Rette ein Buch

  • Sicher kennen viele von euch Ray Bradburys "Fahrenheit 451", vielleicht auch den wundervollen Truffaut - Film mit dem begnadeten Oskar Werner in der Hauptrolle. Zur Erinnerung: Die Geschichte spielt in einer Gesellschaft, in der Bücher verboten sind. Oskar Werner spielt einen Feuerwehrmann, der die Aufgabe hat, alle Bücher zu verbrennen. Eines Tages jedoch nimmt er ein Buch an sich und beginnt es zu lesen. Es ist ein Roman von Charles Dickens, "David Copperfield". Das Lesen verändert das Leben des Feuerwehrmannes, er geht auf die andere Seite, in den Widerstand, den Untergrund, zu den Lesenden. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Bücher vor dem Vergessen zu retten, indem sie für ein Werk die Verantwortung übernehmen. Sie lernen es auswendig, repräsentieren es, künden von ihm, werden zum lebenden Buch. Wenn sie alt werden, geben sie die Erinnerung an ihr Buch Wort für Wort an ein Kind weiter. Sie sichern die Zukunft des Werkes und sichern zugleich einem Kind den Zugang in die Vergangenheit.


    Ich würde nun gern von euch wissen, wenn ihr euer Leben dem Überleben eines Buches widmen solltet, welches Buch würdet ihr euch aussuchen?


    Die Leserin

  • Hallo Leserin,


    das ist gar keine so einfache Frage. Soll man ein Werk wählen, das einem gut gefällt (das kann ja auch ein moderner Roman sein) oder eines, das sich schon als Klassiker etabliert hat und deshalb bewahrenswert ist?


    Am besten beides: ich würde mich wahrscheinlich für ein Shakespeare-Stück entscheiden, z.B. Der Sturm, oder für ein Versepos/eine Verserzählung (Beowulf oder die Canterbury Tales). Ein Werk in Versform hätte auch den Vorteil, daß es leichter auswendig gelernt werden kann als ein Roman.


    Ein bißchen erinnert mich das an die Buchlinge aus Moers´ Die Stadt der träumenden Bücher, die ihr Leben einem Autor und dessen gesamtem Werk widmen :smile:


    Viele Grüße
    thopas

  • Hallo Thopas,


    "Der Sturm" ist eine ausgezeichnete Wahl. Es ist wohl das persönlichste Stück Shakespeares, mit den meisten autobiographischen Verweisen, und ein absolut unverzichtbares Werk.
    Zu deiner Frage nach der Schwierigkeit bei der Auswahl des zu rettenden Buches habe ich mir folgendes überlegt:


    1. Rette ein Buch, das gerettet werden muss, weil die Menschheit es braucht.
    2. Rette ein Buch, das gerettet werden muss, weil du es brauchst.
    3. Rette ein Buch, das du retten musst, weil es eventuell kein anderer rettet.


    Ich denke, dies ist das Dilemma, vor dem man steht, wenn man sich entscheiden muss. Auch wenn es sich hierbei nur um ein Gedankenspiel handelt, kann man dabei doch für sich selbst überprüfen, welche Bedeutung Bücher für uns persönlich haben.


    Übrigens, von Moers habe ich bisher noch nichts gelesen. Was du schreibst, klingt ja sehr interessant. Lohnt sich die Beschäftigung mit Moers?


    Viele Grüße


    Die Leserin

  • Hallo Leserin,


    deine Punkte 1 und 2 formulieren in etwa das, was ich mir auch gedacht habe. Punkt 3 ist interessant. Da muß ich nochmal drüber nachdenken.



    Übrigens, von Moers habe ich bisher noch nichts gelesen. Was du schreibst, klingt ja sehr interessant. Lohnt sich die Beschäftigung mit Moers?


    Ich kenne von Moers nur Die Stadt der träumenden Bücher. Ein nettes Buch, indem es hauptsächlich um Bücher und Lesen geht, das Ganze aber in einer Welt mit phantastischen (sprich: Fantasy) Kreaturen. Moers ist wohl bekannt für seine etwas ausufernden Aufzählungen und Beschreibungen in dieser von ihm geschaffnen Welt "Zamonien". Auf Literaturschock gibt es einen relativ langen Thread dazu:


    http://www.literaturschock.de/…rum/index.php?topic=717.0


    Nachdem ich dort auch die Threads zu seinen anderen Büchern gelesen habe, bin ich allerdings zu dem Entschluß gekommen, daß ich wohl kein weiteres seiner Bücher lesen muß. Zumindest nicht in nächster Zeit. Die Stadt der Träumenden Bücher ist witzig und einfallsreich, ein unterhaltsames Buch für zwischendurch, aber bestimmt keine anspruchsvolle Lektüre, mit der man sich noch lange danach beschäftigt.


    Viele Grüße
    thopas


  • 1. Rette ein Buch, das gerettet werden muss, weil die Menschheit es braucht.


    Das ist aber ein sehr großer Anspruch. Denn: Ohne welchem Buch kann die Menschheit nicht leben? Mir fällt da spontan keines ein, außer vielleicht die Bibel.


    Ich könnte mich nicht entscheiden. Ich würde aber wahrscheinlich ein Buch nehmen, das mir persönlich sehr gut gefällt.


    Zu Moers: Ich fand die Buchlinge eine sehr süße Idee. Aber es ist schon so wie thopas geschrieben hat. Es ist ein nettes Buch für zwischendurch, aber sicher kein sehr anspruchvolles. Es zu lesen lohnt sich aber allemal. :winken:


    Katrin

  • Hallo Jaqui,


    eines steht doch sicher außer Frage: Die Menschheit braucht Bücher, Geschichten über Herkunft und Identitätsbildung, Erzählungen von unseren Hoffnungen, Träumen, von unserem Wahnsinn, unserem Scheitern, die von unseren (verpassten) Möglichkeiten sprechen, von unserer (grausamen) Wirklichkeit, von unserer Suche nach Wahrheit, von allem, was uns ausmacht.
    Ja, aber welches Buch ist es, das du durch Verinnerlichung zu deinem machen willst, um es hinüberzuretten, in eine bücherlose Welt?
    Um diese Frage geht es bei diesem Spiel. Nun, wie lautet deine Antwort? (Ist tatsächlich die Bibel, das Buch, das uns am meisten von uns selbst erzählt?)


    Viele Grüße und ein erfülltes neues Jahr
    wünscht


    Die Leserin


  • eines steht doch sicher außer Frage: Die Menschheit braucht Bücher


    Da hast du meine absolute Zustimmung.




    Geschichten über Herkunft und Identitätsbildung, Erzählungen von unseren Hoffnungen, Träumen, von unserem Wahnsinn, unserem Scheitern, die von unseren (verpassten) Möglichkeiten sprechen, von unserer (grausamen) Wirklichkeit, von unserer Suche nach Wahrheit, von allem, was uns ausmacht.


    Aber welches Buch erfüllt all diese Kriterien? Mir fällt nämlich keines ein.




    Ja, aber welches Buch ist es, das du durch Verinnerlichung zu deinem machen willst, um es hinüberzuretten, in eine bücherlose Welt?
    Um diese Frage geht es bei diesem Spiel. Nun, wie lautet deine Antwort? (Ist tatsächlich die Bibel, das Buch, das uns am meisten von uns selbst erzählt?)


    Ich denke nicht, dass es für mich die Bibel wäre. Ich glaube aber nicht, dass ich mich für nur eines entscheide könnte. Vielleicht würde ich aber doch die Bibel nehmen. Ich habe sie noch nie ganz gelesen, sie ist dick und hat viele unterschiedliche Geschichten in sich vereint.


    Als ich die Frage heute morgen gelesen habe, wollte ich ein Fantasy Buch nehmen, weil es das ist was mich am meisten interessiert. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass ich was ganz anderes nehmen würde. Wie das Gilgamesch Epos, die Ilias oder ein Buch von Thomas Mann. Ich kann meine Wahl jetzt nicht einmal begründen, aber das sind die Bücher, die mir im Laufe des Tages immer wieder eingefallen sind, wenn ich über diese Frage nachgedacht habe.


    Katrin


  • Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass ich was ganz anderes nehmen würde.


    Ja, so ähnlich ist es mir auch gegangen, Jaqui. Man landet irgendwie automatisch bei den Klassikern. Ein Fantasy-Buch oder einen Krimi nimmt man wohl erst dann, wenn die Klassiker schon "vergeben" sind. Oder zumindest die Klassiker, zu denen man einen Bezug hat, und denen man sein Leben widmen wollen würde. Dann kommt vermutlich auch irgendwann Punkt 3 zum Zuge: Wenn die Klassiker, die für mich wichtig sind, schon "vergeben" sind, kann ich ein Buch wählen, an das vielleicht niemand anderes denkt... Da stellt sich dann die Frage, ob ich das will. Und dann bin ich wieder an dem Punkt, wo ich mir überlegen muß, welches Buch für mich das wichtigste wäre... Gar nicht so einfach, die Frage.


    Viele Grüße
    thopas

  • Hallo Thopas und Jaqui,


    schön, dass ihr euch so viele Gedanken zu meiner Frage macht. Die Schwierigkeit besteht nicht nur darin, dass für sich und die anderen "richtige" Buch zu finden. ( "Der Sturm" und die "Ilias" sind auf jeden Fall Kandidaten, die nicht fehlen dürfen) Im Ernstfall würde es sicher keine Absprachen geben. Man würde also nicht wissen, welches Buch schon "vergeben" ist, sondern wäre auf Mutmaßungen angewiesen. Man müßte entscheiden, mit welchem und für welches Buch man selbst zukünftig leben will, als wenn es das einzige noch existierende Buch wäre. Man muß es verkörpern, muß den Geist des Buches und den Geist seines Autors verinnerlichen und transportieren. Es reicht nicht, das Buch nur auswendig zu lernen. Man muß sein Vermittler werden, von seiner Faszination künden, die Buchstaben lebendig werden lassen. Der Weg führt vom Rezipienten zum reproduzierenden Künstler. Eine in jedem Fall verantwortungsvolle Aufgabe.

    Viele Grüße


    Die Leserin