Um das Glasperlenspiel einen würdigen Rahmen zu geben, beginne ich mit einem Brief von Hermann Hesse, der sehr viel über seinen Plan und seine Ideen uns aufzeigt.
In einem Brief an Rudolf Pannwitz aus dem Jahre 1955 beschreibt Hesse seine Motivation:
„Inmitten dieser Drohungen und Gefahren für die physische und geistige Existenz eines Dichters deutscher Sprache griff ich zum Rettungsmittel aller Künstler, zur Produktion, und nahm den schon alten Plan wieder auf, der sich aber sofort unter dem Druck des Augenblicks stark verwandelte. Es galt für mich zweierlei: einen geistigen Raum aufzubauen , in dem ich atmen und leben könnte aller Vergiftung der Welt zum Trotz, eine Zuflucht und Burg, und zweitens den Widerstand des Geistes gegen die barbarischen Mächte zum Ausdruck zu bringen und womöglich meine Freunde drüben in Deutschland im Widerstand und im Ausharren zu stärken. (...)
Ich musste, der grinsenden Gegenwart zum Trotz, das Reich des Geistes und der Seele als existent und unüberwindlich sichtbar machen, so wurde meine Dichtung zur Utopie, das Bild wurde in die Zukunft projiziert, die üble Gegenwart in eine überstandene Vergangenheit gebannt. Und zu meiner Überraschung entstand die kastalische Welt wie von selbst.“ (Michels (Hg.), Mat.1, S. 295-296)
Da seine Briefe eine bedeutsame Unterstützung zu seinem Werk sind, werde ich öfter einige seiner Briefe hier mit veröffentlichen.
Hesses Werk beginnt mit einer Einleitung, „der Schlüssel zum Ganzen“ (Hesse, 1939, in: Michels(Hg.), Mat. 1, S. 202), dient nicht nur als „allgemeinverständliche Einführung“ in die Geschichte des Glasperlenspiels; sondern sie gibt ebenfalls deutliche Hinweise auf das antithetische Konzept, das den Roman zugrunde liegt.
Der Autor benutzt das technische Mittel des fiktiven Erzählers in der Form eines Chronisten, der historisch dokumentierend versucht, das Persönlichkeitsbild des Ludi Magister Josephus III. anhand von biografischem Material zu skizzieren.
Zitat:
„Der Biograph (...), den ich mir dachte, ist ein fortgeschrittener Schüler oder Repetent in Waldzell, der aus Liebe zur Gestalt des großen Abtrünnigen daran ging, den Roman seines Lebens für einen Kreis von Freunden und Knecht-Verehrern aufzuzeichnen. Diesem Biographen steht alles zur Verfügung, was Kastalien besitzt, die mündliche und schriftliche Tradition , die Archive, und natürlich auch das eigene Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen.“
(Brief Hesses, 1949/ 1950, an Sigfried Unseld. In:Michels(hg.), Mat.1.S. 285)
Die parodistischkritische Absicht dieses Chronikstils wird jedoch unmittelbar deutlich , denn es handelt sich hier nicht um Geschichtsschreibung.
Die „heutigen“ Autoren bezeichnen sich als „Erben“ der „Reformation des geistigen Lebens, die im zwanzigsten Jahrhundert begann“(S. 10 suhrkamp taschenbuch 79) und versuchen rückschauend die Entwicklung ihres „Geisteslebens“ und des Glasperlenspiels aufzuzeigen.
Die erzählte Gegenwart spielt demnach ungefähr auf das Jahr 2300, von dem man aus auf das 19. und 20. Jahrhundert zurückschauen wird. Den Rahmen bildet also eine rückschauende Utopie, deren Funktion bereits im Motto aufgezeigt wird: Nicht existierende Dinge sollen als real existierend „behandelt“ werden, um „dem Sein und der Möglichkeit des Geborenwerden um einen Schritt näher geführt“ zu werden. Dies ist aber nur möglich, wenn der Text in einer Distanz zur ‚Gegenwart’ steht.
"Manche Leute zerbrechen sich den Kopf über mein Buch, statt ganz einfach es zu lesen und zu probieren, was es ihnen sagt. Es will nur eine Dichtung sein, weder eine Philosophie noch eine politische Utopie. In die Zukunft musste ich diese Geschichte verlegen, nicht weil Kastalien, der orden und die Hierarchie zukünftige Dinge wären oder von mir willkürlich ausgedachte, sondern weil alle diese Dinge stets und immer vorhanden waren, im Altertum und Mittelalter, in Italien und in China, denn sie sind eine echte "Idee" im Sinne Platons, nämlich eine legitime Form des Geistes, eine typische Möglichkeit des Menschenlebens".
(Suhrkamp, Materialien zum Glasperlenspiel, S. 234), Brief, Ende 1943, an Cuno Amiet)