Hans Magnus Enzensberger

  • Was haltet Ihr von Hans Magnus Enzensberger? Ich kenne von ihm eigentlich bisher nur Die Elixiere der Wissenschaft, was ich aber sehr fasziniert gelesen habe. Auch war er mir auf einer besuchten Autorenlesung sehr belesen, humorvoll, geistreich und nett vorgekommen. Besonders sein Titanik-Buch wollte ich mir nach der Lesung noch angeschafft haben... aber es aus den Augen verloren...


    Ich bin neugierig geworden auf das [url=http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,525843,00.html]Hammerstein-Buch[/url] das im Spiegel so ausführlich besprochen wurde. Mal sehen, wie es sich in der Lesergunst entwickelt...


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Mit Enzensberger bin ich nie warm geworden, halte ihn eigentlich für überschätzt, wie den allergrößten Teil der deutschsprachigen Literatur nach 1945.
    Aber vielleicht könnt ihr mir etwas Herausragendes von ihm empfehlen?


    Viele Grüße


    Die Leserin

  • Hallo zusammen,


    Der Suhrkamp Verlag nimmt das neue Buch von Hans Magnus Enzensberger dazu, zum ersten Mal ein Buch aus ihrem Sortiment mit einem Buchtrailer vorzustellen. Sehr gut gemacht:


    http://www.suhrkamp.de/hammerstein/


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Enzensberger!


    Der Name allein weckt Erinnerungen an Deutschlehrer, die Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre den Unterricht mit politischer Indoktrination verwechselten - und das an einem altväterlich-bürgerlichen Kleinstadtgymnasium. Mir graut heute noch vor diesen Schulguerilleros, die Enzensberger wie einen Heiland vor sich hertrugen und uns unschuldige Schüler damit malträtierten. Der Autor ist natürlich freizusprechen, die Lehrer sind vermutlich mittlerweile pensioniert und lesen heute vor dem Kamin Thomas Mann ...


    Enzensberger!


    Auch wenn ich ihm jetzt bitteres Unrecht zufüge: Ich werde ihn nie wieder lesen, niemals!


    Sir Thomas

  • Hallo Sir Thomas,


    wie sehr du mir aus dem Herzen sprichst. Mir ging es so mit Brecht, Dürrenmatt und Frisch. Brecht kann ich inzwischen wieder lesen, aber mit Dürrenmatt und Frisch ist es bei mir endgültig vorbei. Und bis heute müssen arme Schüler diese Langweiler lesen, nur weil den Lehrern jede Phantasie fehlt.


    Solidarische Grüße von der
    Leserin

  • Liebe Leserin,


    vielen Dank für Deine Solidarität. Neben Enzensberger habe ich, genau wie Du, Brecht und Frisch nicht aus der Schulzeit in die Erwachsenenlesewelt hinüberretten können. Dürrenmatt immerhin habe ich mir mühsam zurückerobert, genau wie Kafka, den die Lehrkörper damals systematisch kaputt analysierten.


    Zur Ehrenrettung der heutigen Deutsch-Curricula sei angemerkt, dass (dem Vernehmen nach) mittlerweile Süsskinds "Parfüm" gelesen wird - ein Buch, das ich sehr schätze.


    Viele Grüße


    Sir Thomas

  • Hallo zusammen,


    wenn hier alle auf ihm herumhacken, muß ich mal eine Lanze für Enzensberger brechen.
    Ich schätze ihn sehr (auch wenn ich längst nicht alles von ihm gelesen habe), vielleicht gerade deshalb, weil wir im Deutschunterricht früher nichts von ihm durchgenommen haben, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern.


    Der "Untergang der Titanic" ist ein wichtiges Buch, ein Abgesang auf die Ideale der 68er-Bewegung, für das Enzensberger auch stark angefeindet wurde. Jeder, der sich für die 68er und ihre literarischen Auswirkungen interessiert, sollte dieses Buch gelesen haben.


    Viele Grüße,
    RqR

  • Hallo Roquairol,


    freut mich mal wieder von dir zu lesen.


    Ich kann mir gesunde Neujahrsgrüße nicht verkneifen, selbst wenn das Jahr schon einige Tage alt ist.


    Der Untergang der Titanic steht schon länger auf meiner Wunschliste, gerage auch weil ich es von der Enzensberger-Lesung noch so stark in Erinnerung habe. Hat meine Erinnerung die Ironie und den Humor dieses Werkes mit der Zeit aufgebauscht, oder ist dem wirklich so?


    "Die Elexiere der Wissenschaft" fand ich sehr kraftvoll und auch technisch-inhaltlich gut geschrieben. Es ist sehr schwer technisch-wissenschaftliche Sachverhalte gut zu beschreiben und dann noch mit literarischen Mitteln. Ich denke, dass Enzensberger das gut kann.


    Ich kann aber Sir Thomas verstehen, denn wie lange hat es gedauert bei mir, Brecht als Lyriker schätzen zu lernen, nachdem er die dramatische Leitfahne unserer Deutschlehrer war. Oder gar die Russen mir ihrer schier überlegenen Literatur. Aber Enzensberger war eben kein Schulstoff und auch nicht Max Frisch und Hermann Hesse und Friedrich Nietzsche usw.


    Also die Titanik im Untergang... sozusagen um ein eigenes Urteil zu bilden...


    Grüße, FA


    [14.01.2008 - Link korrigiert]

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

    Einmal editiert, zuletzt von Friedrich-Arthur ()

  • Lieber Sir Thomas,


    darin stimme ich nun gar nicht mit dir überein, denn ich mag "Das Parfum" überhaupt nicht. Auch gegen das Analysieren von Texten habe ich nichts, ganz im Gegenteil sogar, man sollte nur etwas davon verstehen, was bei den meisten Lehrern (Ausnahmen bestätigen die Regel) jedoch nicht der Fall ist. Mit Kafka ist es doch überhaupt so wie mit Mozart, Bach, Shakespeare, sie setzen sich einfach gegen jeden Unsinn, jede falsche Interpretation durch. Man muss sich um sie keine Sorgen machen. Sie sind das Licht des Geistes.


    (Übrigens schätze ich Enzensberger natürlich als Begründer der "anderen Bibbliothek", wie viele großartige Werke wären ohne sie in Vergessenheit versunken)


    Viele Grüße
    Die Leserin


  • darin stimme ich nun gar nicht mit dir überein, denn ich mag "Das Parfum" überhaupt nicht. Auch gegen das Analysieren von Texten habe ich nichts, ganz im Gegenteil sogar, man sollte nur etwas davon verstehen


    Liebe Leserin,


    "Das Parfüm" ist eines der Bücher, das man schätzt oder ablehnt. Mir hat die altmodische Erzählweise gefallen.


    Gegen das Analysieren von Literatur habe ich keine grundsätzlichen Einwände. Aber es widert mich an,
    a) wenn vermeintliche Experten einem Autor nachweisen wollen, dass er sein Handwerk nicht versteht (Reich-Ranicki)
    b) wenn Analyse zur unkritischen Lobhudelei verkommt
    c) wenn Text-Technokraten ihre semantischen Weisheiten verbreiten.


    Analyse ja, aber bitte aus einer positiven und wertschätzenden Haltung heraus.


    Es grüßt


    Sir Thomas

  • Hallo F.A.,


    die Neujahrsgrüße gebe ich gerne zurück.


    Humor und Ironie im "Untergang der Titanic" - ja, durchaus, wenn man an Stellen wie "Salzwasser in der Tennishalle! Ja, das ist ärgerlich, / aber nasse Füße sind noch lang nicht das Ende der Welt." denkt. Nur ist das noch nicht alles. Es ist ja nicht so, daß Enzensberger von oben herab die 68er verurteilen wollte, so nach dem Motto: Ihr seid doof, und ich habe längst eure Irrtümer erkannt. Nein, sondern es schwingt bei ihm eine tiefe Wehmut über ihren "Untergang" mit. Dies kommt besonders in der Rahmenhandlung zum Ausdruck, wenn er in Berlin am Fenster steht und in den Schnee hinausblickt ... Vielleicht stand das bei der Lesung nicht im Vordergrund, aber gerade diese Stellen finde ich am stärksten. Oder am Ende, da ist von frecher Ironie keine Spur mehr, aber ich finde es sehr bewegend, wenn es heißt:
    "Ich schwimme und heule. / Alles, heule ich, wie gehabt, alles schlingert, alles / unter Kontrolle, alles läuft, die Personen vermutlich ertrunken / im schrägen Regen, schade, macht nichts, zum Heulen, auch gut, / undeutlich, schwer zu sagen, warum, heule und schwimme ich weiter."


    Viele Grüße,
    RqR

  • Guten Abend liebe Literaturfreunde,


    das Tolle an Enzensberger ist ja, dass er immer für eine Überraschung gut ist. Das hat er mit seiner Hammerstein-Biographie einmal mehr eindrucksvoll bewiesen. Er bleibt eben nicht auf alten ideologischen und ästhetischen Hüten sitzen, sondern versucht, sich weiter zu entwickeln. Es gibt eine nette Anekdote über Enzensberger und Günter Grass: Jeder weiß, dass Grass, der ewige Sozialdemokrat, und HME, der enorm bewegliche Intellektuelle, politisch nie einer Meinung waren und es wohl auch künftig nicht sein werden. Daher redet Enzensberger mit dem Nobelpreisträger nicht mehr über Politik, sondern nur noch über die Familie. Grass' politische Ansichten sind in Beton gemeißelt, bei Enzensberger kann sich noch was tun.
    Noch ein Wort zur "Titanic": Der Inhalt eines jeden literarischen Werkes wird im Laufe der Zeit historisch. Es gibt keine ewigen Wahrheiten, weder im Leben noch in der Kunst. Das gilt auch für Enzensbergers "Titanic", die, was ihre gesellschaftspolitischen und etwas modischen apokalyptischen Erörterungen betrifft, unübersehbar in die Jahre gekommen ist. Was hingegen die Zeiten überdauern könnte, ist ihre Form. Das große Gedicht hat "formal einen gewissen Drive, der gar nicht leicht herzustellen war", bemerkte HME einmal in einem Interview. Warum? Die Poetik der "Titanic" beruht auf mathematischen Prinzipien, und ist daher etwas Besonderes, ja Einmaliges in der deutschen Lyrik. Enzensberger gelang damit nicht nur die Grande Comédie Humaine, sondern auch die oft geforderte, aber selten erreichte Überwindung der Kluft zwischen den "beiden Kulturen" (Natur- und Geisteswissenschaften). Das sollte reichen um diesem Werk und seinem Autor einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte zu sichern.


    Gute Nacht


    Fortissima