März 2008 - F. Scott Fitzgerald: The Great Gatsby / Der große Gatsby

  • "Es ist ein Tal der ASche - eine absurde Farm, wo Asche wie Weizen zu Bergketten und Hügeln und grotesken Gärten anwächst, wo Asche die Gestalt von Häusern und Schornsteinen und Rauchsäulen annimmt und schließlich mit übernatürlicher Anstrengung sogar Menschen formt, die schemenhaft und schon zerbröselnd durch den Staub geistern". (Diogenes-Ausgabe)

  • Wer sich mit Sekundärliteratur zu Fitzgerald befassen möchte, dem sei Folgendes als Einstieg empfohlen:


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    Tilman Höss - F. Scott Fitzgerald: Die Philosophie des Jazz Age


    erschienen im Peter Lang Verlag. In dem Buch geht es um Fitzgeralds Werk in Bezug auf den Amerikanischen Traum und die Konsumgesellschaft der 20er.



    ***


    Als Ergänzung zu seinem Werk bietet sich seine Sammlung autobiographischer Essays an, die unter dem Titel The Crack Up beziehungsweise Der Knacks erschienen ist. (Verlag: z.B. The Bodley Head, London.) Im namensgebenden Essay (von 1936) heißt es einleitend z.B. "Of course all life is a process of breaking down [...]". Nirgends wird die Desillusionierung Fitzgeralds vom Leben so deutlich auf den Punkt gebracht wie hier. Eine bewegende Lektüre...

  • Uaah, Giesbert, wie soll ich sagen.....das ist einfach krass. Ich galube ich muss den Gatsby unbedingt noch in der deutschen Übersetzung lesen! Schön, dass du hier doch ein wenig mitmischst! Hast du auch andere Werke von Fitzgerald gelesen? Ich muss eingestehen, dass ich bisher nie so von einem Autor und seinem Werk gefesselt wurde wie von Fitze. Das Spannende ist gerade, Gleichheiten in seiner Literatur und seinem Leben zu entdecken, die es m.E. mach en masse zu entdecken gibt.


  • Das Spannende ist gerade, Gleichheiten in seiner Literatur und seinem Leben zu entdecken, die es m.E. mach en masse zu entdecken gibt.


    Hallo, Fitze-Fans,


    ich gestatte mir eine kurze Einmischung in Eure schöne Runde. Die Parallelen zwischen Biografie und Werk sind bei Fitzgerald in der Tat frappierend. Im Gatsby ist bspw. die Figur der Daisy nach seiner Gattin Zelda modelliert. Das ist nicht sehr schmeichelhaft für die Dame, die als berühmtes "flapper girl" der 20er Jahre galt und Fitzgerald ganz schön auf Trab gehalten haben soll mit ihren Luxusansprüchen.


    Euch weiterhin viel Spaß mit dem GG, der übrigens einen würdigen Nachfolger in "Zärtlich ist die Nacht" gefunden hat. Auch lesenswert!


    Es grüßt


    Sir Thomas


  • Was mir aufgefallen ist, das ist die Vergegenständlichung der Menschen ...


    Hallo Dionne,


    im zweiten Kapitel wird das in der Tat deutlich, z.B. da, wo der arme Wilson, den Myrtle zum Stühleholen wegschickt, kaum von der betonfarbenen wand unterscheidbar ist (S. 32 oben bei den Penguin Pop Classics):


    Zitat

    'Get some chairs, why don't you, so somebody can sit down.'
    'Oh, sure,' agreed Wilson hurriedly, and went toward the little office, mingling immediately with the cement colour of the walls. A white ashen dust veiled his dark suit and his pale hair as it veiled everything in the vicinity - except his wife, who moved close to Tom.


    Und ein bisschen weiter (S. 43), als Nick vor lauter Whisky beginnt, die Zeit aus den Augen zu verlieren ("It was nine o'clock - almost immediately afterward I looked at my watch and found it was ten.") und dann auch den Überblick, kommt mein schönster Satz des Kapitels :-)


    Zitat

    The little dog was sitting on the table looking with blind eyes through the smoke, and from time to time groaning fainty. People disappeared, reappeared, made plans to go somewhere, and then lost each other, searched for each other, found each other a few feet away.


    Kein Wunder, dass er anschließend am Bett eines bis dato wildfremden Mannes in Unterhosen steht, und halbwach im Bahnhofsuntergeschoss auf den 4-Uhr-Zug wartet ...

  • Gestern stand in der Zeitung unter dem Titel "A jazz-age football story fails to make its goals" ein sprachlich brillanter Verriss von George Clooneys Film Leatherheads. Allein schon wegen der Filmmusik werde ich wahrscheinlich trotzdem reingehen, von der es heißt: "The music, by Randy Newman, gooses the action along in a desperate effort to create an atmosphere of madcap Jazz Age insouciance, and the screenplay multiplies subplots in the same doomed cause."



    Tilman Höss - F. Scott Fitzgerald: Die Philosophie des Jazz Age
    erschienen im Peter Lang Verlag. In dem Buch geht es um Fitzgeralds Werk in Bezug auf den Amerikanischen Traum und die Konsumgesellschaft der 20er.


    In der Bibliothek habe ich mir einmal das Buch angeschaut: man muss wohl die meisten Romane von Fitzgerald gelesen haben, um es nachvollziehen zu können, da es reichlich aus diesen zitiert. Die Literaturliste enthält eine kleine Merkwürdigkeit:


    Isabel Leighton (Hg.) - The Aspirin Age. 1919-1941


    Darin ist auch was für Dionne dabei, wie ein Rezensent auf amazon.com zu berichten weiß: ein Aufsatz über die "Dionne quintuplets". Was es alles gab :-)


  • Darin ist auch was für Dionne dabei, wie ein Rezensent auf amazon.com zu berichten weiß: ein Aufsatz über die "Dionne quintuplets". Was es alles gab :-)


    Das ist ja lustig.. :-)



    Den Onlinevideorecorder hatte ich auch mal. Leider kann ich den jetzt nicht mehr nutzen, weil man dafür TV-GEZ zahlen muss.

  • Nach einer erzwungenen ( :rollen:) Internetabstinenz melde ich mich wieder zurück.
    Ich bitte dafür um Entschuldigung! :rollen:


    Indessen habe ich das dritte Kapitel gemeistert.
    Wie weit bist du, Enigma?


    Der Erzähler ist geladen zu einem Empfang Gatsbys.
    Gleich zu Beginn wird die Übertreibung als bewusstest stilistisches Mittel eingesetzt.
    Es stehen "5 Reihen" von Autos vor der Tür und der Butler bringt in einer halben Stunde 200 Apfelsäfte an den Mann.
    Die Gesellschaft bleibt jedoch oberflächlich: "Man stellt sich vor, um den anderen gleich wieder zu vergessen" und "es kommt zu überschwänglichen Begrüßungen zwischen Frauen, die einander nicht einmal dem Namen nach kennen" (beides Seite 44 unten).
    Jeder inszeniert sich also erstmal selber.
    Immerhin kommen die Leute ja auch nicht Gatsbys wegen, sondern auf grund der Gesellschaft, wie Fitzgerald auf Seite 45 verlauten lässt.
    Eine Bekannte Joan Bakers bemerkt wie nebenbei, sie "wisse ohnehin nie was anzufangen".


    Schließlich erfahren wir endlich mehr über den Gastgeber. Es wird darüber spekuliert, dass er mal jemanden getötet haben soll oder ein deutscher Spion gewesen sei. Das tut dem Ruf und Image Gatsbys jedoch keinen Abbruch, sondern umgibt ihn eher mit einer geheimnisvollen Aura und betont (bislang) seine Unnahbarkeit.
    Doch dann macht der Erzähler ganz unverhofft selber Bekanntschaft mit dem Hausherren, draußen an einem Tisch sitzend. Es stellt sich heraus, dass sie sich schon einmal im Krieg begegnet sind. Der Gastgeber wird beschrieben mit einem „Lächeln, das einen entgültig beruhigte" und "einem gerade so viel Verständnis gegenüber bringt, wie man sich wünschte". Das steht also klar der bescheidenen Aussage Gastbys entgegen, er sei ein schlechter Gastgeber.
    Sehr bezeichnend finde ich im weiteren Verlauf die Aussage Joans, dass sie diese Gesellschaften liebe, weil sie "so intim" sind und man auf kleineren Parties nicht "für sich" sein kann. Gatsby ist auch auf dieser großen Party für sich, so scheint es.
    Schließlich endet die Feier und Gatsby und der Erzähler verbleiben mit einer Verabredung am nächsten Tag. Vor der Tür kommt es dann noch zu einem unerwarteten Zwischenfall. Ein schickes, neues Coupé wurde in den Graben maneuvriet. Dies steht sinnbildlich für die Dekadenz der Kultur, denke ich. Der Fahrer realisiert den Schaden erst, nachdem er mehrfach darauf hingewiesen wurde.
    Zurück bleibt Gastby. Diesmal allein.


    Was sind eigentlich „Kommis“?
    Darunter kann ich mir nichts vorstellen..

  • R2D2
    Ich hab mich wohl falsch ausgedrückt.
    ich denke, der Tiefpunkt Fitzgeralds eigenen Niedergangs lag nach der Veröfentlichung des Gastby, begonnen hat der Prozess aber vorher.


    Bzgl. den neuen Erfahrungen:
    Ich denke, hier geht es ihm eher im die Gesellschaft an sich als um das Betrinken.
    Und das hatte mich ja gewundert, dass er sich betrinkt. Bislang machte er für mich immer einen sehr selbst beherrschten Eindruck.

  • Aus dem dritten Kapitel, zunächst der etwas längere, geräuschvolle Auftakt zu einer rauschenden Party à la Gatsby:


    [hr] [hr]
    FSF:46f By seven o'clock the orchestra has arrived, no thin five-piece affair, but a whole pitful of oboes and trombones and saxophones and viols and cornets and picolos, and low and high drums. The last swimmers have come in from the beach now and are dressing upstairs; the cars from New York are parked five deep in the drive, and already the halls and salons and verandas are gaudy with primary colours, and hair bobbed in strange new ways, and shawls beyond the dreams of Castile. The bar is in full swing, and floating rounds of cocktails permeate the garden outside, until the air is alive with chatter and laughter, and casual innuendo and introductions forgotten on the spot, and enthusiastic meetings between women who never knew each other's names.
    The lights grow brighter as the earth lurches away from the sun, and now the orchestra is playing yellow cocktail music, and the opera of voices pitches a key higher. Laughter is easier minute by minute, spilled with prodigality, tipped out at a cheerful word. The groups arrange more swiftly, swell with new arrivals, dissolve and form in the same breath; already there are wanderers, confident girls who weave here and there among the stouter and more stable, become for a sharp, joyous moment the centre of a group, and then, excited with triumph, glide on through the sea-change of faces and voices and colour under the constantly changing light.
    Suddenly one of these gypsies, in trembling opal, seizes a cocktail out of the air, dumps it down for courage and, moving her hands like Frisco, dances out alone on the canvas platform. A monentary hush; the orchestra leader varies his rhythm obligingly for her, and there is a burst of chatter as erroneous news goes around that she is Gilda Gray's understudy from the Follies. The party has begun.
    ML:58ff Um sieben Uhr kam dann das Orchester, und das war nicht nur ein armseliges, aus fünf Mann bestehendes Häuflein Musik, sondern ein ganzes Parterre von Posaunen, Saxophonen, Violinen, Hörnern, Piccolos und hohen und tiefen Trommeln. Die letzten Schwimmer kehren nun vom Strand zurück und kleiden sich oben im Hause für den Abend um; die Wagen aus New York stehen in fünf Reihen auf der Straße nebeneinander, und die Hallen, die Salons und Veranden flimmern schon in den ersten leuchtenden Farben. Köpfe, nach der letzten Mode frisiert, und Schals, die alle Träume Kastiliens übertreffen, wogen durch die Räume. Die Bar ist in vollem Betrieb, ungeheure Mengen von Cocktails fluten in großen Runden draußen durch den Garten, bis die Luft in Geschwätz und Gelächter erzittert. Man stellt einander vor, vergißt einander auf der Stelle wieder, Frauen, die nie im Leben voneinander auch nur den Namen gehört haben, begrüßen sich in wonniger Verzückung.
    Und die Lichter leuchten immer heller, je mehr die Sonne sich von der Erde entfernt, nun beginnt auch das Orchester eine gelbe Cocktailmusik zu spielen, und das allgemeine Stimmengewirr wird nun noch um eine Tonart höher. Das Lachen wird von Minute zu Minute leichter, verschwenderisch sprudelt es hervor, quillt neu auf bei jedem vergnügten Wort. Die Gruppen wechseln rasch, nehmen neue Ankömmlinge auf, lösen und bilden sich im selben Atemzug; und schon gibt es Zugvögel zwischen ihnen, zutrauliche Mädchen, die hin und her schwanken, einen kurzen, lustigen Augenblick lang irgendwo den Mittelpunkt bilden, um dann glühend vor Triumph durch das wechselnde und immer wieder neu beleuchtete Gewoge der Gesichter, Stimmen und Farben zu gleiten.
    Plötzlich aber hebt eine dieser Zigeunerinnen, die in zitterndes Opal gekleidet ist, ihren Cocktail hoch in die Luft. Sie schüttet ihn hinunter, wie um sich Mut zu machen, hebt die Hände und tanzt allein hinaus auf die Segeltuchbühne. Einen Augenblick lang allgemeines "Pst!"; der Kapellmeister ändert ihr zuliebe den Rhythmus, und wie sich das falsche Gerücht verbreitet, daß sie manches Mal an Stelle von Gilda Gray in den Follies auftritt, beginnt alles auf einmal heftig durcheinander zu schwatzen. Nun hat die Gesellschaft erst wirklich begonnen.
    WS: 44f Gegen sieben ist dann auch die Musik da - keine kümmerliche Fünfmannkapelle, sondern ein ausgewachsenes Orchester mit Oboen, Posaunen und Saxophonen, Bratschen, Hörnern, Pikkoloflöten, Trommeln und Pauken. Mittlerweile sind die letzten Schwimmer vom Strand zurück und oben beim Umkleiden. Auf dem Vorplatz parken, in fünf Reihen gestaffelt, die Wagen aus New York. Und schon wogt es in grellbunter Farbenskala durch die Hallen, Salons und Veranden. Man sieht neuartig gestutzte Bubiköpfe und spanische Schals, vor denen alle Träume Kastiliens verblassen. Die Bar ist in vollem Betrieb; Cocktailrunden schwärmen aus und bevölkern den Garten, bis auch dort die Luft von Plaudern und Lachen erfüllt ist. Es wird getuschelt; man stellt sich vor, um den anderen gleich wieder zu vergessen, und es kommt zu überschwänglichen Begrüßungen zwischen Frauen, die einander nicht einmal dem Namen nach kennen.
    Alle Lampen strahlen heller, indes die Erdkugel sich allmählich von der Sonne weg auf die andere Seite rollt. Das Orchester spielt jetzt grelle Cocktailmusik, der Gesang der Stimmen geht in eine höhere Tonlage über. Von Minute zu Minute löst sich das Lachen leichter, greift verschwenderisch um sich und ergießt sich über jedes witzige Wort. Rascher wechseln die Gruppen, schwellen an, wenn neue Gäste hinzukommen, lösen sich auf und bilden sich im gleichen Atem wieder neu. Schon gibt es wanderlustige unternehmenslustige Mädchen, die mal hier, mal da unter den behäbigeren und stetigeren Gästen umherschweifen, für einen kurzen heiteren Moment zum Mittelpunkt einer Gruppe werden und dann, von ihrem Erfolg beschwingt und weitergetragen von der Flut und Ebbe der Gesichter, Stimmen und Farben, im ständig wechselnden Licht dahingleiten.
    Plötzlich ergreift dann eins dieser opalisierenden, zigeunernden Wesen wie aus der Luft einen Cocktail, stürzt ihn hinunter, um sich Mut zu machen, und tanzt mit typischem Händewerfen à la San Francisco allein hinaus in die künstliche Szenerie. Alles verstumnmt; der Kapellmeister wechselt ihr zuliebe den Rhythmus, und dann erhebt sich ein allgemeines Geraune, wenn das Gerücht, sie sei Gilda Greys zweite Besetzung von den Ziegfeld Follies, die Runde macht. Damit hat dann der Abend erst richtig begonnen.
    [hr] [hr]
    FSF:50 She narrowed her eyes and shivered. Lucille shivered. We all turned and looked around for Gatsby. It was testimony to the romantic speculation he inspired that there were whispers about him from those who had found little that it was necessary to whisper about in this world.
    ML:65 Sie zwickte die Augen zusammen und erschauerte. Wir wandten uns alle um, um zu sehen, ob Gatsby in der Nähe war. Und es war bezeichnend für die romantischen Phantasien, deren Ursprung er war, daß auch Leute sich alles mögliche über ihn zuraunten, die es sonst kaum der Mühe wert hielten, sich überhaupt über irgend etwas auf der Welt den Kopf zu zerbrechen.
    WS:48 Sie kniff die Augen zusammen und schauderte. Lucille schauderte ebenfalls. Wir blickten uns alle suchend nach Gatsby um. Es war typisch für die abenteuerlichen Spekulationen, die er herausforderte, daß gerade die über ihn flüsternd die Köpfe zusammensteckten, die sonst keinen Stoff zu vertraulichen Erörterungen hatten.
    [hr] [hr]
    FSF:53 By midnight the hilarity had increased. A celebrated tenor had sung in Italian, and a notorious contralto had sung in jazz, and between the numbers people were doing 'stunts' all over the garden, while happy, vacuous bursts of laughter rose toward the summer sky. A pair of stage twins, who turned out to be the girls in yellow, did a baby act in costume, and champagne was served in glasses bigger than finger-bowls. The moon had risen higher, and floating in the Sound was a triangle of silver scales, trembling a little to the stiff, tinny drip of the banjoes on the lawn.
    I was still with Jordan Baker. We were sitting at a table with a man of about my age and a rowdy little girl, who gave way upon the slightest provocation to uncontrollable laughter. I was enjoying myself now. I had taken two finger-bowls of champagne, and the scene had changed before my eyes into something significant, elemental, and profound.
    ML:68f Um Mitternacht war die Stimmung noch gestiegen. Ein berühmter Tenor hatte italienisch und eine bekannte Altistin hatte Niggersongs gesungen. Die Leute trieben inzwischen ihren Unsinn im Garten, und ihr glücklich ausdrucksloses Gelächter stieg zum sommerlichen Himmel empor. Ein paar Zwillinge, es waren die Mädchen in Gelb, spielten eine Kinderszene im Kostüm, und der Champagner wurde in Gläsern serviert, die größer waren als Fingerschalen. Der Mond aber war inzwischen hoch aufgestiegen, so daß ein silbernes Schuppendreieck im Sund hin- und herwogte und unter den tröpfelnd harten Banjoklängen auf dem Rasen erzitterte.
    Ich war immer noch mit Jordan Baker zusammen. Wir saßen an einem Tisch mit einem Mann, der ungefähr in meinem Alter stand, und einem Wildfang von einem kleinen Mädchen, das bei dem geringsten Anlaß in ein hemmungsloses Gelächter ausbrach. Ich begann jetzt, an allem Gefallen zu finden. Ich hatte eine Fingerschale Champagner getrunken und alles, was sich um mich abspielte, war auf einmal bedeutungsvoll, ursprünglich und voll tiefen Sinns geworden.
    WS:51 Bis Mitternacht hatte sich die allgemeine Stimmung noch gehoben. Ein gefeierter Tenor hatte auf Italienisch gesungen, und eine bekannte Altistin sang Jazzschlager.
    Zwischen den einzelnen Nummern 'produzierten' sich die Gäste überall im Garten; man brach in übermütiges, albernes Gelächter aus, das zum nächtlichen Himmel emporschallte. Ein Bühnenzwillingspaar - es waren die beiden Mädchen in Gelb - vollführte in Kostümen einen Baby-Sketch. In Gläsern, größer als Fingerschalen, wurde Champagner gereicht. Der Mond war höher gestiegen und warf sein silbrig glitzerndes Gitterdreieck auf den Sund, das leise erbebte, wenn der eigensinnige blecherne Ton der Banjos auf dem Rasen darüberhin tröpfelte.
    Ich war immer noch mit Jordan Baker zusammen. Wir saßen an einem Tisch mit einem Mann ungefähr in meinem Alter und mit einer ausfälligen jungen Person, die beim geringsten Anlaß unbeherrscht loslachte. Ich war jetzt in bester Stimmung. Ich hatte zwei Schalen Champagner getrunken, und alles, was sich vor meinen Augen abspielte, erschien mir tief bedeutsam und wesenhaft.
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    FSF:54 He smiled understandingly - much more than understandingly. It was one of those rare smiles with a quality of eternal reassurance in it, that you may come across four or five times in life. It faced - or seemed to face - the whole eternal world for an instant, and then concentrated on you with an irresistible prejudice in your favour. It understood you just so far as you wanted to be understood, believed in you as you would like to believe in yourself, and assured you that it had precisely the impression of you that, at your best, you hoped to convey.
    ML:70 Er lächelte verständnisvoll - und es war mehr als verständnisvoll. Es war eines jener seltenen Lächeln, dem man nur vier oder fünfmal im Leben begegnet. Ein Lächeln, in dem die ganze Welt sich einen Augenblick lang förmlich widerspiegelt, und das sich dann auf dich ganz allein mit einem unerschütterlichen Vorurteil zu deinen Gunsten zu beziehen scheint. Es versteht dich gerade soweit, wie du verstanden zu sein wünscht, es glaubt an dich, so wie du an dich selber glauben würdest, es macht dich sicher, daß du den Eindruck erweckst, den du bestenfalls zu erwecken hoffst.
    WS:52 Er lächelte verständnisvoll - ja geradezu verständnisinnig. Es war ein Lächeln, das einen endgültig beruhigte und begütigte; ein Lächeln von jener seltenen Art, wie man es nur vier- oder fünfmal im Leben antrifft. Es umfaßte - zumindest schien es so - für einen Augenblick die Welt als ein Ganzes und Ewiges, um sich dann mit grenzenloser Zuversicht dem Menschen zuzuwenden. Dieses Lächeln brachte einem gerade so viel Verständnis entgegen, wie man sich wünschte; es glaubte an einen, wie man selbst gern an sich glauben mochte, und es bestätigte einem genau den Eindruck, den man bestenfalls zu machen hoffen konnte.
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    FSF:56 There was the boom of a brass drum, and the voice of the orchestra leader rang out suddenly above the echolalia of the garden.
    ML:72 Da erdröhnte mit einemmal eine dumpfe Trommel, und die Stimme des Kapellmeisters drang schmetternd durch den lärmenden Garten.
    WS:54 Plötzlich gab es einen Tusch, und die Stimme des Kapellmeisters erhob sich über dem Stimmengewirr im Garten.
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    FSF:63 At the enchanted metropolitan twilight I felt a haunting loneliness sometimes, and felt it in others - poor young clerks who loitered in front of windows waiting until it was time for a solitary restaurant dinner - young clerks in the dusk, wasting the most poignant moments of night and life.
    ML:83 Durch die verzauberte Dämmerung der Großstadt aber verfolgte mich bisweilen ein quälendes Einsamkeitsgefühl, und ich empfand auch mit all den anderen - all den anderen jungen Leuten, die vor den Fenstern herumlungerten, um zu warten, bis die Zeit für ihr einsames Mahl gekommen war. Ich fühlte gemeinsam mit Ihnen, die allein in der Dunkelheit die wichtigsten Augenblicke der Nacht und des Lebens versäumen.
    WS:61 Im Zwielicht der Großstadt, das die Dinge verzauberte, fühlte ich manchmal eine quälende Einsamkeit und spürte sie auch bei anderen - arme junge Kommis, die sich vor Schaufenstern herumdrückten, bis die Zeit für ein einsames Mahl im Restaurant gekommen war - kleine Angestellte, die so die prickelndsten Momente der Nacht, ja des Lebens versäumten.


    Die Lautmalerei (boom ... brass drum), die "Papageienkrankheit" der Echolalie und die "Vermenschlichung der Gegenstände" in Form des daran erkrankten Gartens gehen in den Übersetzungen völlig unter.

  • Mich gibt's ja noch nicht so lange bei Euch, und deshalb weiß ich auch nicht, ob ich so ohne Vorankündigung in diese Leserunde einsteigen darf.
    Aber ich hatte das Buch noch ungelesen zu Hause und wollte die Gelegenheit, es gemeinsam mit Euch zu lesen, nicht ungenützt verstreichen lassen.


    Ich habe alle Beiträge in diesem Thread gelesen und sehe schon, dass mir die Gabe der Interpretation nicht gegeben ist. Z. B. wäre ich nie auf die Idee gekommen, das in den Straßengraben gefahrene Auto als Sinnbild einer dekadenten Kultur zu interpretieren. Dabei frage ich mich, ob Fitzgerald tatsachlich dieses Bild beim Leser heraufbeschwören wollte.
    Das könnten schließlich fast alle Gesellschaften zu allen Zeiten von sich behaupten, weil es auf einer Seite immer maßlose Verschwendung gegeben hat, während die andere Seite kaum genug zum Überleben hatte. Und heute ist erst recht keine andere Entwicklung festzustellen.


    Gut beschrieben hat Fitzgerald, so finde ich, den in seinem Reichtum sehr einsamen Gatsby, der sich nicht einmal die Mühe macht sich die Leute auszusuchen, die seine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Egal, wer kommt, Hauptsache es herrscht möglichst viel Trubel. Auch eine Möglichkeit, die innere Leere zu übertönen.


    Ich bin jetzt beim 6. Kapitel angelangt. Und nun sieht's so aus, als ob so manches ans Tageslicht kommt.
    Da bin ich nun schon sehr gespannt, und lese das Buch heute womöglich noch zu Ende.


    Liebe Grüße, Madeleine

  • Hallo Madeleine! :winken:
    Schön, dass du dich zu uns gesellst!


    Bzgl. des Autos:
    Ich dachte nicht an das Auto an sich, sondern an den Umgang des Fahrers damit.
    Der Fahrer realisiert ja gar nicht, dass er das Auto in den Graben gefahren hat.
    Das geht dann ja sogar soweit, dass ihn der Trubel der versammelten Leute verwundert und er sich fragt, ob es am Benzinstand des Autos lag.
    Das meine ich mit der Dekadenz: Die Unfähigkeit, klar zu denken und die Unfähigkeit, sich mit sich selber und seiner Umwelt sinnvoll auseinander zu setzen. Intellektueller Verfall also, ergänzt durch den kulturellen Verfall, den die Empfänge verdeutlichen.
    Das Bild des zerstörten, fabrikneuen Autos komplettiert das Ganze dann sozusagen noch.
    Ich hoffe, meinen Gedanken damit klarer gemacht zu haben.



    Den Punkt mit dem einsamen Gastby, den du ansprichst, finde ich sehr interessant.
    Allerdings glaube ich, dass nicht nur Gatsby derjenige ist, der vereinsamt. Die anderen Gäste des Empfanges fühlen sich m.E. ja genauso einsam und allein mit sich selbst..viele Gespräche bleiben ja an der Oberfläche.
    Nur wird es bei Gastby dann sozusagen auf die Spitze getrieben, weil er derjenige ist, der die prunkvollen Empfänge auch ausrichtet und im Mittelpunkt dieser steht.

  • Danke Dionne, für die freundliche Begrüßung und die ausführliche Erklärung!


    Unterdessen habe ich das Buch zu Ende gelesen, und ich muss gestehen, dass meine Erwartungshaltung wahrscheinlich wieder einmal zu hoch veranschlagt war. Das passiert mir bei Klassikern aber öfter.


    Beim "Großen Gatsby" haben mich weder Sprache noch Inhalt wirklich überzeugen können, stattdessen stellt sich mir eine Frage, die ich hier aber erst stellen möche, wenn alle mit dem Roman zu Ende sind, um nichts vorwegzunehmen, was jeder gerne selber lesen möchte.


    Gut gefallen hat mir indessen, wie Fitzgerald seine Geschichte mit der sommerlichen Hitzewelle ihrem Höhepunkt entgegen treibt. Die Gereiztheit, die in der Luft liegt, ist beinahe spürbar.
    Und auch die Darstellung einer Gesellschaft, die zwar viel kommuniziert, sich aber absolut nichts zu sagen hat, ist ihm sehr gut gelungen.


    Nun bin ich schon neugierig, wie es meinen Mitleserinnen ergangen ist.

  • Gerne! ;)


    Ich werde mich dann auch mal ranhalten die Tage..
    Mich würde noch interessieren, welche Ausgabe und ob du es auf deutsch oder englich gelesen hast?
    Wie hattest du dir denn das Buch vorgestellt bzw. was hattest du dir genau anders vorgestellt?





    Und auch die Darstellung einer Gesellschaft, die zwar viel kommuniziert, sich aber absolut nichts zu sagen hat, ist ihm sehr gut gelungen.


    Ja, das trifft meiner Meinung nach auch den Kern des Ganzen.





    Echt schade, dass dich das Buch so enttäuscht hat!
    Mir gefällt es durchweg eigentlich ganz gut, mehr kann ich leider noch nicht sagen..ich bin ja noch mittendrin. ;)

  • Hallo Dionne!
    Ich hab die deutsche Ausgabe aus der Bibliothek der Süddeutschen Zeitung. Mein Englisch ist leider nicht gut genug um die sprachlichen Feinheiten so erfassen zu können, dass das Lesen auch Genuß wäre.


    Ich hätte mir eben ein ganz großes Geheimnis um den großen Gatsby vorgestellt, das dann ganz raffiniert gelöst wird.


    Da Du ja noch beim Lesen bist, möchte ich natürlich nicht einmal ansatzweise verraten, wie der Autor die Geschichte zu Ende geführt hat. Ich hoffe, dass wir uns dann noch ausführlich unterhalten können.


    Du hast schon recht, man täte dem Buch unrecht, es als schlecht zu bezeichnen, aber für mich ist es nicht mehr als mittelmäßig. Vielleicht hat aber auch der Film, den ich nie gesehen habe, zu seinem großen Ruhm beigetragen. Ich weiß nicht, wie es unmittelbar nach seinem Erscheinen bei den Lesern angekommen ist.


    Ich glaube, ich muss in Zukunft gerade bei den Klassikern meine Erwartungshaltung niedriger ansetzen, um Enttäuschungen zu vermeiden.
    Bei der modernen Literatur bin ich Kummer gewöhnt. Dafür freue ich mich dann riesig, wenn ich einmal an ein Buch gerate, dass mich positiv überrascht.


    Ich wünsche Dir unterdessen noch viel Spaß bei der Lektüre und hoffe auf regen Gedankenaustausch,


    liebe Grüße von Madeleine.

  • schön, dass noch eine Madeleine mitliest (bzw. mitgelesen hat). Ich habe erst 5 Kapitel gelesen und werde noch den Mai brauchen, bis ich durch bin.


    Madeleines Zweifel an der Symbolkraft des Autos lag mir auch auf der Zunge, drang allerdings nicht bis zur Tastatur vor. Aber Dionnes Erklärung kann ich jetzt durchaus nachvollziehen.


    Ich muss jedoch gestehen, dass mich die Frage nach der Dekadenz derzeit (noch?) nicht interessiert, da es mir die Sprache Fitzgeralds deutlich stärker angetan hat. Ich muss zwar so manches Wort nachschlagen, was ich jahrelang nicht mehr systematisch gemacht habe, aber es lohnt sich. Die Sprache ist wirklich schön, ein besseres Wort fällt mir jetzt nicht ein; einige Sätze (eigentlich: erstaunlich viele) Sätze sind echt beeindruckend, s. Materialordner. Die Übersetzungen treffen das Original nicht annähernd. Ob die Übersetzungen als Ganzes schwach sind, weiß ich nicht, ich müsste sie am Stück lesen.


    Besonders schön finde ich das erste, dritte und fünfte Kapitel und die Beschreibungen der Partys bzw. Treffen und der zwischenmenschlichen Wechselwirkungen, alles ist ruhiger, statischer, leichter, seichter (z.T. auch unglaubwürdig: das in-Tränen-Ausbrechen Daisys angesichts der wunderschönen Oberhemden Gatsbys), runder, harmonischer. Im zweiten und vierten Kapitel geht es mehr um Bewegung, Ausflüge in die Stadt, gebrochene Nasen, alles ist härter, bizarrer (das Aschental beispielsweise, von dem die von mir eingesehene Sekundärliteratur nichts über Eschenbestände zu spekulieren weiß), sprunghafter, brutaler - vielleicht liegt's an Tom Buchanan. Ob es wohl abwechselnd immer so weiter geht?


    Den Film habe ich auch nocht nicht gesehen.

  • Hallo enigma!
    Die Sprache hast du sehr schön beschrieben, obwohl ich sie überhaupt nicht so empfunden habe, aber ich glaube, du liest ja im Original, das hat sicher große Vorteile.
    Mir hat z. B. dieses gelangweilte Getue von Daisy und ihrer Freundin gar nicht gefallen. Hingegen ist die Schilderung, wie Nick die beiden weißgekleideten Damen wie vom Winde durch das Fenster hereingeweht sieht, sehr gut getroffen.


    Ich bin schon sehr gespannt, wie dir der weitere Verlauf gefällt.
    Liebe Grüße, Madeleine.