• Im Leserundenthread zur „Kartause von Parma“ hat Sir Tom einen Beitrag eingebracht indem er Stendhal und Balzac als Gegenstück zu Flaubert erwähnte. Sicher diskussionswürdig und mich hätte das nicht gestört wenn wir darüber dort diskutiert hätten. – Aber die Leserunde hat ja noch andere Teilnehmer und da muss man Rücksicht nehmen. Deshalb und so verkehrt ist das ja auch nicht einen eigenen Thread über Stendhal, leserundenunabhängig.



    Ob Stendhal genial war, vermag ich nicht zu beurteilen.
    LG
    Tom



    Hallo Tom,


    da Du dich hier so bescheiden zurück nimmst, will auch ich nicht mit eigenen Worten trumpfen, sondern einen zitieren, der allgemein für solche Fragen als kompetent angesehen wird: Harold Bloom, der amerikanische Literaturkritiker schreibt in seinem 2002 erschienenen Buch: „Genius. A mosaic of one hundred exemplary creative minds“:


    “Nirgends ist die Hochromantik höher als in “Die Kartause …“. Moscal liebt Gina, die Fabrizio liebt, der Clélia liebt, die Fabrizio und ihr Kind liebt. Als das Kind stirbt können auch Clélia, Fabrizio, Gina nicht überleben, - nicht ohne den geliebten Menschen. … Stendhals Genius gilt dem Begehren und mit seinem psychologischen Blick für die Leidenschaften zeigt er, dass in der Liebe alles eitel ist, was nicht krank ist" (nicht wörtlich, aber sinngemäß übersetzt und zitiert)


    LG


    Hubert

  • Hallo Hubert,


    vielen Dank für das Bloom-Zitat. Interessant finde ich, dass er "Die Kartause ..." als romantisches Werk einstuft, was ich nachvollziehen kann und für richtig halte.



    ... Stendhal und Balzac als Gegenstück zu Flaubert ...


    Das halte ich für eine unglückliche Formulierung. Ich habe vor einigen Tagen noch einmal Prousts berühmte Analyse des Flaubert-Stils (enthalten in "Tage des Lesens") und die Flaubert-Briefe, die sich mit der Arbeit an "Madame Bovary" beschäftigen, gelesen. Um es kurz zu machen: Proust hält Flaubert für den Erfinder eines neuen Stils. Die Briefe Flauberts sprechen eine ähnliche Sprache. Da hat jemand jahrelang mit sich gerungen. Es ging Flaubert nicht darum, nur schön zu schreiben, sondern für den Roman die Sprache zu finden, die ihn endgültig vom Verdacht der seichten Unterhaltung befreit. Nicht ein abstraktes Stilideal ist sein Kriterium für künstlerisches Gelingen, sondern eine Sprache, die gegenüber dem Gegenstand des Erzählten absolut angemessen ist.


    Davon kann mMn. bei Balzac, dem Vielschreiber, keine Rede sein. "Was für eine Versessenheit auf Geld und wie wenig Liebe für die Kunst! … Er sucht den Ruhm, aber nicht das Schöne." Das Zitat stammt von Flaubert. Ich finde, dem ist nichts hinzuzufügen.


    Kommen wir zu Stendhal (dem ja schließlich dieser Ordner gilt). "Rot und Schwarz" (ein Buch, das ich sehr schätze) wird gern als erster psychologischer und realistischer Roman bezeichnet. Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt. Stendhal ist sicher ein Vorläufer Flauberts, ein typischer Autor des Übergangs, mit dem etwas Neues in die Welt kommt. Aber: Es steckt noch viel Ancien Regime und Romantik in seinen Büchern - und die "Vollendung" des französischen Romans im 19. Jahrhundert ist deshalb nicht Stendhals, sondern Flauberts Verdienst.


    LG


    Tom


  • vielen Dank für das Bloom-Zitat. Interessant finde ich, dass er "Die Kartause ..." als romantisches Werk einstuft, was ich nachvollziehen kann und für richtig halte.


    Ja, und wenn man das erst mal akzeptiert dann beurteilt man den Roman natürlich auch ganz anders, zumindest kann es dann kein Actionroman mehr sein, jedenfalls ich habe noch nie von einem romantischen Actionroman gehört.


    Das halte ich für eine unglückliche Formulierung.


    Ja, die ist nicht nur unglücklich, sondern verunglückt, sorry (wenn man, wie ich, von anderen klare Formulierungen erwartet, muss man sich in solchen Fällen auch mal an der eigenen Nase packen)



    und die "Vollendung" des französischen Romans im 19. Jahrhundert ist deshalb nicht Stendhals, sondern Flauberts Verdienst.


    Der Stich geht an Dich und er sei Dir gegönnt, - zu Deinem restlichen Beitrag, werde ich mich noch äußern, insbesondere zu Prousts Meinung zu Flaubert und zu unserem gemeinsamen Freund Balzac.


    LG


    Hubert

  • Ja, und wenn man das erst mal akzeptiert dann beurteilt man den Roman natürlich auch ganz anders, zumindest kann es dann kein Actionroman mehr sein, jedenfalls ich habe noch nie von einem romantischen Actionroman gehört.


    "Ivanhoe" von Sir Walter Scott kann man schon als "Actionroman" und zur Romantik zählend einschätzen denke ich.


  • "Ivanhoe" von Sir Walter Scott kann man schon als "Actionroman" und zur Romantik zählend einschätzen denke ich.


    Hallo Lost,


    Scotts „Ivanhoe“ ist ein Historischer Roman und man kann ihn als „Actionroman“ bezeichnen. Aber, dass er ein romantischer Roman ist bezweifle ich. So wie nicht alle Romane die in der Zeit des Realismus geschrieben wurden realistische Romane sind, da gibt es auch noch naturalistische oder romantische Romane, so sind nicht alle Romane die in der Zeit der Romantik geschrieben wurden romantische Romane. Typische Vertreter der englischen Romantik waren Lord Byron und John Keats. Jetzt vergleich mal Byrons Manfred mit dem Ivanhoe (beide wurden fast zur selben Zeit geschrieben), möglicherweise merkst Du den Unterschied. Wenn nicht kannst Du ja mal versuchen mich davon zu überzeugen, das der Ivanhoe romantisch ist. Ich bin lernfähig.


  • Wenn nicht kannst Du ja mal versuchen mich davon zu überzeugen, das der Ivanhoe romantisch ist. Ich bin lernfähig.


    Nun - Überzeugungsarbeit will ich nicht leisten, Byron werde ich kaum in den nächsten Jahren lesen, aber der Rückgriff auf die „nationale“ Überlieferung, besonders die des Mittelalters, die Behandlung von Sagenstoffen, deren Inhalte sich empirisch nicht belegen lassen, ist das nicht eines der Merkmale, die die für die Literatur der Romantik gelten?
    Scott, dem bei Gedanken an die Französische Revolution wohl die Knie schlotterten, dürfte von seiner Haltung her schon der Romantik nahe stehen und auch sein Bestreben, in seinen Werken das alte Schottland zu verklären, passt aus meiner Sicht dazu.


  • Überzeugungsarbeit will ich nicht leisten, .... aber der Rückgriff auf die „nationale“ Überlieferung, ..... die Behandlung von Sagenstoffen, .....ist das nicht eines der Merkmale, die die für die Literatur der Romantik gelten?
    Scott, ---- dürfte von seiner Haltung her schon der Romantik nahe stehen und auch sein Bestreben, in seinen Werken das alte Schottland zu verklären, passt aus meiner Sicht dazu.


    Hallo Lost,


    unter folgendem Link
    http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Romantiker


    findest Du eine Liste der Romantiker. Unter Punkt 4.1. (England, Literatur) findet man u.a. Byron, Keats, Lamb, Shelley aber nicht Walter Scott, wohingegen unter Punkt 6.1. (Frankreich, Literatur) Stendhal neben Balzac, Dumas, Hugo u.a. genannt wird. Also Stendhal Romantiker, Scott nicht, wäre eine einfache Schlussfolgerung aber so einfach will ich es mir nicht machen und es wäre imo auch falsch. Ich bin mit Dir der Meinung, dass Scott auch romantische Romane geschrieben hat und die von Dir aufgezählten Argumente, die imo alle richtig sind, sprechen dafür. Aber die Frage war nicht ob Scott romantische Romane geschrieben hat, sondern ob „Ivanhoe“ ein romantischer Roman ist? Und da kann man Deine Argumente gegen Dich verwenden:


    Ja, Rückgriff auf „nationale“ Überlieferung ist ein Merkmal der Romantik und die ersten Romane Scotts spielen alle in seiner Heimat Schottland (Sir Tristrem, The Antiquary, Old Mortality, Rob Roy und vor allem The Bride of Lammermoor, unmittelbar vor Ivanhoe geschrieben und ein Musterbeispiel für romantische Literatur) aber gerade mit „Ivanhoe“ verlässt Scott seine schottische Heimat – der Roman spielt in England.


    Ja, auch die Behandlung von Stoffen aus Sagen und Märchen ist ein Merkmal der Romantik. Ein typisches Beispiel dafür wäre „Undine“ von Friedrich de la Motte Fouqué, aber „Ivanhoe“ behandelt keine Sagen- oder Märchenfiguren sondern ist ein historischer Roman, der historische Figuren behandelt, wenn auch nicht historisch korrekt.


    Themen der Romantik sind Sehnsüchte, Gefühle, Leidenschaften und seelisches Empfinden, also das Gegenteil von Action. Das ist meine Meinung und es ist Dein gutes Recht eine andere Meinung zu haben – auch ich will da keine Überzeugungsarbeit leisten.


  • Ich habe vor einigen Tagen noch einmal Prousts berühmte Analyse des Flaubert-Stils (enthalten in "Tage des Lesens") und die Flaubert-Briefe, die sich mit der Arbeit an "Madame Bovary" beschäftigen, gelesen. Um es kurz zu machen: Proust hält Flaubert für den Erfinder eines neuen Stils. Die Briefe Flauberts sprechen eine ähnliche Sprache. Da hat jemand jahrelang mit sich gerungen. Es ging Flaubert nicht darum, nur schön zu schreiben, sondern für den Roman die Sprache zu finden, die ihn endgültig vom Verdacht der seichten Unterhaltung befreit. Nicht ein abstraktes Stilideal ist sein Kriterium für künstlerisches Gelingen, sondern eine Sprache, die gegenüber dem Gegenstand des Erzählten absolut angemessen ist.


    Hallo Tom,


    nicht nur weil ich Proust verehre, sondern weil ich davon überzeugt bin: Ja, Flaubert war der Erfinder eines neuen Stils. Um zur „Wahrheit in der Literatur“ zu finden hat er sich wie keiner vor ihm um Objektivität und Distanz bemüht. Seine „Madame Bovary“ schrieb er deshalb wie ein Naturwissenschaftler impassible und impartial. Anders als Stendhal in der „Kartause …“ greift er nicht kommentierend in das Geschehen ein, sondern er schildert die Geschichte aus der Perspektive der Romanfiguren, wobei ihm der „discours indirect libre“ als bevorzugtes Mittel dient. Auch wenn es vorher schon realistische Tendenzen in der Literatur gab (u.a. bei Stendhal, aber auch bei Balzac): „Madame Bovary“ ist für mich die Geburtsstunde des literarischen Realismus.


    Anzumerken wäre noch, dass Flaubert seinen Romanfiguren oft seine eigene Meinung unterstellte. Dies und die Tatsache, dass er neben der „Wahrheit“ auch noch die „Schönheit“ suchte machen ihn zu einem sogenannten Realisten. Zum „wahren“ Realismus hat imo erst der Naturalist Zola gefunden, der die Suche nach „Schönheit“ zugunsten der Suche nach „Wahrheit“ aufgab. Tatsächlich ist ja die Wahrheit oft nicht schön!


    LG


    Hubert


  • Ja, Flaubert war der Erfinder eines neuen Stils.


    Hallo Hubert,


    deshalb nennt Heinrich Mann ihn den "Heiligen des Romans".


    Noch ein Wort zu Stendhal (dem ja immer noch dieser Ordner gehört): In einem anderen Forum las ich jetzt die Bemerkung unseres Kollegen sandhofer, "Rot und Schwarz" sei wohl u.a. aufgrund einer diesbezüglichen Goethe-Äußerung unter die wegweisenden psychologischen Romane gefallen. Ich müsste das Buch noch einmal lesen, um zu prüfen, wieviel "Psychologie" darin enthalten oder nicht enthalten ist. Dazu habe ich allerdings weder Zeit noch Lust. Glauben wir also vorerst unserem Goethe - selbst wenn sich sein Diktum nur als folgenschwere Fehleinschätzung durch die Literaturkritik ziehen sollte.


    LG


    Tom


  • [Noch ein Wort zu Stendhal (dem ja immer noch dieser Ordner gehört): In einem anderen Forum las ich jetzt die Bemerkung unseres Kollegen sandhofer, "Rot und Schwarz" sei wohl u.a. aufgrund einer diesbezüglichen Goethe-Äußerung unter die wegweisenden psychologischen Romane gefallen. Ich müsste das Buch noch einmal lesen, um zu prüfen, wieviel "Psychologie" darin enthalten oder nicht enthalten ist. Dazu habe ich allerdings weder Zeit noch Lust. Glauben wir also vorerst unserem Goethe - selbst wenn sich sein Diktum nur als folgenschwere Fehleinschätzung durch die Literaturkritik ziehen sollte.


    Hallo Tom,


    wie sich Goethe über „Rot und Schwarz“ geäußert hat, weiß ich nicht und spielt bei meiner Beurteilung der „Kartause …“ auch keine Rolle. Unabhängig davon, dass ich selbst in der Lage bin zu erkennen, dass Stendhal die Personen, die er beschreibt mit den Augen eines Psychologen sieht, ja manchmal direkt Freud vorwegnimmt, halte ich Harold Bloom nicht für einen Goethe-Nachplapperer und Nietzsche auch nicht. Der hat sich zu Stendhal u.a. wie folgt geäußert: In „Jenseits von Gut und Böse“ schreibt er: „….dieser letzte große Psycholog ….“ und in „Ecce Homo“: „Und wenn ich Stendhal gelegentlich als tiefen Psychologen rühme, ist es mir mit deutschen Universitätsprofessoren begegnet, dass sie mich den Namen buchstabieren ließen ..“. Und überhaupt: warum sollte Goethe, wenn er sich so über Stendhal geäußert hat, irren?


    LG


    Hubert

  • Hallo Tom,


    vielen Dank für den Link – scheint interessant zu sein, aber 73 Seiten, da werde ich wohl frühestens am Wochenende Zeit finden.



    - zu Deinem restlichen Beitrag, werde ich mich noch äußern, insbesondere ........ zu unserem gemeinsamen Freund Balzac.


    Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit Samstagsmorgens in Buchhandlungen abzuhängen, hat es mich letzten Samstag mal wieder in eine Leihbücherei verschlagen – auch ganz angenehm einen Vormittag dort zu verbringen. Mitgenommen habe ich mir u.a. ein Büchlein, dass mich in meiner Kindheit begeisterte: „Drei Dichter ihres Lebens: C…, Stendhal, T….“. Der Einfachheit halber zitiere ich einfach aus dem Essay „Gegenwart der Gestalt“:


    „Stendhal hat ein ganzes Jahrhundert , das neunzehnte, übersprungen, er startet im Dix-huitième, im groben Materialismus … und landet mitten in unserem Zeitalter …, der Wissenschaft gewordenen Seelenkunde. …..Lange zurück hinter seinen Zeitgenossen, hat er sie schließlich alle überflügelt mit Ausnahme Balzacs, denn so antipodisch sie auch im Kunstwirken sich gegenüberstehen, nur diese beiden, …, haben ihre eigene Epoche über sich hinaus gestaltet. Balzac, indem er die ….Übermacht des Geldes, und den Mechanismus der Politik … ins Monströse vergrößerte -: Stendhal …, indem er mit seinem …. Psychologenauge, … das Individuum zerkleinerte und nuancierte. Die Entwicklung der Gesellschaft hat Balzac recht gegeben, die neue Psychologie Stendhal. Balzacs Weltrevision hat die moderne Zeit vorausgeahnt, Stendhals Intuition den modernen Menschen.“


    LG


    Hubert


  • Danke, sehr interessant! Wer ist der Autor Deines Zitats?


    LG


    Tom


    Hallo Tom,


    Der Essay „Gegenwart der Gestalt“ stammt aus dem Bändchen „Drei Dichter ihres Lebens. Casanova, Stendhal, Tolstoi.“ von Stefan Zweig. Bei Zweig muss man zwar immer erst das Pathos abkratzen, aber dann kommt manchmal interessantes zum Vorschein.


    Den von Dir verlinkten Aufsatz des Romanisten U. Schulz-Buschhaus „Stendhal, Balzac, Flaubert“ habe ich inzwischen gelesen. Interessant, weil er das was wir bisher festgestellt haben, wissenschaftlich untermauert, aber wirklich neues kommt nicht vor und die „Kartause …“ wird nur einmal erwähnt, aber auch nur erwähnt.


    Liebe Grüße


    Hubert


  • Danke, Hubert. Von Stefan Zweig halte ich aus dem von Dir genannten Grund nicht allzuviel.


    Hallo Tom,


    als Kind habe ich sehr gerne Zweig gelesen, inzwischen halte ich auch nicht mehr viel von ihm, aber manchmal hat er halt doch Recht.



    Anbei noch ein Link


    http://www.lyrikwelt.de/rezensionen/rotundschwarz-r.htm


    bei dem sich Daniel Kehlmann über Stendhal äußert, zwar über "Rot und Schwarz", aber bedingt gilt das natürlich auch für die "Kartause ...". Besonders hat mir der folgende Satz gefallen: "All dies ist ...... eine Eigenschaft, die er mit den großen vormodernen Schnellschreibern des 19. Jahrhunderts teilt, denen Makellosigkeit noch kein Stilideal war und die kein Problem darin sahen, dem Leser zu signalisieren, dass sie Wichtigeres zu vollbringen hatten als perfekte Prosa – mit Balzac also, mit Dickens und vor allem mit Fjodor Michailovitsch Dostojewskij,"


    und daran anknüpfend möchte ich, ohne unsere Diskussion abbrechen zu wollen, mal zusammen fassen was das Ergebnis unserer bisherigen Diskussion sein könnte und hoffe auf Deine Zustimmung:


    Stendhal war es, anders als Flaubert, nicht wichtig, dass seine Romane stilistisch perfekt waren, aber dafür war er mit seinem psychologischen Blick seiner Zeit weit voraus.


    LG


    Hubert


  • Stendhal war es, anders als Flaubert, nicht wichtig, dass seine Romane stilistisch perfekt waren, aber dafür war er mit seinem psychologischen Blick seiner Zeit weit voraus.


    Hallo Hubert,


    ich stimme Dir grundsätzlich zu.


    Zwei Bemerkungen:


    1) Ich glaube nicht, dass ein Mensch seiner Zeit voraus sein kann. Das ist, sorry Hubert, nur eine Floskel. Stendhal war ein guter Beobachter sowie ein brillanter Analyst menschlicher Antriebe und gesellschaftlicher Regeln. Sein Personal ist zeitlos - und nicht etwa "der Zeit voraus". Julien Sorel u.a. arbeiten heute auf allen Ebenen des politischen Betriebs und in den Chefetagen der Konzerne. Das macht den "vormodernen" Schnellschreiber zum Klassiker - wie auch Balzac, den wir hier ebenfalls erwähnten.


    2) Der offensichtlich bewusste Verzicht auf stilistische Anstrengungen ist ein interessanter Aspekt - zumindest innerhalb der sog. Hochliteratur. Dass Volksschriftsteller wie Dickens, Balzac oder Eugène Sue ihre Feuilletonromane nicht anders als "schlampig" schreiben konnten, war mir bewusst. Wenn Kehlmann (danke übrigens für den Link!) nun aber auch Stendhal und Dostojewski in diese Riege einreiht, macht mich das nachdenklich.


    Nur am Rande: Diese Diskussion wird vermutlich dazu führen, dass "Rouge et Noir" demnächst eine Wiederholungslektüre wird.


    Soviel für den Augenblick. Die Arbeit ruft.


    LG


    Tom


  • Hallo Hubert,


    ich stimme Dir grundsätzlich zu.


    Hallo Tom,


    es war ja nur ein vager Vorschlag und damit es wirklich ein gemeinsames Fazit wird, bin ich gerne bereit den zweiten und sogar längeren Halbsatz von Dir zu übernehmen; also wie wär’s damit:


    Stendhal war es, anders als Flaubert, nicht wichtig, dass seine Romane stilistisch perfekt sind, aber er war, wie Dostojewski, ein guter Beobachter sowie ein brillanter Analyst menschlicher Antriebe und gesellschaftlicher Regeln und da sein Personal zeitlos ist, lohnt es sich auch heute noch seine Romane zu lesen.


    und in diesem Zusammenhang finde ich natürlich Deine Idee den Roman "Rouge et Noir" noch mal ins Auge zu fassen nicht schlecht, aber das sollten wir erst so in einem Jahr einplanen, denn nach der „Kartause...“ steht bei mir erst mal ein russischer und dann ein deutscher Meister auf dem Leseplan.


    LG


    Hubert


  • Stendhal war es, anders als Flaubert, nicht wichtig, dass seine Romane stilistisch perfekt sind, aber er war, wie Dostojewski, ein guter Beobachter sowie ein brillanter Analyst menschlicher Antriebe und gesellschaftlicher Regeln und da sein Personal zeitlos ist, lohnt es sich auch heute noch seine Romane zu lesen.


    Ja, einverstanden.



    ... und in diesem Zusammenhang finde ich natürlich Deine Idee den Roman "Rouge et Noir" noch mal ins Auge zu fassen nicht schlecht ...


    Warten wir es mal ab, Hubert. Im Moment bin ich nicht sicher, ob ich die Lektüre in Form einer Leserunde haben möchte. Wahrscheinlich hole ich "Rouge ..." spontan aus dem Regal.


    LG


    Tom


  • Ich glaube nicht, dass ein Mensch seiner Zeit voraus sein kann. Das ist, sorry Hubert, nur eine Floskel.


    Halo Tom,


    in der Rhetorik der Antike bezeichnete flosculus einen Denkspruch oder eine Sentenz, heute versteht man unter einer Floskel eine formale Redewendung. Beide Bedeutungen kann man imo auf den Satz „Stendhal war seiner Zeit voraus“ nicht anwenden.


    Da in Art. 4 des GG die Glaubensfreiheit verfassungsrechtlich geschützt ist, muss Du natürlich nicht glauben, dass ein Mensch seiner Zeit voraus sein kann, da diese Glaubensfreiheit aber auch für mich gilt, glaube ich es trotzdem und fühle mich dabei mit den Verfassern der Texte die sich hinter folgenden Links verbergen, verbunden. Es wird hier Luther, Goethe, Beethoven, Otto Wagner und Einstein zugestanden, dass sie ihrer Zeit voraus bzw. weit voraus waren und Du kannst mir glauben, dass sich diese Liste beliebig erweitern läßt.


    http://www.sachsen-anhalt.de/?id=26199
    Martin Luther war seiner Zeit weit voraus


    http://www.verlag-weimar.de/de…0-musik-goethe-leben.html
    Der besondere Fokus dieses Buches liegt auf den Erkenntnissen, in denen Goethe seiner Zeit weit voraus war.


    http://www.bonn2011.de/bonn/wir-sind-dabei/ilona-schmiel/
    Beethoven war ein Revolutionär, ein Kosmopolit und ein Visionär, der stets seiner Zeit voraus war.


    http://www.planet-wissen.de/ku…/portraet_otto_wagner.jsp
    Otto Wagner war seiner Zeit Jahrzehnte voraus.


    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8805979.html
    Auch politisch war der Meisterdenker (Einstein) seiner Zeit voraus.


    LG


    Hubert