„Faust“ im Pfalzbau

  • Obwohl ich den „Faust“ schon oft im Theater erlebt habe, so spektakulär war noch keine Aufführung, wie die Koproduktion des isländischen Vesturport Theatre und Reykjavik City Theatre mit dem Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen, die jetzt nach Reykjavik und London am Freitag und Samstag in Ludwigshafen als letzte Aufführung der VI. Festspiele Ludwigshafen zu sehen war. In der Version des isländischen Regisseurs Gisli Örn Gardarsson beginnt die Geschichte im Altersheim. Johann ein pensionierter Schauspieler hat einst alle großen Rollen gespielt, bis auf – die Rolle des Faust. Von Depressionen gequält versucht er sich zu erhängen. Da aber tritt Mephisto auf den Plan ….


    Vieles in dieser modernen Faust-Interpretation spielt sich nicht auf der Bühne ab, sondern über den Köpfen der Zuschauer, in einem Netz, wie man es aus dem Zirkus bei Trapeznummern kennt. Solche akrobatischen Einlagen sind ja das Markenzeichen des Regisseurs, der vor seiner Theaterkarriere 15 Jahre lang ein erfolgreicher Turner war. Am beeindruckendsten aber war die Walpurgisnacht zur eigens komponierten Musik der Australier Nick Cave und Warren Ellis. Imo wäre Goethe, wie ich, begeistert gewesen.


    Erwähnt werden müssen natürlich noch die guten schauspielerischen Leistungen, allen voran Unnur Osp Stefansdottir als Gretchen und Nina Dogg Filippusdottir als Lilith.


  • wie ich an anderer Stelle schon erwähnt habe, war ich am letzten Wochenende in Essen und Samstagabend dort in der Aalto-Oper.
    Gegeben wurde die Bellini Oper „I puritani“, die ich noch nicht kannte.


    Auf der Rückfahrt von Essen in den Wilden Süden bin ich in einem Speisewagen der Schweizer Eisenbahn über meinen Lieblingsleseplatz (um das havarierte Schiff an der Loreley zu bestaunen) nach Frankfurt gefahren und habe mir an der Frankfurter Oper noch „Fausts Verdammnis“ von Hector Berlioz angesehen.


    Wie Goethe hat sich auch Berlioz mehrmals in seinem Leben mit dem Fauststoff beschäftigt.
    Nach Gérard de Nervals ins französische übersetztem und 1828 erschienenem Faust I schrieb er 1829 eine Schauspielmusik als sein Opus 1: „Huit Scènes de Faust“. (Nerval scheint mir übrigens auch interessant: mit 18 übersetzte er Goethes Faust, mit 46 hat er sich an einer Pariser Straßenlaterne erhängt; kennt jemand etwas von diesem franz. Schriftsteller?). 1846 schrieb er dann nach eigenem Libretto „La damnation de Faust“, sein op. 24. Uraufführung 1846 an der Opéra-Comique in Paris.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Op%C3%A9ra-Comique


    Inspiriert wurde Berlioz zu seinem Libretto neben Goethes auch von Marlowes Drama und von Delacroixs Lithographien:


    http://www.goethezeitportal.de/index.ph?id=1666


    Wie in der ein Tag zuvor gesehenen Oper von Bellini gab es viele Chorszenen, die vom Chor und Extrachor unter M. Köhler hervorragend gemeistert wurden. Die Musik ist nicht so „schön“, aber aufregender als bei Bellini, am Orchester unter Friedemann Layer gab es nichts zu beanstanden. Bühnenbild (Hans Schavernoch) und Kostüme (Yan Tax) waren mehr als gelungen. Guter Regieeinfall: Gretchens Zimmer wie eine Puppenstube in die Szene zu stellen. Obwohl nicht jeder Regieeinfall hat mir gefallen (ich hab z.B. nichts dagegen, wenn mal ein nackter Busen blitzt, aber übergroße Brüste aus Pappe mag ich nicht und durchsichtige Bühnenvorhänge auch nicht) aber das meiste war gut und es war sehr abwechslungsreich, Langeweile war nie, wenn wundert es, wenn Harry Kupfer inszeniert.


    Da mir die literarische Vorlage bestens bekannt war und ich auch das Libretto vorher gelesen hatte und damit Berlioz Abweichungen von Goethes Drama kannte:


    [so verlegte Berlioz den ersten von vier Teilen in die ungarische Puszta, um seine Bearbeitung des Rákóczi-Marsches in der Oper unterzubringen:

    http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%A1k%C3%B3czi-Marsch


    und der Teufelspakt wird erst geschlossen, als Faust Mephistos Hilfe braucht um Gretchen zu befreien, was ja für Faust spricht, trotzdem wird bei Berlioz Faust nicht gerettet sondern geht auf einem von Berlioz hochdramatisch komponierten Höllenritt seiner Verdammnis entgegen.]


    war es ein rundum gelungener Abend.

  • Gerade wollte ich dieses Posting anfangen mit: „Am Samstag habe ich mir „Faust“ in Karlsruhe angesehen und da merke ich, dass ich ja noch nichts über „Faust“ in Mannheim und „Faust“ in Bochum geschrieben habe – und am Wochenende steht schon die nächste Faust-Aufführung an. Also der Reihe nach:


    Am 15. Febr. 2011 habe ich mir endlich „Faust – Der Tragödie erster Teil“ in Mannheim angeschaut, dass dort schon seit Juni 2008 erfolgreich gespielt wird.


    Obwohl es der österreichische Regisseur Schmiedleitner mit dem Text nicht so genau nimmt – er kürzt nicht nur, sondern stellt um und ordnet Text z. T. anderen Figuren zu als Goethe – bleibt in den drei Stunden der Aufführung incl. Pause trotzdem viel von Goethe erhalten.


    Florian Parbs Bühnenbild könnte das Lesezimmer in einem Altenheim sein – nicht schlecht die Idee, der alte Gelehrte Faust schläft beim Lesen ein und träumt die ganze Geschichte – aber drei Stunden das gleiche Bühnenbild ist mir persönlich zu langweilig.


    Der Anfang war lustig: Der Darsteller des Mephisto spielt im Prolog Gott (mit Rauschebart) und Teufel (mit aufgesetzten Hörnern) abwechselnd - als Comedy Nummer. Ich gebe zu: auch ich habe gelacht und wenn das eine Kleinkunstbühne gewesen wäre, hätte ich mein Lachen auch nicht bereut – aber Nationaltheater Mannheim (hier hat Schiller – der mal über das Theater als moralische Anstalt nachgedacht und geschrieben hat – seine „Räuber“ uraufgeführt – und jetzt Goethe als Comedy – also ich weiß nicht?


    Um den Verjüngungstrunk in der Hexenküche zu gewinnen mussten zehn geklonte Faust-Figuren Schwerstarbeit leisten, da ist mir wieder der letzte Satz vom großen Regisseur Peter Stein aus folgender Kritik am deutschen Regietheater eingefallen:


    http://www.tagesspiegel.de/kul…elt-verlacht/1039364.html


    Mit Sabine Fürst haben die Mannheimer eine ideale Gretchen Besetzung – nur was dieses junge Mädchen an dem alten Faust, der auch nach der Hexenküche nicht jünger aussieht (Sperma wirkt anders – nicht verjüngend!) findet, verstehe ich nicht – aber u.a. damit, ob dies glaubhaft wirkt, steht oder fällt für mich eine Faust I – Aufführung.

  • Auf Vorschlag der ehemaligen Schauspielerin, Sängerin („Ein Schiff wird kommen, …“) und damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri benennt die EU seit 1985 jährlich eine Kulturstadt Europas. Die erste Kulturstadt war Athen, es folgte Florenz, Amsterdam und Westberlin. Seit 1999 heißt die Kulturstadt Europas, Kulturhauptstadt Europas und dieser Titel wird meistens an mehrere Städte verliehen.


    2010 waren, neben Pécs, die Metropolregion RUHR und die türkische Metropole Istanbul Kulturhauptstädte Europas. Anselm Weber, der neue Intendant des Schauspielhauses Bochum hatte daher die Idee das Kulturhauptstadtjahr mit einem Kulturen übergreifenden Event zu beschließen. Der türkische Regisseur Mahir Günsiray, der eine freie Theatergruppe in Istanbul leitet, sollte das „deutscheste aller deutschen Dramen“, „Goethes Faust“ in Bochum inszenieren. Premiere war am 4. Dez. 2010, ich habe mir die Inszenierung am 4. März 2011 angesehen:


    Günsiray zeigt in etwas mehr als drei Stunden beide Teile von Goethes „Faust“, dabei reduziert er die Figuren auf Faust, den Homunculus und den Türmer Lynkeus, sowie auf Mephisto, der dafür von acht Schauspielern (vier Männer und vier Frauen) gleichzeitig gespielt wird, die sich den Mephisto-Text teilen, aber manchmal auch als Chor sprechen und bei Bedarf dann in die anderen Rollen schlüpfen und Gretchen oder ihren Bruder, Wagner oder Euphorion spielen – alles Projektionen von Mephisto.


    Am Anfang lungern die acht Mephistos sichtlich gelangweilt auf der Bühne herum, dann kommt Faust mit seinem „Habe nun ach, …“-Monolog zu ihnen (nicht umgekehrt!) und ab da geht’s richtig schnell: Ein Mephisto verwandelt sich in Gretchen, schnell kommt man zusammen, bzw. aufeinander, schnell ist ein Kinderwagen da, schnell das Kind ertränkt, irgendwo dazwischen wird schnell noch der Bruder (natürlich ein Mephisto) ermordet und noch vor der Pause ist man mit der Homunculus-Szene im zweiten Teil.


    Nach der Pause nimmt sich Günsiray etwas mehr Zeit. IKEA?Möbel werden ausgepackt und aufgebaut (das dauert logischerweise etwas länger als ein Baby zu zeugen und zu töten). Ein Bürostuhl für Papa Faust, ein Sofa für Mama Helena, ein Fußball für Söhnchen Euphorion, der aber lieber Krieg als Fußball spielen möchte.



    Vieles entfällt in Günzirays Inszenierung, z.B. die Rahmenhandlung, anderes wird umgestellt, Lynkeus muss sterben, weil Philemon und Baucis nicht auftreten – weil man’s aber in Bochum trotzdem „Faust von Goethe“ nennt, ist’s imo ein Fall für den Verbraucherschutz –


    andererseits habe ich den Besuch der Aufführung nicht bereut, Goethe hat ja den Faust nicht für sich gepachtet (man darf’s halt nicht Goethes Faust nennen), der Stoff geht bis auf biblische Zeiten zurück und auch Thomas Mann hat den Mephisto auf mehrere Figuren verteilt und seit der „Ersten Allgemeinen Verunsicherung“ wissen wir’s ja eh: „Das Böse ist immer und überall“.


    Eine schöne Stelle will ich noch erwähnen: Zu Gretchens Grablegung tanzen alle Mephistos (Männer und Frauen) in weißen Brautkleidern einen Totentanz


    und manchmal gibt es live von einem Cellisten begleitete Lieder – und ich bin nicht bereit zu sagen: hätte man dafür nicht ein paar Szenen weniger streichen können, sondern eher: könnte man nicht mal den Faust pantomimisch aufführen, nur von einem Cellisten oder einer Cellistin („Cello, Du …“) begleitet, - so schön war’s


    Die nächste Vorstellung: 11. Juni 2011, 19:30 Uhr – Meine Wertung: Nicht unbedingt eine Reise wert, aber bei Gelegenheit nicht verpassen!