Charles Dickens: Bleak House

  • Ich habe gestern Bleakhouse beendet. Das Ende fand ich stimmig, auch wenn ich schon von Anfang an dachte, dass Esther und Woodcourt heiraten werden. Etwas anderes hätte ich aber Dickens auch nicht verziehen :breitgrins:

  • Hallo Steffi und Giesbert,



    Tja, ich hatte den Freitag frei und da habe ich mal wirklich kaum was anderes gemacht als zu lesen. Das hat dann geräumt.


    Ich bin mit dir, Steffi, einverstanden in Bezug auf "Oliver Twist" und auch "David Copperfield". Beide las ich schon im Jugendalter, fand sie damals sehr farbig, aber auch schrecklich kitschig. Wobei mich "David Copperfield" zu der Rockgruppe "Uriah Heep" führte und die schätze ich immer noch: Wenn ich putzen oder reparieren oder ähnlich den Geist anregende Sachen machen muss, dient mir diese Musik immer noch wie die anderen alten englischen Rocker als Antreiber und Gute-Laune-Macher. Übrigens zeigen "Uriah Heep" (nach einem ekligen Bösewicht aus David Copperfield), wie sehr Dickens auch in der Populärkultur der Briten verankert ist.
    Ganz fürchterlich waren die Weihnachtserzählungen, die ich mir irgendwann früher mal - ganz passend - im Dezember zugefügt habe. Das grenzt an Leseverletzung!
    "Große Erwartungen" las ich in den Neunzigern und fand den Roman gar nicht so schlecht, er ist etwas uneinheitlich, wenn ich mich recht erinnere: Fips Kindheit und Jugend sind atmosphärisch ganz anders dargestellt als der Rest, dennoch, diesen Roman habe ich in guter Erinnerung.
    "Das Geheimnis um Edwin Drood" las ich vor acht Jahren in der Adaption von Fruttero & Lucentini, ein Mystery-Roman, aber nicht unvergesslich.
    "Nicholas Nickelby" las ich erst vor ein paar Jahren und fand den Roman eigentlich auch ganz gut, nur hat Dickens hier mehr Sentimentales (es ist ja auch ein früher Roman), und manchmal überzieht er die Satire, z.B. in den seitenweisen Tiraden von Nicholas' Mutter, das hat mich dann schon genervt.


    Aber "Bleakhouse" ist bisher das Beste, was mir von Dickens untergekommen ist, und so werde ich mich in Zukunft besonders auf das Spätwerk von Dickens freuen, "Harte Zeiten" etwa oder auch "Eine Geschichte zweier Städte". Beide sind von der Kritik nicht so freundlich aufgenommen worden, weil sie wohl eben nicht den gemütlichen Dickens-Stil haben.
    Das nächste, was ich mir vorgenommen habe, sind allerdings die "Pickwicker", auch so ein Buch, das das kulturelle Gedächtnis der Engländer in hohem Maße mitgeprägt hat.


    giesbert,


    die Leserunde geht ja weiter, wenn du noch Stellung nehmen willst, sind Steffi und ich bestimmt noch dabei!


    Bis dahin zunächst mal vielen Dank für den anregenden Austausch!


    finsbury

  • Reizvoll finde ich nach wie vor den Erzählerwechsel. Wobei es im Kapitel 27 eine kleine Inkonsequenz gibt. Der allwissende Erzähler erzählt ja prinzipiell im Präsenz und von außen - er versetzt sich nicht in die Psyche der Figuren, sondern bleibt satirisch/zynischer Beschreiber, der allenfalls Vermutungen anstellt, was wohl in den Köpfen der Figuren vorgehen mag. Bis auf diese Stelle:


    Zitat

    Mr. George findet, daß es schwerer ist, den alten Herrn loszuwerden als ihn die Treppen hinuntertragen zu helfen, denn als dieser wieder im Wagen sitzt, zeigt er sich so geschwätzig über die Guineen und hält »seinen lieben Freund« so zärtlich am Knopf fest – von dem heimlichen Verlangen beseelt, ihm den Rock aufzureißen und das Papier zu entwenden –, daß Mr. George beinahe Gewalt anwenden muß, um von ihm loszukommen.


    Das ist dann auch prompt eine etwas schwächere Stelle, bei der platt gesagt wird, was Sache ist, statt wie bisher spöttische Distanz zu halten.


  • Reizvoll finde ich nach wie vor den Erzählerwechsel. Wobei es im Kapitel 27 eine kleine Inkonsequenz gibt. Der allwissende Erzähler erzählt ja prinzipiell im Präsenz und von außen - er versetzt sich nicht in die Psyche der Figuren, sondern bleibt satirisch/zynischer Beschreiber, der allenfalls Vermutungen anstellt, was wohl in den Köpfen der Figuren vorgehen mag. Bis auf diese Stelle:



    Das ist dann auch prompt eine etwas schwächere Stelle, bei der platt gesagt wird, was Sache ist, statt wie bisher spöttische Distanz zu halten.


    Anders gesehen kann man in dieser doppelten Antithese (a was Smallweed tut und was er will, b was George will und was er fast tun muss) die Satire recht gut sehen. Außerdem sind Smallweeds Absichten soweit bekannt und seiner Figur immanent, dass der allwissende Erzähler dies durchaus kundtun kann, insbesondere wenn er durch den Kontrast zwischen Gezeigtem und Gemeinten einen - vielleicht nicht auf jeden so wirkenden - witzigen Effekt erzielt.
    Diese kleinen Ausflüge in die Innensicht, dann wenn es so sehr dem in der Außensicht gezeigten Charakter der Figuren entspricht, dass es wohl nur wenigen aufmerksamen Lesern wie dir auffällt - gibt es meiner Ansicht häufiger, so z.B. im Kap. 21, als uns die Familie Smallweed vorgestellt wird:


    Judy, die sich für das, was sie schon so oft gehört hat, nicht im geringsten interessiert, gießt aus den Ober- und Untertassen und aus dem Grunde der Kanne verschiedne Nebenströme Tee zum Abendbrot der kleinen Scheuerfrau zusammen.


    Auch hier werden in einem Satz mehrere Charakterzüge und Einstellungen sogar gegenüber verschiedenen Personen in einem Satz in Innen- und Außensicht kombiniert, wie ich finde, eher eine Stärke des Erzählers.


    Außerdem ist es ja ein Merkmal des allwissenden Erzählers, dass er verschiedenen Personen in den Kopf sehen darf.


    finsbury