Dezember 2008 - Platons Gastmahl

  • "Schlecht aber ist jener gewoehnliche Liebende, [183e] der den Koerper mehr als die Seele liebt; denn er ist nicht bestaendig, da er nichts Bestaendiges liebt. Denn [... so] macht er viele Worte und Versprechen zunichte. Wer aber den Charakter, der anstaendig ist, liebt, bleibt durch das ganze Leben hindurch treu, da er mit etwas Dauerhaftem verschmolzen ist."


    Meint er damit die sogenannte platonische Liebe? Ist sie hier durch den Mund des Pausanias ausgesprochen? Hiesse das nicht, dass in der sog. platonischen Liebe der Koerper dann doch mit einbegriffen ist?


    Ähnliche Gedanken finden sich auch später im Werk. Nur ein kleiner Vorgriff: Der Unterschied von Platon/Sokrates zu Pausanias ist, dass Platon nicht bei der Liebe zum Charakter stehen bleibt, sondern dass noch mehrere weitere Schritte folgen. Aber im Grunde ist das platonisches Gedankengut, das Pausanias hier äußert. Der Körper darf also auch geliebt werden, das ist sogar wichtig für die weitere Entwicklung.


    Zitat

    184c-185c: Liebe soll das Streben nach Tugend sein... ich glaube, die letzten Absaetze der Rede sind mit unseren heutigen Sitten nicht vereinbar.


    Natürlich lassen sich die dort genannten Punkte nicht auf die heutige Gesellschaft übertragen, da diese sich von der Griechischen einfach so stark unterscheidet, aber einzelne Aspekte stechen hervor, z.B, dass es unehrenhaft sei "sich des Reichtums(des Liebenden) wegen hinzugeben"(185a). Das gibt es heute immer noch und ist zumindest bei mir nicht hoch geachtet. :zwinker: :rollen:


  • Die erste Antwort auf die Frage, ob man Liebenden nachgeben solle, war bei mir spontan: Je nach dem Liebenden


    Schon, aber doch: welche Qualitäten hat dieser Liebende? Pausanias' Antwort: Vernunft. Diese aber besitzen die Böotier nicht, daher sind sie unmäßig im Eros.


    Ich glaube, unsere heutige Ansicht geht eher auf den individuellen Charakter: das ist eine(r), der liebenswürdig ist. Auf die Frage: warum? würde man heute vielleicht nur antworten können: warum auch immer! Denn wir wissen es oft doch nicht. Er (sie; das ist geschlechtsunspezifisch) ist charakterstark, charmant, gebildet, herzensgut usw usf, so würde man heute antworten, wenn einer danach fragte: warum ist der liebenswürdig, d.h. als Liebender würdig? Wir haben kein Zentrum mehr, um das sich etwas anlagert, wir eiern von einer Qualität zur nächsten und wissen nicht warum. Wir sagen: hängt doch an der Person, und wissen nicht, woran eigentlich. Dumpfe Triebe? Geilheit? Ödipus-Komplex? Genetisch determiniert? Die anima des Dr. Jung? Empathie? (Alles Quatsch, würde Sokrates sagen.)


    Ich kann schon Sokrates' Gelächter hören, wenn er eine nach der anderen Qualität auseinandernehmen würde. Alles würde er der Lächerlichkeit preisgeben. Er würde bei der Vernunft wohl stehenbleiben müssen. Denn diese allein (nicht etwa: eine verstandesmäßige Schlauheit) garantiert, dass ein Liebender seiner Liebe würdig ist. Vermittels dieser Vernunft handelt er gut, ist er sogar schön, redet er Wahres.


    In dieser Vernunft liegt dann auch die Tugend, sie ist im Grunde gar nichts anderes. Denn Tugend ist lehrbar.


    Die Last des Textes liegt also auf dem Liebenden, nicht auf dem Geliebten. Dieser ist leichtfüßig und schwebt voller Grazie.


    Das ist ein großer Text über das Lieben und Geliebtwerden und über die Frage: wer ist schön? Der Geliebte oder der Liebende?


  • Dies kann man wieder unter dem Aspekt sehen, dass Platons Philosophie eben nicht dogmatisch ist, sondern auf apodiktische Urteile verzichtet.


    Aber das ist mir zu pauschal. Nochmal in der Retrospektive:


    - Es wurden einige Reden über den Eros geschwungen, nur diese 5 + Sokrates' Rede kommen in den Platonischen Text rein.
    - Das Thema geht viele Menschen unmittelbar an (sie glauben, es war gestern), obwohl das Gastmahl doch schon sehr lange her war.
    - Der Titel der Schrift heißt "Das Gastmahl", nicht "Der Eros". Also haben die, die im Gastmahl liegen und reden, teil am Gesamt der Teilnehmer an der Wahrheit, die in diesem Gastmahl behandelt wird. ("Wahrheit" natürlich immer so verstanden, wie Plato sie versteht.)
    - Die Form unterscheidet sich grundlegend von denen der Dialoge, denn es sind Reden.
    - Die Redner treffen nicht die Wahrheit, sie verheddern sich oft. Sie sprechen die Ansichten über den Eros aus, auch gemäß ihrer sozialen Rolle. Soweit gebe ich dir völlig recht.


    Worauf ich hinauswill: Diotimas Rede aus Sokrates' Mund ist NICHT der Weisheit letzter Schluss. Dieser liegt, wenn überhaupt, bei Alkibiades' Eloge auf Sokrates. Damit reiht sich Diotima/Sokrates (das Verhältnis wäre noch zu klären!) ein in die Reihe der halbgaren Reden, wenn sie auch so etwas wie deren Wahrheit aufdeckt. Diotima/Sokrates ist das Glanzlicht, aber nicht die "Wahrheit selbst". Die Wahrheit über den Eros erfahren wir aus dem trunkenem Mund des Alkibiades.


    (Ich gebe zu, 100%ig ist das noch nicht durchdacht und ausgereift. Aber vielleicht eine Möglichkeit, diesen Dialog neu und interessant zu verstehen. Vielleicht liege ich auch falsch. Das gestehe ich gerne zu und widerrufe dann sofort^^)


  • Worauf ich hinauswill: Diotimas Rede aus Sokrates' Mund ist NICHT der Weisheit letzter Schluss. Dieser liegt, wenn überhaupt, bei Alkibiades' Eloge auf Sokrates. Damit reiht sich Diotima/Sokrates (das Verhältnis wäre noch zu klären!) ein in die Reihe der halbgaren Reden, wenn sie auch so etwas wie deren Wahrheit aufdeckt. Diotima/Sokrates ist das Glanzlicht, aber nicht die "Wahrheit selbst". Die Wahrheit über den Eros erfahren wir aus dem trunkenem Mund des Alkibiades.


    (Ich gebe zu, 100%ig ist das noch nicht durchdacht und ausgereift. Aber vielleicht eine Möglichkeit, diesen Dialog neu und interessant zu verstehen. Vielleicht liege ich auch falsch. Das gestehe ich gerne zu und widerrufe dann sofort^^)


    Interessante These. Ich werde darauf eingehen, wenn wir an der entsprechenden Stelle angelangt sind(das tut der Leserunde besser, mMn). Dass die Rede von Diotima nicht der Weisheit letzter Schluss ist, das glaube aber auch ich. Das würde nämlich in keiner Weise zu Platon passen-er schließt die reine Erkenntnis sowieso aus. Alles was er liefern kann sind Annäherungen.


    Die Sache mit Alkibiades wird dann aber noch spannend und für viel Diskussion sorgen.


  • Ich werde darauf eingehen, wenn wir an der entsprechenden Stelle angelangt sind(das tut der Leserunde besser, mMn).


    Meine ich auch. Es tut mir selbst leid, wenn ich manchmal späteres vorwegnehme. Aber das geht manchmal nicht anders. Dafür wäre ein gepinnter Beitrag hilfreich, in dem man solche Fragen sammeln könnte, damit man sie nicht vergisst, denn die Gefahr besteht, dass solche Fragen im Wust der Beiträge untergehen. Geht leider für einen Thread nicht.


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    Ich mache weiter mit dem Schluckauf des Aristophanes, 185c-e, mit einem kurzen Vorblick auf 189a-b, das inhaltlich dazu gehört.


    Getreu der These von Telemachos, dass jeder Redner nach seine Eigenart mitbringt, kommt nun ein komischer Einschub, der von Aristophanes, dem Komödiendichter, ausgelöst wird. Eigentlich wäre er jetzt an der Reihe gemäß Sitzordnung, aber er hat einen "Hickser" (so nennt man das in der Gegend, wo ich herkomme) und kann nicht sprechen.


    Erixymachos empfiehlt (mit Hippokrates):

    Zitat

    ...während ich aber rede, siehe du zu, ob der Schlucken aufhören will, wenn du längere Zeit den Atem anhältst; wenn aber nicht, so schlucke Wasser hinunter! Wenn er jedoch ganz hartnäckig ist, dann nimm etwas, womit du die Nase zum Niesen reizest, und wenn du ein- bis zweimal geniest hast, dann wird er aufhören, wenn er auch noch so hartnäckig ist.

    Und tatsächlich hilft erst das Niesen (189a).


    Hierzu ein aufschlussreiches Detail, das ich aus einer Interpretation habe: "Eryximachos" heißt auf Deutsch: Schluckaufbekämpfer! :zwinker:


    Man muss sich also eigenartige Geräusche während der nun folgenden Erixymachos-Rede vorstellen: Schlucken, dann unterdrücktes Prusten mit dem Wasser, dann heftiges Einatmen, dann Niesen. Wird hier die Rede des Eryximachos karrikiert? Übrigens hängt an diesem Schluckauf ein Rattenschwanz: die Frage der Lächerlichkeit (189b-c, 193d) und des Rechenschaft Gebens (189c), es schweißt zudem die Reden von Pausanias und Eryximachos aneinander.


    Übrigens finde ich diese Übersetzung besser als die von Schleiermacher, 185c:

    Zitat

    Als nun Pausanias pausierte - denn die Sophisten lehrten mich, Alliterationen zu verwenden -...


    Diese Übersetzung ist VIEL besser, da der Schluckauf des Aristophanes diesen Gleichklang ja verdirbt (Frage an die Griechisch-Experten: kommt dieser "Gag" mit Pausanias' Namen im Griechischen auch so deutlich heraus?). Deutet dieser "Gleichklang" auch auf einen Gleichklang der Reden von Pausanias und Phaidros? Eryximachos schließt sich ja diesen beiden Reden an und will Pausanias' Rede beenden (185e). Tatsächlich ist ja die Rede des Aristophanes davon ganz verschieden.


    Neben dem komischen Effekt scheint der Schluckauf die Aufgabe zu haben, eine bislang reibungslose Kommunikation zu stören, denn so hat man in der Antike den Schluckauf bewertet: als Störung eines Gleichgewichts.

  • Übrigens finde ich diese Übersetzung besser als die von Schleiermacher, 185c:


    Diese Übersetzung ist VIEL besser, da der Schluckauf des Aristophanes diesen Gleichklang ja verdirbt (Frage an die Griechisch-Experten: kommt dieser "Gag" mit Pausanias' Namen im Griechischen auch so deutlich heraus?). Deutet dieser "Gleichklang" auch auf einen Gleichklang der Reden von Pausanias und Phaidros? Eryximachos schließt sich ja diesen beiden Reden an und will Pausanias' Rede beenden (185e). Tatsächlich ist ja die Rede des Aristophanes davon ganz verschieden.


    Auf Griechisch lautet die Stelle: Παυσανίου δὲ παυσαμένου , διδάσκουσι γάρ με ἴσα λέγειν οὑτωσὶ οἱ σοφοί...


    Habe jetzt den Gleichkang hervorgehoben. Wie du siehst, ist die Ähnlichkeit sogar noch größer als im Deutschen. Wegen der Gen.abs. Konstruktion haben beide Formen sogar noch die gleiche Endung. pauesthai bedeutet übrigens aufhören, was natürlich noch besser passt als das deutsche "pausieren".


    In meiner Ausgabe wird im Kommentar zu dieser Stelle auch noch auf die Beliebtheit dieser Stilmittel bei den Sophisten hingewiesen, deren Einstellung zur Philosophie ja (auch in diesem Dialog) noch kritisieren wird. Die Rede von Pausanias wird also schon gleich ein bisschen in schlechtes Licht gerückt.


    Zitat


    Neben dem komischen Effekt scheint der Schluckauf die Aufgabe zu haben, eine bislang reibungslose Kommunikation zu stören, denn so hat man in der Antike den Schluckauf bewertet: als Störung eines Gleichgewichts.


    Und das steht natürlich auch in ironischer Verbindung zu dem was Eryximachos gleich sagen wird... :zwinker:


  • Auf Griechisch lautet die Stelle: Παυσανίου δὲ παυσαμένου , διδάσκουσι γάρ με ἴσα λέγειν οὑτωσὶ οἱ σοφοί...


    Danke!
    Wenn man nun die Schleiermacher-Übersetzung heranzieht, dann sagt diese gar nix aus:

    Zitat

    Als nun Pausanias ausgesagt hatte, denn so lehren mich die Kunstkenner die gleichen Töne suchen, ...


    Der eigentliche Witz dieses Satzes verschwindet vollständig, darüber hinaus versteht man kaum seinen Sinn.

  • Wäre es eurer Meinung nach falsch, die Aphrodite Pandemos "Begierde" und Aphrodite Urania "Liebe" zu nennen?


    Schön, dass Platon den Schluckauf des Aristophanes so verewigt. Aber darauf folgt eine sonderbare Rede des Arztes Eryximachos.


    Interessant finde ich:


    - seine Verwendung des medizinischen Wortschatzes
    (Liebe wird bei ihm "angebracht", pros-pherein, was im medizinischen Kontext auch Arznei verabreichen heißt - 187e)


    - die medizinische Vorstellung der Antike
    (Ziel ist es, das natürliche Gleichgewicht zu halten; mir kommt es dualistisch vor.
    Maßstäbe wie:


    kalt - warm [psychros - thermos]
    bitter - kalt [pikros - glykos]
    xeros - hygros [trocken - feucht]


    müssen in ein richtiges Verhältnis gebracht werden. [186e] Ein Zuviel wird entzogen, ein Zuwenig ergänzt.)


    - dass Eryximachos in allen Bereichen des Lebens die Gespaltenheit zwischen Pandemos und Urania zu sehen scheint


    - dass Eryximachos sogar so weit geht zu sagen, dass Musik und Wahrsagerei nur der Liebe dient.
    ("und so ist wiederum die Musik das Wissen von der Liebe im Bereich von Harmonie und Rhythmus." 187c)
    ("Weiterhin beziehen sich auch alle Opferhandlungen und das, worüber die Seherkunst wacht - das aber ist die Gemeinschaft zwischen Göttern und Menschen untereinander - auf nichts anderes als auf die Bewahrung und Heilung des Eros; denn jedes Versündigen an der Religion pflegt zu geschehen, wenn einer dem anständigen Eros nicht zu Willen ist" 188bf -
    Dieser letzte, von mir hervorgehobene Satz halte ich für den schönsten in diesem Abschnitt!)


    - dass Platon den Arzt offenbar karikiert, indem er diesen den Philosophen Heraklit missverstehen lässt (187a f)


    - und dass Eryximachos meint, die Muse Urania wäre die himmlische Muse (Pendant zu Aphrodite Urania), während die Polyhymnia die vulgäre sei (Pendant zu Pandemos). Die Musen, die in heutiger Vorstellung jeweils für einen bestimmten Bereich zuständig sind, waren damals noch nicht so rubriziert. Diese Vorstellung entstand erst in hellenistischer Zeit. Eryximachos zieht jene zwei Musen aufgrund ihrer Namen heran. Denn "Urania" bedeutet die "Himmlische" und bei "Polymnia" konnotiert man aufgrund der Vorsilbe "poly-" (viel) eine massenhafte Erscheinung.



    Oder habe ich vieles missverstanden?



    Gruß

  • Ich möchte mich Knabes Beitrag anschließen. - Da der Begriff der Liebe zu vielfältig ist, würde ich ihn der Aph.Urania nicht allein reservieren wollen. Warum sollte denn ein Begehren nicht auch eine Form der Liebe sein? Bei deinem Vorschlag gerieten sie aber zum Gegensatz.


    Ich würde noch ergänzen, dass die Lehre von kalt-warm usw., also jener durchgängigen Zweiteilung, wohl von Empedokles stammt, der alles Erscheinende aus einem Streit von Liebe (philotes) und Hass (neikos) hervorgehen lässt.


    Empedokles ist ja so etwas wie ein materialistischer Konkurrent zu Platon, denn beide interessiert das Verhältnis von Sein und Werden, wo E. eine Synthese von den Eleaten und Heraklit versucht, und genau so wird ja auch Platons Philosophie charakterisiert, allerdings sehr im Unterschied zu E. So wäre es nicht überraschend, wenn Platon hier seinen Spott ansetzt. Zumal ja auch die ganze Rede vom Niesen und Prusten des Aristophanes überlagert wird, das muss man sich hier wohl mitdenken.


    Eryximachos missversteht offenbar die Lehre vom Einen und Entzweiten, wenn er die Harmonie bespricht (187a-c), mir erscheint das (a) ein Hinweis auf die Aristophanes-Rede des Kugelmenschen, aber auch (b) auf die Diotima-Rede, wo sich das Begehren auf die Eine Schönheit bezieht. Eryximachos spricht von einer Art Pan-Erotik oder kosmologische Erotik, die sich ganz in den Bahnen von Empedokles bewegt: Kochkunst, Tonkunst, Dichtkunst, Heilkunst, Vorhersagekunst (198c-e).


    Inwieweit die "esoterische" Lehre des Platon zum Einen und unbestimmten Zwei schon zur Zeit des Symposions ausgebildet wurde, weiß ich nicht, daher halte ich mich mit Spekulationen hierüber zurück.


    Trotz allen Spotts auf Eryximachos würde ich zwei Resultate festhalten, an denen sich die Diskussion weiterspinnt: die Frage des Einen und Entzweiten und die Rolle des richtigen = mäßigen = sittlichen Eros darin.

  • Hallo Kaspar, danke für die Antwort und für die philosophiegeschichtlichen Erläuterungen!


    Empedokles geht also den materialistischen (oder naturwissenschaftlichen) Weg, während Platon in Richtung Idealismus geht? Aber wie ist die Synthese von Parmenides & Heraklit in Platons Idealismus erkennbar?


    Und eigentlich ist es auf dem ersten Blick sehr erstaunlich: Dass Empedokles und Platon eine Synthese von Parmenides und Heraklit versucht haben! Das sind doch gewissermaßen die größten Gegensätze, oder nicht? Parmenides mit seiner Lehre vom unbeweglichen, einen Sein auf der einen Seite, und Heraklit mit seinem "panta rhei" auf der anderen. Aber wahrscheinlich setze ich da an den falschen Stellen an. (Obwohl mir Empedokles darin doch plausibel vorkommt.
    Aber wie gesagt, mir ist noch nicht ganz klar, wie sich diese Synthese in Platons Philosophie ausdrückt. Wenn es dir nicht zur Last fallen sollte, bitte ich dich um eine kurze Erklärung... :redface: )


    Zur eleatischen Lehre, dass es letzten Endes keine Bewegung gebe, fällt mir nebenbei eine Anekdote über, ich glaube, Diogenes ein, der, nachdem er einen derartigen eleatischen Vortrag gehört hatte, diese Lehre widerlegt haben will, indem er vor den Augen des Philosophen einfach hin- und herging.


    Gruß

  • Ganz kurz und hurtig, da es hier ja nur um einen Nebenaspekt geht.


    Platon fasst die Ideen als Elemente des Seins auf. Damit sie sind Raum und Zeit enthoben und erfüllen das Vollkommenheitspostulat der Eleaten.


    Auf der anderen Seite (= 2.Teil des Gedichts von Parmenides) haben die Einzelfälle teil an ihren Ideen. Die Einzelinstanzen sind zwar dem stetigen Wechsel unterworfen - dem panta rhei Heraklits -, aber dadurch, dass sie an ihren Ideen teilhaben, sind sie auch Merkmale des Seins. Insofern sich die Ideen materialisieren, tauchen sie ein in die Welt des Werdens und Vergehens. Insofern sie Ideen sind, bleiben sie davon unberührt.


    Beispiel: das Dreieck als geometrische Figur steht außerhalb von Werden und Vergehen. Linien auf einer Schiefertafel, die ein Dreieck darstellen sollen, werden gezeichnet, aber auch wieder ausradiert. Sie "sind" nicht.

  • Zwar sagt Aristophanes zu Beginn seiner Rede (189d), dass er ganz anders als Eryximachos sprechen werde; aber [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2905.msg35057.html#msg35057]Kaspar sagte ja bereits[/url] vorher:



    Eryximachos missversteht offenbar die Lehre vom Einen und Entzweiten, wenn er die Harmonie bespricht (187a-c), mir erscheint das (a) ein Hinweis auf die Aristophanes-Rede des Kugelmenschen [...]




    Nach dem Komödiendichter Aristophanes, der schon in 189b sagt, dass er Angst davor habe, etwas Lächerliches zu sagen, waren die Menschen ursprünglich kugelförmig mit jeweils zwei Köpfen, vier Beinen, vier Armen, zwei Geschlechtsteilen usw. Die Kugelmenschen konnten Weiblich-Weiblich, Weiblich-Männlich oder Männlich-Männlich sein. Unsere Neigung basiert auf unsere ursprüngliche Natur: Wenn ich, als Männlicher, in alter Zeit ein Schnittstück eines männlich-männlichen Kugelmenschen gewesen sein sollte, so wäre ich heute homosexuell. Denn derjenige, für den ich Sehnsucht empfinde, ist das zweite Schnittstück (sym-bolon) des ursprünglichen Kugelmenschen. Und ich begehrte dann, mit ihm "eins zu werden. Der Grund dafür nämlich ist, dass dies unsere ursprüngliche Natur war und wir ein Ganzes waren; diesem Verlangen und Trachten nach dem Ganzen eignet der Name Liebe." (192e)


    Mit dem jeweils andern Schnittstück haben wir "philia, oikeitotes kai eros", d. i. "Freundschaft, Vertrautheit und Liebe". (192b) Aristophanes spricht offenbar nur vom Eros Urania: "das [Beste] aber besteht darin, einen Geliebten zu finden, der mit einem von Natur aus geistesverwandt ist." (193c) "Denn es glaubt doch wohl niemand, dass es der Geschlechtsverkehr ist, um dessentwillen der eine mit so großer Leidenschaft Freude darüber empfindet, mit dem anderen zusammen zu sein." (192c)


    Dieses Ziel erreichen wir, wenn wir dem Gott Eros möglichst viel opfern. Dann wird Eros uns den uns Zugehörigen entgegenführen. (So erscheint Eros für mich wie eine bestechliche Behörde...)


    Wird so die Seelenwanderung illustriert? In diesem lächerlichen Kostüm des Kugelmenschen? Aber in der deutschen Sprache sagen wir noch immer: "meine bessere Hälfte", als würden wir nach diesem Aristophanes'schen Mythos denken.





    Übrigens findet der im "Symposion" auftretende Aristophanes, dass homosexuelle Männer die männlichsten Menschen sind. Denn aus "Wagemut, Tapferkeit und Männlichkeit" schätzen sie das ihnen Ähnliche. Ganz im Gegenteil zu unserem heutigen Bild vom effeminierten Schwulen.

  • Neben der Sokrates/Diotima-Rede mag ich diese Rede am liebsten im ganzen Symposion. :smile: Denn wie es sich für einen Komödiendichter gehört ist dieser Mythos, den Aristophanes vorbringt, äußerst lustig. Alleine die Stelle "Zeus also und die anderen Götter ratschlagten, was sie ihnen tun sollten, und wussten nicht was" lässt mich immer wieder schmunzeln.


    Es handelt sich bei dieser Rede um einen der sogennanten platonischen Mythen, denen immer eine wichtige Funktion zukommt. In diesem Fall sehe ich den philosophischen Gehalt darin, dass er mit einigen Elementen der platonischen Philosophie spielt, ohne aber den Kern vorwegzunehmen. Die Liebe als Triebfeder für das Handeln und besonders der Aspekt, dass die Liebe das Verlangen nach etwas, nämlich der "Vervollkommnung", ist, verweist auf spätere Teile des Dialogs. Der Gedanke des Strebens nach Ganzheit, nach der "Eins", ist platonisch.


    Zitat

    Übrigens findet der im "Symposion" auftretende Aristophanes, dass homosexuelle Männer die männlichsten Menschen sind. Denn aus "Wagemut, Tapferkeit und Männlichkeit" schätzen sie das ihnen Ähnliche. Ganz im Gegenteil zu unserem heutigen Bild vom effeminierten Schwulen.


    Diese Stelle ist mMn ironisch gemeint. Man darf nicht vergessen, dass Aristophanes der oberste Spaßmacher von Athen ist. Für ich ist das ein ironischer Seitenhieb auf ebendiese effeminierten Schwulen.


  • Alleine die Stelle "Zeus also und die anderen Götter ratschlagten, was sie ihnen tun sollten, und wussten nicht was" lässt mich immer wieder schmunzeln.


    Eine Vernichtung des Menschengeschlechts kam nicht in Frage, weil Zeus und die anderen Götter ansonsten ohne Opfer darben müssten... :breitgrins:


    Ganz im Gegensatz zum jüdischen/christlichen Gott, der statt Speiseopfer Barmherzigkeit sehen möchte.


    Ihr merkt vielleicht, dass ich seit Jänner weniger Zeit zum Lesen habe, aber das wird hoffentlich außer der Geschwindigkeit nichts am Fortgang der Leserunde ändern! Die Eryximachos- (und Aristophanes-)Rede vom "Einen" und "Entzweiten" kam mir aber doch unter der Woche öfters in den Sinn, nämlich im Zusammenhang mit dem Sozialismus.




    Sollen wir schon zur Rede des Agathon (194e - 197e) weitergehen? Vieles von dem, was Agathon sagt, scheint mir etwas fragwürdig oder widersprüchlich. Ich will einige Punkte aufzählen:


    1.) Agathon sagt: Eros ist schön, ewigjung (der jüngste aller Götter - Phaidros sagte in seiner Rede, Eros sei der älteste), Eros ist zart, gerecht, besonnen und tapfer. Vor allem die Begründung der letzten zwei Attribute scheint mir ein Trugschluss zu sein (196c f).


    "Und sogar, was die Tapferkeit angeht: dem Eros widersteht nicht einmal Ares; denn nicht ergreift Ares den Eros, sondern Eros den Ares - (die Liebe) zu Aphrodite, wie man erzählt -; stärker aber ist der, der ergreift, als der, der ergriffen wird. Wer aber den Tapfersten der anderen beherrscht, ist wohl der Tapferste von allen.


    Ist das nicht ein fragwürdiger Schluss? Bei der "Beherrschung" spielt vielleicht Tapferkeit keine Rolle. Die Anwendung eines solchen Schlusses auf andere Dinge macht es vielleicht deutlicher: Wenn ich über den dicksten Menschen Kontrolle habe, bin ich nicht notwendig dicker als er. Oder irre ich mich?


    2.) 196c: "denn jeder dient dem Eros in jeder Hinsicht aus freien Stücken -; was aber jeweils einer freiwillig einem Freiwilligen zugesteht, sei gerecht, sagen die Gesetze." - Aber liebt man denn aus freiem Willen? Sucht man sich aus, wenn man mit dem Eros liebt?


    3.) In 196b meint Agathon, dass Eros mit Gewalt nichts am Hut habe. [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2905.msg34661.html#msg34661]Nach Phaidros[/url] aber kann die Liebe durchaus eine kriegerische Dimension haben (das Heer der Liebenden).


    4.) 195c: Bevor Eros war, herrschte unter den Göttern die Ananke (Zwang, Notwendigkeit; also fatum?). Deswegen hat es früher unter den Göttern viele Gewalttaten gegeben, weil damals Eros, der jüngste Gott, nicht unter ihnen gewesen ist.
    Das sehe ich nicht als Widerlegung von Eryximachos' (und Empedokles') These vom Eros, dem Einenden, als Urkraft; denn als zweite Urkraft wurde doch der "Hass", also das Gegenteil oder die Abwesenheit des Eros konstatiert, diejenige Urkraft, die entzweit. Es kann also auch trotz Anwesenheit des Eros Gewalttaten gegeben haben. Und Agathon kann nicht leugnen, dass es unter Menschen keine Verstümmelungen und Fesselungen gibt; und trotzdem räumt doch Agathon ein, dass der Eros auch unter Menschen weilt.


    Es gäbe noch mehr zu sagen, aber für's erste reicht's vielleicht. :)


    Gruß

  • Mit dem Ende der Rede des Agathon wendet sich alles um; denn nun wird dialogisiert.
    Sokrates spricht mit Agathon. Er lobt Agathons Rede, denn sie war voll von schönen Worten.


    Besonders stark finde ich die Stelle 200e - 201b. Alles vorher Gesagte scheint sukzessive zunichte gemacht zu werden, und das in sehr simplen Worten. Das Schwulstige der Vorredner schwindet.


    Eros ist das Verlangen nach dem, woran er einen Mangel hat. (Und das Verlangen nach dem Verbleib des Guten, wenn man's bereits hat.)


    Weil Eros, wie Agathon sagte, unter den Göttern Schönheit und Ordnung gebracht hat, ist Eros folglich das Verlangen nach Schönheit.


    "Also ist Eros der Schönheit bedürftig und besitzt sie nicht? (habe Sokrates gefragt) - Notwendig, habe Agathon geantwortet." (201b)


    Und mit dieser Antwort widerlegt Agathon eigentlich fast alles, was er sprach:
    Tatsächlich sagt Agathon wenig später: "Ich scheine, Sokrates, überhaupt nichts von dem zu verstehen, was ich vorhin behauptet habe."


    Aber wenigstens hat er, so Sokrates, "wirklich schön gesprochen." Aber eben nicht viel mehr als das. Was Agathon sprach, hatte wenig mit Philosophie oder Wahrheit zu tun als mit sophistischer Rhetorik und Schein.



    Ist die Konsequenz, die ich daraus ziehe, richtig?


    Eros ist eigentlich ein armseliger Gott, denn er ist gar nicht schön. Er ist der Mangel an Schönheit.
    Der Erastes (der Liebende) ist unvollkommen, er ist nur deswegen liebend, weil ihm etwas fehlt, der Erastes ist also schwach, sehr schwach.


    Gruß

  • Kardinal Ratzingers zitiert eine christliche Interpretation einer Passage aus der Rede des Aristophanes:



    "In der Aristophanes-Rede des Symposion heißt es, daß die Liebenden nicht wissen, was sie eigentlich voneinander verlangen. Vielmehr sei es offenbar, daß ihrer beider Seele nach etwas anderem als dem Liebesgenuß dürste. Dies andere aber vermag die Seele nicht auszusprechen; 'sie ahnt nur, was sie eigentlich will und spricht sich selber in Rätseln davon'.


    Im 14. Jahrhundert findet man bei dem byzantinischen Theologen Nikolaus Kabasilas - in seinem Buch über das Leben in Christus - diese Erfahrung Platons wieder, bei der das Ziel der Sehnsucht noch namenlos bleibt. Nun ist sie christlich verwandelt, wenn er sagt: 'Menschen, die ein so mächtiges Sehnen in sich haben, daß es ihre Natur übersteigt und sie mehr begehren und vermögen, als zu erstreben dem Menschen zukommt, solche Menschen hat der Bräutigam selbst verwundet; deren Augen hat er selber einen Strahl seiner Schönheit gesandt. Die Größe der Wunde verrät ja den Pfeil, und das Sehnen deutet hin auf den, der den Pfeil geschossen hat.'"


    (Und mehr über das Thema Schönheit und Wahrheit - aus http://www.domus-ecclesiae.de/…osephus-ratzinger.04.html )