Stummfilm Faust

  • Vor zwei Wochen (14.11.10) habe ich mir in der Schlosskirche in Mannheim den Stummfilm „Faust – Eine deutsche Volkssage“ von Friedrich W. Murnau mit Emil Jannings als Mephisto angesehen. Begleitet wurde der Film von Orgel-Improvisationen des Titularorganisten an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin Prof. Wolfgang Seifen und dadurch war es ein außergewöhnliches künstlerisches Erlebnis.


    Inzwischen frage ich mich, ob ich mir den Film, wenn er z.B. im TV ohne Seifens Improvisationen gekommen wäre bis zum Ende angesehen hätte und weiter wie es kommt, dass Goethes Tragödie von 1808 im Theater immer noch ein Erlebnis ist, Murnaus Film zum gleichen Thema von 1926 heute aber eher veraltet erscheint. Hängt das an der Arbeit des jeweiligen Theater-Regisseurs? Wie seht Ihr das?

  • Theater ist mMn einfach ein ganz anderes Medium als Film und daher kaum zu vergleichen. Aber ich gebe doch zu bedenken, dass praktisch niemand den Faust so inszeniert, wie das 1808 gemacht wurde, das wäre heute vermutlich auch nur mehr geschichtlich interessant. Das Theater von damals ist einfach nicht mit dem Theater von heute zu vergleichen, sei es jetzt bezügl. Ausstattung, Kostüme, Schwerpunktsetzung, Inszenierung, aber auch Schauspielkunst selbst. Abgesehen davon tritt heute natürlich der Regisseur in vielen Fällen stärker in den Vordergrund als das eigentliche Drama. Gerade der Faust, der ja doch recht lang ist, ist sozusagen ein "gefundenes Fressen" für große Eingriffe des Regisseurs.


    Ich muss zugeben, dass ich den Film von Murnau nicht kenne, aber ebenso wie das Medium Theater ist auch das Medium Film bis zu einem gewissen Maß immer autoreflexiv. Es gibt kaum Stummfilme, die nicht auf die typische Stummfilmästhetik (Ausstattung, Kostüme, theatralische Gesten der Schauspieler) zurückgreifen, die uns heute eindeutig zeitlich verortet und daher reichlich historisch vorkommt. Dies lag einerseits natürlich an der Zeitmode, andererseits aber auch an den Grenzen, die der Stummfilm hatte, so mussten die Schauspieler einfach ein deutlicheres Mienenspiel an den Tag legen als heute, wo wir die Unterstützung der gesprochenen Sprache und des Tons haben. Außerdem musste sich der Stummfilm (auch noch 1926) ziemlich selbst behaupten und die Einzigartigkeit herausstreichen, so lebte der Film davon, dass er visuelle Effekte bot, die uns heute selbstverständlich erscheinen, damals aber einen Film stark aufgewertet haben. Im Vergleich: In 80 Jahren finden die Menschen Avatar vermutlich auch eher ... fad und letztes Jahr bekam er die Oscars nur so nachgeschmissen. Murnaus Faust befindet sich außerdem noch so am Rande des deutschen Expressionismus-Kinos, dh. hat erst wieder eine ganz eigene Ästhetik.


    Ich persönlich bin ja ein großer Fan von Stummfilmen und man kann natürlich nicht alle über einen Kamm scheren, aber der Zeitfaktor ist meistens mitzudenken. Wer einmal Fritz Langs Nibelungen gesehen hat, wird sich zunächst einmal über die Darstellung Siegfrieds und des Drachens (hübsche Pappmachémaschine :zwinker:) amüsieren, beim näheren Hinsehen bemerkt man aber, was für ein filmisches Genie Fritz Lang eigentlich war - jede einzelne Einstellung aus den beiden Teilen hat praktisch Fotocharakter, alles ist durchkomponiert wie eine einzige Symphonie. Der Film ist vom ästhetischen Standpunkt her einfach wahnsinnig toll gemacht. Aber gut, das führt jetzt sehr von Murnau weg... :zwinker:


    Ich kenne sonst nur Murnaus Nosferatu (1922), der meiner Meinung nach ganz stark an dieser Grenze von historischem Filmdokument und Aktualität balanciert. Mein persönlicher Eindruck war bei dem Film immer zunächst eine gewisse Amüsiertheit über die Darstellung des Nosferatu, aber schlussendlich musste man dann doch zugeben, dass einen die Bilder womöglich in der Nacht nochmal heimsuchen. Ein großer Faktor dafür ist für mich auch die Musik, die bei Stummfilmen einfach enorm wichtig für die Stimmungserzeugung ist (und ich höre auch gerne moderne Musik als Stummfilmhinterlegung).

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