniert mit dem Leser und lässt auch Raum für einen Traum oder ein Delirium, wenn es heißt, dass Fridolin Tage zuvor von einem an Diphterie erkrankten Kind angehustet wurde.



    Diese Szene fand ich sehr stark:


    ..Doch er hütete sich, sie zu berühren. Ein Schwert zwischen uns ....
    Sie schwiegen beide, lagen mit offenen Augen, fühlten gegenseitig ihre Nähe, ihre Ferne.


    Das geht durch Mark und Bein!



    Ich komme zum 6. Kapitel.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Ich habe die ersten beiden Kapitel mit Genuss gelesen.


    Gerade das zweite Kapitel gefällt mir gut. Die Beschreibung des Zimmers und des Toten, vor allem aber von Marianne finde ich sehr gelungen ("die Lippen wie von vielen ungesagten Worten schmal"). Auch als sie redet, während Fridolin seinen Gedanken nachhängt, die ganze Atmosphäre der Szene ... großartig erzählt.


    ganz schön gewagt. In den 1930er Jahren wäre die Geschichte womöglich nicht erschienen.


    Das dachte ich auch. Wie wohl die Leserinnen damals auf die Novelle reagiert haben?
    Schnitzler war, glaube ich, unter den Nazis verboten oder? Muss ich mal nachlesen ...



    Mir ist aufgefallen, dass die Frauen, denen Fridolin in der Nacht begegnet, immer anonymer werden: Marianne, Mizzi, die Pierrette, seine Retterin ... und von der Letzteren kennt er nur den nackten Körper, so dass er sie nicht einmal wiedererkennt.



    Ich habe die Traumnovelle gestern Abend beendet. Es blieb bis zum Schluss interessant und teilweise richtig spannend. - Fridolin, der Tropf, kann froh sein, dass er eine so kluge Frau hat!


    Und wenn es um gegenseitige "Rache" ging, finde ich Albertines Traum überzeugender ... :breitgrins:


    Ich hoffe, ich habe jetzt nicht zu viel verraten.


    Gruß, Gina

  • Ich beginne jetzt auch mit Kapitel sechs.


    Die Szene wo quasi ein Schwert zwischen den beiden liegt fand ich auch sehr gut.


    Beim Kapitel mit dem Ball musste ich stutzen. Das kam mir sooo bekannt vor. Dabei bin ich 100% sicher dass ich die Novelle noch nicht gelesen habe.


    Schnitzler schrieb ja ein umfangreiches Tagebuch. Kennt das wer von euch? In der bib kann man es ausleihen.


  • Beim Kapitel mit dem Ball musste ich stutzen. Das kam mir sooo bekannt vor. Dabei bin ich 100% sicher dass ich die Novelle noch nicht gelesen habe.


    Hast Du vielleicht eine Verfilmung gesehen? Ich kenne den Film nicht, aber vielleicht kommt die Szene auch in "Eyes Wide Shut" vor ... (Oder ein anderer Schriftsteller hat abgeguckt.)



    Schnitzler schrieb ja ein umfangreiches Tagebuch. Kennt das wer von euch? In der bib kann man es ausleihen.


    Ich kenne es nicht. Aber falls Du es ausleihst, würde mich Dein Eindruck interessieren. :smile:


    Gruß, Gina

  • An eine Verfilmung hab ich auch schon gedacht. Möglich ist es.


    Fridolin geht mir irgendwie voll auf die nerven. Seine Frau hat ihn nicht betrogen und für den Traum kann sie nichts. Aber er sucht jede Gelegenheit um untreu zu sein. Unfassbar.


    @gina: die Tagebücher sind auf mehrere Bände aufgeteilt. Mich würde die zeit um 1914 interessieren.


  • Fridolin geht mir irgendwie voll auf die nerven. Seine Frau hat ihn nicht betrogen und für den Traum kann sie nichts. Aber er sucht jede Gelegenheit um untreu zu sein. Unfassbar.


    Ja, und er scheint gar nicht zwischen Traum und Wirklichkeit zu trennen. In Kapitel 6 malt er sich gar ein Doppelleben aus und will Albertine dann alle Sünden gestehen, "um so Vergeltung zu üben für das, was sie ihm in einem Traume Bitteres und Schmachvolles angetan hatte". Vergeltung für etwas, das gar nicht geschehen ist?


    Eigentlich wäre es auch interessant, die Traumnovelle noch aus Albertines Sicht zu lesen!



    @gina: die Tagebücher sind auf mehrere Bände aufgeteilt. Mich würde die zeit um 1914 interessieren.


    Uffz, das sind ja 10 Bände! Einer geht von 1913 - 1916, der passt ja. :smile:


    Gruß, Gina

  • Hallo zusammen,


    der Schluß hat mich sehr berührt. Wie vernünftig Albertine reagiert. Ist das Erleben seines Zusammenbruch nicht auch eine Art ihn ans "Kreuz zu schlagen" und somit hat sich in gewisser Weise Albertines Traum erfüllt oder hat er sich nun selbst ans "Kreuz geschlagen" oder die Ereignisse, zwei Tage lang mit Tod und Leben konfrontiert, waren für ihn einfach zu viel.


    Ich glaube, man kann einiges hinein interpretieren, wie es sich für eine gute Geschichte gehört.


    Ich finde Gefallen an unsere kurzen Leserunden :winken:


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Ich finde er hat sich durch seine Suche nach der Untreue selbst ans Kreuz geschlagen.


    Gut lässt ihn sein Verhalten wirklich nicht aussehen ...


    Ich bin etwas gnädiger mit Fridolin und denke, er war auch erleichtert, als er erkennt, dass die Situation eben doch nicht hoffnungslos ist, und die ganze Anspannung dieser beiden Tage fällt von ihm ab. Er erwacht wie aus einem Wahn, der ihn umgetrieben hat.


    Übrigens finde ich das Geflüsterte "Niemals in die Zukunft fragen" sehr schön.



    Ich glaube, man kann einiges hinein interpretieren, wie es sich für eine gute Geschichte gehört.


    Ja, die Novelle gibt unheimlich viel her, nicht nur der Schluss. Ich kann mir gut vorstellen, sie mit etwas Abstand nochmal zu lesen.



    Ich finde Gefallen an unsere kurzen Leserunden :winken:


    Mir machen sie auch viel Freude. :winken:


    Gruß, Gina