September 2008 - Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray


  • Im elften Kapitel kommt ein verhängnisvolles Buch ins Spiel – ein Buch, von dessen Einfluss sich Dorian nicht befreien kann. Es handelt sich wahrscheinlich um den im Huysmans-Ordner diskutierten Roman „Gegen den Strich“, auch wenn weder Autor noch Titel genannt werden. Es scheint mir jedoch offensichtlich, dass Dorian sich von den ästhetischen Wahnvorstellungen und Exaltiertheiten des Marquis Des Esseintes leiten lässt. „ ... in Wahrheit schien ihm das ganze Buch die Geschichte seines eigenen Lebens zu enthalten, die niedergeschrieben war, ehe er es gelebt hatte.“


    Hallo Tom,


    ich bin leider gestern nicht zum Lesen gekommen, hänge also noch im 8. Kapitel fest. Es wird ja schon im 2. Kapitel ein Buch erwähnt, das Lord Henry gelesen hat, als er 16 Jahre alt war. Da wird bei mir in den Anmerkungen darauf hingewiesen, daß es sich womöglich um Gegen den Strich handelt.



    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Frage, ob Wilde den Vornamen „Sibyl“ evtl. von der Prophetin Sibylle aus der griechischen Mythologie ableitete. Der Nachname „Vane“ heißt wörtlich übersetzt „(Wetter)Fahne“. Sollte uns das etwas sagen?


    Der Name Sibyl Vane wirkt mir auch sehr bewußt ausgesucht. Bei "Vane" besteht auch noch die Möglichkeit, daß es an das gleichlautende "vain", also "eitel, nutzlos, vergeblich" erinnern soll. Da könnte beides zu ihr passen, denn sie läßt sich ja sehr stark von Dorian beeindrucken, plötzlich hängt ihr ganzes Leben von ihm ab. Und als er sie verläßt, kann sie nicht mehr weiterleben, alles ist nun nutzlos und leer für sie.


    Viele Grüße
    thopas


  • "Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
    Ist dem Tode schon anheim gegeben."


    In seinem kurz nach „Dorian Gray“ geschriebenen Theaterstück „Salomé“ treibt Wilde den Zusammenhang zwischen Eros (bzw. Schönheit) und Tod auf die Spitze. Salomé erlangt die Befriedigung ihrer Gelüste ausschließlich durch den gewaltsamen Tod des angebeteten und begehrten Subjekts. Wer je eine gute Inszenierung der gleichnamigen Richard Strauß-Oper (deren Libretto sich eng an die Wildesche Vorlage hielt) gehört hat, kann sich dem morbiden Zauber kaum entziehen ...


    Das aber nur am Rande.


    Liebe Grüße


    Tom

  • hallo,


    nach dem Lesen des neunten Kapitels hat sich meine Meinung über Lord Henry noch verstärkt. Er bringt Dorian dazu zu akzeptieren, dass das Bild sich ändern wird und Dorian alle seine Vorsätze überwirft und ein Leben in "Sünde" heraufbeschwört.
    Die häufigen Erwähnungen von Pflanzen und Blumen sind mir als Nicht-kenner aufgefallen. Tulpen und Rosen kann ich ja noch zuordnen, dann hört es aber leider schon auf. Hat es eine bestimmte Bedeutung, dass Dorian Mohn pflanzen will, nachdem er vom Tode Sibyls erfahren hat?



    Interessant fand ich den Schluss des 6. Kapitels. Basil Hallward wird immer mehr an den Rand gedrängt von Dorian und Lord Henry, was sehr deutlich darin zum Ausdruck kommt, daß er in einer anderen Kutsche hinter den beiden her fahren muß:


    In dem Zusammenhang hat mich gewundert, weshalb Basil Dorian am Anfang des siebten Kapitels so sehr ermuntert, Sibyl zu heiraten. Was hatte er damit beabsichtigt?


    Schönes Wochenende
    Robinson


  • Die häufigen Erwähnungen von Pflanzen und Blumen sind mir als Nicht-kenner aufgefallen. Tulpen und Rosen kann ich ja noch zuordnen, dann hört es aber leider schon auf. Hat es eine bestimmte Bedeutung, dass Dorian Mohn pflanzen will, nachdem er vom Tode Sibyls erfahren hat?


    Hallo Robinson,


    da habe ich jetzt auch erstmal nachschauen müssen, und Wikipedia (allerdings nur die englische) gibt mal wieder die Antwort dazu:


    Zitat

    Poppies have long been used as a symbol of both sleep and death: sleep because of the opium extracted from them, and death because of their (commonly) blood-red color. In Greco-Roman myths, poppies were used as offerings to the dead. Poppies are used as emblems on tombstones to symbolize eternal sleep.(...)



    In dem Zusammenhang hat mich gewundert, weshalb Basil Dorian am Anfang des siebten Kapitels so sehr ermuntert, Sibyl zu heiraten. Was hatte er damit beabsichtigt?


    Das ist mir auch nicht ganz klar. Darüber muß ich nochmal nachdenken. Vielleicht, um ihn dem Einfluß von Lord Henry zu entziehen?


    Viele Grüße
    thopas

  • Hallo zusammen,


    entschuldigt, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe, hatte wenig Zeit und ich muss beim Lesen dieses Romans auch einen ziemlichen Widerstand überwinden. Bin nun mitten in dem "kunstgewerblichen" Kapitel 11.


    Zitat von "Robinson"

    In dem Zusammenhang hat mich gewundert, weshalb Basil Dorian am Anfang des siebten Kapitels so sehr ermuntert, Sibyl zu heiraten. Was hatte er damit beabsichtigt?


    Das hat mir wenig Kopfzerbrechen bereitet, weil ich annahm, dass Hallward das kleinere Übel der Heirat Dorians mit Sybil in Kauf nehmen wollte, um Dorian vor dem verderblicheren Einfluss Lord Harrys zu schützen.


    Dieser Roman reißt mich hin und her. Er ist extrem sentenziös, wobei diese Sentenzen oft brilliant sind und mir einleuchten (ich habe schon viele Zeilen für mein Notizbuch notiert), genauso oft aber auch erschreckend hohl und oberflächlich. Nun sind die meisten davon ja Lord Harry zugeschrieben und dienen dazu, diesen zu charakterisieren, aber die reine Masse dieser Bonmots lässt doch darauf schließen, dass Wilde sich selbst in dieser Fabulierlust wohl fühlte und diese Hohlheiten zum Teil wenigstens für schick, wenn auch vielleicht nicht für wahr hielt. Weniger wäre hier mehr gewesen.
    Zu dem gelben Buch aus Ende Kap. 10:
    Laut den Anmerkungen meiner Ausgabe ist Huysmans "Gegen den Strich" nur einer der Ideengeber für dieses fiktive Werk, daneben sollen auch Ideen des Römers Sueton (De vita Caesarum) und von Edward Gibbons "History of the Decline and Fall of the Roman Empire" sowie von John A.Symonds "History of the Italian Renaissance" eingeflossen sein. Ich kenne alle diese Werke nicht, kann also nicht sonst dazu sagen.


    Das 11. Kapitel verlockte mich letzte Nacht immer wieder zu längeren Dös-Anfällen, denn die geradezu museale Aufzählung und Beschreibung der vielen kunst- und kunstgewerblichen Produkte fand ich schon öde.
    Sonst lese ich sehr gerne auch ausführliche Interieurbeschreibungen - wenn sie der Romankomposition dienlich sind - aber hier ist mir doch zuviel "Art déco"!


    HG
    finsbury


  • Zu dem gelben Buch aus Ende Kap. 10:
    Laut den Anmerkungen meiner Ausgabe ist Huysmans "Gegen den Strich" nur einer der Ideengeber für dieses fiktive Werk, daneben sollen auch Ideen des Römers Sueton (De vita Caesarum) und von Edward Gibbons "History of the Decline and Fall of the Roman Empire" sowie von John A.Symonds "History of the Italian Renaissance" eingeflossen sein. Ich kenne alle diese Werke nicht, kann also nicht sonst dazu sagen.


    Ich bin nun auch mitten im elften Kapitel und hatte den Eindruck, daß mit dem gelben Buch, das Dorian so fasziniert, nicht Gegen den Strich gemeint sein kann. Es finden sich keine exakten Übereinstimmungen. Es ist dann wohl sehr wahrscheinlich, daß es ein fiktives Buch ist. Leider ist dazu in meiner Ausgabe keine Anmerkung; die sind sowieso etwas spärlich, was ich sehr schade finde (Penguin Classics, 1985, Anmerkungen von Peter Ackroyd, den ich als Autor eigentlich sehr schätze).



    Das 11. Kapitel verlockte mich letzte Nacht immer wieder zu längeren Dös-Anfällen, denn die geradezu museale Aufzählung und Beschreibung der vielen kunst- und kunstgewerblichen Produkte fand ich schon öde.
    Sonst lese ich sehr gerne auch ausführliche Interieurbeschreibungen - wenn sie der Romankomposition dienlich sind - aber hier ist mir doch zuviel "Art déco"!


    Ich habe auch gemerkt, wie mein Lesefluß gleich gebremst wurde in dem Kapitel. Die Aufzählungen und Beschreibungen waren mir schon bei Huysmans gelegentlich etwas zu viel.


    Viele Grüße
    thopas

  • Hallo zusammen,


    im 16. Kapitel halte ich nun inne: Die meisten schrecklichen Dinge, die sich von Anfang an andeuteten, sind nun passiert und Dorian zieht sich um des Vergessens willen in eine Opiumhöhle zurück.
    thopas
    Am Ende des 11. Kapitels wird klar, dass Wilde im gelben Buch auch die oben erwähnten kulturhistorischen Werke verwurstet hat, denn da geht es ja um Anekdoten aus der römischen Kaiserzeit und der Renaissance, also wohl aus den o.g. Werken Suetons, Gibbons und Symonds.
    Die Handlung erhält nach dem 11. Kapitel zunehmend Fahrt, so dass ich diesem großmütig :zwinker: das retardierende Moment zugestehe und die ganzen Textilien, Steinchen und was noch ad acta lege.
    Basil Hallwards großer Auftritt in Kapitel 12 kontrastiert scharf mit diesen harmlosen Geschmäcklereien und rüttelt dadurch nicht nur Dorian, sondern auch den Leser auf. Das Ganze muss natürlich in der Katastrophe enden.
    Nun harre ich darauf, wie Dorian Gray seiner eigenen "Vollendung" entgegeneilt!


    Einen schönen Sonntag!


    HG
    finsbury


  • Ich bin nun auch mitten im elften Kapitel und hatte den Eindruck, daß mit dem gelben Buch, das Dorian so fasziniert, nicht Gegen den Strich gemeint sein kann. Es finden sich keine exakten Übereinstimmungen.


    Hallo thopas,


    das zerstört meinen jahrzehntelangen Glauben, es könne sich ausschließlich um "Gegen den Strich" handeln. Aber ich "verbeuge" mich vor Deinen noch frischen Huysmans-Leseeindrücken.


    Hattest Du mittlerweile Gelegenheit, in den Schmöker "Liebe, Tod und Teufel - Die schwarze Romantik" von Mario Praz einzutauchen (ich erwähnte ihn im Materialienordner unserer "Tod in Venedig"-Runde)? Oscar Wilde (insbes. "Das Bildnis ..." und "Salomé") wird dort ausführlich gewürdigt. Huysmans übrigens auch. Sehr interessante Lektüre!


    Einen schönen Sonntag wünscht


    Tom

  • Hallo finsbury,


    als gewiefter Dramatiker wusste Wilde, dass er im "vierten Akt" die Handlung ein wenig bremsen muss. :zwinker: Mich hat es nicht gestört.


    Es hat natürlich auch noch eine zweite Funktion: es vergehen ja fast 20 Jahre während dieses Kapitels. Da kann Wilde nicht einfach so zum nächsten Kapitel springen, das wäre dann etwas abrupt. Dieses Aufzählen von Dorians Sammelobjekten bringt eine Pause in die Handlung, die einem den Zeitsprung leichter macht.



    Hattest Du mittlerweile Gelegenheit, in den Schmöker "Liebe, Tod und Teufel - Die schwarze Romantik" von Mario Praz einzutauchen (ich erwähnte ihn im Materialienordner unserer "Tod in Venedig"-Runde)? Oscar Wilde (insbes. "Das Bildnis ..." und "Salomé") wird dort ausführlich gewürdigt. Huysmans übrigens auch. Sehr interessante Lektüre!


    Nein, leider nicht. Es gibt dieses Buch ja nur noch antiquarisch, wie wir festgestellt hatten, und bei ZVAB z.B. nicht unter 60 EURO. Das ist mir dann doch ein bißchen zu teuer :zwinker:. Ich habe es mir aber notiert und werde weiterhin danach ausschau halten.


    Ich bin jetzt im 13. Kapitel und mit dem guten Dorian geht es nun ziemlich rasant bergab. Er wirkt nun fast selbst wie ein Mephisto, da er seine "Freunde" genauso manipuliert und zum Bösen verführt, wie Lord Henry es mit ihm getan hat. Der arme Basil wiederum ist viel zu gut und muß dann natürlich dran glauben...


    Viele Grüße
    thopas

  • Liebe Mitleser,


    hab am Wochenende leider nicht viel geschafft, da ich nebenbei noch für die anstehenden Prüfungen lerne.


    Ist euch aufgefallen, dass Dorian Gray und auch der Erzähler die Schuld Dorians am Tode Sibyls leugnen und gleichzeitig bestätigen?
    Das Böse in Form von Lord Henry wird erneut deutlich, indem er Dorian ein Buch gibt, in welchem "wunderschöne Sündenbeispiele" stehen, und Dorians Seele nur noch mehr verkommt.
    Dorian selbst steigert sein Interesse für Schönheit im materiellen Sinne; er sammelt Edelsteine, und Antiquitäten. So freut er sich über die Vergänglichkeit der Schönheit, aber auch über die Unvergänglichkeit (Edelsteine).


    Es wird erwähnt, dass Dorian und Lord Henry immernoch nahezu unzertrennlich sind. Nun müsste dieser doch aber schon über 40 sein und dementsprechend gealtert? Dorians Empfinden für Schönheit wird in diesem Falle durch den Einfluss Harrys übersteigert, ansonsten würde Dorian die Verbindung doch abbrechen? Sehe ich das richtig?


    An seinem 38. Geburtstag trifft er auf Basil, zeigt ihm im folgenden das Bild und ersticht ihn dann. Erschüttert hat mich die Kaltblütigkeit, denn direkt nach dem Mord, erinnert er sich an die Lampe, die vom Diener vermisst werden könnte. Außerdem verschafft er sich eine Art Alibi indem er vorgibt, erst sehr spät gekommen zu sein. Am nächsten Morgen schläft er friedlich in seinem Bett,

    Zitat

    like a boy who had been tired out with play, or study.


    Ich hätte wenigstens eine schlaflose Nacht erwartet.
    Um den Mord zu vertuschen, erpresst er einen früheren "engen" Freund, ein Chemiker, die Leiche und sonstige Spuren zu beseitigen. Er gibt zu den Mord begangen zu haben, daraufhin zeigt sein Portrait blutbefleckte Hände. Mittlerweile kann ich nicht mal Mitleid für ihn empfinden.


    Nun noch eine Frage aus rein wissenschaftlich-kriminalistischem Interesse:
    Was könnte Alan Campbell mit Chemikalien, Eisen- und Platindraht und Eisenklammern gemacht haben?
    Da es einen Ofen im Raum gab, hätte Dorian das auch ohne Zeugen erledigen können, kaltblütig und grausam genug ist er zu diesem Zeitpunkt.



    Grüße
    Robinson


  • ... Der arme Basil wiederum ist viel zu gut und muß dann natürlich dran glauben...


    Und wie er "dran glauben" muss! Die Beschreibung des Mords klingt wie eine Persiflage auf die Schauerromane des frühen 19. Jahrhunderts (z.B. Hoffmans "Elixiere des Teufels"). Ich weiß nicht, wie es Euch damit ergangen ist: Für mich hat Oscar Wilde hier ein wenig zu viel Farbe aufgetragen.



    Was könnte Alan Campbell mit Chemikalien, Eisen- und Platindraht und Eisenklammern gemacht haben?


    Die Frage ist berechtigt. Als Nichtexperte in Sachen "Leichenbeseitigung" kann ich Dir leider nicht helfen.


    Ich bin übrigens mittlerweile fertig, warte aber noch ein wenig mit weiteren Anmerkungen.


    Es grüßt


    Tom

  • Hallo zusammen,


    seit gestern Nachmittag bin ich auch mit dem Roman fertig und bin dieses Umstands wegen nicht gram!
    Es war interessant, aus der Ästhetenfraktion etwas zu lesen. Dennoch bin ich trotz der zum Teil brillianten Apercus enttäuscht:
    Dieses Aufgehen in Äußerlichkeiten, in um in einem Filmzitat zu sprechen "Nichtigkeiten statt Wichtigkeiten" ging mir doch ziemlich auf den Senkel. Dann lieber Nietzsche - der hatte wenigstens etwas dem Nichts entgegenzustellen!
    Eigentlich endet der Roman auch nicht konsequent - es hätte herauskommen müssen, dass Dorian Gray an der Unerfüllbarkeit des Traums von ewiger Jugend zerbricht, nicht an moralischen Problemen.


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen,



    Ist euch aufgefallen, dass Dorian Gray und auch der Erzähler die Schuld Dorians am Tode Sibyls leugnen und gleichzeitig bestätigen?


    Die Erzählsituation in diesem Buch finde ich ein bißchen verwirrend. Es ist ja eine sog. personale Erzählsituation, im englischen "third person narrator", d.h. es wird in der dritten Person erzählt. Dabei kann die Person des Erzählers erkennbar werden, oder auch völlig hinter den anderen Personen im Buch verschwinden. Ich habe hier das Gefühl, daß man den Erzähler eigentlich gar nicht als eigene Person (mit einer eigenen Meinung) wahrnimmt. Gefühle, Gedanken etc. werden aus der Sicht der anderen (meist Dorian oder Lord Henry) geschildert, allerdings wechselnd, oft von einem Absatz zum anderen. Da muß man dann schon sehr aufpassen, wer nun was denkt und fühlt. Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob der Erzähler überhaupt etwas meint. Wo ist denn die Stelle, die du oben erwähnt hast, Robinson?


    Ich bin mittlerweile im 18. Kapitel angekommen. Die nachträglich eingefügten Kapital 15 bis 18 finde ich nicht deplaziert oder überflüssig. Ich halte sie fast für ein retardierendes Moment, bevor Dorian der Katastrophe entgegen geht.



    Und wie er "dran glauben" muss! Die Beschreibung des Mords klingt wie eine Persiflage auf die Schauerromane des frühen 19. Jahrhunderts (z.B. Hoffmans "Elixiere des Teufels"). Ich weiß nicht, wie es Euch damit ergangen ist: Für mich hat Oscar Wilde hier ein wenig zu viel Farbe aufgetragen.


    So extrem kam es mir gar nicht vor. Aber ich lese auch gerne Schauerromane und bin vielleicht schon abgehärtet :zwinker:. Ich habe die Szene gerade nochmal gelesen; sie ist tatsächlich etwas übertrieben (schon fast splatter-mäßig...).


    Viele Grüße
    thopas


  • Eigentlich endet der Roman auch nicht konsequent - es hätte herauskommen müssen, dass Dorian Gray an der Unerfüllbarkeit des Traums von ewiger Jugend zerbircht, nicht an moralischen Problemen.


    Hallo finsbury,


    sind es wirklich "moralische Probleme", an denen Dorian Gray letztlich zugrunde geht? Die Zerstörung seines Portraits ist mMn. ein Akt, der sich gegen den körperlichen Verfall und die Hässlichkeit richtet, weniger gegen deren Ursache (die Korruption bzw. Verneinung moralischer Vorstellungen). Deshalb zerbricht er durchaus am Scheitern seines Traums.


    Außerdem glaube ich nicht, dass Oscar Wilde als bekennender Ästhet und Dandy so etwas wie eine Anklage gegen den Schönheits- und Jugendwahn schreiben wollte. Lassen wir den Autor selbst zu Wort kommen: "So etwas wie ein moralisches oder unmoralisches Buch gibt es nicht. Ein Buch ist entweder gut oder schlecht geschrieben. Das ist alles."


    Viele Grüße


    Thomas

  • Hallo zusammen,


    ich habe das Buch gestern abend noch fertig gelesen. Und es ist doch etwas anders ausgegangen, als ich es mir dachte. Irgendwie hatte ich vage in Erinnerung, daß James Vane das Portrait zerstören würde. Aber ich sehe jetzt, daß diese ganze James Vane-Handlung erst in den nachträglich eingefügten Kapiteln stattfindet.



    sind es wirklich "moralische Probleme", an denen Dorian Gray letztlich zugrunde geht? Die Zerstörung seines Portraits ist mMn. ein Akt, der sich gegen den körperlichen Verfall und die Hässlichkeit richtet, weniger gegen deren Ursache (die Korruption bzw. Verneinung moralischer Vorstellungen). Deshalb zerbricht er durchaus am Scheitern seines Traums.


    Ich hatte mir gedacht, daß Dorian das Portrait aus Wut und Trotz oder so etwas ähnlichem zerstört. Er hat sich nun entschlossen, "gut" zu sein und deshalb sollte sich das Portrait verändern und ihm einen schöneren, milderen Dorian zeigen. Da es das nicht tat - wie sollte eine einzige Tat, die noch dazu nicht wirklich uneigennützig war, sein ganzen schlechtes Leben aufwiegen? - hat er es als Strafe zerstören wollen. Er ist quasi beleidigt und handelt im Affekt, genauso wie beim Mord an Basil, der es gewagt hat, ihn zu kritisieren. Diese moralischen Probleme, die Dorian quälen, sind vermutlich auch nur aufgesetzt. Es ist, wie Lord Henry sagt, mal etwas neues, das Dorian ausprobiert.


    Mir hat das Buch wieder ganz gut gefallen, wobei mir aber auffällt, daß ich Oscar Wilde als Bühnenautor lieber mag. Und man muß ihn in Maßen genießen, sonst wird man von den ganzen Apercus erschlagen. Wilde ist da wohl ähnlich wie Lord Henry, zu dem Dorian im 18. Kapitel sagt "You would sacrifice anybody, Harry, for the sake of an epigram."


    Viele Grüße
    thopas


  • Ich hatte mir gedacht, daß Dorian das Portrait aus Wut und Trotz oder so etwas ähnlichem zerstört.


    Hallo thopas,


    das Ende lässt viele Deutungen und Interpretationen zu, wie es sich für einen guten Roman gehört.



    Mir hat das Buch wieder ganz gut gefallen ...


    Uneingeschränkte Zustimmung! Den Bühnenautor Oscar Wilde kenne ich auch, habe aber mit Ausnahme der "Salomé" keine Erinnerungen an ein bestimmtes Stück. "Dorian Gray" ist als Wildes einziger Roman auch heute noch ein Liebling der Engländer (angeblich gehört er zu den meistgelesenen englischsprachigen Romanen - was wenig über das Werk, aber viel über den englischen Geschmack sagt).


    Viele Grüße


    Thomas

  • Hallo,


    auch gestern habe ich leider nur ein Kapitel geschafft, Kapitel XV.
    Als Dorian von Harry gefragt wird, was er in der Nacht tat, in der der Mord geschah, da verstrickte sich Dorian in Widersprüche. Seine Nerven sind durch die Tat angegriffen, er ist also doch nicht ganz so kaltblütig, wie ich anfangs annahm.
    Die Dinge, die Lady Narborough von ihrer Tochter erzählt, sind meiner Meinung nach vollkommen "hohl", worin sich für mich Dekadenz äußert. Sie verurteilt das regelmäßige Leben ihrer Tochter. Vielleicht empfinde ich das auch alles nur so stark, weil ich momentan fast ausschließlich von Chemie und Werkstoffen beeinflusst werde.


    Gespannt bin ich nun, wohin Dorian am Ende des letzten Kapitels fährt, und was es mit der kleinen chinesischen Kiste auf sich hat. Wie thopas zu anfangs schrieb, wurden dieses (XV) und die folgenden erst später in der Buchfassung hinzugefügt.


    Nachdem ich sehe, dass ihr alle schon fertig seid, werde ich heute die Werkstoffe mal auf Eis legen, und ein wenig aufholen. :winken:


    lg Robinson

  • Ich gestatte mir eine kleine Randnotiz. Angeregt durch die aktuelle Diskussion im Thomas Mann-Ordner griff ich gestern Abend zu dessen Erzählungen, blieb bei „Tristan“ hängen und wunderte mich über die „Ähnlichkeit“, die der dort beschriebene (fiktive) Schriftsteller Detlev Spinell mit Oscar Wilde aufweist. Spinell wird vorgestellt als ein glühender Anhänger des Ästhetizismus, der mit dümmlichem Geschwätz (ähnlich wie Lord Henry) die zarte und todkranke Gabriele zu einer Tat verleitet, die verheerende Konsequenzen hat. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass Thomas Mann in dieser Novelle den wenige Jahre zuvor verstorbenen Oscar Wilde der Lächerlichkeit preisgeben wollte. Der wikipedia-Artikel bestätigt diese Vermutung und benennt einen gewissen (mir unbekannten) Arthur Holitscher als Vorbild für Detlev Spinell.


    Viele Grüße


    Thomas

  • Hallo,


    bin nun auch endlich fertig.


    In Kapitel 16 wird folgender Satz bzgl. Dorian gesagt: [qoute]In three days he would be free.[/quote] Leider hab ich nicht mitbekommen, auf was sich dieser Satz bezieht.
    Dem Tod durch James Vane entkommt er ja gerade noch, allerdings werden durch die Verfolgung seine Nerven weiter zerrüttet (das erinnerte mich an "Schuld und Sühne").
    Nachdem James Vane tod ist, und Dorian somit sicher, beschließt er, sein Leben zu ändern. Im Gespräch mit Lord Henry lenkt er immer wieder auf den Tod Basils, und fragt Harry sogar, ob er ihn (Dorian) für fähig halte, Basil getötet zu haben (Schuld und Sühne!?)


    Am Schluß gewinnt ja nun sein Portait die alte "Schönheit" zurück, und Dorian liegt tot am Boden, mit den Zeichen seiner Sünden. Eigentlich nur folgerichtig, Mitleid kann ich für Dorian nicht empfinden, tut mir leid. Meiner Meinung scheitert er, an seiner Unvollkommenheit, die seinen Körper heimgesucht hat. Ich denke, moralische Gründe waren nicht Ursache für sein scheitern, wie finsbury andeutete.



    Am Ende des 15. Kapitels:

    Zitat

    It was a
    small Chinese box of black and gold-dust lacquer, elaborately wrought,
    the sides patterned with curved waves, and the silken cords hung with
    round crystals and tasselled in plaited metal threads. He opened it.
    Inside was a green paste, waxy in lustre, the odour curiously heavy and
    persistent.


    Habt ihr eine Idee, was es sein könnte? Spielte Dorian Gray vielleicht mit dem Gedanken an Suizid?




    Zitat

    Zitat von thopas


    Die Erzählsituation in diesem Buch finde ich ein bißchen verwirrend. Es ist ja eine sog. personale Erzählsituation, im englischen "third person narrator", d.h. es wird in der dritten Person erzählt. Dabei kann die Person des Erzählers erkennbar werden, oder auch völlig hinter den anderen Personen im Buch verschwinden. Ich habe hier das Gefühl, daß man den Erzähler eigentlich gar nicht als eigene Person (mit einer eigenen Meinung) wahrnimmt. Gefühle, Gedanken etc. werden aus der Sicht der anderen (meist Dorian oder Lord Henry) geschildert, allerdings wechselnd, oft von einem Absatz zum anderen. Da muß man dann schon sehr aufpassen, wer nun was denkt und fühlt. Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob der Erzähler überhaupt etwas meint. Wo ist denn die Stelle, die du oben erwähnt hast, Robinson?


    Meine Notizen waren diesmal recht dürftig, deshalb hab ich nur schnell alles überflogen und folgende Zeilen gefunden, die sich alle auf Sibyl beziehen.





    Die Mordszene hab ich auch grade noch mal gelesen. Für die damalige Zeit vielleicht ein wenig übertrieben, aber heutzutage sieht man sowas ja ständig im TV. Schon die ersten Zeilen des Kapitels deuten die schaurige Atmosphäre des Kommenden, wie ich finde, gut an:


    Zitat


    He passed out of the room and began the ascent, Basil Hallward
    following close behind. They walked softly, as men do instinctively at
    night. The lamp cast fantastic shadows on the wall and staircase. A
    rising wind made some of the windows rattle.




    Persönlich hatte ich mir ein wenig mehr vom Dorian Gray (als Werk) gwünscht.

    Zitat

    Zitat von finsbury
    Dieses Aufgehen in Äußerlichkeiten, in um in einem Filmzitat zu sprechen "Nichtigkeiten statt Wichtigkeiten" ging mir doch ziemlich auf den Senkel.


    Da muss ich dir zustimmen. Mir ging es ähnlich, die Gespräche wurden irgendann ziemlich ..., naja. Für mich hatten die Gespräche, besonders mit den Ladies, ein wenig von "Graswachstum in Echtzeit".



    Grüße Robinson