Oktober 2008 - Homer: Die Odyssee

  • @ Schweitzer: Vielen Dank für Deine Erläuterungen von gestern!


    Zum Thema Krieg: Ich schweige mal davon, dass ich als alter Kriegsdiensverweigerer... Aber auch wenn König Menelaos sich nicht einfach die Frau wegnehmen ließ - musste er zehn Jahre Krieg führen? Nach sechs Monaten hätte jeder gesagt, dass Menelaos es versucht hätte, aber dass Zeus seiner Tochter Aphrodite zuliebe eben die Troer begünstigt hätte oder etwas in dieser Richtung.


    Ich lege die "Odyssee" jetzt erst mal in die Ecke. Heute früh in der Unibib habe ich etwas gestöbert und lese jetzt erst mal Finley: "Die Welt des Odysseus". Eigentlich ein ziemlich altes Buch, aber es wird schon nicht zur Gänze überholt sein.
    Der Kurs von Prof. Vandiver ist ja wirklich ein Kurs, d. h. eine Sammlung von Vorlesungen auf DVD oder als Audio. Ich hatte es erst bei buchkatalog.de gesucht. Ob ich mich damit anfreunden kann, weiß ich noch nicht.


    Edit:
    @ Lost: Hier. Nach deutschen Bezugsquellen habe ich allerdings noch nicht gesucht.

    Einmal editiert, zuletzt von Nautilus ()

  • [quote='Nautilus','http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/&postID=33786#post33786']
    @ Schweitzer: Vielen Dank für Deine Erläuterungen von gestern!


    Zum Thema Krieg: Ich schweige mal davon, dass ich als alter Kriegsdiensverweigerer... Aber auch wenn König Menelaos sich nicht einfach die Frau wegnehmen ließ - musste er zehn Jahre Krieg führen? Nach sechs Monaten hätte jeder gesagt, dass Menelaos es versucht hätte, aber dass Zeus seiner Tochter Aphrodite zuliebe eben die Troer begünstigt hätte oder etwas in dieser Richtung.


    Ich denke, dass der trojanische Krieg schnell eine Eigendynamik entwickelt hat und es dann sehr bald auch um mehr ging, als den "Raub" Helenas. Heerführer war ja dann auch nicht Menelaos, sondern Agamemnon, der zu diesem Zweck eine Art loses Bündnis der Griechen zusammenbrachte, wenn ich mich recht erinnere. Und Agamemnon hatte ganz handfeste Machtinteressen. Der erste Gesang der Ilias zeigt ihn, stets um Status und Macht bedacht. Selbst wenn Menelaos gesagt hätte "Komm Bruder, das wird nichts mehr. Segeln wir heim." (was wohl aus Gründen der Ehre ausschied), hätte Agamemnon ihm allenfalls gesagt "Fahr nur heim. Wir bleibe hier und nehmen die Stadt ein". Daneben ging es ganz schnöde um Beute. Das Beutethema wird in der Ilias recht häufig angesprochen. Als es im zehnten Jahr der Belagerung endlich zum Zweikampf Menelaos - Paris kommt, fragt man sich als heutiger Leser schon "warum erst jetzt?". Der Zweikampf geht ja dann aus wie das Hornberger Schiessen. Vermutlich waren die Menschen und die Götter mit ihren Interessen zu diesem Zeitpunkt schon so tief in die Sache verstrickt, dass eine so einfache Lösung nicht mehr in Frage kommt.


    Zum Lesetempo: Ich bin jetzt im 5. Gesang, muss aber jetzt auch etwas langsamer machen, wenn ich nicht über alles hinweglesen will...

  • @ Jaqui


    Ich glaube es ist gar nicht sicher, ob sie überhaupt freiwillig mitging.


    Ehrlich gesagt wundert mich Dein Unverständnis ein bißchen.
    Genausogut könntest auch kein Verständnis dafür aufbringen, daß die Griechen der Ilias nicht in Demokratien leben, weil Du das irgendwie besser finden würdest. :breitgrins:


  • @ Schweitzer: Vielen Dank für Deine Erläuterungen von gestern!


    Zum Thema Krieg: Ich schweige mal davon, dass ich als alter Kriegsdiensverweigerer... Aber auch wenn König Menelaos sich nicht einfach die Frau wegnehmen ließ - musste er zehn Jahre Krieg führen? Nach sechs Monaten hätte jeder gesagt, dass Menelaos es versucht hätte, aber dass Zeus seiner Tochter Aphrodite zuliebe eben die Troer begünstigt hätte oder etwas in dieser Richtung.


    Kriegsdienstverweigerer finde ich sehr sympathisch, aber mit Deinem Vorschlag sich nach sechs Monaten zurückzuziehen unterstellst Du den Griechen ja automatisch, daß sie im Grunde die gleiche Einstellung zum Krieg hatten wie Du, nämlich daß Krieg schlecht ist.
    Aber vor die Wahl gestellt (so wie Achilles) daheim zu bleiben und alt zu sterben oder im Krieg Ruhm zu ernten (Kleos) und jung zu fallen würden sich die meisten wohl für den Krieg entscheiden. Der Grund: sterben müssen wir sowieso, aber wenn wir im Krieg große Taten vollbringen wird unser Name unsterblich sein. Deshalb stellen sich auch die Krieger in der Ilias gegenseitig vor bevor sie sich bekämpfen, damit der Sieger weiß, welchen (hoffentlich großen) Gegner er da besiegt hat. Deshalb auch die Verachtung für Pfeil und Bogen als Waffen eines Feiglings.
    Das Außergewöhnliche an Achilles ist, daß er in der Ilias diesen ganzen Kriegerkodex in Frage stellt. Bis zum Tod von Patroklos, dessen Tod er nicht akzeptieren kann. Ab diesem Zeitpunkt spielt für ihn das ganze Brimborium um Ruhm und Ehre sowieso keine Rolle mehr.


    Aber wie Achim schon geschrieben hat gibt es für den Krieg mehrere Ursachen, Macht, Beute etc. Ich glaube z.B. auch nicht, daß Zeus damit einverstanden gewesen wäre, wenn die Griechen zur Verletzung der Xenia nach sechs Monaten „Schwamm drüber“ gesagt hätten.

  • @ Lost


    Nautilus hat ja schon den Link gegeben. Muß ja nicht dieser Kurs sein, ich finde ich es aber grundsätzlich keine schlechte Idee, wenn man bei der Ilias und der Odyssee zu Sekundärliteratur greift. Du hast zwar Recht, daß die Grundaussagen der Ilias und der Odyssee zeitlos sind, aber dennoch gibt es eben viele Sachen, die wir nach 3000 Jahren nicht wissen können, die für das Publikum damals aber selbstverständlich waren wie Time, Kleos, Xenia etc. Dadurch entgeht einem einiges, oft ohne es zu merken. Und selbst wenn man den Sinn einer Aussage begreift, ist es ein viel größerer Genuß wenn man über die Hintergründe Bescheid weiß.


    Zum Beispiel wenn Odysseus auf Nausikaa trifft: da muß sich ein nackter, derangierter Mann einem jungen Mädchen nähern ohne es zu erschrecken. Odysseus beginnt damit, daß er sie anspricht und so tut als ob er nicht wüßte, ob es sich bei ihr um eine Göttin oder eine Frau handelt. Wenn sie eine Göttin ist, dann muß sie wohl Artemis sein etc. Man merkt schon, daß Odysseus geschickt ist, aber wenn man etwas mehr über die Hintergründe Bescheid weiß kann man seine rhetorische Leistung besser verstehen:


    zunächst einmal findet die Szene nämlich am Strand statt. In der griechischen Mythologie und Literatur ist der Strand ein besonders gefährlicher Ort für junge Mädchen, es gibt viele Geschichten von Vergewaltigungen etc. die am Strand stattfinden (z.B. durch Piraten). Nur selten würde sich in Griechenland deshalb ein junges Mädchen ohne männliche Begleitung am Strand aufhalten.
    Keine leichte Situation für Odysseus, er kann ja nicht plötzlich nackt aus den Büschen treten und „keine Angst, ich will Dich nicht vergewaltigen“ rufen ohne daß Nausikaa wegläuft. Wenn er jetzt so tut, als ob er Nausikaa für Artemis hielte ist das nicht bloß Schmeichelei sondern sehr geschickt: Artemis ist nämlich eine der drei jungfräulichen Göttinnen, und zwar eine, die ihre Jungfräulichkeit ziemlich militant verteidigt. Es gibt eine Geschichte, in der ein Jäger auf der Jagd ohne es zu wollen Artemis nackt beim Baden in einem See erblickt. Artemis verwandelt ihn daraufhin in einen Hirschen, beläßt ihm aber seinen Verstand, so daß er bei vollem Bewußtsein von seinen eigenen Jagdhunden zerfleischt wird. Dadurch daß Odysseus Nausikaa für Artemis hält sagt er also gleich zu Beginn seiner Rede ziemlich geschickt, daß er Nausikaa auf keinen Fall etwas antun würde, ohne es direkt aussprechen zu müssen.


    Naja, und so weiter und so fort, ich find solche Informationen ganz interessant.


    Zu Deiner Theorie Athene würde mit Telemachos spielen statt ihm zu helfen etc.: Du mußt bedenken, daß das Wort „Mentor“ wohl nicht ganz umsonst die Bedeutung hat, die es eben hat.


    Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Deine Theorie mit dieser Orgie richtig verstanden habe, aber Athene ist - wie Artemis - Jungfrau (Parthenon = Jungfrauengemach). Ziemlich unmöglich also wenn sie an Deiner Orgie teilnimmt. :breitgrins:


  • Selbstverständlich gibst Du Deine eigenen Ideen wieder.
    Daß es in der Gesellschaft Griechenlands keinen Platz für unverheiratete Wittwen gab ist z.B. eine erstaunlich gute Idee von Dir. Andere würden da nicht so einfach von selbst daufkommen.
    Und daß jemand der Vandivers Vorlesung gehört hat genau sagen kann, welche Erklärungen Vandivers Du nicht richtig verstanden hast und welche Du durcheinandergeworfen hast ist purer Zufall.


    Schweitzer Ich glaube wir haben uns nicht richtig verstanden. Wie soll ich Erklärungen Vandivers nicht richtig verstanden haben, wenn ich sie noch nie gehört habe? Außerdem solltest du Wissen(z.B über die griechische Gesellschaft) nicht mit Interpretation verwechseln.


    Ich kann mich täuschen, aber für mich hat deine Antwort eine unangenehm hochnäsige Art. Wenn ich mich täuschen sollte: Nichts für ungut.


    @Leserunde Morgen kommt von mir auch wieder was inhaltliches, ich komme gerade nicht ganz hinterher bei eurem Tempo, denn auch wenn ich die Odyssee kenne, muss ich die Passagen für die Diskussion hier trotzdem noch mal überfliegen. Also, Bis morgen.

  • Schweitzer: Tja, ich bin eben nicht der Kriegstyp und dieses "Wir fallen wegen der Ehre und der Unsterblichkeit" habe ich auch nie nachvollziehen können. Dafür bin ich anscheinend in der faschen Zeit geboren.


    Daher werden wir bei diesem Thema immer konträr sein. Ich verstehe, dass man sein "Eigentum" zurück haben will, was ich nicht verstehe, dass man dafür zehn Jahre seines Lebens verschwendet.


    Katrin

  • @ Jaqui


    Es ist ein Unterschied ob Du einen Sachverhalt verstehst oder ob Du Dich mit einer Sache identifizierst.
    Du mußt keine Kriegsbefürworterin sein um die Menschen der Ilias zu verstehen, sonst dürftest Du ja nur noch zeitgenössische Frauenromane lesen. :breitgrins:


  • @ Lost


    Nautilus hat ja schon den Link gegeben. Muß ja nicht dieser Kurs sein, ich finde ich es aber grundsätzlich keine schlechte Idee, wenn man bei der Ilias und der Odyssee zu Sekundärliteratur greift. Du hast zwar Recht, daß die Grundaussagen der Ilias und der Odyssee zeitlos sind, aber dennoch gibt es eben viele Sachen, die wir nach 3000 Jahren nicht wissen können, die für das Publikum damals aber selbstverständlich waren wie Time, Kleos, Xenia etc. Dadurch entgeht einem einiges, oft ohne es zu merken. Und selbst wenn man den Sinn einer Aussage begreift, ist es ein viel größerer Genuß wenn man über die Hintergründe Bescheid weiß.


    Zum Beispiel wenn Odysseus auf Nausikaa trifft: da muß sich ein nackter, derangierter Mann einem jungen Mädchen nähern ohne es zu erschrecken ...


    @ Schweitzer
    Interessant, Deine Bemerkungen zur Strandszene im 6. Gesang. Sekundärliteratur ist bei diesem Werk sicher kein schlechter Gedanke, das ist so ein reicher und voller Stoff, es werden so viele Motive angesprochen. Nicht so einfach, das alles mitzubekommen als Leser des 21. Jahrhunderts... Ich habe mir bislang noch nichts gekauft, suche mir einzelne Informationen aus dem Netz. Habe mir auch mal die site mit dem hier vielzitierten Vandimer-Kurs angesehen. Sieht nicht schlecht aus, allerdings 24 Vorlesungen à 30 Minuten... das ist ja eine ganze Menge.


    Kurz zum 5. und 6. Gesang: Odysseus zu Beginn quasi im depressiven Zustand. Allerdings wird immer wieder schön gezeigt, wie er überlegt, abwägt, zweifelt und mißtraut (Kalypso / Ino Leukóthea), Entscheidungen fällt. Odysseus' allererste Sätze im Werk sind wohl typisch - er hinterfragt Kalypsos Angebot kritisch und vermutet eine List.


    Dann der der Schiffbruch mit seinem Floss, nackt an Land gespült - von Troja als Heerführer losgefahren, ist er jetzt wirklich bei Null angekommen (eine Neugeburt?), ohne Schiff(e), ohne Gefolge, ohne Kleidung. Es wird interessant zu sehen, wie Odysseus seine Identität wieder aufbaut / erlangt.


    Achim

  • @ Achim: Dass Odysseus sehr vorsichtig ist, den Rat der Meeresgöttin zu befolgen und sich auf seine Einschätzung der Lage auf dem Floß hält, ist mir auch aufgefallen.


    7. Gesang
    Odysseus‘ Ankunft bei den Phäaken.
    Bei den Phäaken sieht man die Kehrseite der Gastfreundschaft: das Misstrauen gegenüber Fremden, die Abneigung gegenüber Fremden, die Angst vor Fremden. Athene, in der Maske einer junge Phäakin hilft Odysseus, indem sie ihn unsichtbar macht, bis er Aretes Knie umfassen kann, wie Nausikaa ihm geraten hat. Odysseus hat aus Nausikaas Worten, er solle besser nicht mit ihr gehen, weil das den Phäaken nicht gefallen würde, sondern allein nachkommen, anscheinend seine Schlüsse gezogen, denn er sagt der jungen Phäakin, in der er Athene nicht erkennt, er sei Alkinoos‘ Gastfreund, was ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht stimmt.
    Im Hause Alkinoos‘ kniet der um Gastfreundschaft bittende Odysseus sich in die Asche des Herdes, eine Demutsgeste, vermute ich, die nicht immer üblich war.
    Alkinoos‘ Haus und Garten ist ein wahres Paradies, ein Schlaraffenland für den Besitzer.
    Als Athene Odysseus verlässt, erfahren wir, dass sie auf den Burgberg Athens geht. Wozu teilt Homer uns das mit? Warum geht sie nicht auf den Olymp?


    Die Beschreibung Aretes ist sehr positiv, ich fürchte, sie ist als Gegensatz zur durchschnittlichen griechischen Ehefrau zu lesen. Arete ist klug, sie wird von den Phäaken hoch geehrt, sie geht häufig durch die Straßen der Insel, ihr Rat wird sogar von Männern im Streitfall angehört und befolgt.
    Aber einem Fremden die Gastfreundschaft gewähren darf Arete anscheinend doch nicht. Das tut dann, nach einigem Zögern und der Ermahnung eines älteren Phäaken, Alkinoos.
    Dann aber geht Alkinoos‘ Gastfreundschaft sehr weit: Er bietet Odysseus die Hand seiner Tochter an. Offenbar hat er Odysseus „für gut befunden“; er fragt ihn sogar, ob er nicht ein Gott sei. Letztere Frage ist aber wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeint. Vermutlich geht Alkinoos so weit, Odysseus Nausikaas Hand anzubieten, weil er von Odysseus‘ Treffen mit Nausikaa gehört hat, denn Arete hat die Kleidung erkannt, die Odysseus trägt. Odysseus ist auch gegen Alkinoos nicht ganz aufrichtig, als er ihm die Gründe darlegt, warum Nausikaa nicht selbst mitgebracht hat: Er sagt, seine Furcht und Scham hätten ihn veranlasst, Nausikaa vorgehen zu lassen.
    Ich habe mich schon im sechsten Gesang gefragt, wieviel an Nausikaas Befürchtung, die anderen Phäaken würden sie und Odysseus als zukünftiges Ehepaar ansehen, wenn sie zusammen in die Stadt kämen, real ist und wieviel Projektion, Ausdruck von Nausikaas Anziehung durch Odysseus. Das frage ich mich jetzt wieder: War Nausikaa in gewisser Weise durch das Treffen mit Odysseus, dem sie erst Kleidung anlegen musste, kompromittiert?


    Als Odysseus von seiner Ankunft in Scheria erzählt, übergeht er den Schleier der Meeresgöttin. Warum? Dass eine Gottheit sich seiner angenommen hat, müsste ihn doch in den Augen der Phäaken aufwerten.

  • Als Athene Odysseus verlässt, erfahren wir, dass sie auf den Burgberg Athens geht. Wozu teilt Homer uns das mit? Warum geht sie nicht auf den Olymp?


    Hallo,
    ist ja hier sehr ruhig im Moment.


    Nautilus - man sagt ja, dass Homer nichts ohne Grund tue, aber ich kann momentan nicht erkennen, ob das mit Athene in Athen wichtig ist.


    Ich muss auch sagen, dass ich aus dem Verhalten der Phäaken nicht ganz schlau werde. Auf der einen Seite muss Alkinoos erst von Echeneos zur Gastfreundschaft ermahnt werden. Im achten Gesang ist dann Eurýalos bei den Wettkämpfen recht unhöflich zu Odysseus. Und im siebten Gesang sagt Athene (als Phäakin), man halte es hier nicht so gerne mit Menschen der Fremde. Auf der anderen Seite wird Odysseus aber dann doch wieder mit Geschenken überhäuft. Merkwürdig.


    Allgemein scheint mir, dass Odysseus innerhalb eines Tages bei den Phäaken gewissermaßen seine Identität nach dem Schiffbruch zurückgewinnt. Er schlägt die Phäaken im Wettkampf, gewinnt so an Ehre, und er erhält einen Becher von Alkinoos, Kleidung, ein Schwert, Gold .... alles, was der antike Mensch so braucht. Und dazu die Aussicht, in Kürze in die Heimat geleitet zu werden. Eine Art Wiedergeburt innerhalb kürzester Zeit und sowohl Nausikaa als auch Odysseus unterstreichen ja, dass sie ihm sein Leben wiedergegeben habe.


    Achim

  • Yep, hier ist es wirklich leer. Sind die anderen Odyssee-Leser noch da?


    Ich glaube, das Verhalten Alkinoos' drückt eine gewisse natürliche Ambivalenz gegenüber dem Fremden aus. Bayerisch gesagt: Es ist Sitte ihn zu ehren und freundlich zu empfangen, aber wer weiß, was das für ein Saupreuß ist, der da zu uns gekommen ist.


    Ich sehe es auch so, dass Odysseus im Verlauf seines Aufenthalts bei den Phäaken allmählich wieder zu dem Mann wird, der er vor seinem Aufenthalt bei Kalypso, seiner Seenot war.


    In meinem letzten Posting ist mir noch ein blöder Tippfehler aufgefallen. Es muss heißen
    "War Nausikaa in gewisser Weise durch das Treffen mit Odysseus, dem sie ihm erst Kleidung anlegen musste, kompromittiert?"


    8. Gesang
    Odysseus hat seinen Namen und seine Herkunft den Phäaken nicht genannt, das ist mir im siebten Gesang gar nicht richtig aufgefallen.
    Als Demodokos von einem Streit zwischen Odysseus und Achill singt, weint Odysseus und seufzt und stöhnt. Nur Alkinoos bemerkt es, aber er geht erst nicht darauf ein.


    Am nächsten Tag Wettkämpfe: Wettlauf, Ringkampf, Springen, Faustkampf, Diskos.
    Odysseus wird von Laodamas, einem Sohn des Alkinoos, und Euryalos, einem anderen Phäaken, aufgefordert sich zu beteiligen. Er will nicht und beruft sich auf seinen Kummer. Euryalos vergreift sich im Ton: Er sagt Odysseus, er halte ihn für einen „Krämer“, einen Kaufmann. Das gab es bei den Griechen nicht, sagt Finley, und der Beruf, den z. B. die Phönizier ausübten, stand in schlechtem Ansehen. Die Beleidigung, muss man wohl sagen, lockt Odysseus aus der Reserve. Er schleudert den Diskus und übertrifft alle Phäaken. Odysseus nennt seine eigenen Stärken: Bogenschießen und Speerwurf, ist aber auch bereit zum Faustkampf, Ringkampf, Wettlauf, obwohl er sich in Letzterem wegen des Mangels Fußpflege (und Training, schätze ich) auf der Seereise nicht in bester Form fühlt. Odysseus fordert alle Phäaken heraus, mit Ausnahme von Laodamas, den Sohn des Gastfreundes.
    Aber Alkinoos biegt den Wettkampf ab. Die Phäaken seien im Faustkampf und Ringkampf nicht sehr gut. Ihre Stärke seien Laufen, Tanzen und Singen. Odysseus erlebt dann eine Tanzvorführung mit Gesang. Macht Alkinoos sich Sorgen, Odysseus in seinem gereizten Zustand werde seine Gegner im Faust- oder Ringkampf nicht schonen und es könnte ernsthafte Verletzungen für die Phäaken geben, die Odysseus‘ Herausforderung annehmen? Bekommt er den Eindruck, Odysseus könnte sich übernehmen und sein Gastfreund könnte verletzt werden? Jedenfalls bekommen die Phäaken jetzt über Odysseus‘ Gestalt hinaus einen Eindruck, mit wem sie es zu tun haben: einem kriegerischen, selbstbewussten und sportlichen Mann.
    Odysseus lobt den Tanz der Phäaken - und schon regnet es Gastgeschenke, und Alkinoos weist Euryalos an, sich mit Odysseus zu versöhnen. So geschieht es dann auch. Anscheinend hat Odysseus mit seinen Komplimenten das Eis gebrochen.


    Wieder gibt es ein Essen. Odysseus schneidet von seinem Stück Schweinefleisch etwas für Demodokos ab (aber das größere Stück behält er für sich, wie Homer ausdrücklich vermerkt). Am Abend vorher schon wurde gesagt, dass der Sänger Brot und Wein bekommt, aber kein Fleisch, und ich hatte mich gefragt, ob er wirklich nichts anderes bekommt. Anscheinend kriegt er normalerweise wirklich nur Brot und Wein. Dienstbotenkost. Hoffentlich ist das den adeligen Herren, für die Homer und andere Aöden sangen, auch aufgefallen und sie haben ihren Sängern eine große Scheibe Fleisch aufgetischt.


    Odysseus begegnet jetzt auch Nausikaa und bedankt sich bei ihr. Man kriegt hier wirklich den Eindruck, dass sie sehr beeindruckt von ihm ist.


    Odysseus lobt den Sänger und bittet ihn dann selbst, vom Trojanischen Pferd zu singen „das Epeios mit Hilfe der Göttin Athene gezimmert, / aber der edle Odysseus mit List in die Festung geschafft hat“. Hier wird übrigens nicht gesagt, dass der Bau des Pferdes Odysseus' Idee war, wie ich das aus Nacherzählungen der Geschichte von Troja in Erinnerung habe. Der Urheber des Plans wird gar nicht genannt. War die Ausführung des Planes wichtiger als die Idee? Vielleicht, denn die Ausführung war eine Frage des Mutes, weil ungewiss war, wie sich die Troer verhalten würden. So wie Demodokos es darstellt, haben die Troer auch erwogen, das Pferd zu zerschlagen oder vom Festungsberg herabzustürzen. Diese Möglichkeiten müssen den Griechen auch vor Augen gestanden haben, als sie das Pferd bauten und bemannten.
    Dazu weint und stöhnt Odysseus wieder. Diesmal greift Alkinoos ein und bittet den Sänger, seinen Gesang zu unterbrechen, denn er singe nicht allen Freude. Den Odysseus bittet Alkinoos, seinen Namen und seine Herkunft zu verraten. Verweis darauf, dass die Phäaken den Gastfreund lieben wie eine Bruder. Dass Odysseus Namen und Herkunft verschweigt, hält Alkinoos für listige Vorsicht.
    Odysseus möchte eine Geschichte aus der Zeit hören, als er ein aktiver Mann war, der große Taten vollbracht hat. Eigentlich freut man sich, wenn man eigene Taten erzählen hört, auf die man stolz sein kann und die auch bei fremden Völkern bekannt geworden sind. Warum weint Odysseus? Vermutlich weil ihm der Gegensatz zwischen der Zeit, von der der Sänger singt, und der Gegenwart bewusst wird. Denn in der Gegenwart ist er - allen Gastgeschenken zum Trotz - ein armer Flüchtling, der sein Leben nicht selbst bestimmt, sondern auf andere angewiesen ist.

  • Schön dass Du noch da bist, Jaqui. Und die anderen?


    Hoppla, der vermeintliche Tippfehler war gar keiner, und die Korrektur ist falsch. :redface:


    Was mir auch erst im Nachhinein aufgefallen ist: Alkinoos bietet im 7. Gesang Odysseus nicht einfach die Hand seiner Tochter an, er will ihn auf Scheria ansiedeln, sozusagen zu einem Phäaken machen. Odysseus äußert sich, wenn ich mich recht erinnere, erst einmal nicht direkt zu dem Vorschlag. Aber er will in die Heimat - daraus kann Alkinoos die Ablehnung entnehmen, finde ich.


    8./9. Gesang
    Ich habe noch etwas zum 8. Gesang vergessen:
    Alkinoos‘ Aufforderung an Odysseus, Namen, Herkunft und alles andere zu sagen, klingt für mich fast wie „Jetzt lass es mal alles raus“.
    Die Phäaken sind ein erstaunliches Volk. Keine Krieger, eher Tänzer und Musiker. Sie haben Schiffe, die nicht mit Rudern gesteuert werden müssen, weil sie den Gedanken der Besatzung folgen.
    Alkinoos erzählt hier auch von der alten Prophezeiung, dass Poseidon eines Tages ein phäakisches Schiff im Meer versteinern und die Stadt mit einem Berg überdecken werde (so bei Weiher, lt. Schadewaldt ist wohl nur gemeint, die Stadt werde hinter hohen Mauern verborgen werden). Aber die Phäaken und Odysseus wissen nicht, dass Poseidons Zorn sich gerade an Odysseus entzünden wird.


    Bevor er seinen Namen nennt, sagt Odysseus, er wolle ihn nennen, damit er auch Gastfreund der Phäaken bleibe, wenn er wieder zu Hause ist. Steckte in Alkinoos‘ Bitte, dass Odysseus seinen Namen nennen möge, auch der Verdacht, Odysseus könnte versuchen, sich seinen Pflichten als Gastfreund zu entziehen?


    Odysseus beginnt ganz am Ende seiner Abenteuer: Kalypso und Kirke, die ihn als Ehemann wollten, die er aber nicht wollte. Dass er verheiratet ist, sagt er immer noch nicht. Aber Alkinoos wird es sicher freuen, dass Odysseus nicht nur seine Tochter zurückgewiesen hat.


    Dann kommen die Abenteuer des Odysseus nach der Abfahrt aus Troja. Später im 9. Gesang erfahren wir, dass Odysseus mit 12 Schiffen unterwegs ist. Das deckt sich mit der Angabe im „Schiffskatalog“ im 2. Gesang der Ilias. Natürlich ist auf jeden Fall beim „Schiffskatalog“ Vorsicht bei den Zahlen angebracht, weil die Gesamtzahl der Schiffe sehr hoch ist und die Zahl der Männer ebenfalls. Zwei Angaben über die Größe der Mannschaft gibt es in der Ilias: 50 und 120. Demnach könnte Odysseus mit bis zu 1400 Männern unterwegs sein - abzüglich der vor Troja gefallenen und falls man die Zahlen glauben kann und falls man die Zahlen von der Ilias auf die Odyssee übertragen kann.


    1.) Kikonen.
    Die Stadt Ismaros wird zerstört, die Männer getötet, die Frauen versklavt. Das war damals wohl das übliche Vorgehen. Die Sklavinnen und die übrige Beute werden dann erst einmal nicht weiter erwähnt. Odysseus sagt, „ich zerstörte die Stadt“. Na ja, „wer baute das siebentorige Theben?…“
    V. 64 ff. heißt es, die Schiffe segelten erst weiter, nachdem jeder der Überlebenden die Fehlenden dreimal gerufen hatte. Bedeutet das, die Überlebenden waren gar nicht sicher, ob die anderen wirklich tot waren oder ist das ein religiöser Ritus?
    Kap Male(i)a an der Südspitze der Lakonischen Halbinsel auf dem Peleponnes haben sie schon erreicht und somit den größten Teil der Heimreise geschafft:
    V. 79: „Jetzt war es möglich, das Land meiner Heimat heil zu erreichen.“
    Da treibt starker Nordwind sie weg von Kythera (und ins Reich der Phantasie).


    Ketzerische Frage: Odysseus erzählt so vieles, was nicht wahr ist (vor allem später, wenn er Ithaka erreicht hat, wenn ich mich richtig erinnere). Warum sollen wir ihm ausgerechnet die Lotophagen, Kyklopen usw. glauben?


    2.) Lotosesser


    3.)Kyklopen
    Durch die Beschreibung der Kyklopen erfährt man indirekt, was zu einem „ordentlichen“ Gemeinwesen gehört, denn Kyklopen:
    - sind halt- und gesetzlos
    - pflanzen und pflügen nicht
    - haben keine rechtliche Ordnung
    - halten keine Beratung in öffentlicher Versammlung
    - keiner von ihnen sorgt für den andern
    - achten die Regeln der Gastfreundschaft nicht


    Die zwölf Gefährten, die Odysseus von der Insel mit zum Land der Kyklopen nimmt, wollen die Höhle Polyphems schnell wieder verlassen (und die Höhle nebenbei gleich ausräumen). Odysseus will bleiben, um zu sehen, ob der Besitzer der Höhle ihnen Gastgeschenke gibt. Aber Odysseus selbst hat nur einigen Wein mitgenommen, so dass er selbst keine Dreifüße etc. als Gastgeschenk anzubieten hat. Hatte er zu diesem Zeitpunkt schon alles verloren?
    Ich wusste lange nicht, dass Outis sowohl niemand heißt, als auch eine Kurzform des Namens Odysseus ist, und habe mich gefragt, wie Polyphem glauben kann, jemand heiße Niemand. - Jetzt bin ich froh, dass man meinen Namen nicht als Niemand abkürzen kann. Ich möchte so nicht gerufen werden.
    Homer lässt Odysseus unangenehm detailliert beschreiben, wie Polyphem das glühende Stück vom Stamm des Ölbaums ins Auge gedreht wird. - Damit geht wieder eine Prophezeiung in Erfüllung.

  • 10. Gesang
    4.) Äolus
    Diesmal kommen Odysseus und seine zwölf Schiffe der Heimat so nahe, dass sie sie schon sehen können.
    Die Gefährten des Odysseus werden neidisch auf dessen Beute‘ aus Troja und auf seine Gastgeschenke. Wer sind eigentlich die Gefährten? Erst habe ich gedacht, es sind Knechte oder Sklaven. Es sind jedenfalls zu viele, als dass sie andere Adelige sein könnten (Aristoi). Von einem von ihnen, Eurylochos, wird später gesagt, er sei eng mit Odysseus verwandt. Also sind es nicht nur Knechte und Sklaven. Aber es müssen wohl Männer aus dem Haushalt des Odysseus sein, die ihm als Kopf des Hauses untergeordnet sind, im weitesten Sinne also doch Befehlsempfänger. Wenn man an die zwölf Schiffe denkt, sind vermutlich auch noch Männer dabei, die Odysseus als König Ithakas folgen, obwohl sie nicht zu seinem Haus gehören. Wie sehen die anderen das?


    Bei den Winden des Äolus hatte ich dunkel in Erinnerung, dass der Sack mit den Winden vorsichtig geöffnet werden muss, damit nur ein leichter Wind herauskommt, der alle sicher nach Ithaka bringt. Aber der Sack soll ganz geschlossen bleiben; für den Fahrtwind (Westwind) sorgt Äolus selbst. Dann erinnere ich mich wohl doch an eine andere Geschichte mit einem ähnlichen Motiv.
    Hier, sagt Odysseus, habe er zum ersten Mal erwogen, sich ins Meer zu stürzen, um seine Leiden zu beenden.


    Zweimal hilft Äolus ihnen nicht. Als sie wiederkommen, hält er sie für Menschen, die von den Göttern verflucht sind und schickt sie weg.


    5.) Lästrygonen
    Sehe ich es richtig, dass bei den Lästrygonen die Dunkelheit so kurz ist, dass der Hirte, der seine Herde morgens austreibt, noch den anderen Hirten hört, der seine Herde abends in den Stall bringt?
    In der „Mausefalle“ des Hafens werden alle Schiffe zerstört und ihre Besatzung getötet mit Ausnahme von Odysseus‘ Schiff, das außerhalb des engen Hafens bleiben muss. Ab jetzt also nur noch ein Schiff.


    6.) Die Insel Aiaia. Kirke
    V. 143: „Zehrten am eignen Gemüt nach all den ermüdenden Schmerzen“ - das habe ich erst für einen (sehr guten) Ausdruck für den niedergeschlagenen, schwermütigen Zustand der Männer gehalten. Aber da der Hirsch, den Odysseus schießt (und ganz allein zum Schiff trägt!), so wichtig für die Männer ist, scheint auch der Mangel an Proviant eingeschlossen zu sein.


    Bei der Ankunft auf Aiaia sind die Männer demoralisiert. Sie haben bei ihren letzten zwei Abenteuern viele Gefährten verloren und rechnen überall mit Unheil.


    Eurylochos bricht mit 22 Männern auf, der Hälfte der Besatzung. Knapp fünfzig Männer sind demnach noch in Odysseus‘ Schiff unterwegs.


    Odysseus will nicht von Kirke „waffenlos zum schlappen Schelm ernieder[t werden]“ (gemeint ist, wenn Odysseus waffenlos ist). Odysseus will nicht, dass Kirke ihn „wenn [er sich] entblößt, untüchtig und unmännlich macht“, so übersetzt Schadewaldt es. Das klingt ja, als solle er impotent gemacht werden, vielleicht gar kastriert?


    Auch Kirke wurde die Ankunft des Odysseus bereits vorausgesagt: von Hermes, der dann Odysseus warnt und ihm das Zauberkraut Moly gibt, mit dem er gegen Kirkes Gifte immun wird.


    Kirke schickt Odysseus und seine Männer zum Hades, damit Teiresias ihnen sagen kann, wie sie wieder nach Hause kommen.
    Elpenor lässt Homer noch rasch sterben, ich vermute, damit Odysseus im Hades eine Seele findet, die erst vor kurzem gestorben ist.

  • Nachtrag zu Aiaia: Die Männer, die abgemagert sind, können sich wieder erholen.


    Ich schwanke , ob ich warten soll, bis mehrere von Euch wieder da sind, aber ich lese nicht gerne mehrere Bücher "über Kreuz" und mache deshalb weiter.


    11. Gesang
    7.) Hades
    Ich hatte es richtig in Erinnerung: Als erstes erscheint Elpenor, der kürzlich Gestorbene. Er bittet Odysseus, nach Aiaia zurückzufahren und ihn ordentlich zu bestatten.
    Teiresias sagt Odysseus, er müsse nach der Insel Thrinakia segeln. Er weissagt ihm auch präzise, was geschehen wird, wenn Odysseus und seine Gefährten die Rinder des Helios antasten. Etwas dunkler ist der letzte Rat, was Odysseus tun solle, wenn er Ithaka erreicht und wieder in seine Gewalt gebracht habe: losziehen, bis er auf Menschen treffe, die das Meer nicht kennen und kein Salz gebrauchen. Ausgerechnet dort soll er Poseidon opfern. Wenn er dann noch in Ithaka den anderen Göttern opfere, werde er alt werden und eines friedlichen Todes sterben.
    Aus der Begegnung mit der Seele seiner Mutter erfährt Odysseus einiges von Ithaka. Die Nachrichten über Penelope und Telemachos klingen beruhigend, aber daraus, dass Laertes jetzt auf dem Land wohnt (in schlechten Verhältnissen) und nicht mehr in die Stadt geht, kann Odysseus sicher schließen, dass nicht alles in Ordnung ist.
    Dann kommen viele Seelen. Die meisten Namen sagen mir gar nichts.
    Die Gespräche mit den Seelen werden von einem kurzen Rücksprung nach Scheria unterbrochen. Arete bittet Odysseus, noch länger zu bleiben (und weiterzuerzählen), dann bekäme er auch noch reichlichere Geschenke. Wieder stimmt Echeneos, der alte Phäake, ihr zu, bevor Alkinoos sich äußert. Ein König, der erst lange überlegt und andere Meinungen hören will?
    Wichtig an Alkinoos‘ Bemerkungen finde ich noch, dass er Odysseus‘ Erzählungen gewissermaßen beglaubigt: Odysseus sei kein Lügner, seine Rede sei gut vorgetragen und wahr. Mir scheint, dass ist die überhaupt der wichtigste Grund für die Einschaltung ist.
    Unter den anderen Seelen sticht die des Agamemnon hervor. Nachdem in den Szene mit Telemachos mehrfach Orest genannt wurde, beschreibt Agamemnon nun ausführlich die Bosheit Klytämnestras - ein schöner Kontrast zu Penelopes Tugend. Odysseus wusste vor seinem Besuch im Hades noch gar nicht, dass Agamemnon tot ist.
    Sonderbar finde ich das Schicksal des Herakles. Er ist doppelt vorhanden: als „Maske“ im Hades und zugleich auf dem Olymp am Tisch der Götter.

  • 12. Gesang/Anfang des 13. Gesangs
    Die letzten Abenteuer.
    Kirke beschreibt Odysseus, was er machen soll, bzw. zeigt ihm die Möglichkeiten auf, die er bei Skylla und Charybdis hat. Sie wiederholt noch einmal das Gebot, das schon Tiresias ausgesprochen hat: nicht die Rinder des Helios auf Thrinakia antasten. Odysseus, der kühne Held, fragt, ob er die Skylla nicht bekämpfen könnte. Kirke würdigt den Mut, aber sie rät ihm sich nicht zu bewaffnen, wenn sie sich Skylla nähern, sonst würde die Skylla ihm zweimal sechs statt sechs Männer rauben.
    Odysseus gibt an die Männer weiter, was er von Tiresias und Kirke erfahren hat, aber anscheinend nur über die Sirenen.


    8.) Sirenen
    Die Schönheit des Sirenengesanges wird kühl und knapp geschildert. Für Demodokos hat Odysseus und Homer mehr Worte gefunden.


    9.) Skylla und Charybdis
    Vor Skylla und Charybdis sagt Odysseus den anderen Männern nur noch, was sie seiner Meinung nach wissen sollen, nämlich dass sie sich von Charybdis fernhalten müssen. Von Skylla sagt er nichts, damit sie nicht vor Angst schlechter rudern. Natürlich vergisst Odysseus den Rat Kirkes (V. 112 ff.) und stellt sich bewaffnet in den Bug des Schiffes (V. 226 ff.). Ruhm und Ehre sind ihm wohl schon zur zweiten Natur geworden. Aber Odysseus‘ Männer haben Glück, Skylla kommt nur einmal.


    10.) Thrinakia. Die Rinder des Helios
    Auch vor Thrinakia gibt Odysseus die Warnung Teiresias‘ und Kirkes „gefiltert“ weiter. Er sagt den Männern, sie sollten gar nicht erst auf der Insel landen. Odysseus spürt, dass ihnen ein Gott Unheil zuspinnt. Aber da meutern die Männer regelrecht (Wortführer ist Eurylochos). Eurylochos hat sich auf Aiaia schon gegen Odysseus gestellt. Vielleicht kann er sich das eher erlauben als die anderen Männer, weil er mit Odysseus verwandt ist. Aber als die anderen Männer sich hinter Eurylochos stellen, gibt Odysseus nach. Eigenartig, dass er nicht versucht, die Männer zu überzeugen oder zu überreden. Er sagt nicht einmal etwas von seinem schlechten Vorgefühl angesichts der Insel und der blökenden Rinder und Schafe. Oder meint er, das Unheil sei ohnehin unvermeidlich, wenn es der Plan eines Gottes ist??
    Als der Proviant knapp wird, fangen die Männer Vögel und Fische. Wieder ist es Eurylochos, der die Männer dazu anstiftet, einige Rinder zu schlachten und den Göttern zu opfern (und hinterher natürlich zu verspeisen). Zum Ausgleich will er zwar auf Ithaka einen Tempel für Helios bauen. Außerdem meint er, lieber schnell ertrinken als langsam verhungern.
    Helios unternimmt sonderbarerweise selbst nichts gegen die Männer. Er ist doch ein Gott! Er beschwert sich nur bei Zeus, und der schickt einen Sturm, sobald Odysseus‘ Schiff auf hoher See ist.


    Odysseus rettet sich als einziger. Diesmal steht ihm keine Gottheit bei wie später bei seinem Schiffbruch vor Scheria; er entgeht dem Tod durch eigene Klugheit und Besonnenheit. Er verlässt das Schiff erst, als es gar nicht mehr anders geht (wie später vor Scheria) und hält sich an Kiel und Mast fest, die er zusammenbindet.
    Erzählt er den Phäaken nichts von Ino Leukothea, weil er Hilfe brauchte, um nicht zu ertrinken? Oder hat er den Phäaken den Schleier der Göttin aus „listier Vorsicht“, wie Alkinoos das nannte, verschwiegen? Vielleicht hat er auch gefürchtet, sie würden ihn für einen Aufschneider und Lügner halten. In Alkinoos‘ Bestätigung nach der ersten Hälfte der Hadesfahrt, dass Odysseus kein Lügner ist, steckt ja auch die Aussage, dass man ihn sehr leicht für einen halten könnte.


    Ich habe noch den Anfang des 13. Gesangs gelesen, weil ich wissen wollte, wie die Phäaken auf die Erzählung des Odysseus reagieren. Aber da geschieht fast nichts. Solange Odysseus noch redet, lauschen ihm alle gebannt. Aber Alkinoos, der er als erster das Wort ergreift, spricht sofort von der Heimfahrt Odysseus‘.


    Dann wird noch gegessen, und danach beginnt schon das Abschiednehmen. Odysseus wird seine Reise abends antreten. Das konnte man damals nur wagen, wenn man die besonderen Schiffe der Phäaken hatte. Odysseus verabschiedet sich noch einmal besonders von Arete. Nausikaa tritt nicht mehr in Erscheinung.


    Tja, die berühmten phantastischen Abenteuer haben mich ziemlich kalt gelassen. Sie zeigen natürlich, was Odysseus alles durchgemacht hat, aber mir ist das alles zu phantastisch.

  • 13. Gesang
    „Jetzt aber schlief er in Ruhe, vergessend, was je er gelitten.“ (Odysseus auf dem Schiff der Phäaken)
    Ist das die Antwort auf die Frage, ob Odysseus denn nun bei den Phäaken weitergekommen ist? Reichliche Geschenke hat er ja bekommen, aber innerlich, psychisch? In den Gesängen, in denen er von seinen Abenteuer und Leiden erzählt, erfährt man wenig darüber.
    Die Phäaken kennen den Hafen Ithakas („von früher her wussten sie alles“, V. 113)
    Poseidon zögert nicht lange, an den Phäaken Vergeltung zu üben, weil sie Odysseus nach Ithaka gebracht haben. Er fragt allerdings erst Zeus, ob er denn darf. In der „Ilias“ war das anders. Da haben die Götter in den Krieg eingegriffen, ohne Zeus zu fragen, wenn ich mich recht erinnere. Zeus stimmt zu, rät ihm sogar, wie er es machen soll. Der Rat deckt sich natürlich mit der Prophezeiung, die Alkinoos im achten Gesang schon referiert hat (V. 564 ff.). Aber einstweilen erfahren wir nur vom versteinerten Schiff. Alkinoos will schnell Poseidon opfern und geloben, dass die Phäaken künftig keine Männer mehr sicher über das Meer geleiten.


    Odysseus erkennt Ithaka nicht. Homer sagt dazu, Athene habe Ithaka in einen Nebel gehüllt, damit er es nicht erkenne. Sie wolle ihm erst einiges über die Situation auf Ithaka sagen. Und Athene hilft Odysseus dann auch, Ithaka wiederzuerkennen. Aber Homer „erklärt“ sonderbares und unerwartetes Verhalten der Menschen gern mit Eingriffen der Götter. Lässt man die Göttin weg, bleibt übrig, dass Odysseus Ithaka erst wieder erkennt, nachdem er sich ein paar Gedanken zu seiner Situation gemacht hat (dass er gegen die Freier vorgehen muss, weiß er ja schon von Tiresias, das brauchte Athene ihm nicht zu sagen) und sich einige konkrete Orte und Gegenstände vor Augen führt, die sich vorher nicht zu einem bekannten Bild zusammensetzen wollten. Gar so absonderlich klingt dann Odysseus‘ „Erinnerungsstörung“ nicht mehr. Mir kommen dabei undeutliche Erinnerungen an den Geschmack einer gewissen Madeleine, in Tee getaucht, der eine ganze Flut von Erinnerungen freisetzt, aber es ist zu lange her, dass ich das gelesen habe, vielleicht bin ich hier auch auf dem Holzweg.


    Athene sagt uns auch, warum sie so große Sympathie mit Odysseus hat: Sie sind sich ähnlich. Beide sind Pläneschmieder.


    Manchmal kann die Odyssee sogar lustig sein. Über Eumaios sagt Athene: „Wie für die Tiere, so hegt er für dich auch holde Gesinnung.“ Holde Gesinnung für Schweine, die gleiche Liebe zu Schweinen wie für seinen Herrn - oh weh.


    Jetzt soll der Handlungsstrang um Telemachos, der seit dem vierten Gesang geruht hat, mit der Haupthandlung um die Heimkehr des Odysseus zusammengeführt werden. Athene wird Telemachos aus Sparta zurückholen.