Anton Tschechow - Die Dame mit dem Hündchen

  • Nanu, sollte ich der erste Leser sein, der sich hier meldet?


    Ich habe jedenfalls die Geschichte von Anton Tschechow gerne wiedergelesen. Tschechow erweist sich auch hier wieder als der psychologische Meister der knappen Form, den ich aus anderen Erzählungen von ihm kenne. (Seit ich Turgenjews 'Aufzeichnungen eines Jägers' gelesen habe, weiß ich auch, woher Tschechow seine Vorbilder bezog, btw...)


    Die Geschichte um eine Urlaubsliebe wird präzise, ökonomisch, aber doch nicht ohne psychologische Rafinesse erzählt. Dmitri Gurow, ein gelangweilter Angehöriger der russ. Oberschicht, sucht ein flottes kleines Abenteuer. Anna Sergejewna lässt sich darauf ein. Weitaus weniger leichtfüßig, sondern überaus skrupulös, aber von tieferen Sehnsüchten getrieben, ist für sie die Affäre weitaus bedeutsamer als für den Lebemann Gurow. Aber es kommt anders als zunächst erwartet. Nach dem Ende der Affäre wächst sie sich für Gurow in der Erinnerung so sehr zu einer lebensverändernden Erfahrung aus, dass er das Risiko eingeht, wieder Konakt zu Anna Sergejewna aufzunehmen. Er sucht sie ihn ihrer Heimatstadt auf und beide nehmen die Affäre wieder auf. Der Moment, in dem beide sozusagen ihre gegenseitige Verfallenheit akzeptieren und nach Wegen suchen, ihre Beziehung zu leben, bildet den Schlusspunkt der Erzählung.


    Das ist der Stoff für einen Roman, aber Tschechow gelingt es wirklich hervorragend, diese dichte Handlung auf wenigen Seiten schlüssig zu erzählen. Gleichwohl hatte ich beim Lesen den 'großen Bruder' der Erzählung (Tolstojs Anna Karenina) mehrfach im Kopf, nicht zuletzt bei den Bahnhofsszenen... Bemerkenswert finde ich vor allem, wie hier Ungleichzeitigkeiten eine Rolle spielen: Bei beiden Hauptfiguren spielt die Langeweile eine Rolle, aber Anna Sergejewna ist diejenige, die weitaus mehr von dunklen Sehnsüchten getrieben ist. Zunächst ist Gurow unbelastet, nur auf einen Flirt und eine Affäre aus. Später ist es dann umgekehrt - seine Leidenschaft entwickelt die größere Intensität, sodass er die Initiative ergreift, Anna Sergejewna wieder aufzusuchen. Sowohl ihre Skrupel wie auch seine Leichtlebigkeit und sein Vergessen hätten die Affäre verhindern bzw. ihre Fortsetzung vereiteln können. Dass sie trotzdem zusammenkommen und dann eine dauerhafte Beziehung eingehen, ist vor diesem Hintergrund eigentlich ganz und gar unwahrscheinlich. Hier kommt gleichsam die Schicksalsverfangenheit der beiden voll zum Zuge.


    Aber jetzt höre ich erstmal auf... :zwinker:

  • Hallo ihr!


    Mich hat Tschechows Liebesgeschichte auch angesprochen in ihrer verführerischen Erzählsensorik und symbolischen Erzählkomposition, wo er Innen- und Außenleben geschickt symbiotisch verbindet in der beschriebenen äußeren Umwelt der aufkeimenden Liebe, die wiederum psychologisch nachvollziehbar aufgebaut wurde. Er greift auch einzelne Leitmotive neu auf und spiegelt an ihnen die innere Entwicklung und Reifung des Protagonisten, wodurch sich seine Wahrnehmung verändert, er eine Art Umkehr der Lebensprioritäten erfährt. Was ihm davor noch niedrig, triebhaft und austauschbar erschien, hebt er wie einen Schatz aus dem Dunkel der geheimen Liebschaft empor. So zumindest sein Wunsch, auch wenn die Lösung offen bleibt. Insgesamt würde ich die Entwicklung der Liebenden eher als Versuch sehen, sich gegenseitig aus ihrem Gefängnis zu befreien, denn beiden wurde in früher Jugend das Selbstbestimmungsrecht genommen. Aus diesem Grund wirken beide entsprechend emotional rückständig wie zwei unerfahrene Jugendliche (auch wenn er viel älter ist als sie, jedoch gleichsam zeitversetzt jung und unreif geblieben), eben dem Alter, wo sie durch Dritte verheiratet wurden an für sie widerwärtige Ehepartner, die ihrer eigenen jugendlichen Leidenschaft entgegenstanden, eingefahrene Gesellschaftsnormen, Lakaienbeamtentum, trockene Nüchternheit, Funktionalität. Der Schluss lässt ahnen, dass die beiden in ihrer normierten Gesellschaft keinen Weg finden werden auszubrechen, sie jedoch darum ringen.

  • Ich muss die Dame mit dem Hündchen noch um etwas Geduld bitten und auch um Entschuldigung, dass ich sie versetzt habe ; ich weiß, sowas macht ein Gentleman nicht- was einiges über mich aussagt.
    Zur Zeit bin ich oft unterwegs und habe auch noch einige Termine vor mir, den Rest meiner Zeit bin ich hündchenmüde. Unser Literaturkreis, für den ich die Geschichte lesen möchte (muss), wurde auch vertagt, also wird es sogar fraglich, ob ich die Geschichte noch im Januar lesen werde.
    Trotzdem möchte ich anregen, die Kurzprosarunden weiter zu führen und auch zu institutionalisieren. Das rege ich aus egoistischen Gründen an, denn normalerweise habe ich etwas Scheu vor dieser kurzen Form, hier aber werde ich motiviert.


    Evelyne Marti und JHNewman spreche ich meinen Dank für die Initialzündung und die ersten Kommentare aus.

  • Okay, danke für die Rückmeldung. Es kann ja hier und übrigens auch in der Schiller-Leserunde jederzeit noch nachträglich jemand dazustoßen, um auf die Texte einzugehen. Die nächsten Leserunden können wir wie immer im Gutenberg-Vorschläge-Thread besprechen.

  • Entschuldigt die späte Antwort, war in letzter Zeit recht beschäftigt. Eure Beobachtungen fand ich interessant, besonders wie unterschiedlich ihr den Schluss interpretiert.


    Ansonsten macht es auf mich auch den Eindruck, dass da zwei Gequälte aufeinandertreffen, die vielleicht noch nie echte Liebe erfahren haben.