April 2010 - J. Milton: Paradise lost

  • Unsere Leserunde sei hiermit eröffnet.


    Ich lese die Ausgabe des Wiesbadener Marixverlags, die 2008 anläßlich des 400. Milton-Geburtstags herauskam. Sie ist illustriert mit dem vollständigen Doré-Zyklus und übersetzt von Adolf Böttger. Die Übersetzung stammt aus dem Jahr 1846. Von Zeit zu Zeit werde ich sicherlich auch zum Original greifen.


    Ob ich allerdings schon über Ostern schon dazu komme, ein wenig durchs verlorene Paradies zu schweifen, ist fraglich.


    Es grüßt


    Tom

  • Hallo zusammen,


    ich habe schon ein bißchen reingelesen ins Verlorene Paradies, allerdings auf englisch. Ich habe die zweisprachige Ausgabe von Zweitausendeins und noch eine handlichere Penguin-Popular-Classics-Ausgabe, die ich mal im Studium gekauft habe. Da sind auch ein paar Anmerkungen drin.


    Mir gefällt die sehr wortgewaltige Sprache Miltons. Soweit möglich, versuche ich, den Text laut zu lesen; das mag ich ganz gern, wenn ich Vers-Texte lese.


    Viele Grüße
    thopas


  • Mir gefällt die sehr wortgewaltige Sprache Miltons.


    Mir auch. Der erste Gesang erinnert sprachlich an antike Epen und liefert erste Hinweise, in welche Tradition Milton sich einreiht bzw. welche Quellen ihn neben der Bibel inspiriert haben: Vergil, Homer und mit ziemlicher Sicherheit auch Dante. Bezüglich des Versmaßes bin ich mir nicht ganz sicher, aber es scheint sich um (reimlose) Jamben zu handeln.


    Anmerkungen zum Inhalt:
    Das Gespräch der von Gott abgefallenen und in die Tiefe gestürzten Engel Satan und Beelzebub entfaltet ein wortgewaltiges Programm des Bösen und der Korrumpierung von Gottes Schöpfung: „Nie wird mehr Gutes unser Handeln sein, / Das Böse tun wird unsre höchste Lust / Als Seines hohen Willens Gegenteil … Im Guten Stoff zum Bösen stets nur finden. / Dies wird uns gut gelingen ...“ Das scheint mir direkt das Vorbild für Goethes Mephisto zu sein.


    Zum Gut/Böse-Thema fallen mir Augustinus und dessen „Definition“ des Bösen ein: Das Böse führt danach keine eigenständige Existenz, sondern muss bewusst gewollt und praktiziert werden. Daran scheinen Satan und Beelzebub sich vorerst zu orientieren.


    Milton war überzeugter Puritaner und somit ein Anhänger der angelsächsischen Variante des protestantisch orientierten Calvinismus. Auch der Calvinismus hat eine eindeutige Meinung, was das Böse in der Welt anbelangt: „Man after the fall is evil. He is not deprived of will; he simply is incapable of willing anything but evil. He wills as he chooses, but his choice is determined by his sinful nature. … Man sins willingly through his corrupt nature, not by exterior compulsion. The corrupt will, indeed, creates its own necessity.“ (P. Westbrook, Free will and determinism).


    Der dem Menschen immanente freie Wille zum Bösen scheint im England des 17. Jahrhunderts mehr als ein theologisches Problem gewesen zu sein. Auch Miltons Landsmann und Zeitgenosse Thomas Hobbes hat sich in seiner gesellschaftsphilosophischen Schrift „Leviathan“ mit der Problematik der ungezähmten menschlichen Natur („Homo homini lupus“) auseinandergesetzt. Ich gehe davon aus, dass Milton dieses 1651 erschienene Werk kannte, zumal er es in Zeile 201 erwähnt (wenn auch wohl eher der biblische Leviathan Jesajas und Hiobs gemeint sein dürfte).


    Soviel zum Einstieg.


    Es grüßt


    Tom

  • Ich habe mittlerweile die ersten beiden Bücher gelesen, manche Stellen davon auch mehrmals. Es dauert etwas, bis ich mir genau vorstellen kann, wie die Lokalität genau beschaffen ist. Es gibt Himmel und Hölle (diese wurde neu geschaffen, um Satan und seine Anhänger dorthin zu verbannen?) und dazwischen nur Leere bzw. Chaos und Nacht. Die Erde, die auch neu erschaffen wurde, hängt an einer Kette vom Himmel herunter? bzw. das Universum mit den Sphären um die Erde? So in etwa stelle ich mir das momentan vor. Dann gibt es noch eine Art Brücke (auf den Spuren Satans erschaffen), die zur Erde führt (oder so ähnlich)....


    Ich habe vor einiger Zeit die His dark materials-Trilogie von Philip Pullman gelesen, die sich auf Paradise Lost bezieht. Da fallen mir jetzt auch immer wieder Bilder ein, z.B. auch diese Brücke.



    Bezüglich des Versmaßes bin ich mir nicht ganz sicher, aber es scheint sich um (reimlose) Jamben zu handeln.


    Da hast du recht; der genaue Ausdruck ist "Blankvers".


    Schade, daß ich keine illustrierte Ausgabe habe, aber auch im Internet findet man die Illustrationen von William Blake und v.a. Gustave Doré, die ich sehr schön finde.


    Viele Grüße
    thopas

  • Hallo,
    meine Frau hat heute mit dem Fahrrad sämtliche Buchläden unserer schönen Stadt abgeklappert, ohne fündig geworden zu sein. Ich habe das Buch nun doch erst bei meinem Lieferanten in Auftrag geben müssen und könnte ab Donnerstag evtl. noch kurzfristig in die LR einsteigen. Ich hoffe, ihr lest bis dahin nicht allzu eilig, damit euer Lesevorsprung nicht uneinholbar wird.


    Grüße


  • Ich hoffe, ihr lest bis dahin nicht allzu eilig, damit euer Lesevorsprung nicht uneinholbar wird.


    Ich hab es nicht ganz so eilig, mich weiter in der Hölle zu tummeln ... :teufel: Du kannst aber online schon mal loslegen, wenn Du scharf auf einen Haufen netter Teufel bist ... (einen Link zum englischen Original findest Du im Material-Ordner).


    So long


    Tom

  • Hi Tom, alter Schurke...
    Da bist du leider an den Falschen geraten. Um Paradise Lost im Original zu lesen, bedürfte es sicherlich weitaus immenserer Englischkenntnisse wie der Meinigen :redface:. Meine Beste wollte aber eigentlich den Originaltext lesen und wird sich über diese Information bestimmt ungeheuer freuen. Zweisprachige Ausgaben bietet leider mein Lieferant nicht an :grmpf:. Dafür handelt es sich diesmal um eine völlig unlaminierte Ausgabe, so dass ich mich schon darauf freue, die einzelnen Seiten mit Anstreichungen zu verschandeln.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann

  • Moin, Moin


    das Buch ist da. Mir würden aber, offen gestanden, am Tag sehr wenige Seiten reichen. Sehr gelungen finde ich die Übersetzung wegen der vielen Apostrophe allerdings bisher nicht. Ich weiß auch nicht, ob mich das Ganze nicht überfordern wird. Heute komme ich jedenfalls nicht weiter.


    Grüße


  • Ich weiß auch nicht, ob mich das Ganze nicht überfordern wird. Heute komme ich jedenfalls nicht weiter.


    Kaum angefangen und schon am Schwächeln? Wer ein (ich zitiere Dich) "Brucknersches Streichertremolo" und einen "Laokoon-Diavortrag" ohne Folgeschäden aushält, wird doch wohl bei Milton nicht schlappmachen ...


    :jumpies:


    LG


    Tom

  • Ich sitze hier und schwitze bereits über dem ersten Satz. :spinnen:
    Des Menschen erste Schuld, die Frucht des Baumes,
    des untersagten, deren gift`ge Kost


    Gut. Erstens hat keiner etwas gesagt, dass der Apfel auch noch giftig war. Möglicherweise ist das aber auch bloß dem Reim geschuldet. Aber immerhin geht es da doch um die Erkenntnis zwischen Gut und Böse. Von da an unterscheidet sich der Mensch vom Tier. Tiere sind eben deswegen weder gut noch böse, weil sie einfach nicht wissen können was das ist. Ich hoffe, ich sehe das richtig? Die Schlange ist halt so ein hinterliestiges Biest! Eine Schlange kommt aber in den ersten beiden Zeilen gar nicht vor.


    Tod in die Welt gebracht, all unser Wehe
    Und Edens Einbuß, bis ein Mächt'gerer


    Was bitte schön ist denn ein Mächt'gerer? Aber dann! Und Edens Einbuß ...was dann irgendwie wieder unbewusst auf die Schlange hinweißt. Mistviecht :grmpf:


    Tod in die Welt gebracht, all unser Wehe Und hier schließt sich eine erste Frage an: Steht das Komma für eine Aufzählung im Sinne von Tod in die Welt gebracht und all unser Wehe oder betont das Komma dessen Singularität?


    An dieser Stelle wurde es mir dann zu kompliziert. Ich weiß noch nicht, ob ich am Ball bleibe. Andererseits möchte man schon gern einmal wissen, was Eva von dieser bekloppten Giftotter eingetrichtert wurde. Falls weiter Interesse an einem Mitleser besteht... Meine Frau überlegt derzeit leider auch


    :herz:

    Einmal editiert, zuletzt von Freund Hermann ()

  • Hahaha...


    Ein Blick ins Original hilft da weiter:


    Of man's first disobedience, and the fruit
    Of that forbidden tree, whose mortal taste
    Brought death into the world, and all our woe,
    With loss of Eden, till one greater man
    Restore us, and regain the blissful seat,
    Sing, Heav'nly Muse, ...


    Es handelt sich um die obligatorische Anrufung der Musen. Die ersten fünf Verse sind als Objekt von "Sing" zu konstruieren: "Von all dem... singe uns, himmlische Muse". Du bist also ausgestiegen, bevor Du das erste Verb des ersten Hauptsatzes erreicht hast...


    Von Gift ist im Original nicht die Rede. "Mortal taste" bedeutet wohl, dass die Menschen sterblich werden, nachdem sie vom Apfel probiert ("ge-tasted") haben.


    "One greater man" ist Jesus.


    Und ja, death, woe und loss ist quasi eine Aufzählung.


    Interessant auch die Form "restore" (und nicht "restores"). Ein Konjunktiv-Relikt wie in "God save the Queen"? Oder Futur mit zu ergänzendem "will"?


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Moin, Moin


    ojeojeojeoje, dass es im Englischen die Möglichkeitsform überhaupt gibt, hätte ich nie gedacht. Das mit der Anrufung der Musen lässt sich durchaus nachvollziehen; so nach dem Motto: Gott steh mir bei, dass ich hier keinen Dünns. schreibe. Ich denke, mich in wenigen Tagen zurückzumelden, sollte ich bis dahin Satz 1 bereits vollständig für mich interpretiert haben. Falls nicht, wird bestimmt auch wieder Aschermittwoch.


    F. Hermann

  • Ich habe den ersten Gesang noch einmal in Ruhe Revue passieren lassen und eine Menge Details nachgeschlagen und nachgelesen. Es hat sich dabei bestätigt, dass Milton seinen Satan ein mehr oder weniger vollständiges Pandämonium der vorchristlichen und alttestamentarischen Welt zur Versammlung rufen lässt, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Moloch, Mammon, Tammuz, Osiris, Astaroth, ...: Die Liste der Unterweltgestalten ist lang, und Milton vergisst dabei nicht, auch dem Islam eine Breitseite zu verpassen, indem er von einem "Sultan" spricht, wenn er Satan meint.


    Die sehr bildhaft beschriebene Schar des Bösen hat mich an Fantasy-Filme wie "Der Herr der Ringe" erinnert. Es würde mich nicht wundern, wenn der Philologe Tolkien unseren Milton recht genau studiert hätte und seine Orks etc. ihre Vorläufer in den Höllengestalten des Verlorenen Paradieses finden.


    Mittlerweile komme ich Gott sei Dank mit der deutschen Übersetzung besser zurecht. Trotzdem lese ich ab und zu die eine oder andere Passage im Original, um ein Gefühl für dieses wunderbare Englisch zu bekommen. Dennn die Sprache ist - ob deutsch oder englisch - einfach grandios.


    Viele Grüße


    Tom


  • Ich sitze hier und schwitze bereits über dem ersten Satz. :spinnen:
    Des Menschen erste Schuld, die Frucht des Baumes,
    des untersagten, deren gift`ge Kost


    Hallo Freund Hermann,


    die Übersetzung, die du da hast, liest sich in der Tat nicht ganz einfach.... Was ist das denn für eine? In der Zweitausendeins-Ausgabe ist die Übersetzung von Bernhard Schuhmann von 1855 enthalten, diese liest sich etwas einfacher (ich habe das Buch leider gerade nicht da, kann momentan da nichts daraus zitieren). Vielleicht kommst du noch an eine andere Übersetzung, die die Lektüre leichter macht?


    Vielleicht ist es auch einfacher, sich nicht an einem Satz festzubeißen, sondern erstmal zu lesen. Wenn die Musenanrufung zuende ist, geht es ja mit "richtiger" Handlung weiter, die ist sicherlich leichter zu verstehen, weil endlich auch was passiert.



    Mittlerweile komme ich Gott sei Dank mit der deutschen Übersetzung besser zurecht. Trotzdem lese ich ab und zu die eine oder andere Passage im Original, um ein Gefühl für dieses wunderbare Englisch zu bekommen. Dennn die Sprache ist - ob deutsch oder englisch - einfach grandios.


    Hallo Tom,


    ist deine Überstzung auch die von Freund Hermann, oder eine ganz andere? Ich finde das englische Original viel "wuchtiger" als die deutsche Übersetzung, und auch irgendwie leichter verständlich (auch wenn das jetzt komisch klingt).


    Das zweite Buch fand ich sehr gut, v.a. die Begegnung Satans mit Sünde und Tod an den Pforten der Hölle (die arme Sünde kann einem richtig leid tun :zwinker:); auch danach dann seine Reise durch das Chaos.


    Am Wochenende möchte ich mit dem dritten Buch beginnen; da verlassen wir erstmal Satan und kommen "in den Himmel". In den Kommentaren zu Paradise Lost heißt es meist, daß die Passagen um Satan viel spannender sind, als die mit Gott und Adam und Eva etc. Mal schauen...


    Viele Grüße
    thopas

  • Hi Tom,


    Zitat

    Ich habe den ersten Gesang noch einmal in Ruhe Revue passieren lassen und eine Menge Details nachgeschlagen und nachgelesen. Es hat sich dabei bestätigt, dass Milton seinen Satan ein mehr oder weniger vollständiges Pandämonium der vorchristlichen und alttestamentarischen Welt zur Versammlung rufen lässt, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Moloch, Mammon, Tammuz, Osiris, Astaroth, ...: Die Liste der Unterweltgestalten ist lang, und Milton vergisst dabei nicht, auch dem Islam eine Breitseite zu verpassen, indem er von einem "Sultan" spricht, wenn er Satan meint.


    Soweit bin ich noch lange nicht. Immerhin, der erste Satz ist interpretiert: Wenn, wie Harald sagt, Mächt`gerer mit Jesus gleichzusetzten ist, geht es da vermutlich um einen Kurzabriss zur Entstehung des Christentums. Soweit so gut, aber ich habe gestern noch damit begonnen, mein Buch ein bisschen zu verschandeln und bin mittlerweile bei Randglosse 190 gelandet. Notizen alsda wären:

    Zitat

    Den Ort schuf ew`ges Recht für die Empörer [70]

    womit Milton offensichtlich die Hölle meint. Davon selbst aber bisher noch kein klares Bild. Spannend aber dann [90]

    Zitat

    von welcher Höh`gestürzt

    . Nunja. Hochmut kommt vor dem Fall. Vermutlich geht es aber von da an um die Frage, was zeichnet die "gefallenen Engel" aus: Dazu noch ein paar Zitate:

    Zitat

    Im Tun, im Leiden sei`s; doch des sei sicher,
    Dass unser Werk nie sein wird: Gutes tun;
    Nein, Übles stets, als einziges Ergötzen,
    Weil`s seinem hohen Willen wiederstrebt

    Bosheit also einfach der Bosheit willen... oder:
    Und Übelskeim aus Gutem aufzufinden..
    Beraten wie wir unseren Feind am besten
    verletzen können, den Verlust herstellen


    Also bis dahin erst einmal eine solche "Charakterisierung". Mehr fällt mir aber bis dahin einfach nicht ein. Klingt sicherlich alles auch noch ein bisschen bluna :spinnen:. Muss mich erst noch weiter einlesen. Kann dauern...


    Grüße