Friedrich Schiller - Der Verbrecher aus verlorener Ehre

  • Hiermit eröffne ich die erste Leserunde zu unserer Idee "Leserunden zu kürzeren Klassikern aus dem Projekt Gutenberg":


    Friedrich Schiller
    Der Verbrecher aus verlorener Ehre
    Eine wahre Geschichte


    Schiller soll mit dieser kurzen Erzählung die moderne, objektive Berichterstattung im deutschen Rechtswesen begründet haben. Deshalb interessiert mich dieser Text.


    Ab sofort kann diese Geschichte hier kommentiert werden.

  • Also, ich habe die Geschichte gelesen und es hat mir gefallen. Ich weiss gar nicht, warum ich Schiller seit der Schulzeit nicht mehr gelesen habe, hatte nie was dagegen.


    Das ganze Thema, sowohl Verbrechen als auch das Innenleben von Menschen aus dem sie resultieren, ist ja etwas womit Schiller sich öfter beschäftigt hat, vieles scheint mir hier sozusagen konzentriert und aufs Wesentliche reduziert. Besonders die Einleitung muss ich erst nochmal verdauen vor ich dazu weiteres schreibe.


    Womit ich mich etwas schwertue ist zu entscheiden, wohin Schiller mit der Erzählung (?) stilistisch will. Einerseits ist da die theoretische Einleitung, die angibt dass das ein Tatsachenbericht zur Schärfung der Menschenkenntnis werden soll (Geschichtsschreibung) und alles andere als unterhaltsam ist, und dann folgt der Hauptteil. Der ist aus meiner Sicht dramaturgisch und stilistisch durchaus unterhaltsam geschrieben. Es kommt mir fast so vor als habe Schiller sich da von seinem Stoff mitreissen lassen und sei ins erzählen geraten (nicht dass ich ihm das unterstelle, daher frage ich mich ja wiso)
    Dem entgegen wirkt nur, dass das Ende vorweggenommen wird, dies wird allerdings dadurch relativiert dass es ein Ende ist mit dem man sowiso rechnet.


    Soll die gute Erzählung vielleicht das Bonbon sein, damit man den theoretischen Rest auch liesst?


    Den Kustgriff, nur das zu ausführlich zu erzählen, was das Innenleben Christian Wolfs zeigt und damit die Entwicklung der Geschichte vorantreibt gefällt mir, auch wenn es wieder mit dem Zweck der Geschichte (Belehrung) begründet wird. Das Ende ist fast "modern". Es wird wieder nur das zum Verständnis nötige erzählt, das übrige ist der Phantasie des Lesers überlassen.


    Vorlage für objektive Berichterstattung? Woher stammt das ausser aus Wikipedia? Mir enthält das Ganze dafür zu viel explizite und implizite Auslassungen über das Seelenleben des Protagonisten. Und auch zu viel Kritik am Gerichtswesen. Oder interpretiere ich letzere hinein?


    Etwas OT:
    Kennt jemand eine empfehlenswerte Schiller-Gesamtausgabe für den Kindle? Darf auch gern was kosten wenn es ordentlich gemacht ist.

  • Heute Abend habe ich auch diese Erzählung gelesen und bedanke mich für die Anregung. Wann hatte ich schon Mal Schiller gelesen- vor der Erfindung des Buchdrucks oder vielleicht doch in der Schule, was fast auf das Gleiche hinausläuft.
    Die Substanz liegt m.E. in der theoretischen Einführung, die tatsächlich eine Kritik an der Rechtsprechung darstellt und neben dem Blick ins Gesetzbuch die Berücksichtigung mit der Entwicklung der Beschuldigten fordert, beziehungsweise vorschlägt. Bei der eigentlichen Darstellung des Falls finde ich es allerdings erstaunlich, wie milde die ersten Urteile sind (wenn ich das mit den Strafen vergleiche, die zu Schillers Zeiten und noch lange später zum Beispiel in England ausgesprochen wurden und das waren ganz schnell Körperstrafen). Wichtig ist auch, dass Schiller die Verbrechen aus der Veranlagung sondern aus der Sozialisation des Täters heraus begründet.
    Aus den Anmerkungen, die in meinem Erzählband zu finden sind, entnehme ich auch, dass Schillers Darstellung für die Zeit ungewöhnlich ist. Vergleichbare Veröffentlichungen über ähnliche Fälle zielten wohl stärker auf die Sensationssucht des Publikums und vernachlässigten die menschlichen Seiten der Verbrecher. Was heute jeder anständige Regisseur machen würde, eine minutiöse Darstellung der grausamen Folter und Hinrichtung (möglichst mit Zeitlupensquenzen), lässt unser guter Schiller außen vor. Was der Autor vielleicht etwas stärker herausarbeiten hätte können, ist die Naivität mit denen unser Sonnenwirt in seiner Laufbahn besonders gegen Schluss zeigt. - sie hört auch zu den psychologischen Faktoren, die Schiller ansprechen möchte.
    Ich kenne nicht das Jahr, in dem Schiller diese Erzählung geschrieben hat; steckt etwas von den Räubern darin? - für die Bühne und für den Film ist sie jedenfalls geeignet.


    Ich soll noch im Januar Tschechows: "Die Dame mit dem Hündchen" lesen. Wäre diese Erzählung auch etwas, für eine Minileserunde?

  • Moin, Moin!


    Ihr habt <a href="http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-verbrecher-aus-verlorener-ehre-3329/1">die Erzählung</a> bereits gelesen, ich scheitere schon an der Generierung des ePubs. Mein <a href="http://www.epub2go.eu/">Gutenberg-epub-Generator</a> gibt eine Fehlermeldung raus. Ich mache dann vieleicht bei der nächsten Sache mit. An Arbeitstagen kann ich sowie nicht lesen. Und heute ist vor Nachtdienst 5/5.

  • Hallo ihr!
    Mir gefällt die Geschichte auch sehr gut, sie ging mir länger nach. Sie wirkt in ihrer Psychologisierung und Aufklärungshaltung erstaunlich modern. Da ich aus Interesse an strafrechtlichen Sachverhalten bereits einige vergleichbare Fälle aus der heutigen Zeit näher untersuchte (auch mit Aktenstudium), sehe ich darin tatsächlich die Grundpfeiler der heutzutage gängigen Praxis der Psychologisierung, durchaus auch mit naheliegenden Begründungen wie z. B. Mobbing in der Jugend aufgrund des Aussehens, Armut, Vaterlosigkeit, Kompensation durch Selbstwirksamkeit bei "falschen" Freunden, Diebstahl als Kennzeichen fehlender elterlicher Zuwendung. Es gibt sogar Statistiken zu solchen Merkmalen Delinquenter. Es wirkt in Schillers Geschichte schon sehr klischeehaft überzeichnet, aber so wird es auch im Strafrecht und sogar in Gutachten modellhaft pauschalisiert, wie ich feststellte. Schiller wandte diese Klischees bewusst so an, um eine nahtlos nachvollziehbare Psychologisierung hinzukriegen. Heutzutage würden noch Gutachten dazukommen und die Ursachen nicht nur im Gruppenverhalten gesucht werden, sondern bereits in der Kindheit die ersten Züge einer oftmals impulsiven und antisozialen Störung der Persönlichkeit aufgedeckt werden. Wenn z. B. bei Schiller davon die Rede ist, dass die Strafbehörden die Verbrecher geradezu an der Physiognomie erkennen, ist das zwar ein Klischee, wird aber tatsächlich heutzutage von solchen, die mit Delinquenten arbeiten, oftmals hervorgehoben, womit sie aber mehr das ganze Rollenverhalten in der Szene beschreiben. Interessant sind auch gewisse Parallelen zu ähnlich gelagerten Klassikern mit jedoch komplett anderen Botschaften, die jedoch auch ihre Berechtigung haben, z. B. Kleists Kohlhaas.

  • Lost, Evelyne, danke fuer eure Beitraege und die Anregung Schiller zu lesen. Bin grad auf dem Weg zur Arbeit schreibe die naechsten Tage mehr.


    Lost, ich wuerde gerne mit dir Tschechkov lesen, mach entweder gleich ein Thema dafuer oder poste nochmal im Vorschlagsthread. Allerdings wuerde ich vorschlagen wir starten erst in ein paar Tageen, z.B kommenden Freitag, frueher komm ich wohl nicht dazu. Meine Lesevorschlaege sind nicht dringend.


    Dostoevskij, vielleicht liegt es daran dass es nur ein Kapitel ist. Ich hab es schnell im Browser gelesen. Man koennte es schlimmstenfalls in word kopieren, als pdf exportieren und mit calibre umwandeln. Oder unter gutenberg.org suchen, die haben meist epubs und mobis.


    ich denk ich kauf mir Schiller in irgendeiner Form, hab jetzt Lust auf die Raeuber.

  • Tenar: Mit dem Hündchen warte ich noch ein paar Tage, die Räuber werden euch Zeit rauben, die der Dame mit ihrem Hündchen dann fehlt.


    In den Räubern wechselt Schiller wohl auch seine Sicht: die Situation seines Franz, dieser Kanaille, hat Ähnlichkeit mit der des Sonnenwirts, wird allerdings von Schiller deutlich verdammt. Ich erinnere mich dunkel an einen Schulaufsatz, in dem ich Franz moralisch verteidigt habe, ich hatte schon immer eine beachtlich spießige Seite.

  • Im Fernsehen gab es eine Serie, in der Titan Spengler Klassiker der Weltliteratur vorgestellt hat. Von Zweitausendeins habe ich die Serie oder ein Teil davon auf 4 DVD bekommen. Nichts für die Eingeweihten, die sich hier tummeln, für mich einfachen Geist sind Spenglers Darlegungen aber anregend, ähnlich wie es auch die des Romanverführers Vollmann waren und weiter sind. Wäre ich nicht von selbst in die Falle getappt, hätte mir Spengler sogar Proust schmackhaft gemacht.

    Eben habe ich die Folge über Gogol gesehen und einen Hinweis auf seine Erzählung "Die Nase" aufgeschnappt.


    Wäre das auch etwas für eine kurze Leserunde?

  • Moin, Moin!


    HIER kannst Du direkt online ohne Software-Installation eine PDF-Version konvertieren, indem Du den Gutenberg-Link eingibst. Ich habe es getestet, es funktioniert.


    Danke für den Tipp! Muß ich direkt mal testen, ob ich eine PDF-Datei meinem Samsung Galaxy Tab 3 aufschwatzen kann. Das habe ich noch nie probiert.

  • Mein Vorschlag wäre, die nächsten Leserunden-Vorschläge zum Projekt Gutenberg wieder im Ursprungsthread zu besprechen, der für neue Lesevorschläge geöffnet bleibt: HIER.


    Übersichtshalber wäre es günstig, diesen Thread weiterhin Friedrich Schillers Geschichte Der Verbrecher aus verlorener Ehre zu widmen.


  • Im Fernsehen gab es eine Serie, in der Titan Spengler Klassiker der Weltliteratur vorgestellt hat. Von Zweitausendeins habe ich die Serie oder ein Teil davon auf 4 DVD bekommen. Nichts für die Eingeweihten, die sich hier tummeln, für mich einfachen Geist sind Spenglers Darlegungen aber anregend, ähnlich wie es auch die des Romanverführers Vollmann waren und weiter sind. Wäre ich nicht von selbst in die Falle getappt, hätte mir Spengler sogar Proust schmackhaft gemacht.


    Kleiner Einschub off topic ...


    Hallo Lost,
    die Serie mag ich auch und schaue mir gelegentlich einen Teil ein. Alle Folgen findest Du hier:
    http://www.br.de/fernsehen/ard…der-weltliteratur106.html


    Gruß, Gina

  • Moin, Moin!


    Dostoevskij, vielleicht liegt es daran dass es nur ein Kapitel ist.


    Es entpuppte sich als ein Defekt eines Mozilla-Plugins, den ich erst einmal umgehe, indem ich die Gutenbergtexte mit dem Generatur zu epubs umwandle und dann direkt auf meinen kleinen Samsung auflade und dort mit Aldiko lese. Funktionierte sowohl mit dem Schiller- als auch mit dem Cechov-Text.