Dezember 2008 - Platons Gastmahl


  • Von meiner Seite aus können wir weitermachen, [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2905.msg34552.html#msg34552]Punkt 3+4 von Telemachos[/url] wurden soweit interpretiert, es sei denn, Telemachos hat noch etwas einzuwenden.


    Nein, ich habe gar nichts dagegen, meine Punkte waren ja eher als Anregungen gedacht und nicht als strikte Agenda. Die Anspielung auf die Sophisten(natürlich nicht Sokratiker, wie ich in einem Zustand geistiger Umnachtung schrieb :zwinker:) bedarf glaube ich keiner näheren Beleuchtung.


    Ein großes Kompliment möchte ich dir, Kaspar, an dieser Stelle für deine gelungen Beiträge aussprechen. Du beschäftigst dich wirklich extrem genau mit dem Text und lieferst sehr interessante Thesen und Hintergrundinformationen, von denen ich glaube zu profitieren.


    Auch dein letzter Beitrag scheint mir wieder den wichtigsten Punkt dieses Abschnittes zu treffen. Da beliebt mir noch sagen: "Weiter geht's" und ungleich prosaischer meine Belustigung über den Abschnitt 176a-176c kundzutun. :breitgrins:

  • Hallo Kaspar und Telemachos



    Kaspar, ich merke, du fügst immer neue Überschriften in die Beiträge ein, was den ganzen Ordner viel übersichtlicher macht!


    Aber es leitet zum Thema des Rausches über (176d): der Rausch sei also den Menschen nachteilig, sagt Eryximachos. Das kontrastiert sehr mit der berauschten (enthusiastischen) Rede der Diotima. Es erinnert mich auch an die Struktur des Dialogs Phaidros: da wird zu Anfang die Liebe abgewehrt mit dem Argument, sie treibe zum Wahnsinn und Rausch, was jedoch S. später im Dialog umkehrt und den Wahnsinn / Rausch / Ekstase der Liebe preist (vgl. die Interpretation von J. Pieper vom "göttlichen Wahnsinn" im Phaidros).


    Ich würde das auch gerne wieder zurückbiegen auf das Thema des Wissens als Traum, den S. zu Anfang verkündet (175e), denn beide Formen erscheinen uns irrational (Traum, Rausch); sie erinnern an Kultisches, während der Verstand in Person des Eryximachos erklärt, Berauschtsein sei dem Menschen schädlich. Es geht also mit dem Trinken um nichts weniger als um den rechten Zugang zur "Wahrheit". Ich habe den Eindruck, hiermit entfernt sich Platon vom "wahren" Sokrates.


    Du meinst, Plato entferne sich mit dem unvernünftigen Traum & Rausch vom historischen Sokrates? Aber hat Platon im "Ion", einem Frühwerk - und es heißt ja, dass Platons Frühwerk den historischen Sokrates wahrscheinlich wahrhaftiger porträtiere - hat Platon also im "Ion" Sokrates nicht Ähnliches sagen lassen? Dass die Rhapsodie eigentlich eine göttliche Eingebung sei, die auch rauschhaft vonstatten geht, und lobt Sokrates diese Gabe nicht in höchsten Zügen?


    Du machst mich auf "Phaidros" sehr neugierig. Den will ich nun auch lesen. Zuerst aber das Symposion, und es ist, Kaspar, sehr gut, dass du schon auf Alkibiades und Diotima Bezug nimmst; so weiß ich, worauf zu achten ist! Viele der hier bereits begonnenen Gesprächsfäden scheinen sich ja auch erst im Laufe des Dialogs zu klären. Da ist es gut, das jetzt noch Unklare aufzuzeigen, dass wir's nicht vergessen.


    Gruß





    Ach so, noch etwas!
    1.) Was heißt "phänomenologisch"?
    Ich habe in den letzten Monaten zwar mehrere Definitionen gelesen, aber nie so ganz begriffen, was es denn heißt. :
    Ist es das, was Gontscharow "nebenan" (http://www.klassikerforum.de/i…51.msg34570.html#msg34570) von Pessoa zitiert:



    Das Fragment 458 , in dem Bernardo seine Art des Sehens und Anschauens darlegt, ähnlich wie Rilkes Konzeption des "reinen Schauens", das er in den Dinggedichten und im " Malte Laurids Brigge"( " Ich lerne sehen") entwickelt :" ... sie (die Dinge) mit dem Ausdruck zu erleben, den sie abgetrennt von dem ihnen auferlegten Ausdruck besitzen. Im Fischweib die menschliche Wirklichkeit erkennen, unabhängig davon, dass man sie Fischweib nennt und weiß, es gibt sie, und sie ist Händlerin. Den Polizisten sehen, wie Gott ihn sieht. Alles zum ersten Mal wahrnehmen..."


    2.) Ja ja, ich mag zu lästig sein, aber, Kaspar, könntest du Nietzsches "musiktreibenden Sokrates" bitte näher erläutern?


    :redface: :redface: Es tut mir Leid, dass ich mit meinen Fragen diesen Ordner etwas in die Uferlosigkeit treibe!

  • 1.) Was heißt "phänomenologisch"?


    Oh, das solltest du nicht auf die Goldwaage legen, so tiefsinnig wollte ich das nicht ansetzen^^. Die Phänomenologie als philosophische Disziplin ist ja von Edmund Husserl begründet worden, und dort verwendet man das Wort in der Bedeutung von "Wesensschau", als Beschreibung von wesentlichen Eigenschaften eines Phänomens. Ich wollte also damit ausdrücken, dass ich ein paar Highlights der antiken Trinkkultur anreiße und weniger eine Erklärung. Was ich ja nicht durchgehalten habe.


    Zitat

    Ja ja, ich mag zu lästig sein, aber, Kaspar, könntest du Nietzsches "musiktreibenden Sokrates" bitte näher erläutern?


    Nein, das ist nicht lästig, sondern das trifft ja den Kern dessen, worum es in dieser Passage geht.


    Im Phaidon erzählt Sokrates, dass er begonnen habe, Musik zu treiben (60e), erst kurz vor seinem Tod. Nietzsche in seiner Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik nimmt das auf und sieht eine dionysische Tendenz des alten Sokrates, mit der er gegen seine sonst durchgehaltene Rationalität ("apollinisch") ankämpft. Hier der Auszug:

    Zitat

    Jener despotische Logiker (also Sokrates) hatte nämlich hier und da der Kunst gegenüber das Gefühl einer Lücke, einer Leere, eines halben Vorwurfs, einer vielleicht versäumten Pflicht. Öfters kam ihm, wie er im Gefängnis seinen Freunden erzählt, ein und dieselbe Traumerscheinung, die immer dasselbe sagte: »Sokrates, treibe Musik!« Er beruhigt sich bis zu seinen letzten Tagen mit der Meinung, sein Philosophieren sei die höchste Musenkunst, und glaubt nicht recht, daß eine Gottheit ihn an jene »gemeine, populäre Musik« erinnern werde. Endlich im Gefängnis versteht er sich, um sein Gewissen gänzlich zu entlasten, auch dazu, jene von ihm gering geachtete Musik zu treiben. Und in dieser Gesinnung dichtet er ein Proömium auf Apollo und bringt einige äsopische Fabeln in Verse.


    Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht sehr viel vom Ion weiß :redface: Sokrates soll Homer gelobt haben? Ist das dort nicht ironisch gemeint? Du regst mich an aber an, im hurtigen Lauf den Ion durchzulesen. Da sehe ich z.B. folgende Stelle:

    Zitat

    SOKRATES: Ich wollte wohl du sprächest wahr, Ion! Aber weise seid ihr wohl eigentlich, ihr Rhapsoden und Schauspieler, und die deren Gedichte ihr singt; ich aber rede eben nur die Wahrheit, wie es sich für einen ungelehrten Menschen schickt.


    Das trieft nun wirklich vor Hohn! Interessanterweise wird sich eine ähnliche Rede im Symp. 198d zeigen.


    Es ist richtig, S. sieht das Rhapsodentum als "gottbegeistert", aber würde er sich selbst in diese Linie stellen? Wenn nun Nietzsche darauf abzielt, dass Sokrates erst im Alter den Rausch entdeckt, dann stimmt das zumindest wegen des Phaidros nicht, und evtl. auch wegen des Ion, obwohl ich über dessen Aussage, was Sokrates selbst betrifft, nicht sicher bin. Allerdings hören wir in Symp. 176c - auch später wieder in Symp. 214a aus dem Mund des Alkibiades -, dass S. zwar viel säuft, aber niemals berauscht wird.


    Ich glaube, das ist ein schwieriges Thema, das ich nicht zufriedenstellend zu lösen vermag. Ich denke bei diesen Sachen wie dem "Rausch" immer an jene Stelle des Phaidon, wo S. vom 1.- und 2.-besten Weg (oder "Fahrt") spricht, wo es übrigens auch - und wohl nicht aus Zufall - um das Sonnenlicht geht (Phaid. 99e ff):

    Zitat

    Es bedünkte mich nämlich nach diesem, da ich aufgegeben, die Dinge zu betrachten, ich müsse mich hüten, daß mir nicht begegne, was denen begegnet, welche die Sonnenfinsternis betrachten und anschauen: Viele nämlich verderben sich die Augen, wenn sie nicht im Wasser oder sonst worin nur das Bild der Sonne anschauen. So etwas merkte ich auch und befürchtete, ich möchte ganz und gar an der Seele geblendet werden, wenn ich mit den Augen nach den Gegenständen sähe und mit jedem Sinne versuchte, sie zu treffen. Sondern mich dünkt, ich müsse zu den Gedanken meine Zuflucht nehmen und in diesen das wahre Wesen der Dinge anschauen. Doch vielleicht ähnelt das Bild auf gewisse Weise nicht so, wie ich es aufgestellt habe. Denn das möchte ich gar nicht zugeben, daß, wer das Seiende in Gedanken betrachtet, es mehr in Bildern betrachte, als wer es in den Dingen betrachtet. Also dahin wendete ich mich, und indem ich jedesmal den Gedanken zum Grunde lege, den ich für den stärksten halte, so setze ich, was mir mit diesem übereinzustimmen scheint, als wahr, es mag nun von Ursachen die Rede sein oder von was nur sonst; was aber nicht, setze ich als nicht wahr.


    Es gibt also 2 Wege, zur "Wahrheit" zu gelangen: den, in die Sonne zu schauen ("Rausch") und sich evtl. die Augen zu verderben, und den Weg der Dialektik, des besseren Arguments. Letztlich wird S. diesen letzten Weg beschreiten. Will man jedoch direkt zu den Ideen des Schönen und Guten usw. aufsteigen, wird es wohl ohne Enthusiasmus (=Gottbegeisterung und damit Ausschaltung der Vernunft) nicht gehen. Aber ich bin mir da, wie gesagt, nicht ganz sicher, inwieweit der historische Sokrates durch platonisches Gedankengut verändert wird.

  • Ich gehe mal weiter im Text vor bis zur 1.Rede. Wie Knabe schon schrieb, ist es etwas untertrieben zu behaupten, auf Eros sei kein Loblied verfasst worden. Dann ein Seitenhieb auf sophistische Vielwisserei (Nutzen des Salzes), wobei man die wesentlichen Dinge vergisst.


    Vielleicht ist das folgende etwas überinterpretiert, könnte aber schon ein subtiler Hinweis auf spätere Argumente enthalten (177d):

    Zitat

    Ich denke nämlich, es muß nach der rechten Hand in der Reihe herum ein jeder von uns eine Lobrede auf den Eros halten, so schön er nur kann.


    Eros hat ja mit der Schönheit zu tun, eine Eloge auch. Nüchtern sollen die Leute sein, das haben wir erfahren, und nach der rechten Ordnung (rechtsherum) den Eros preisen. Es wird also eine rechte Ordnung der schönen Rede verlangt, so der verkürzte Sinn des Satzes. Sokrates, das wissen wir ja alle, vertritt die Position der Vernunft. Doch nun folgt eine überraschende Enthüllung des Sokrates auf den Fuß dieser Anweisung zur Geschäftsordnung:

    Zitat

    ...der ich zugebe, auf nichts anderes als auf die Liebesangelegenheiten mich zu verstehen


    Kennt man nicht Sokrates als "Vernünftler", als Dialektiker? Und plötzlich stellt er sich als alten Erotiker vor. Sokrates als Lustgreis? (Erinnert mich an die berüchtigte Fehlinterpretation der Schrift Socrates sanctus paederasta von J.M. Gesner durch Voltaire, die in Akademikerkreisen des 18.Jh. zu Heiterkeit geführt hat. :smile:)
    Sokrates stellt sich auch im Dialog Theages als Erotiker vor (128b):

    Zitat

    Ich möchte es freilich wohl, aber ich sage ja das auch selbst immer, daß ich, mit einem Wort zu sagen, nichts verstehe außer nur eine kleine Kunst, die Liebeskunst. In dieser Kunst glaube ich stärker zu sein als irgend einer sowohl von den ehemaligen als den jetzigen.


    Ähnlich im Menon 76c. Oder im Lysis 204c: "Übrigens wohl mag ich schlecht sein und wenig nutz; dieses aber ist mir so von Gott verliehen, daß ich gleich erkennen kann Liebende sowohl als Geliebte." Offenbar kommen in Sokrates zwei Charakterzüge zusammen: der Vernunft und der Erotik. Mehr nicht darüber an dieser Stelle.


    Auch wieder "phänomenologisch" die Sitzordnung des Gastmahls, von links nach rechts:
    [pre]Phaidros/? =>
    x unbekannte Pers. =>
    Pausanias/? =>
    Aristophanes/? =>
    Eryximachos/Aristodemos =>
    Agathon/Sokrates[/pre]
    Das "/" soll anzeigen, wer mit wem auf einem triclinium liegt. Später quetscht sich noch Alkibiades zwischen Agathon und Sokrates.


    Und noch eine Zusatzinfo, die nicht auf meinem Mist gewachsen ist: die päderastischen Liebschaften innerhalb dieser Gruppe! Nein, es geht nicht um Tratsch und Klatsch, sondern vielleicht um einen Zugang zur Interpretation.


    - Pausanias (Erastes) und Agathon (Eromenos):
    "Auf den nächsten Polstern um ihn her saßen Pausanias der Kerameer, und neben ihm ein noch kaum halb erwachsener Jüngling schöner und edler Natur, wie ich glaube, von Gestalt aber gewiß sehr schön, mich dünkt gehört zu haben, daß man ihn Agathon nannte, und es sollte mich nicht wundern, wenn er der Liebling des Pausanias wäre." (Prot 315c) Vlg. auch Athen. 5.216, Xen.Symp. 4, ganz deutlich: Symp 193b.


    - Eryximachos (Erastes) und Phaidros (Eromenos):
    "...Wenn jemand zu deinem Freund Eryximachos käme..." (Phaidr. 268a). Sie tauchen oft gemeinsam auf: Prot. 315c ("Um ihn herum saßen auf Bänken: Eryximachos der Sohn des Akumenos, und Phaidros der Myrrhinusier,"), Symp.177a


    - Alkibiades und Sokrates:
    "Woher erscheinst du uns, Sokrates? Oder versteht es sich von der Jagd auf des Alkibiades Schönheit?" (Prot. 309a)


    - Aristophanes: kein Liebesverhältnis, war "hetero"

  • Der musiktreibende Sokrates ist mir neu! Danke für die (und für viele andere) Informationen!


    Da du, Kaspar, die verschiedenen Liebschaften aufdeckst, frage ich mich, wie Platon eigentlich die Personen auswählte. Bisher hatte ich den Eindruck, dass Sokrates der einzige Wichtige sei, dass alle anderen Personen beliebig austauschbar seien. Außer, wie erwähnt, bei der Apollodoros'schen Missstimmung über die Philosophie, da dachte ich, es könne eine Art "Insider" über Apollodoros sein.


    (Obwohl - so unsinnig sind die Informationen nun doch wieder nicht. Eryximachos [Erastes] bezieht sich ja auf Phaidros [Eromenos] und fordert von diesem die erste Rede. Die verschiedenen Reden werden dann möglicherweise andere Einblicke gewähren... noch kann ich's nicht beurteilen!)


    Sokrates als Lustgreis? Ja, die Stelle erschien mir als eine rätselhafte Antizipation, die sich mögl. auf Diotimas Erläuterungen beziehen. Bisher also kann ich nicht viel darüber sagen.


    Gruß


    (P.S. Zur [Husserl'schen] Phänomenologie: Gerade diese "Wesenschau" war mir nie ganz einleuchtend, aber das sollte ich vielleicht an anderer Stelle herausfinden...)
    (P. P. S. Zu "Ion": Hrm, da schweige ich an dieser Stelle lieber... meine Meinungen darüber vielleicht in einer anderen Leserunde ["Platons Frühwerk"] :breitgrins: )

  • Das Lesen scheint ins Stocken geraten zu sein - wo das Gastmahl doch gerade erst anfängt :eis:


    Nun also zur 1. Rede, die des Phaidros 178a-180c


    Als erstes wird die Herkunft des Eros erwähnt: er gehört zu den ältesten Göttern.


    Dann wird auf die Größe und Bewunderungswürdigkeit des Eros angespielt. Dies wird anhand der Beziehung von Erastes und Eromenos verdeutlicht: das größte Gut, das Eros umfasst ist:
    (a) die Scham vor dem Schändlichen
    (b) das Bestreben nach dem Schönen


    (a) hat eine politische Bedeutung: vor dem Geliebten schämt sich ein Liebender am meisten, wenn er Schändliches tut (178d-e), dito der Geliebte


    (a) hat auch eine militärische Bedeutung: Ein Heer aus Liebenden. Ursprünglich habe ich über eine solche Vorstellung gelacht, so à la schwule Bundeswehr. Tatsächlich gab es aber in Griechenland solche Bestrebungen, so vor allem die Heilige Schar von Theben:

    Zitat

    Die "heilige Schar" bildete, so heißt es, zuerst Gorgidas aus dreihundert auserlesenen Männern, die auf der Kadmeia lagerten und von der Stadt Ausrüstung und Verpflegung erhielten. Daher hießen sie die Schar von der Burg (Polis); denn für Akropolis sagte man damals gewöhnlich einfach Polis. Einige sagen, daß diese Schar aus Liebhabern und Geliebten bestanden habe, und es wird ein Scherzwort des Pammenes überliefert: er sagte, der Nestor Homers sei kein guter Taktiker mit seiner Weisung, die Griechen sollten sich nach Stämmen und Geschlechtern ordnen, besser solle man den Liebhaber neben den Geliebten stellen. Denn Stammes- und Geschlechtsgenossen fragten nicht viel nacheinander in der äußersten Not, eine in Liebesfreundschaft zusammengeschlossene Schar aber sei unauflöslich und unzerreißbar, wenn die einen aus Liebe zu ihren Geliebten, die anderen aus Scham vor ihren Liebhabern, einer für den andern in der Gefahr ausharrten. Und das ist nicht erstaunlich, da sie ja auch bei Abwesenheit voreinander mehr Scham empfinden als vor anderen, die anwesend sind, wie jener Mann, der, niedergeworfen, den Feind, der im Begriff war, ihn zu töten, anflehte, ihm das Schwert durch die Brust zu stoßen, "damit", so sagte er, "mein Geliebter sich nicht schämen muß, wenn er mich mit der Todeswunde im Rücken liegen sieht". [...]
    Diese heilige Schar hatte Gorgidas auf die ersten Glieder verteilt und innerhalb der ganzen schwerbewaffneten Phalanx in die vorderste Reihe gestellt, womit er die besondere Tapferkeit der Männer nicht zur rechten Geltung kommen ließ und ihre Kraft nicht zu einer gemeinsamen Tat vereinte, da sie aufgelöst und unter die Masse der Minderwertigen aufgeteilt war: Nachdem. aber ihre Tapferkeit bei Tegyrai durch ihren glorreichen, heldenhaften Kampf ins rechte Licht gerückt worden war, verteilte Pelopidas sie nicht mehr, noch riß er sie auseinander, sondern verwendete sie als Einheit und setzte sie, bei den bedeutendsten Kämpfen am entscheidenden Punkte ein. Denn wie die Pferde im Gespann zu zweien schneller laufen, als wenn sie einzeln geritten werden, nicht weil sie durch den stärkeren Druck der größeren Menge die Luft leichter durchschneiden, sondern weil der Wetteifer miteinander und der Siegeswille den Mut befeuert, so glaubte er, daß die Tapferen, wenn einer dem andern den Wetteifer zu rühmlichen Taten einflößte, am brauchbarsten und am bereitwilligsten zu gemeinsamer Leistung sein würden."


    (Plut.Pelop.18-19)


    Eine Anekdote von Plutarch verdeutlicht die Funktion der Scham:

    Zitat

    Ein anderer war in der Schlacht gestürzt, das Gesicht zur Erde, und der Gegner war im Begriff, ihm den Todesstoß zu geben; da bat er ihn, ein wenig zu warten, damit sein Geliebter ihn nicht mit einer Wunde im Rücken sähe.

    (Plut.Erot. §17)


    Die Funktion der Scham hatte also tatsächlich politische bzw militärische Kraft.


  • (a) hat auch eine militärische Bedeutung: Ein Heer aus Liebenden. Ursprünglich habe ich über eine solche Vorstellung gelacht, so à la schwule Bundeswehr. Tatsächlich gab es aber in Griechenland solche Bestrebungen, so vor allem die Heilige Schar von Theben:


    Ja, aber laut Reclam-Kommentar erst im Jahr 380 v. Chr., also kurz nach der Entstehung des Platon'schen "Symposion" und Jahrzehnte nach der Rede des Phaidros.


    Der bisher schönste Satz in meinen Augen: "denn etwas Göttlicheres ist der Liebende als der Geliebte" (180b). Es ist offenbar ehrenwerter und edler, zu lieben, als geliebt zu werden.


    Ja, Kaspar, in den letzten zwei oder drei Tagen war ich häufiger abgelenkt. Es sollte aber ab morgen wieder rascher vorangehen.


    Gruß

  • Die Rede des Pausanias (180c – 185c), also die zweite Rede, wirft nun ganz neue Aspekte ein.


    Ich denke, dass die Rede zu lang ist, um sie hier in einem Beitrag abzutun. Ich will vorsichtig sein und zunächst nur bis 181c gehen.


    Erstens finde ich im Übergang 180c eine erneute Äußerung über die mündliche Überlieferung des Symposions merkwürdig:

    Zitat

    Phaidros habe etwa eine derartige Rede gehalten, sagte Aristodemos. Nach Phaidros hätte es noch einige weitere (Reden) gegeben, an die er sich aber nicht genau erinnere. Diese überging er […]


    Merkwürdig, weil solche Informationen sehr nebensächlich scheinen, sodass man sich als Leser vielleicht fragt: Wozu erwähnt er das?


    Zweitens war für mich eine Verdopplung des Eros und der Aphrodite überraschend (180c ff). Die Existenz Eros’ sei nach Pausanias an die Existenz der Aphrodite gekoppelt; da es aber zwei Aphrodite gebe, nämlich eine himmlische (Urania) und eine gewöhnliche (Pandemos), gebe es auch zwei Eros (Erotes?). Man müsse sich erst festlegen, über welchen Eros man reden möchte.


    In 181a meint Pausanias, dass jede Handlung weder schön noch hässlich sei. Nur die Art der Handlung lege ihre Qualität fest. „Auch nicht jeder Eros ist schön und würdig, gepriesen zu werden, sondern (nur) der, der dazu anleitet, in schöner Weise zu lieben.“


    Nach 181b ist der Eros der gewöhnlichen Aphrodite (Pandemos) offenbar nicht würdig, gepriesen zu werden, da er vulgär sei. So bevorzugen diejenigen, die nach dem vulgären Eros lieben: Frauen, Körper und Unvernünftigkeit, anstatt Knaben, Seelen und Vernunft.

  • Ich will noch mal kurz bei Phaidros' Rede stehen bleiben. Auch wenn die Rede kurz und nicht so komplex wie die anderen ist, finde ich zwei Sachen noch interessant:
    1. Die mythologischen Beispiele zur Bekräftigung der Argumente. Ich hatte das Gefühl, dass Phaidros sich das ganze so ein bisschen zurechtbiegt, ohne dass jeder Verweis so schlüssig ist.
    2. Der Geliebte sei besonders ehrenwert, wenn er auch dem Liebenden zugetan sei, denn der ist ja sowieso vom Gott besselt.

  • Hallo Telemachos!


    2. Der Geliebte sei besonders ehrenwert, wenn er auch dem Liebenden zugetan sei, denn der ist ja sowieso vom Gott besselt.


    Mir erscheint das wie ein Analogon zur Kübeltheorie (175e), die Sokrates ja als falsch abgetan hat.


    Wieso erscheinen dir die von Phaidros herangezogenen Mythen nicht in sich schlüssig? Darf ich die Beispielsmythen der Übersicht halber für mich zusammenfassen?


    a) Alkestis ist bereit, für ihren Gatten zu sterben. Diese Tat beeindruckt die Götter so sehr, dass sie sie wieder aus dem Hades entlassen. (179c f)
    b) Orpheus will nicht aus Liebe in den Tod, sondern ist listig darauf bedacht, lebend in den Hades zu gelangen, was die Götter missbilligen. (179d)
    c) Achill wird auf die Inseln der Seligen geschickt, weil er selber mit der Entscheidung, seinen Liebhaber Patroklos zu rächen, freiwillig in den Tod geht. (179e f)


    Phaidros zeigt damit anhand von Beispielen auf, dass die Götter die Tüchtigkeit im Zusammenhang mit der Liebe bewundern und belohnen.


    Gruß
    ein neugieriger Knabe

  • Gewissermaßen leicht "out of discussion" lasst mich rein informationsmäßig 2 Punkte in der Phaidros-Rede noch mal aufhellen.


    1. Der Mythos um Alkestis-Admetos:

    Zitat

    a. Alkestis, die schönste der Töchter des Pelias, wurde von vielen Königen und Prinzen zur Gemahlin begehrt. Pelias, der seine politische Stellung nicht durch Absagen verschlechtern wollte und doch nicht in der Lage war, mehr als einen zufriedenzustellen, verkündete, daß er Alkestis dem Manne zur Frau geben würde, der ein wildes Schwein und einen Löwen einjochen, vor seinen Wagen spannen und mit ihnen um den Rennplatz fahren könnte. Da rief Admetos, der König von Pherai, Apollon zu sich, der ihm auf Befehl des Zeus ein Jahr lang als Hirt diente, und fragte ihn: "Habe ich dir den Respekt, der dir, dem Gott zukommt, erwiesen?" "Dies hast du in der Tat", bestätigte Apollon, "und ich zeigte dir meine Dankbarkeit, indem ich alle deine Mutterschafe Zwillinge werfen ließ." "Als letzten Gefallen dann", bat Admetos, "hilf mir, die Bedingungen des Pelias zu erfüllen und Alkestis zu gewinnen." "Dies werde ich gern tun", erwiderte Apollon. Herakles half ihm, die wilden Tiere zu zähmen. Sofort trieb Admetos seinen Wagen, gezogen von diesem wilden Gespann, um den Rennplatz zu Iolkos.
    b. Man weiß nicht, warum Admetos das Opfer an Artemis vor seiner Heirat mit Alkestis vernachlässigte; doch die Göttin strafte ihn schnell. Als er, vom Weine erhitzt, mit wohlriechenden ölen gesalbt und mit Blumen bekränzt, bei Nacht das Brautgemach betrat, schreckte er entsetzt zurück. Statt der lieblichen, nackten Braut erwartete ihn auf seinem Ehelager ein sich windender Haufen zischender Schlangen. Da entfloh der entsetzte Admetos und rief Apollon um Hilfe an. Dieser setzte sich für ihn bei Artemis ein. Das versäumte Opfer wurde dargebracht, und alles ging seinen Gang. Apollon erhielt von Artemis sogar das Versprechen, daß Admetos, wenn sein Tag käme, vom Tode verschont bleiben würde, sollte ein Mitglied seiner Familie aus Liebe zu ihm freiwillig sterben.
    c. Dieser schreckliche Tag kam früher, als Admetos erwartet hatte. Eines Tages flog Hermes zu seinem Palast und rief ihn zum Tartaros. Großer Kummer erfüllte alle; aber Apollon erwirkte noch eine Gnadenfrist für Admetos, indem er die drei Schicksalsgöttinnen trunken machte. So hielt er die tödlichen Scheren, die Admetos' Lebensfaden durchtrennen sollten, auf. Eilends lief Admetos zu seinen alten Eltern, umschlang ihre Knie und bat sie, ihm den Rest ihrer Tage zu schenken. Doch beide weigerten sich, da sie noch viel Freude vom Leben erwarteten, und rieten ihm, sich wie jeder andere mit der ihm zugewiesenen Lebenszeit zufriedenzugeben.
    d. Da nahm Alkestis aus Liebe zu Admetos Gift, und ihr Geist stieg hinab zum Tartaros. Aber Persephone betrachtete dies als einen üblen Betrug, denn eine Frau sollte nicht anstelle ihres Gatten sterben. "Zurück mit dir in die Oberwelt!" schrie sie erbost.

    (aus: Ranke-Graves, Griechische Mythologie, S.201f)


    2. Achilles’ Weissagung, die er von seinem Ross Xanthos hatte:

    Zitat

    Xanthos, warum mir den Tod weissagest du? Solches bedarf's nicht!
    Selber weiß ich es wohl, daß fern von Vater und Mutter
    Hier des Todes Verhängnis mich hinrafft. Aber auch so nicht
    Rast' ich, bevor ich die Troer genug im Kampfe getummelt!


    (Il.19.420)


    Wie gesagt, dies nur am Rande.

  • Und noch einmal kurz zur Phaidros-Rede, bitte entschuldigt meine paar Tage geistiger Abwesenheit.


    Knabe erwähnt den Satz: "denn etwas Göttlicheres ist der Liebende als der Geliebte" (180b), und den halte ich in der Tat für die Essenz dieser Rede.


    Ich interpretiere diese einzelnen Reden so, dass wir als Leser etwas daraus erfahren können und erfahren im Hinblick auf die Wahrheit des Eros. Daher sehe ich sie nicht als Geplänkel an oder als Potpourri zeitgenössischer Meinungen zur Erotik bzw. Päderastie, sondern als - noch fehlerhafte - Meinungen zum Thema, die jedoch schon Kerne der (bald beschriebenen) Wahrheit abgeben. Für die Rede des Phaidros würde ich nun 3 Punkte ansetzen:


    So sehe ich also die Resultate dieser Rede:
    - der Eros ist im Liebenden
    - der Eros geht auf die Schönheit
    - göttlicher ist der Erast, weil in ihm der Gott wohnt


    Das deutet - im Gegensatz zu unserer heutigen Auffassung von Liebe - auf eine asymmetrische Eros-Struktur hin: es gibt Liebende (Erasten) und Geliebte (Eromenos). Erst die Figur des Anteros, die m.W. im Symposium nicht erscheint, führt zu einer Auffassung von Gegenliebe. Was Phaidros dagegen hält, ist die Ehre des Liebenden, die Telemachos erwähnt.


    Telemachos:
    Ich schließe mich Knabes Frage an:

    Wieso erscheinen dir die von Phaidros herangezogenen Mythen nicht in sich schlüssig?


  • Erstens finde ich im Übergang 180c eine erneute Äußerung über die mündliche Überlieferung des Symposions merkwürdig:


    Merkwürdig, weil solche Informationen sehr nebensächlich scheinen, sodass man sich als Leser vielleicht fragt: Wozu erwähnt er das?


    Das habe ich mich auch schon gefragt. Es waren mehr Personen am Gastmahl beteiligt als die erwähnten Redner. Auch von einer Rede des Aristodemos hört man nichts. A. sagt, er könne sich nicht mehr an die anderen Reden erinnern. Das hebt natürlich die aufgezeichneten Reden aus dem "allgemeinen Brei" heraus. Die 5 Nicht-Sokrates-Reden haben also eine herausragende Bedeutung für die Wahrheit über den Eros, sie sind nicht einfach beliebige Meinungen, sondern ragen in ihrer Bedeutung heraus.


    Daher darf man sie keinesfalls beiseite schieben als Ornament, sondern sie haben ein eigenes Gewicht, das allerdings erst durch Sokrates ins richtige Licht gerückt wird.

  • Zu Alkestis - Admetos: Persephone betrachtet den Tod der Alkestis als Betrug und schickt sie erbost ins Leben zurück? Das klingt nicht so, als ob die Götter Alkestis' Tüchtigkeit in Bezug auf die Liebe belohnten.
    Vielleicht hatte Telemachos auch diese Passage im Kopf?!



    Was ich noch aus Phaidros' Rede lerne, ist, dass ich "Eros" nie mit "Liebe" gleich setzen sollte. Den Satz aus 180b, der besagt, dass der Liebende göttlicher sei als der Geliebte, könnte man schön christlich interpretieren.


    Gruß


  • Was ich noch aus Phaidros' Rede lerne, ist, dass ich "Eros" nie mit "Liebe" gleich setzen sollte. Den Satz aus 180b, der besagt, dass der Liebende göttlicher sei als der Geliebte, könnte man schön christlich interpretieren.


    Jetzt wird es aber interessant! Wie denn das? Dass etwa (der jüdisch/christliche) Gott uns liebt und daher diese Liebe göttlich ist? Oder in Form der Agape, die in der Tat mit Eros wenig zu tun hat?


    Ich interpretiere 180b ganz einfach: der, der liebt, hat den Eros (also den Gott) in sich, gerade eben deshalb, weil er liebt und weswegen er liebt.


    Was um alles in der Welt könnte er mehr tun als lieben?

  • Jetzt wird es aber interessant! Wie denn das? Dass etwa (der jüdisch/christliche) Gott uns liebt und daher diese Liebe göttlich ist?


    Du sagst es...


    Ich nahm Bezug auf die deutsche Formulierung. Sowohl "Eros" als auch "Agape" müssten ja mit "Liebe" übersetzt werden. Im christlichen Kontext wäre aber wohl Agape die richtige Auswahl (vgl. Paulus' Hohelied der Liebe in 1 Kor 13 oder 1 Joh 4,16: "Gott ist die Liebe"; auch hier kommt das Wort agape vor. Ich glaube, das Wort eros kommt im Neuen Testament nicht ein einziges Mal vor.)


  • Ich glaube, das Wort eros kommt im Neuen Testament nicht ein einziges Mal vor.


    Das kann ich mir lebhaft vorstellen, und das zeigt erneut die Schwierigkeit, ein Wort wie Eros zu übersetzen. Zweifellos trennt agape den körperlichen vom "seelischen" Aspekt der Liebe, Eros erfasst wohl die Ganzheit von Liebe und lässt niemals die körperliche Seite außen vor. Trotzdem würde ich Eros nicht mit unserem modernen Begriff "Sex" gleichsetzen, denn über die reine Geschlechtlichkeit hinaus umfasst Eros den Aspekt des Werbens, des Wertschätzens, der Freundschaft, der Verliebtheit. Das alles ist im Begriffsumfang von "Sex" nicht enthalten.


    Ich stelle mir vor, dass Hingabe eine mögliche Übersetzung von Eros wäre, darin käme auch die Asymmetrie des Erotischen zum Tragen: offenbar gibt es in Liebesdingen immer einen Liebenden und einen Geliebten (m wie w), und die romantische Vorstellung zweier sich Liebender ist eher Ideal denn Realität.

  • Ich möchte gerne weitermachen und den [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2905.msg34701.html#msg34701]Beitrag von Knabe[/url] aufgreifen. Also nach deinem Vorschlag bis 181c, was vor allem die Doppelung des Eros betrifft. Den Übergang mit den "weiteren Reden" hatten wir schon behandelt.


    Was ich in meinem letzten Beitrag angerissen hatte - den körperlichen und den "seelischen" Aspekt der "Liebe" - wird hier auf den Punkt gebracht: eine himmlische, nämlich schöne Art der Liebe, und eine gemeine, nämlich hässliche Art der Liebe. Wobei meine Unterscheidung körperlich/seelisch diese Unterscheidung ja gar nicht mal trifft - erst durch den unheilvollen Einfluss des Christentums kann es zu einer solchen Gleichsetzung kommen! Die Unterscheidung des Pausanias ist anders: pandemos ist die unedle, urania die edle Erscheinungsweise des Eros. Ich war also :redface: voreilig und widerspreche dieser Interpretation!


    Zunächst einmal möchte ich zurückrudern und auf die Manie der Zweiteilung im griechischen Pantheon kommen: Apollon wurde zweigeteilt, auch Dionysos (als Zerfleischer und als beseligender Weingott) und wohl auch viele andere Götter. (Im Janus wurde die Doppelgesichtigkeit direkt dargestellt, das war allerdings eine römische Erfindung.) Doppelgesichtige Gottheiten waren offenbar nichts Ungewöhnliches, kein Wunder bei der bunten griechischen Götterwelt, wo jede Region ihren eigenen Gott hatte. Also ist Doppelung nichts Ungewöhnliches.


    "Wir" (nämlich: wir heutzutage) sind oft geneigt, Körper/Seele (Seele bzw Geist) zu trennen und damit das Edle auf die Seele, das Gemeine auf den Körper zu projizieren. Doch muss eines befremden: die Aphrodisia, die Sachen der Aphrodite, die entsprechen eher dem, was wir heute unter "Sex" verstehen; Eros war für das gesamte Liebesgeschehen zuständig, das Seele und Körper umfasste. Offenbar ist edel/gemein anderer Art als seel./körp., denn auch Aphrodite wird zweigeteilt. Ich stelle das mal als Kreuztabelle dar, wobei ich verkürzt "geistig" schreibe, aber seelisch mitmeine (Systematiker bin i^^):
    [pre]
    |körperlich | geistig
    -------+------------+----------
    gemein | |
    -------+------------+----------
    edel | |
    [/pre]
    Es gibt also eine gemeine Weise der körperlichen Liebe wie auch eine edle Weise der körperlichen Liebe und so alle 4 möglichen Weisen der Liebe (nicht zu unterschlagen die unendlichen Zwischenstufen!).


    Zur Unterscheidung der beiden Aphrodites auch Xenophon in seinem Symposion:

    Zitat

    Ob es übrigens nur Eine Afrodite giebt, oder ob ihrer Zwey sind, die durch die Namen, Urania und Pandemos unterschieden werden, kann ich nicht sagen: das aber weiß ich daß jede ihre eigenen Tempel und Altäre hat, und daß der Pandemos geringere, Uranien hingegen reinere Opfer gebracht werden. Auch ließe sich vermuthen, Pandemos schicke uns die Liebe zu schönen Körpern, Uriana hingegen die Liebe für schöne Seelen, Freundschaft und edle Handlungen zu.

    (Xen.Symp.8)


    Und es ist m.M.n. wichtig, dass es nur die edle Art schafft, als schön zu gelten:

    Zitat

    Mit jeder Handlung nämlich verhält es sich so: an und für sich selbst ist sie zu verrichten weder schön noch häßlich. (180e)


    Und dann:

    Zitat

    Wie was wir jetzt tun, trinken, singen, sprechen, davon ist nichts an und für sich schön; sondern wie es in der Ausübung gerät, so wird es. Denn schön und recht gemacht wird es schön; unrecht aber wird es schlecht. So auch das Lieben und der Eros; nicht jeder ist schön und wert, verherrlicht zu werden, sondern nur der uns anreizt, schön zu lieben.


    Ist das nicht eine großartige Darstellung und liegt so weit über dem, was wir hier und da, ich führe das nicht weiter aus, lesen können? Wer könnte denn annehmen, Platon stelle nur etwas dar, was irgendwelche Leute dachten und nicht, was er selbst vertrat? Es gibt also Weisen der körperlichen Liebe, die edel sind: Das Edle ist vom Körperlichen nicht abgekoppelt. Und es gibt Weisen der unedlen geistigen Liebe!


    PS: Beim Durchlesen dieses Beitrags bin ich noch einmal stutzig geworden über meine Beziehung von edel (himmlisch) und schön, den ich 1:1 herstelle. Darüber möchte ich nochmal nachdenken! Ist wirklich nur Eros Urania ein Anwärter auf das Schöne? Hat Eros Pandemos daran nicht teil?


  • Zunächst einmal möchte ich zurückrudern und auf die Manie der Zweiteilung im griechischen Pantheon kommen: Apollon wurde zweigeteilt, auch Dionysos (als Zerfleischer und als beseligender Weingott) und wohl auch viele andere Götter. (Im Janus wurde die Doppelgesichtigkeit direkt dargestellt, das war allerdings eine römische Erfindung.) Doppelgesichtige Gottheiten waren offenbar nichts Ungewöhnliches, kein Wunder bei der bunten griechischen Götterwelt, wo jede Region ihren eigenen Gott hatte. Also ist Doppelung nichts Ungewöhnliches.


    In einem Platonischen Dialog:


    "Was gottgeliebt, ist gottverhasst"... Quelle versuche ich morgen zu finden.



    Zitat

    "Wir" (nämlich: wir heutzutage) sind oft geneigt, Körper/Seele (Seele bzw Geist) zu trennen und damit das Edle auf die Seele, das Gemeine auf den Körper zu projizieren.


    Und du siehst die Ursache im "unheilvollen Einfluss" des Christentums? Das Christentum gewährt die Sexualität, nur ist der Ort für deren Auslebung die Ehe... körperliche Liebe, wenn die geistige mit dabei ist, ist, wie ich die christliche Lehre verstehe, durchaus edel zu nennen.


    Gruß,
    soeben ein müder stumpfsinniger leicht berauschter Knabe. Morgen hoffentlich mehr