Juli 2011: Michail Bulgkow - Der Meister und Margarita

  • Hallo zusammen,


    den 1. Teil habe ich nun beendet. Das reinste Chaos herrscht in Moskau.
    Die Habgier kommt kollektiv aber auch beim Einzelnen zu Tage, z.b. beim Onkel des Berlioz.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo,


    war die letzten Tage und bin immer noch etwas vergrippt. Das hielt mich meist vom Posten ab, aber nicht vom Lesen. Wenn man ein bisschen fiebrig ist, kommt der "Meister und Margarita" echt gut! Bin also inzwischen in Kapitel 29 und werde wohl heute oder morgen fertig werden.
    Ich will aber eurer Lektüre nicht so sehr vorgreifen.
    Nur zu dem, was du über die merkwürdigen Anspielungen schriebst, Maria: Ich habe auch große Verständnisschwierigkeiten, obwohl mir der Roman doch gut gefällt, gerade weil er so scheinbar chaotisch ist. Ich habe jedenfalls das Nachwort in der Luchterhand-Taschenausgabe gelesen und das gibt einigen Aufschluss. Diese eingeschobene Pilatusgeschichte fand ich auch merkwürdig und es fiel mir schwer, Parallelen zu dem Hauptgeschehen zu finden.
    Nach den Ausführungen im Nachwort ging es Bulgakow nicht um eine religiöse Überhöhung, sondern Christus steht hier für den Menschen, der unverbrüchlich an das Gute in jedem Menschen glaubt, und dass jeder den rechten Weg beschreiten kann. Egoismus, Korruption und Unterdrückung müssen nicht sein.
    In diesem Zusammenhang lässt sich auch Kant für mich ein wenig besser verstehen. Vielleicht ist es sein kategorischer Imperativ und die praktische Vernunft, auf die Bulgakow hier anspielt. Wobei ich natürlich nur sehr laienhaft vermuten kann ... .
    Allerdings entwickelt sich die Pilatusgeschichte zum Ende hin für mich etwas unverständlich, aber darüber können wir schreiben, sobald ihr soweit seid. Bald kommt noch der Frühlingsball des Satans. Das ist ein echter Höhepunkt des Romans und hier, wie bei den Vorbereitungen dazu steht dann auch endlich Margarita im Mittelpunkt. Interessant ist, dass Bulgakow bei allem Glauben an das Gute im Menschen auch seine "guten" Helden nicht vor Gewalt zurückschrecken lässt.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • @ finsbury: Das Nachwort hätte ich gerne selber gelesen, aber ich habe zu viel Angst, dass es zu viel verrät.
    Gut, man kann vielleicht schon den weiteren Fortgang und das Ende der Geschichte ahnen - aber trotzdem möchte ich nicht alles wissen. :zwinker:
    Kann ich das Nachwort gefahrlos lesen, wie weit wird der Verlauf vom Buch beschrieben?


    Bei Kapitel 29 bin ich noch nicht, aber ich kann heute wahrscheinlich auch den ersten Teil beenden. :lesen:


  • @ finsbury: Das Nachwort hätte ich gerne selber gelesen, aber ich habe zu viel Angst, dass es zu viel verrät.
    Gut, man kann vielleicht schon den weiteren Fortgang und das Ende der Geschichte ahnen - aber trotzdem möchte ich nicht alles wissen. :zwinker:
    Kann ich das Nachwort gefahrlos lesen, wie weit wird der Verlauf vom Buch beschrieben?


    Hallo Theresa,


    eigentlich verrät das Nachwort nicht viel über die Handlung, sondern erläutert i.W. die autobiografischen Hintergründe, die für das Verständnis des Romans wichtig sind.
    Wobei ich immer noch sagen muss, dass ich vieles wirklich nicht verstehe.
    Der Roman verarbeitet auch einiges an Verletzung der persönlichen Schriftstellereitelkeit Bulgakows und hat aber daneben diesen metaphysischen Charakter, beruft sich auf die großen Menschheitsdichtungen und -mythen: Eine teilweise gewollt oder ungewollt (?) chaotische Mischung! Einerseits dieses einseitige Rumhacken auf den Vertretern der Kulturszene, andererseits die Verknüpfungen zu Jesus und Satan.
    Aber man muss nicht unbedingt alles verstehen, was zu lesen Spaß macht.
    Brauche noch acht Seiten, dann bin ich fertig.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo zusammen,


    Zitat von Maria am: 19. Oktober 2011

    darf ich mitmachen? :smile:


    Ich auch? :zwinker: Eigentlich wollte ich ja von Anfang an mitmachen, leider kam etwas dazwischen und so kann ich erst in der zweiten Halbzeit mitstreiten. Den ersten Teil des Buches habe ich im Schnellverfahren gelesen.


    Vor kurzem habe ich eine 600seitige Biographie über Bulgakows Zeitgenossen, Landsmann und Künstlerkollegen Dimitri Schostakowitsch hinter mich gebracht, ein ziemlich trockenes, etwas langweiliges Werk, in dem man aber zwangsläufig einiges über die sowjetisch stalinistische Kulturpolitik und speziell darüber erfährt, wie der Musiker Schostakowitsch drangsaliert und in seiner künstlerischen Entwicklung behindert wurde, wie er nur versteckt Kritik üben konnte, sich verbiegen musste, sich anpasste.
    Hier nun das Gegenprogramm: Nach der doch recht deprimierenden Lektüre lese ich den Meister von Bulgakow mit schmunzelnder Genugtuung: Den zur Staatsreligion erhobenen Atheismus und den sozialistischen Realismus als allein seligmachende Stilrichtung links liegen lassend, macht Bulgakow hier Magie, Mystik, Heilsgeschichte zum Thema und lässt engstirnige Literaturfunktionäre mit dem Satan persönlich über dessen Existenz streiten und dabei den kürzeren ziehen. Ich kann verstehen, dass die Menschen in den Sechzigern das Werk verschlungen haben! Dieses satirische Feuerwerk ist einfach herrlich und befreiend zu lesen, die Idee, Feigheit, Heuchelei, Korruption, menschliche Dummheit und was sonst noch in einem totalitären, auf Angst begründeten System gedeiht, durch teuflisches Treiben mitten im stalinistischen Moskau offenbar werden zu lassen und „auszutreiben“, finde ich genial. Dabei schwant einem, dass die geschilderten Verhältnisse, die Befindlichkeiten der Menschen eigentlich auch ohne Teufel schon so waren: Köpfe rollten, Menschen verschwanden und tauchten irgendwo anders (oft auch in der Psychiatrie) wieder auf, es gab Schauprozesse, Terror, jeder misstraute jedem, das Gefühl, dass es einem jeden Moment an den Kragen gehen konnte usw, das alles gab es schon vor/ohne Volands Auftauchen. Mit einem Wort, in Moskau war (auch ohne Teufel) der Teufel los. Und erinnert nicht der übernatürlich große Schnurrhaarträger mit dem fellartig dichten Haarwuchs an das überlebensgroße Konterfei eines mit ähnlichen Attributen ausgestatteten Menschen, das zu der Zeit überall in Moskau zu sehen war?
    Ja, und dann die Geschichte des Pontius Pilatus, dieses ewigen Funktionärs, der wider besseres Wissen und innerste Überzeugung der Staatsräson zum Sieg verhilft und darunter leidet. Paradoxerweise geschieht in dieser religiösen Geschichte nichts Übernatürliches, während die Gegenwart und Realität phantastische Kapriolen schlägt …
    Mir scheint , dass Bulgakow in dieser Geschichte seine Ansichten unverhüllt darstellt. Gleich zu Anfang heißt es:


    Ich habe ihm unter anderem gesagt, erzählte der Arrestant, dass von jeder Staatsmacht den Menschen Gewalt geschehe

  • Bitte entschuldigt mein Zuspätkommen aber in meiner Straße finden gerade Straßenbauarbeiten statt, infolge derer meine Internetleitung Schaden genommen hat. Mir hat das Lesen wieder einmal sehr viel Spaß bereitet. Hauptsächlich bewunderte ich den Mut Margaritas, den sie aufbringt, um den Meister aus der Irrenanstalt zu befreien. Was mir beim zweiten Lesen auffiel war die Spaltung Iwans, der ja offensichtlich seinen Körper mit dem des Meisters teilt. Zum Teil erinnert die Verworrenheit der ganzen Geschehnisse trotzdem sehr an E.T.A. Hoffmann, was aber den gesamten Lesespaß nur in einigen Passagen trübt. Was ich von der Thematik her auch einmal als Leserunde vorschlagen könnte, ist "Ahasver" von Stefan Heym, der dort die Passionsgeschichte noch etwas von einem anderen Blickwinkel aus beleuchtet.


    Gruß
    Meier

    "Es gibt andere Geschichten auf einem andern Blatt Papier, doch jede ist mit der ersten verwandt" * Keimzeit

  • Hallo,


    meier und Gontscharow,


    schön, dass ihr jetzt auch mit dabei seid. Wobei du, meier, anscheinend auch schon wieder mit der Zweitlektüre fertig bist.
    Gontscharow, deine Anmerkungen sind sehr erhellend. Der Vergleich des Katers äußerlich mit Stalin ist durchaus nachdenkenswert, wenn er ansonsten auch wohl eher nach Hoffmann/Tieck kommt und auch einiges von Garfield vorwegnimmt. Auch das Verschwinden von Missliebigen in geschlossenen Anstalten ist eine einsichtige Parallele ebenso wie die anderen Zusammenhänge, die du dargestellt hast.
    Bulgakows Verhältnis zum christlichen Glauben sollten wir vielleicht nochmal besprechen, wenn wir bis zum Ende gekommen sind. Diese Diskrepanz zwischen der nüchternen Sicht auf Jesus als außergewöhnlichen, aber nicht göttlichen Menschen einerseits und den entfesselten mythologischen Zirkus um Satan und seine Gefolgsleute andererseits soll vielleicht darauf hinweisen, dass das Böse wie das Gute allein durch den Menschen entfesselt wird.
    @ meier, erläutere doch bitte, was du mit der Spaltung Iwans meinst. Ich dachte eher, dass Iwan durch die Begegnung mit dem Meister geläutert wird und sich mit seiner Schreiberei nicht mehr in den Dienst der Ideologie stellen lässt, sondern als Forscher künftig der Wahrheit dienen will.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Zitat

    @ meier, erläutere doch bitte, was du mit der Spaltung Iwans meinst. Ich dachte eher, dass Iwan durch die Begegnung mit dem Meister geläutert wird und sich mit seiner Schreiberei nicht mehr in den Dienst der Ideologie stellen lässt, sondern als Forscher künftig der Wahrheit dienen will.


    Alleine die Kapitelüberschriften besagen doch etwas von einer vorgestellten Schizophrenie, wobei ich denke, dass sich dies auf den Meister und Iwan bezieht. Sicherlich verfremdet Bulgakow innerhalb des Romans auch eigene Erlebnisse, wobei mir jedoch von einer Schizophrenie nichts bekannt ist, zumindest nicht in pathologischem Sinne. Aber zum Ende hin kommt noch ein deutlicher Hinweis, dass der Meister und Iwan ein und diesselbe Person sind, was ich aber nicht vorwegnehmen möchte.


    Gruß
    Meier

    "Es gibt andere Geschichten auf einem andern Blatt Papier, doch jede ist mit der ersten verwandt" * Keimzeit


  • Hier nun das Gegenprogramm: Nach der doch recht deprimierenden Lektüre lese ich den Meister von Bulgakow mit schmunzelnder Genugtuung: Den zur Staatsreligion erhobenen Atheismus und den sozialistischen Realismus als allein seligmachende Stilrichtung links liegen lassend, macht Bulgakow hier Magie, Mystik, Heilsgeschichte zum Thema und lässt engstirnige Literaturfunktionäre mit dem Satan persönlich über dessen Existenz streiten und dabei den kürzeren ziehen. Ich kann verstehen, dass die Menschen in den Sechzigern das Werk verschlungen haben! Dieses satirische Feuerwerk ist einfach herrlich und befreiend zu lesen, die Idee, Feigheit, Heuchelei, Korruption, menschliche Dummheit und was sonst noch in einem totalitären, auf Angst begründeten System gedeiht, durch teuflisches Treiben mitten im stalinistischen Moskau offenbar werden zu lassen und „auszutreiben“, finde ich genial.


    Hallo Gontscharow,



    du fasst meine Gefühle fein zusammen. Auch beim Lesen kann man eine Freiheit verspüren; man erhebt sich in die Lüfte wie Margarita, ist jetzt sehr blumig dahingeschrieben, aber die Verwandlung von Margarita hat was unglaublich befreiendes. Was für ein gefährliches und geniales Buch. Ich glaube nicht, dass ich schon was ähnliches gelesen habe.


    ich muß unbedingt Goethes Faust I lesen. Der Ball soll ja eine Variation des Walpurgisnachtthemas sein.


    Ich komme zum 22. Kapitel.


    Gruß,


    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Alleine die Kapitelüberschriften besagen doch etwas von einer vorgestellten Schizophrenie, wobei ich denke, dass sich dies auf den Meister und Iwan bezieht. Sicherlich verfremdet Bulgakow innerhalb des Romans auch eigene Erlebnisse, wobei mir jedoch von einer Schizophrenie nichts bekannt ist, zumindest nicht in pathologischem Sinne. Aber zum Ende hin kommt noch ein deutlicher Hinweis, dass der Meister und Iwan ein und diesselbe Person sind, was ich aber nicht vorwegnehmen möchte.


    Beziehst du dich mit den Kapitelüberschriften z.B. auf I, 6? Aber da geht es doch offensichtlich um Iwan B. alleine, der dem Meister ja noch gar nicht begegnet ist und auf Rjushin einerseits wahnsinnig, andererseits ganz vernünftig, daher schizophren wirkt.
    Dann geht es dir wahrscheinlich noch um das Kapitel 11, das am stärksten deine Theorie im I.Teil untermauert: Iwans Empörung über den Tod seines ideologischen Gefährten Berlioz schwindet zugunsten eines positiven Interesses am Teufelstreiben sowie der Fixierung auf die Pilatusgeschichte. Und in genau diesem Moment der Etablierung des neuen Iwans erscheint der Meister. Man könnte also die folgenden Gesprächsszenen als die zwischen den beiden Teilen Iwans auffassen. Aber welche Bedeutung hat dann in II die Handlung, als und nachdem der Meister auf dem Teufelsball erscheint?
    Außerdem beziehst du dich wahrscheinlich auf das Ende, den Epilog, wo Iwan plötzlich nicht mehr Besdomny (Hauslos) heißt, sondern Ponyrew (was auch immer das übersetzt aus dem Russischen bedeutet) heißt. Aber was soll dann diese Szene, in der er den wieder zurückverwandelten Eber beobachtet?
    Ein Anzeichen für die Spaltung in Meister und Iwan wäre, dass er das neue Ende der Pilatusgeschichte träumt, das der Meister im 32. Kapitel geschaffen hat. Für mich ist das aber eher das Zeichen, dass er sich als Pilatus sieht, der sich, wie auch Gontscharow schon ausführte, zum Vollstrecker eines unmenschlichen Regimes macht, so wie Iwan Besdomny sich mit seiner Programmlyrik zum Handlanger des Stalinismus machte.


    Im übrigen finde ich, dass der Meister, nach dem der ganze Roman heißt, die blasseste Figur von allen ist und eigentlich nur als Auslöser für das Handeln der anderen und die letztendliche Erlösung der Pilatus-Geschichte und damit auch von Iwan dient.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Zitat von finsbury« am: 29. Oktober 2011

    Außerdem beziehst du dich (meier) wahrscheinlich auf das Ende, den Epilog, wo Iwan plötzlich nicht mehr Besdomny (Hauslos) heißt, sondern Ponyrew (was auch immer das übersetzt aus dem Russischen bedeutet) heißt.


    Ponyrew ist der Nachname des Iwan Nikolajewitsch, Besdomny sein Künstlername, unter dem er seine zweifelhaften Gedichte verzapft.


    …sein junger Begleiter war der Lyriker Iwan Nikolajewitsch Ponyrew, der unter dem Pseudonym „Besdomny“ schrieb…


    Es ist nur folgerichtig, dass der zum „lieben Iwan“ geläuterte Nikolajewitsch, der zudem versprochen hat, keine Gedichte mehr zu verfassen, nicht mehr mit seinem Dichternamen genannt wird.


    Wie du, finsbury, bin ich der Ansicht, dass Iwan und der Meister nicht ein und dieselbe Person sind. Dafür gibt es keine Textbelege, bzw. zu viele, die eine andere Sprache sprechen. Obwohl die Idee, diese diametral entgegengesetzten Dichtertypen als zwei Seiten einer Person zu sehen, einen gewissen Reiz hat. :zwinker:



    Zitat von JMaria« am: 29. Oktober 2011

    Auch beim Lesen kann man eine Freiheit verspüren; man erhebt sich in die Lüfte wie Margarita, ist jetzt sehr blumig dahingeschrieben, aber die Verwandlung von Margarita hat was unglaublich befreiendes.


    Ja, finde ich auch. Und ich glaube, diese Textpassagen gehören zu den schönsten des ganzen Romans. Überhaupt, ist diese Margarita im Gegensatz zu dem, wie finsbury sagt, farblosen Meister eine höchst lebendige ausdruckstarke Person. Nicht nur, dass sie alles wagt, um ihre Liebe wiederzufinden und dafür bereit ist mit dem Teufel zu paktieren (welch ein Unterschied zu Goethes Gretchen!), sie macht das auch alles für sich selbst. Sie verlässt ihren ungeliebten Mann und die materielle Sicherheit, befreit sich aus dem goldenen Käfig ihrer Ehe und von dem falschen Leben, das sie geführt hat.
    Ihr Ehemann, von dem schönen Hausmädchen Natascha übermütig mit Flugsalbe bestrichen, begegnet ihr in Gestalt eines fliegenden Ebers wieder. Köstlich, wie dem Leser durch einige wenige Pinselstriche veranschaulicht wird, wen Margarita da verlassen hat: einen Bürokraten, einen um politische Korrektheit ängstlich bemühten Spießer und Opportunisten, der es mit der ehelichen Treue gleichwohl nicht allzu genau nimmt:


    Splitternackt, mit flatternden Haaren, ritt sie (das Hausmädchen) auf einem dicken Eber, dessen Vorderhufe eine Aktentasche umklammerten … ein ab und zu im Mondlicht aufblitzender Kneifer, von der Nase gefallen, flog an einer Schnur neben ihm her… „Göttin“...heulte der Eber. „Ich kann nicht so schnell fliegen, ich verliere noch wichtige Papiere…


    Und später lässt er sich vom Teufel – für die Miliz und (man weiß ja nie) für seine Ehefrau - eine Bescheinigung mit Datum und Stempel ausstellen, dass er die Nacht als „Transportmittel“ im Einsatz war ... :breitgrins:
    Fliegende Schweine sind übrigens, glaube ich, auch in der Goethischen Walpurgisnacht im Einsatz .


    Den Roman habe ich jetzt zuende gelesen, möchte aber nicht vorgreifen.


  • .
    Ihr Ehemann, von dem schönen Hausmädchen Natascha übermütig mit Flugsalbe bestrichen, begegnet ihr in Gestalt eines fliegenden Ebers wieder. Köstlich, wie dem Leser durch einige wenige Pinselstriche veranschaulicht wird, wen Margarita da verlassen hat: einen Bürokraten, einen um politische Korrektheit ängstlich bemühten Spießer und Opportunisten, der es mit der ehelichen Treue gleichwohl nicht allzu genau nimmt:



    dennoch wartet eine Frau zuhause auf ihn. Was ich in diesem Zusammenhang nicht verstehe. Später beobachtet ja Besdomny/Ponyrew regelmässig zu Vollmond diesen Mann, und wie er zurück geht zu seiner Frau, Sehnsucht jedoch nach der Venus/Natascha hat und seine Feigheit verflucht.. Feigheit wird im Buch als die größte Sünde benannt.


    Auch folgendes verstehe ich nicht:


    Asasello hat die sterbliche Hülle vom Meister und Margarita in jeweils ihren letzten Wohnstätten platziert und die Krankenschwester bestätigt dies auch Besdomny, dass der Meister verstorben ist. Später heißt es wiederum, im Untersuchungsbericht, dass der Meister, dessen Namen man nicht ermitteln konnte, verschwunden blieb ebenso die Frauen (Natascha und Margarita).


    Auffallend fand ich außerdem, dass sowohl Margarita wie auch der Meister jemanden erlösten. (Erlösungsthema ?)
    das Buch habe ich nun beendet, nur das Nachwort fehlt mir noch.


    ein betörendes Buch !!!


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • dennoch wartet eine Frau zuhause auf ihn. Was ich in diesem Zusammenhang nicht verstehe. Später beobachtet ja Besdomny/Ponyrew regelmässig zu Vollmond diesen Mann, und wie er zurück geht zu seiner Frau, Sehnsucht jedoch nach der Venus/Natascha hat und seine Feigheit verflucht.. Feigheit wird im Buch als die größte Sünde benannt.



    Da liegt ein Missverständnis bei euch vor. Wir erfahren im Kapitel "Margarita", dass ihr Mann drei Tage weg und sie somit allein in der Wohnung ist. Im Folgekapitel "Asasellos Salbe" grüßt Margarita bereits gesalbt und nackt ihren Erdgeschossnachbarn Nikolai Iwanowitsch, einen ziemlichen Spießbürger, der völlig konsterniert ist und später ihrem ebenfalls verhexten Kammermädchen Natascha verfällt. Vor diesem Hintergrund klären sich auch die oben genannten Stellen.



    Auch folgendes verstehe ich nicht:


    Asasello hat die sterbliche Hülle vom Meister und Margarita in jeweils ihren letzten Wohnstätten platziert und die Krankenschwester bestätigt dies auch Besdomny, dass der Meister verstorben ist. Später heißt es wiederum, im Untersuchungsbericht, dass der Meister, dessen Namen man nicht ermitteln konnte, verschwunden blieb ebenso die Frauen (Natascha und Margarita).


    Da stimme ich dir völlig zu: An einigen Stellen scheint Bulgakow - vielleicht aufgrund des langen Entstehungszeitraums dieses Romans - nicht alles kohärent aufeinander abgestimmt zu haben.


    Ich lese nun die "Teufeliaden", einen Erzählungsband, der anscheinend einige Verbindungen zum "Meister" hat. So kommt zum Beispiel in der ersten Erzählung "Die Arbeiterkommune im Elpit-Haus" sowohl das Hau(nämlich das des Titels) vor, in dem Voland und sein Gefolge Quartier nehmen, als auch Annuschka, das alte Mütterchen, das durch das Ölvergießen im Meister für Berloz'Ableben sorgt und in dieser Erzählung ebenso durch Unbedachtsamkeit das ganze Haus in Brand setzt.
    Die Erzählungen sind wunderbar, ein ähnliches Leseerlebnis wie der Meister.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Da liegt ein Missverständnis bei euch vor. Wir erfahren im Kapitel "Margarita", dass ihr Mann drei Tage weg und sie somit allein in der Wohnung ist. Im Folgekapitel "Asasellos Salbe" grüßt Margarita bereits gesalbt und nackt ihren Erdgeschossnachbarn Nikolai Iwanowitsch, einen ziemlichen Spießbürger, der völlig konsterniert ist und später ihrem ebenfalls verhexten Kammermädchen Natascha verfällt.


    Ups! Ja stimmt, das Schwein mit der Aktentasche und dem Zwicker ist der Nachbar! Der Ehemann wird gar nicht namentlich genannt (?), gehört aber wohl wie der Nachbar ebenfalls zur Kaste der kleingeistigen Bürokraten.


    ] An einigen Stellen scheint Bulgakow - vielleicht aufgrund des langen Entstehungszeitraums dieses Romans - nicht alles kohärent aufeinander abgestimmt zu haben.


    Auch da gebe ich dir recht. Es gibt noch eine Reihe kleinerer Unstimmigkeiten, die man aus den von dir genannten Gründen vielleicht nicht auf die Goldwaage legen sollte.



    Zitat von JMaria« am: Heute um 16:38 »

    Auffallend fand ich außerdem, dass sowohl Margarita wie auch der Meister jemanden erlösten.


    Ja, seltsam. Vor allem, wenn man sich ansieht, wen sie erlösen. Margarita befreit eine Kindsmörderin von ihren Gewissensqualen. Sie transzendiert so quasi das Schicksal des Goethischen Gretchens und der Gounoud’schen Marguerite, indem sie nicht nur dem Beispiel ihrer literarischen Vorbilder nicht folgt, sondern sogar die Kraft hat, sie zu erlösen. Und der Meister? Er erlöst seine eigene Romanfigur, Pilatus, doch nicht im Roman selbst, der hat ja ein offenes Ende, sondern "in echt", oder? Denn Voland sagt, ihn zur Erlösung einladend: So, nun könnt Ihr euren Roman mit einem Satz beenden.“ (S. 473) Ein raffiniertes vielschichtiges Spiel mit Fiktion und Realität.


    Überhaupt, die Pilatusgeschichte: sie hebt sich durch die stärkere Plastizität der Figuren, ihren melancholischen Ton und ihre Bedeutungsschwere von der humoristisch phantastischen Realitätsebene ab, ist aber vielfältigst in sie verschlungen. Ich finde auch vielfältige Entsprechungen zwischen diesen beiden Ebenen. Was mir ein bisschen zusammenhanglos erscheint ist die doch verhältnismäßig breiten Raum einnehmende Geschichte um Judas’ Ermordung und die Figur des Geheimdienst- Chefs. Ja, das ist spannend und raffiniert erzählt, aber in welchem Zusammenhang steht das zum Ganzen? Vielleicht habt ihr eine Idee?


  • Ja, seltsam. Vor allem, wenn man sich ansieht, wen sie erlösen. Margarita befreit eine Kindsmörderin von ihren Gewissensqualen. Sie transzendiert so quasi das Schicksal des Goethischen Gretchens und der Gounoud’schen Marguerite, indem sie nicht nur dem Beispiel ihrer literarischen Vorbilder nicht folgt, sondern sogar die Kraft hat, sie zu erlösen. Und der Meister? Er erlöst seine eigene Romanfigur, Pilatus, doch nicht im Roman selbst, der hat ja ein offenes Ende, sondern "in echt", oder? Denn Voland sagt, ihn zur Erlösung einladend: So, nun könnt Ihr euren Roman mit einem Satz beenden.“ (S. 473) Ein raffiniertes vielschichtiges Spiel mit Fiktion und Realität.



    Ja, dieses vielschichtige Spiel zwischen Fiktion und Realität findet man auch in der Frage nach Gut und Böse. Volands leidenschaftliche Rede über Schatten zeigt dies, selbst Matthäus Levi hat seinen Jeschua nicht verstanden und Voland mußte ihn korrigieren. Ebenfalls ist das Christusbild bei Bulgakow völlig antidogmatisch; keine Anhängerschaft, wird zusammen mit den Verbrechern begraben....



    Zitat


    Überhaupt, die Pilatusgeschichte: sie hebt sich durch die stärkere Plastizität der Figuren, ihren melancholischen Ton und ihre Bedeutungsschwere von der humoristisch phantastischen Realitätsebene ab, ist aber vielfältigst in sie verschlungen. Ich finde auch vielfältige Entsprechungen zwischen diesen beiden Ebenen. Was mir ein bisschen zusammenhanglos erscheint ist die doch verhältnismäßig breiten Raum einnehmende Geschichte um Judas’ Ermordung und die Figur des Geheimdienst- Chefs. Ja, das ist spannend und raffiniert erzählt, aber in welchem Zusammenhang steht das zum Ganzen? Vielleicht habt ihr eine Idee?



    geht vielleicht wieder in die Richtung von Stalin und Spitzelstaat. (?)
    über Judas und seine Ermordung bin ich mir auch nicht im Klaren.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Ich bin jetzt auch fertig, konnte mich in den letzten Tagen wegen fehlenden Internetzugangs nicht melden.


    Was für ein Buch! Einerseits großartig, und andererseits bleiben so viele Fragen offen...


    Über den Bezug der Pilatusgeschichte zu dem Hauptroman bin ich mir ebenfalls nicht im Klaren, ich kann also nur raten.
    Einmal ist die Nebenhandlung vermutlich dazu da, um diese Vergebungsmotive zu betonen (-> Frieda), auch dadurch, dass Pilatus am Ende erlöst wird.
    Aber warum diese Handlung so genau beschrieben hat, verstehe ich auch nicht.


    Jetzt mal zu etwas, was mir besonders aufgefallen ist: Dass Satan & Co. eigentlich sehr positiv beschrieben werden.


    - Die Streiche Behemots, Korowjews und Asasellos scheinen harmlos, ganz lustig. Viele Figuren landen in der Irrenanstalt, einige Häuser fackeln ab, die meisten Menschen aber kommen recht glimpflich davon.
    Der Tod Berlioz geht irgendwie fast unter, am Anfang war ich noch schockiert, aber dann begannen mir die Teufel immer sympathischer zu werden.
    - Die Gehilfen Volands sind ein recht heiteres Völkchen, werden zumindest vom Autor so dargestellt.
    - Obwohl Voland sich gegen Barmherzigkeit wehrt, hat er sie reichlich. Frieda wird geholfen, Margarita und dem Meister ebenfalls - der Teufel hätte beides nicht machen müssen: So tief stand Margarita als Ballkönigin nicht in seiner Schuld.


    Ihr Glück verdanken Meister und Margarita also Jeschua und Voland zusammen. Ersterer hat ihre Ruhe am Ende veranlasst, aber Voland hat dafür gesorgt, dass sie ihr Häuschen bekommen.
    "Er hat das Werk des Meisters gelesen", sprach Levi Matthäus, "und er bittet dich, den Meister mitzunehmen und ihm Ruhe zu schenken. Ist das etwa zu schwer für dich, Geist des Bösen?" ("Das Schicksal Meisters und Margaritas ist entschieden")


    Gott und Teufel arbeiten also irgendwie zusammen. Fand ich merkwürdig, aber eine schöne Idee.


    Kann es nicht sein, dass am Ende durch Margarita die Macht des Bösen ein wenig eingeschränkt, wenn nicht sogar gebrochen wurde?
    Denn Voland lernt die Barmherzigkeit kennen und erfüllt sogar eine Bitte Jeschuas. Die Satangruppe wird nach Ende der Geschichte bestimmt nicht aufhören, Streiche zu spielen und sich an dummen Menschen zu rächen, aber trotzdem scheinen sie auch das Gute in sich selbst kennengelernt zu haben.

  • Ihr Glück verdanken Meister und Margarita also Jeschua und Voland zusammen. Ersterer hat ihre Ruhe am Ende veranlasst, aber Voland hat dafür gesorgt, dass sie ihr Häuschen bekommen.
    "Er hat das Werk des Meisters gelesen", sprach Levi Matthäus, "und er bittet dich, den Meister mitzunehmen und ihm Ruhe zu schenken. Ist das etwa zu schwer für dich, Geist des Bösen?" ("Das Schicksal Meisters und Margaritas ist entschieden")



    wobei für mich rätselhaft bleibt, warum er nicht das "Licht" verdient hat, sondern die Ruhe und warum konnte Jeschua ihm keine Ruhe geben, sondern nur Licht?


    Voland und seine Spießgesellen fand ich schon unheimlich und ihre Nettigkeit war eine Gradwanderung, sogar beim Lesen war ich unter Spannung. Ein Fehler von Margarita und ihr Wunsch mit dem Meister zusammen zukommen hätte sich nicht erfüllt.


    Der Ritt und die Veränderung ihrer Gestalten fand ich auch interessant. Sie wurden zu den Gestalten, die sie wohl schon immer waren.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo,


    bei der Einschätzung der Judasgeschichte denke ich, dass Maria Recht hat, es wird um den Stalin-Staat und die Spitzel gehen.


    Was die Funktion des Satans und seiner Truppe angeht, finde ich das Nachwort recht aufschlussreich.
    Im Gegensatz zum Goetheschen Faust, wo der Satan das Böse will und unwillentlich das Gute erreicht, will der russische Faust das Gute und nutzt das Böse, um es zu erreichen. Damit lässt sich zum Beispiel auch Lenins Argumentation abdecken, dass man Böses tun muss, um die Idealwelt des Kommunismus zu erreichen.
    Bulgakow aber zeigt, dass sich das Böse nicht regieren lässt, sondern sich verselbstständigt, weil es Eigenschaften im Menschlichen entspricht (vgl. z.B. Szene im Variététheater).
    Dennoch: Die Schuld und Sühne-Thematik der Pilatus-Geschichte und der Hexensabbat in Moskau, so gut beide für sich sind, ganz bekomme ich sie nicht überein, was aber der Lesequalität des Romans keinen Abbruch tut.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)


  • Ich lese nun die "Teufeliaden", einen Erzählungsband, der anscheinend einige Verbindungen zum "Meister" hat. So kommt zum Beispiel in der ersten Erzählung "Die Arbeiterkommune im Elpit-Haus" sowohl das Hau(nämlich das des Titels) vor, in dem Voland und sein Gefolge Quartier nehmen, als auch Annuschka, das alte Mütterchen, das durch das Ölvergießen im Meister für Berloz'Ableben sorgt und in dieser Erzählung ebenso durch Unbedachtsamkeit das ganze Haus in Brand setzt.
    Die Erzählungen sind wunderbar, ein ähnliches Leseerlebnis wie der Meister.



    klingt ja sehr gut, finsbury.
    Werde ich mir merken fürs nächste Jahr. Mich interessiert Bulgakow weiterhin.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)