Heinrich Breloer ist ein opulenter Ausstattungs-Film gelungen. Kulisse und Kostüme wirken hoch authentisch. Dünkel und Provinzialität, im Roman eher hintergründig, werden zum alles beherrschenden Leitmotiv. Höchste ideelle Werte sind Großbürgerlichkeit und Besitz, die in der überschaubaren Stadt an der Ostsee im Kaufmannsberuf gipfeln. Engstirnige Krämermentalität wird mit sozialem Prestige verwechselt und als Familientradition hochgehalten. Persönliches Glück hat sich dynastischem Standesdünkel unterzuordnen. Die selbstüberzeugte Würde des Patriarchen Jean Buddenbrook, gespielt von Armin Müller-Stahl, täuscht die Zuschauer über das Fassadenhafte dieses reichen Bürgertums.
Im Roman ist Christian Buddenbrook eine Art Bajazzo, banal und oberflächlich. Närrisch ist er auch in Breloers Film, glänzt aber bisweilen mit philosophischen Einsichten und wissender Überlegenheit. Damit wird aus Christian Buddenbrook mehr gemacht, als er ist. Dem literarischen Text zufolge leidet Christian an einer schleichend voranschreitenden Psychose mit abnormen Leibgefühlen, Zwangsgedanken, Halluzinationen, Wahnideen und einer zunehmenden dynamischen Entleerung. Thomas Buddenbrook, dem Thomas Mann eigene Wesenszüge mitgegeben hat, nennt Christian im Roman wegwerfend einen "maroden Narren" und zahlt ihm als Familienoberhaupt sein mütterliches Erbe nur ratenweise aus.
Dass der finanziell gut gestellte Christian die mittellose Aline Puvogel mit dem unehelichen Kind, das sie mitbringt (im Roman sind es zwei), heiratet, ist aus unserer heutigen Sicht ein menschlich sympathischer Zug. Für Thomas Mann war es eine skandalöse Pointe in seinem „Verfalls“- Roman. Er hat in seiner eigenen Lebensplanung hartnäckig um eine Tochter aus reichem Haus geworben und schließlich auch ihr Ja-Wort erhalten. Seinem Bruder Heinrich konnte er nicht verzeihen, dass dieser eine Kellnerin geheiratet hat.
Mit einem hohen Aufwand an Kunst ist die Begegnung Thomas Buddenbrooks mit Gerda Arnoldsen in Bilder gesetzt. Sie lebt in Amsterdam und ist eine Geigenvirtuosin, ohne dass sie ihre Begabung zum Beruf gemacht hätte. Amsterdam ist zu dieser Zeit eine Stadt des Welthandels. Die Schiffe der Lübecker Kaufleute, so stellt es der Film dar, befahren nur die Ostsee. Die nächtliche Kahnfahrt in Amsterdam zum Haus des Vaters von Gerda Arnoldsen spielt mythisch auf den unterweltlichen Styx an. Diese düstere Einstimmung ist eine filmische Lizenz Breloers, denn im Roman ist von einer Bootsfahrt, dazu durch Dunkelheit, keine Rede. Der Feuerschein der Fackel, die dem stakenden Fährmann leuchtet, wird vom Wasser der Gracht reflektiert und gibt der prächtigen Hausfassade eine magische Illumination. In Gerda Arnoldsen erkennt Thomas Buddenbrook seine künftige Gattin. Sie spielt auf ihrer Stradivari, die Wange an das Instrument geschmiegt und sieht Thomas mit wissendem, kaum merklichem Lächeln an. Die tradierte Buddenbrooks-Interpretation deutet die rätselhafte und fremd bleibende Gerda Buddenbrook als eine Art Todesengel, der Lübeck wieder verlässt, nachdem Thomas und ihr gemeinsamer Sohn gestorben sind. Der erste Blickkontakt der Geige spielenden Gerda Arnoldsen mit Thomas Buddenbrook lässt Assoziationen aufkommen zu dem Selbstporträt Arnold Böcklins mit dem fiedelnden Tod. (-> http://commons.wikimedia.org/w…ecklin-fiedelnder_Tod.jpg)
Es gibt Filme, die Kunstwerke sind. Der Literatur ist der Film jedoch nicht gewachsen. Sprache, wird sie vom Schriftsteller/Dichter gehandhabt, vermag mehr Inhalte und Hintergründiges zu vermitteln, als es Theater oder Film können. Filme als genuine Kunstwerke brauchen einen eigenen, originalen Plot. Stammt er aus der Literatur und wird für die Leinwand adaptiert, den Erwartungen der Menge angepasst, ist die Nähe zum Kitsch vorprogrammiert.
Breloer beschwört schwelgerich die Standesgesellschaft von einst mit ihrem Dünkel und Hochmut. Für Zuschauer, die den Roman nicht gelesen haben, ist es großes Kintopp. Sie sind von den rückschlägigen Wertbegriffen beeindruckt. Ein Paradoxon in unserer demokratischen Gegenwart.
Im Roman erkannten sich 1901 zahlreiche Lübecker wieder. Erkennt sich das heutige Lübeck auch wieder, "Lübeck als geistige Lebensform", mit heimlichen Bürgerstolz? Dann wäre in Lübeck die Zeit stehen geblieben. Thomas Mann fand 1945, dass im Lübeck seiner Jugend mit dem spitz getürmten Stadtbild ein altertümlich-neurotischer Untergrund zu spüren war („Deutschland und die Deutschen“). Eine Stadt, in der sich Transitrouten kreuzen, ist Lübeck heute nicht mehr.