Mit besten Wünschen für das neue Jahr eröffne ich unsere Proust-Runde. Ich lese die Suhrkamp-Ausgabe von 1998. Übersetzung und Anmerkungen stammen von Luzius Keller.
Schon das Grußwort von Anatole France hat poetische Züge und macht neugierig: „Das Buch zeigt Züge eines müden Lächelns, Gebärden der Ermattung, beides nicht ohne Schönheit und Adel.“ Gefallen hat mir die Bezeichnung „Genrebilder“. Die „Treibhausatmosphäre“ mit ihren „kunstvollen Orchideen, deren seltsame und krankhafte Schönheit sich nicht von Erde nährt“ verstehe ich als Verbeugung vor Baudelaires „Fleurs du mal“, auch wenn Keller im Kommentar Maeterlincks (mir nicht bekannte) Gedichtsammlung „Serres chaudes“ (Heiße Gewächshäuser) als Referenz erwähnt. Apropos Orchideen: Ich erinnere mich noch gut an die Chrysanthemen, die im zweiten Band der „Recherche ...“ (Odettes Salon) eine Rolle spielten. Blumen scheinen so etwas wie morbide Symbole der Belle Époque bzw. der um sich greifenden Dekadenz des Fin de Siècle gewesen zu sein.
Dann folgt das eigentliche Vorwort. Kennt jemand Prousts verstorbenen Freund Willie Heath, dessen Äußeres mit van Dyck-Portraits verglichen wird? Ich habe bislang nichts herausgefunden. Diese „Ähnlichkeit“ eines Menschen mit einem Kunstwerk nimmt m.E. einen Wesenszug unseres alten „Bekannten“ Charles Swann vorweg.
Ich werde mich nun mit dem Leben und Sterben des Baldassare Silvande beschäftigen. Der Tod (als „Hilfe und Gnade“) hat ja schon im Vorwort eine Rolle gespielt. Das erinnert an den frühen Thomas Mann, der fast zeitgleich Geschichten schrieb wie „Der Tod“ und „Der kleine Herr Friedemann“ (beide 1897, also ein Jahr nach „Les plaisirs ...“). Der Tod als höchste Stufe der menschlichen Verfeinerung/Vollendung und als Befreiung von Künstlichkeit und Lebensferne: Keller meint, hierbei handele es sich um ein wesentliches Motiv dieser Zeit. Interessant, wenn auch schwer nachvollziebar …
Viele Grüße
Tom