Uwe Tellkamp

  • Es sei mir erlaubt, an dieser Stelle einmal einen Uwe Tellkamp Ordner zu eröffnen, da ich im Moment aufgrund der Leihgabe eines Freundes "Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café" zu lesen beabsichtige. Immerhin wurde Tellkamp für seinen Roman "Der Turm" im Jahre 2008 mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet und kann aufgrund seiner Abstammung sicherlich als Chronist der Wende aus Sicht des ostdeutschen Intellektuellen angesehen werden. Ich bin gespannt und werde im Anschluss an die Lektüre sicherlich Bericht erstatten.


    mfG
    F. Hermann

  • Hallo Freund Hermann,


    ich weiß nicht ob du dir mit "Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café" einen Gefallen tust. Ich kenne das Buch (noch) nicht, doch in einem Artikel las ich, dass Tellkamp nicht wollte, dass dieses Buch nochmals aufgelegt wird, doch der Verlag hat nun mal die Rechte und wollte nun wohl auch mit seinem Frühwerk noch etwas mehr Geld machen ;-)


    "Der Turm" war für mich eine Lesehighlight 2009. Ein außergewöhnlich episches und ästhetisches Werk. Ein Gegenwartsschriftsteller der mal etwas wagt mit der Sprache.


    berichte bitte, wie dir der "Hecht..." gefällt.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • :winken:


    Hallo Maria,


    entgegen deiner Mutmaßung gefällt mir das Buch bisher ausgesprochen gut. Handlungsarm aber sehr, sehr poetisch. Ich habe gerade den ersten Teil abgeschlossen und es erinnerte mich, sicherlich auch aufgrund der Überschrift, stark an Proust, wenngleicj mir bisher lediglich Band I der verlorenen Zeit bekannt ist. Es geht um eine Gruppe junger Individualisten in einem Dresdner Stadtviertel, in dem das portugiesische Café eine Art kulturelles Zentrum darstellt. Vor allem aber geht es um die Liebe zwischen Sophie, Mitglied der Tanzkapelle Tango Verde, die an Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrring erinnert und Florian, einem Arzt in den Dreißigern, die aber bisher nicht über eine zarte Annäherung hinauskommt. Ich bin gespannt wie es weitergeht und melde mich wieder, muss mich aber erst um meinen Internetanschluss kümmern...


    mfG
    F. Hermann

  • Hallo Maria,


    habe das Buch soeben beendet und kann nur sagen: Es endet sehr, sehr traurig. Dass Tellkamp sprachlich etwas wagt, dem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen. Das ganze Buch schäumt von Poesie. Tellkamp war in jedem Falle eine Entdeckung, auch wenn nach einem solchen Ende der Wunsch des Autors verständlich erscheint, eine Zweitauflage möglichst zu verhindern. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass die Erzählung zum Teil auch autobiografische Züge trägt. Was sicherlich nichts mit der Qualität des Buches zu tun haben dürfte. Danach sollte auch eine zehnte Auflage zu befürworten sein. Ich möchte im Moment aber nichts Näheres dazu verraten.


    mfG
    F. Hermann

  • Hallo F. Hermann,


    na, jetzt machst du mich ja total neugierig auf das Buch. Mir hat "Der Turm" auch sehr gefallen, gerade auch der Sprache und des Stils wegen. Und wohl auch, weil Tellkamp dort etliche Reminiszenzen an klassische Autoren versucht, ohne seinen eigenen Stil aufzugeben.


    Ich habe noch "Der Eisvogel" auf meinen SUB, aber "Der Hecht,..." ist nun auch in mein Blickfeld gerückt.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    zum Einen freut es mich natürlich, wenn ich bei dir Interesse für das Buch wecken konnte. Es lohnt sich wirklich! Vor Allem eben der wunderbar geflügelten Sprache wegen, die eigentlich an keiner Stelle ins kitschige abdriftet. Sollte sich die Gelegenheit ergeben, werde ich sicherlich auch noch weitere Bücher des Autors lesen. Als nächstes steht aber erst einmal die Quijote Leserunde auf meinem Plan.


    mfG
    F. Hermann

  • Nun ist es doch "Der Turm" geworden, bevor die Don Quiotte LR beginnt. Im Moment faszinierend die Beschreibung verschiedener "Familienmitglieder". Zuletzt als Rückblende die Weihnachtseinkäufe Annes mit Meno, die Tellkamp ziemlich heiter-rührselig beschreibt. Im Moment versuche ich mir noch ein klareres Bild über die Familienverhältnisse zu machen. Wer das Buch kennt, möge mir bitte etwas auf die Sprünge helfen. Außerdem wurde zuletzt ein erster Hinweis auf Stalin laut; bin ziemlich gespannt, wie sich die Sache weiterentwickelt. Schön wären Rückmeldungen; wer also mit der Lektüre bereits bekannt ist; bitte melden!


    Grüße

  • Hallo Hermann,


    in meiner Hardcover-Ausgabe war ein praktisches Lesezeichen beigelegt, u.a. mit der Auflistung der Bewohner in den diversen Häusern. Die half mir sehr. Dennoch habe ich mir auch persönliche Notizen gemacht, besonders über die Namen der Häuser, der Uhren, der Lampen usw... es gibt im "Turm" viel zu entdecken.


    Da der "Turm" auch Aspekte eines Schlüsselromans enthält, half mir dazu Wikipedia:


    http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Turm_(Tellkamp)


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Danke Maria,


    ich habe gerade kurz im Wikipedia Artikel gestöbert. Ich denke, er ist im Nachhinein recht hilfreich, um im Anschluss an die Lektüre die eigenen Eindrücke damit zu vergleichen. Hilfreich war auf jeden Fall, dass Anne wohl die Frau von Richard und somit Christans Mutter ist. Und Meno, der Lektor, Christians Onkel. Christian scheint ja offensichtlich den Protagonisten vorzustellen. Seine Strebsamkeit ist mir für damilige Verhältnisse ziemlich bemerkenswert. Ich lasse mich überraschen, wie er das Thema der "Turmprovinz" und seiner Türmler im Folgenden herausarbeitet und wie Tellkamp überhaupt die ehemalige DDR für Außenstehende aufarbeitet. Ich selbst betrete auf diesem Gebiet ja völliges Neuland und kenne die dortigen Zustände leider bisher nur vom Hörensagen. Meine Frau und ich hatten in der Zone leider keine Verwandtschaft, als dass wir uns auf Informationen aus erster Hand stützen könnten.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann

  • Um trotzdem eventuell eine Diskussion zum Turm anzuregen, melde ich mich einfach nochmals zu Wort. Stimmt es, dass Manfred von Ardenne als Vorbild für diesen Professor Arbogast diente. Hat es in der DDR eine solche Aristokratie, wie sie z.B. auch in Stefan Heym`s Architekten beschrieben wurde, tatsächlich gegeben? Ich bin einmal gespannt, inwiefern es Tellkamp gelingt, dieses Milieu detaillierter zu schildern. Es gibt sicherlich weitere Beispiele aus einem solchen Umfeld, deren Leistungen durchaus auch internationale Anerkennung erfahren haben dürfte. Da es sich offensichtlich auch um besagten Schlüsselroman handelt, lohnt es vermutlich durchaus, eventuell eine preislich angepasstere Ausgabe zu erwerben, die mit einer erkärenden Personenbeschreibung versehen ist, aufgrund derer sich historische Hintergründe besser nachvollziehen lassen. Sicherlich bedarf es für Außenstehende wie mich und meine bessere Hälfte noch einigen geschichtlichen Nachholbedarfes. Dennoch war vielleicht selbst an der DDR nicht alles schlecht. Die Bildungsministerin soll allenfalls richtig Scheiße gewesen sein :rollen:.


    Freundliche Grüße


  • Um trotzdem eventuell eine Diskussion zum Turm anzuregen, melde ich mich einfach nochmals zu Wort. Stimmt es, dass Manfred von Ardenne als Vorbild für diesen Professor Arbogast diente. Hat es in der DDR eine solche Aristokratie, wie sie z.B. auch in Stefan Heym`s Architekten beschrieben wurde, tatsächlich gegeben? Ich bin einmal gespannt, inwiefern es Tellkamp gelingt, dieses Milieu detaillierter zu schildern. Es gibt sicherlich weitere Beispiele aus einem solchen Umfeld, deren Leistungen durchaus auch internationale Anerkennung erfahren haben dürfte. Da es sich offensichtlich auch um besagten Schlüsselroman handelt, lohnt es vermutlich durchaus, eventuell eine preislich angepasstere Ausgabe zu erwerben, die mit einer erkärenden Personenbeschreibung versehen ist, aufgrund derer sich historische Hintergründe besser nachvollziehen lassen. Sicherlich bedarf es für Außenstehende wie mich und meine bessere Hälfte noch einigen geschichtlichen Nachholbedarfes. Dennoch war vielleicht selbst an der DDR nicht alles schlecht. Die Bildungsministerin soll allenfalls richtig Scheiße gewesen sein :rollen:.


    Freundliche Grüße


    Ardenne ist ganz sicher das Vorbild für die Figur des Arbogast. Zu den anderen Punkten kann ich nichts beitragen.

  • Hallo Freund Hermann,


    ich hatte ebenfalls keinerlei Bezugspunkte zur ehemaligen DDR, desto mehr hat mich Tellkamps Schilderungen interessiert.


    Es ist, finde ich, ein sehr komplexer Roman, denn neben den verschlüsselten Personen, die mir in der Mehrheit nichts sagten, gibt es auch viele Hinweise auf unterschiedliche literarische Vorbilder z.B. ETA Hoffmann. Zudem webt Tellkamp philosophische Aussagen mit ein, sodass Der Turm dazu anregt, sich über viele Dinge zu informieren. Gut, dass es in Zeiten des Internets so einfach ist. Dazu kommen noch unterschiedliche Erzählstile, die zur Faszination noch mehr beitragen.


    Es gibt wirklich viel zu entdecken und man sollte sich nicht zu sehr von den Details ablenken lassen. Von verschiedenen Stimmen im Internet habe ich den Eindruck gewonnen, dass Tellkamp die Atmosphäre Dresdens sehr gut und wahrheitsgetreu abgebildet hat.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    Zitat

    Dazu kommen noch unterschiedliche Erzählstile, die zur Faszination noch mehr beitragen.


    Da hast du Recht. Die Tagebucheintragungen Menos finde ich besonders gelungen, wenngleich das gesamte Buch stilistisch auf außerordentlich hohem Niveau angesiedelt ist. Wie Maria schon sagte, gibt es tatsächlich sehr viel, gerade auch aus der ostdeutschen Literaturszene zu entdecken, worin man sicherlich als Normalbürger nur wenig Einblick hatte. Im Moment bin ich auch gespannt, wie sich die Sache mit der verlängerten Dienstzeit im Folgenden entwickelt. Ich wusste gar nicht, dass insbesondere Abiturienten derartig unter Druck gesetzt wurden, wenn es darum ging, junge Menschen für die Erhaltung des Regimes zu rekrutieren. Nebenher ist der Roman in Teilen sogar ziemlich heiter und unterhaltsam. Noch habe ich zum Glück mehr als die Hälfte vor mir. Man verbringt damit selbst bei Aprilwetter unterhaltsame Stunden.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann


  • Im Moment bin ich auch gespannt, wie sich die Sache mit der verlängerten Dienstzeit im Folgenden entwickelt. Ich wusste gar nicht, dass insbesondere Abiturienten derartig unter Druck gesetzt wurden, wenn es darum ging, junge Menschen für die Erhaltung des Regimes zu rekrutieren.


    Du darfst nicht vergessen, daß Tellkamp vieles überspitzt dargestellt hat. So extrem war es mit den 3 Jahren nicht (ich habe selbst (fast) 3 Jahre gedient). In den 80ern wurde sogar für Studenten von volkswirtschaftlich wichtigen Studiengängen die Armeezeit auf 9 Monate gekürzt.



    Hat es in der DDR eine solche Aristokratie, wie sie z.B. auch in Stefan Heym`s Architekten beschrieben wurde, tatsächlich gegeben?


    Ja. Und der Weiße Hirsch war auch tatsächlich zu DDR-Zeiten ein besonderer Ort (ich bin reichlich 20km davon aufgewachsen).

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • Ja, ich könnte mir vorstellen, dass man den Roman, je nachdem, welches Regime man kennt, unterschiedlich liest und wahrnimmt.


    Mir hat auch der meist heitere Grundton gefallen, also keine Abrechnung, sondern eher der subjektive Versuch, eine gewisse Zeit einzufangen. Natürlich sind viele Dinge überspitzt und manchmal auch grotesk dargestellt, was mich dann auch wieder an ETA Hoffmann erinnerte. Ich habe parallel zum "Turm" eine ETA Hoffmann-Biografie gelesen und auch nochmal den "Goldenen Topf". Deshalb ist für mich die Romantik und damit der Rückzug in eine bürgerliche, fast biedermeierliche Welt eine Sichtweise des Romans.


    Gruß von Steffi

  • Zitat


    Mir hat auch der meist heitere Grundton gefallen, also keine Abrechnung, sondern eher der subjektive Versuch, eine gewisse Zeit einzufangen.


    Ich muss aber mittlerweile sagen, je weiter ich mit dem Lesen fortgeschritten bin, vergeht einem das Schmunzeln bei den Szenen während der Armeezeit. Als Bürger aus den alten Bundesländern kann man sich solche Verhältnisse bloß schwer vorstellen. Wenn ich es recht verstanden habe, wurde Christian in ein Armeegefängnis (der Name des Ortes ist wahrscheinlich vielen entfallen) inhaftiert. Ich mochte an manchen Stellen gar nicht weiterlesen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass dort tatsächlich Proust gepaukt werden musste. Ich bin jetzt aber trotzdem ziemlich auf das Schlusskapitel gespannt. Zugegebenermaßen hatte ich mir die Zustände in der ehemaligen Zone nicht ganz so schlimm ausgemalt, wie sie in diesem Buch vorgestellt werden. Auch das Ausmaß der Versorgungsengpässe oder die Lebensverhältnisse Menos sind für mich als gutsituierten Westfriesen nur schwer vorstellbar. Was sagen eigentlich die ostdeutschen Literaturkritiker zu dem Buch. Selbst hier im äußersten Westen liest man nur selten derart gehaltvoll Gesamtgestaltetes, wobei sich gerade in Holland derzeit einiges im Nachwuchsautorenbereich regt. Oder der Däne Lars Lüderström, der in seinen kauzigen Essays die Nachwirkungen des eisernen Vorhangvertausches mit surrealen Spitzfindigkeiten aufs Korn nimmt. Ich denke, morgen die Lektüre abgeschlossen zu haben, mich alsdann an Sancho Pansa von hinten heranzuschleichen, um in seinem Rücken die Windmühlen zu manipulieren, damit sie als Notstromaggregat eingestzt werden können, falls Don Quichotte auf seiner Suche nach Dulcinea doch noch die Luft ausgeht.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann

  • Hallo Hermann,


    Versorgungsengpässe gab es; zumindest kann ich es von einem anderen Ex-Ostblockland sagen, in dem ich Verwandte habe. Die Besuche in den Westen gestalteten sich äußerst schwierig. Familienmitglieder mußten zurückbleiben, damit garantiert war, dass derjenige auch wieder zurück ins Land kam.


    Ich habe mir "Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café" gekauft und bereits reingelesen. Tellkamp katapultiert den Leser mit einer sehr romantischen Sprache in eine schöne Sommergeschichte. Ich hatte das Bedürfnis Tango-Musik und Lateinamerikanische Musik zuhören und habs auch getan. Tolle Atmosphäre :smile:


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Zitat

    Tolle Atmosphäre Smile


    Das stimmt. Ich habe mich beim ersten Lesen so richtig in eine Art Hinterhausatmosphäre versetzt gefühlt, wo nach der Wende versucht wurde, dort etwas schönes, neues zu schaffen. Eben Treffpunkte für Schachspieler, Rumdenker und Musikanten mit Liebe zu ihren Instrumenten. Wirklich ein schönes Buch. Wäre hier sogar an einer gemeinsamen LR interessiert, weil es auch im Detail sehr feinfühlig-bedeutungsschwer zu sein scheint.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann

  • Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café:

    Das stimmt. Ich habe mich beim ersten Lesen so richtig in eine Art Hinterhausatmosphäre versetzt gefühlt, wo nach der Wende versucht wurde, dort etwas schönes, neues zu schaffen. Eben Treffpunkte für Schachspieler, Rumdenker und Musikanten mit Liebe zu ihren Instrumenten. Wirklich ein schönes Buch. Wäre hier sogar an einer gemeinsamen LR interessiert, weil es auch im Detail sehr feinfühlig-bedeutungsschwer zu sein scheint.


    Freundliche Grüße
    F. Hermann


    Hallo Hermann,


    obwohl die Erzählung eher zeitlos auf mich wirkt. Zum Teil kam es mir sogar wie vor der Wende vor, rausgefiltert nur das nostalgische Gefühl und das Schöne der Künste; z.B. Schallplatten, alte Bücher, Klappfeuerzeug, Kurzwellensender.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)