Re: Joseph Roth: Radetzkymarsch

  • Etwas Zeit braucht man schon zum Lesen. Der Titel war mir sehr vertraut, natürlich auch die Musik, aber was der Roman leistet, ist eine in fast sachlicher, aber sehr feinfühliger Weise dargestelltes Zeitgemälde Österreichs vor dem 1. Weltkrieg. Da die psychologische Perspektive sehr sorgfältig entwickelt wurde, ein sehr gutes Buch. Keine Sorge, nicht eine Anti-/Militarismusideologie, wie ich sie befürchtet hatte.

  • Im Rahmen des Wettbewerbs 2017 habe ich den Radetzkymarsch gelesen. Es war eine Zweitlektüre, da ich beim ersten Mal sehr begeistert war von diesem Buch und es unbedingt nochmal lesen wollte. Auch diesmal hat mich das Buch fasziniert.


    Am Schicksal der Familie Trotta beschreibt Roth den langsamen Untergang der Habsburgermonarchie. Der "Held von Solferino" rettet dem Kaiser Franz Joseph das Leben bei der Schlacht von Solferino. Dadurch ist das Schicksal der Trottas auch direkt mit dem Kaiser verknüpft. Der Sohn des Helden soll nicht zum Militär, wird Bezirkshauptmann irgendwo in Mähren. Der Enkel, Carl Joseph, kommt dann wieder zum Militär, ist aber eigentlich völlig unglücklich dort. Und auch völlig ungegeignet.


    Gut gefallen haben mir der Kaiser und auch der Bezirkshauptmann. Sie sind die letzten, die noch in der alten Welt leben und versuchen, sie am Leben zu erhalten. Die Audienz, die der Bezirkshauptmann beim Kaiser erhält, ist toll beschrieben. Und letztendlich ist es dann quasi unmöglich, dass die Trottas den Kaiser überleben. Als Franz Joseph stirbt, bleibt dem Bezirkshauptmann fast nichts mehr übrig, als sich ins Bett zu legen und auch zu sterben. Den Tod seines Sohnes, der wenig ruhmreich gleich am Anfang des Weltkriegs stirbt, hat er nicht verwunden. Als der Kaiser tot ist, fehlt ihm jeglicher Lebenssinn. Seine Welt ist untergegangen.


    Vor allem die Sprache und die Erzählweise von Roth haben mich gefesselt. Er verwendet viele Beschreibungen wie Formeln, die immer wieder auftauchen und damit auch bestimmte Stimmungen heraufbeschwören. Auch Licht und Farben werden sehr plastisch eingesetzt. V.a. das Thema Vorfahren (der Held von Solferino; der große, bärtige Jude, Großvater von Max Demant) ist sehr bedeutend. Die Enkel ("er war auch ein Enkel") können da schon gar nicht mehr mithalten und zeigen an ihrem Verhalten, dass das Habsburgerreich zum Untergang verdammt ist.


    Für den Wettbewerb 2018 habe ich mir Die Kapuzinergruft von Joseph Roth ausgewählt, da ich unbedingt noch mehr von ihm lesen möchte. Außerdem war es mal wieder eine gute Gelegenheit, sich mit der Geschichte der Habsburger und Franz Joseph I. zu beschäftigen. Immer wieder interessant.