Juli 2007 - Th. Mann: Der Zauberberg

  • Tja, heute ist der 23.07.07.
    Eigentlich habe ich noch nie Probleme mit einem Anfang gehabt. Bei diesem Buch schon. :redface:
    Vielleicht sollte ich am Besten mit ein, zwei Sätzen die ersten Kapitel wiedergeben.


    Hans Castorp, früh Vollwaise geworden, besucht für anfangs vorgesehene drei Wochen seinen Vetter in einem Sanatorium.
    Zunächst fühlt er sich nur als Besucher und beobachtet/kommentiert von dieser Warte die Geschehenisse.


    In Castorp`s Kindheit spielt sein Großvater eine große Rolle. Dieser ist sein Vorbild. Ich stelle mir diesen Großvater (er wird ja auch so beschrieben), als typischen Aristrokaten vor. Auf der anderen Seite spricht er aber auch mit seinem Diener platt. Soetwas gab es bestimmt nicht häufig. Er muss aber auch dominant gewesen sein. Der Sohn (Castorp`s Vater), wird als etwas weichlich beschrieben.
    Auf jeden Fall wurde Hans in seinem Verhalten und seiner Art sich zu geben, tief von seinem Großvater geprägt.


    Viele Grüße
    Leseratte

    ...Dann sagte ein Lehrer: Sprich uns vom Lehren.<br />Und er sagte:<br />Niemand kann Euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern Eures Wissens schlummert.<br /><br />Khalil Gibran<br />Der Prophet

  • Hallo zusammen!


    In diesem Thread sammeln wir interessante Links zu Thomas Manns Der Zaberberg oder Tipps zur Sekundärliteratur. Ich selber bin zur Zeit weit weg von Mann; es wäre also schön, wenn die Leserundenteilnehmer den Thread füllen würden. Später wird dieser Thread dann zusammen mit der Leserunde archiviert - beim Lesen stören aber solche Tipps gerne oder sie gehen in der übrigen Diskussion unter. Deshalb dieser Thread hier.


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • erfreulich, diese leserunde! ich lese den zauberberg schon seit längerem und bin gerade irgendwo in der mitte. was mir bei dem buch (durchaus positiv, denn ich liebe den stil von thomas mann) aufgefallen ist, ist, dass man keinesfalls zu sehr am inhalt hängen darf. der inhalt, die handlung selbst ist eher hintergründig und nur ein hilfsmittel der veränderung der stimmung und des geistigen wachstums, das sich im laufe des buches vollzieht. man muss den zauberberg und alle geschichten von hans castorp und seinem vetter einfach auf sich wirken lassen.
    der zauberberg ist für all jene, die den stil von thomas mann mögen und sich nicht in extrem langen sätzen verlieren eine sehr gute lektüre.

  • Hallo Katharina,
    ich glaube, Du hast recht. Ich habe etwas Zeit gebraucht, mich auf das Buch einzustellen, da ich mir etwas anderes darunter vorgestellt habe. Von Thomas Mann selbst ist es mein erster Roman. Ich habe damals nur die Doku über die Mann-Familie gesehen und war von der Beobachtungsgabe dieses Mannes beeindruckt. Den "Zauberberg" habe ich mir irgendwie ironischer, direkter vorgestellt.
    Ich möchte eine konkrete Frage stellen (eine von vielen): Ich verstehe das Verhältnis zwischen Castorp und Frau Chauchat nicht ganz. Da steckt etwas dahinter, was ich nicht begreife. Hans macht der Russin nicht auf normalen Wege den Hof. Sie erinnert ihn viel zu sehr an einen alten Schulkameraden. Was für ein Mensch ist Castorp in dieser Hinsicht? Er fühlt sich den Kirgisenaugen hingezogen aber was genau bedeutet das? Meint es vielleicht nur, daß er sich dieser Rasse hingezogen fühlt?


    Viele Grüße
    Leseratte

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    Einmal editiert, zuletzt von Leseratte4 ()


  • Ich verstehe das Verhältnis zwischen Castorp und Frau Chauchat nicht ganz. Da steckt etwas dahinter, was ich nicht begreife. Hans macht der Russin nicht auf normalen Wege den Hof. Sie erinnert ihn viel zu sehr an einen alten Schulkameraden. Was für ein Mensch ist Castorp in dieser Hinsicht? Er fühlt sich den Kirgisenaugen hingezogen aber was genau bedeutet das? Meint es vielleicht nur, daß er sich dieser Rasse hingezogen fühlt?


    Liebe Leseratte,


    das Techtelmechtel Hans Castorp/Mme. Chauchat resp. Pribislav Hippe wird von vielen Interpreten als Anspielung Manns auf eigene homosexuelle Neigungen interpretiert, denn es scheint tatsächlich jener Mitschüler zu sein, dem Castorps Zuneigung mehr als der kirgisenäugigen (soviel wie schlitzäugig) Mme. Chauchat (aus dem frz., wörtlich übersetzt bedeutet der Nachname "heiße Katze") gilt.


    Viele Grüße und noch viel Spaß beim Erklimmen der Höhen des zauberhaften Berges!


    Sir Thomas

  • Hallo Sir Thomas,
    vielen Dank für Deine Erläuterung. Ich hatte auch schon mit soetwas spekuliert, wollte allerdings erst sicher sein.
    Heute bin ich am Ende des fünften Kapitels angelangt, Thema Karnevall. Bei der Konversation Castorp/Chauchat hatte ich auch ein wenig den Eindruck, daß die Chauchat abstrakt noch mehr verkörpert. Will Castorp aus seiner Erziehung und seinen bürgerlichen/deutschen Normen ausbrechen? Diese ganze Rubrik "Karnevall" ist für mich bis jetzt das interessanteste - auch vom Aufbau her. Ich habe das Gefühl, das Castorp/Mann mit sich selber in`s Reine kommen will.
    Aber Madame Chauchat reist ab, bevor Castorp einen anderen Weg einschlagen kann als der, der ihm vorgeschrieben ist.
    Das, was die Chauchat für sein Innenleben ist, scheint Settembrini (übrigens meine Lieblingsfigur) für die äußerlichen Erklärungen zu sein. Er gibt immer die treffendsten Bemerkungen über den äußeren Schein ab.


    Gruß
    Leseratte

    ...Dann sagte ein Lehrer: Sprich uns vom Lehren.<br />Und er sagte:<br />Niemand kann Euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern Eures Wissens schlummert.<br /><br />Khalil Gibran<br />Der Prophet


  • Sorry Leute, meine Frau ist plötzlich verstorben. Ich werde in der nächsten Zeit nichts mehr schreiben.


    Bitte entschuldigt mich!


    Rolf


    mein Beileid, Rolf.


    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Auch mein Beileid.


    Leseratte

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  • Aufrichtige Anteilnahme und ich wünsche dir alle Kraft, die du jetzt brauchst.


    Mit stillem Gruß, Karin (Fuu)

    Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...ja, wenn man aber einander nicht richten soll, haben die Menschen nichts, um sich zu unterhalten.
    <br /> Maxim Gorkij

  • Ebenso: mein Beileid.


    Zur Lektüre:
    Ich komme nur langsam voran mit der Lektüre, dann entfalten, wie ich finde, Sprache und Text ihre Wirkung am eindringlichsten in diesem Werk.


    Ich wollte etwas zu den Motiven anmerken: was immer wieder im Text zirkuliert sind Gedanken über Raum und Zeit.
    Es dürfte kein Zufall sein, dass die Entstehungsjahre des Zauberbergs in eine Zeit fallen, in der die Welt gebannt auf die (immer unglaublicher werdende) Physik starrt, Albert Einstein zum ersten "Superstar" wird und man sich den Kopf über die Zukunft und ihren Fortgang zerbricht.
    Was ebenso ankling im Text sind Grenzen, Grenzsituationen; da wird Traum und Wirklichkeit balt verwechselt, bald sind sie fliessend, bald separiert; oder aber Körper und Seele, Psychosomatik oder eine strikte Trennung; Unbewusst - Bewusst; es finden sich ausserordentlich viele Gegensatzpaare.
    Was mich beschäftigt ist sein heisser Kopf (ich bin erst im dritten Kapitel), ich frage mich ob es u.a. mit dem russischen Pärchen und den Frauenzimmern zu tun hat, ob es die erste (bewusste) Konfrontation mit der Welt der Sexualität ist... ?


    -mir

    je ne veux pas travailler, je veux fumer.<br />- Apollinaire

  • Hallo mir,
    interessante Theorie. Aber woher kommt es dann, daß alle "Temperatur" haben? Ich setze es mit Absicht in Anführungsstriche denn für mich ist das in dem Sinne kein Fieber - dafür ist es einfach zu wenig / und das ständig???
    Aber vielleicht ist das auch gerade ein Hinweis auf die prüden Umgangsformen hinsichtlich der Sexualität.
    Deinen Hinweis hinsichtlich Einstein finde ich sehr wichtig und auch folgerichtig.


    Viele Grüße
    Leseratte

    ...Dann sagte ein Lehrer: Sprich uns vom Lehren.<br />Und er sagte:<br />Niemand kann Euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern Eures Wissens schlummert.<br /><br />Khalil Gibran<br />Der Prophet

  • Hallo,


    Auch ich finde das "surreale" auf dem Zauberberg besonders faszinierend. Alles ist anders, die Zeit, der Tod nimmt die Selbstverständlichkeit des Lebens ein, und ich denke, auch der ständige "heiße Kopf" ist ein Ausdruck dessen. Einerseits ist die Luft da oben eben anders und der Kreislauf wird angeregt, zum anderen ist ein Fieberzustand auch immer eine Art Traum- oder Visionszustand, nur dass er hier nicht kurz und heftig stattfindet, sondern dauerhaft, gleichsam schleichend, bis er alle im Griff hat, sie in der Zauberwelt untergehen und solange im Sanatorium eingesponnen bleiben, bis sie sterben. Es ist ja auch auffällig, dass jeder, der in das Sanatorium kommt, und sei es zu Besuch, sofort "krank" wird, bzw. eine Diagnose bekommt - und dann tatsächlich erkrankt. Das geht nicht nur Castorp so, sondern bspw. auch dem Bruder des mexikanischen Patienten. Das Sanatorium scheint also kein Haus zu sein, das heilt, sondern das krank macht und auf Dauer tötet, und das eben diejenigen, die dekandent, schwach oder wie man es sonst nennen mag, genug sind, um sich von der Atmosphäre des Nichtstuns und der Krankheit längere Zeit festhalten zu lassen.


    Grüße,
    Thana

    &quot;Ich schwöre ihnen, meine Herrschaften, dass zuviel Bewußtsein eine Krankheit ist, eine richtige, regelrechte Krankheit.&quot; Dostojewskij

  • Vielleicht hilft es ja, darauf hinzuweisen, dass TM dem Klinik-Chef Behrens nicht umsonst den Namen des griechisch-antiken Unterwelt-Richters Rhadamanthys als Spitznamen anheftet: Natürlich ist der Zauberberg zugleich auch das Totenreich, deshalb werden die Gesunden hier krank und die Kranken sterben.

  • Hallo,
    spielt Settembrini dann nicht eine etwas abseitige Rolle? Er verlässt das Sanatorium als unheilbar krank um im Dorf weiterzuleben. Warum tut er das? Warum verbleibt er nicht im Sanatorium?


    Viele Grüße
    Leseratte


    @ pithana: Du hast ganau die richtigen Worte gefunden.

    ...Dann sagte ein Lehrer: Sprich uns vom Lehren.<br />Und er sagte:<br />Niemand kann Euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern Eures Wissens schlummert.<br /><br />Khalil Gibran<br />Der Prophet

  • Ich glaube durch die ständige Präsenz des Todes, sowie das anhaltende, Energie stauende Nichtstun im abgeschotteten Sanatorium baut sich eine Spannung auf. Es herrscht eine fatalistische Stimmung; die Sexualität scheint mir omnipräsent, wenn auch latent. Hans Castorp ist fasziniert und angeekelt von den "Praktiken" des Russenpärchens, trotz seiner übermässigen Müdigkeit nach dem Spaziergang verfolgt er jedes Wort im Vortrag des "Seelenzergliederes" akkurat (Freud lässt grüssen, bei diesen Ausführungen über "die Liebe"). Ebenso ist er frappiert von den Umgangsformen, die die Jugendlichen an den Tag legen und seine Reminiszenz an seinen ehemaligen Schulfreund ist ein weiterer Durchbruch des Sexuellen, wenn sich auch sein Objekt auf Mme Chauchat verlagert hat, die ja durchaus androgyne Züge aufweist.
    Ist euch übrigens aufgefallen, dass sich in Castorps Traum, der ja seine Alltagseindrücke auf surrealistische Art und Weise bündelt, eine Bleistiftsszene abspielt mit Mme Chauchat, was, wie man ja später erfährt, mit seiner "Jugendliebe" (um zu benennen, was nicht benannt werden sollte...) eine Verkünpfung aufweist. Die einzig "reale" Szene mit Hippe dreht sich um das Ausleihen eines Bleistifts.


    Huh, ich bin gespannt wie's weitergeht :)


    -mir

    je ne veux pas travailler, je veux fumer.<br />- Apollinaire

  • Nun ja, das mit dem Bleistift wird ja später zur genüge erwähnt.


    Ich wollte, wie die Leseratte, Settembrini etwas thematisieren. Er stellt für mich das Gegenstück zu Hans Castorp dar, was deutlich an seinen liberalen Reden, seinem familiären Hintergrund und seiner Haltung zum Berghof hervortritt. Er befürwortet das Leben im "Flachland", verurteilt das (eigens gewählte) Leben "oben".
    Sein Humanismus lässt sich auf die Begriffe oben und unten anwenden. Das Ideal des Lebens unten ist der Mensch, er sollte Massstab, Ankerpunkt, Wert, Mittelpunkt sein. Das Ideal oben ist das Leben als sinnlicher Genuss, das Körperliche wird einem an den Kopf geworfen, der Mensch gegenüber wird quasi Mittel zum Zweck der Chancen, die unten nicht genutzt werden konnten. Ein Kompensationshaufen :zwinker:. Wer dem Menschen nicht gewachsen ist, findet hier oben eine zweite Existenz, um sich auszuleben.
    Aber an jedem Prediger findet sich ein dialektisches Verhältnis. Er kann, in anbetracht seiner Krankheit, ohne schlechtes Gewissen das Leben auf dem Berghof verurteilen, seine Krankheit schützt ihn.
    Seine Reden sind zwar fortschrittlich und liberal, doch glaube ich hört man seine Vorbilder (sein Vater, Grossvater, der Schriftsteller) deutlich heraus; auch der Freigeist ist der Autorität unterworfen, wenn auch nicht bewusst.
    Was sagt ihr zu Settembrini?


    Was ich etwas seltsam finde sind die Krankenbesuche und ihr aprubtes Ende, zumal ja auch Joachim involviert war...
    Es wird ja in einer Textstelle hingewiesen, dass es sich hier um so etwas wie "Verschiebungs-", Kompensationsakte handelt... aber... Mme Chauchat symbolisiert für Castorp das Leben, wenn auch das physische, das körpergebundene, das hedonistische, ausschweifende Leben, so doch das Leben. Inwiefern dann Kompensation?


    Wünsche einen angenehmen Tag
    -mir

    je ne veux pas travailler, je veux fumer.<br />- Apollinaire

  • Hallo,
    ich habe seit ca. zwei Wochen leichte Schwierigkeiten mit dem Buch. Mir kam auch schon der Gedanke abzubrechen. "Schuld" daran ist u.a. Settembrini. Im Moment schaffe ich tatsächlich nur ein paar Seiten am Stück - ich bin gerade mal knapp über die Mitte hinaus.
    Ist Settembrini wirklich krank? Mir scheint nicht. Es kommt mir irgendwie seinerseits vorgeschoben vor. So, als ob er nur eine Entschuldigung für sein dortsein sucht, bzw. sein Unvermögen in der "normalen Welt" /unten leben zu können. Um nun mit diesem Zwiespalt fertig zu werden, stellt er seine humanistischen und philosophischen Thesen auf. Ich wiederhole jetzt meine Frage: Warum wandert er in`s Dorf aus? Doch nicht, weil er bald sterben muss!
    Noch mal zu etwas anderem. Es ist zwar nur eine Kleinigkeit aber sie ist mir schon ziemlich früh aufgefallen.
    Gerade die Männer zwischen zwanzig und dreißig werden im Sanatorium häufig mit ihren Traumberufen tituliert, die sie ja noch nicht ergreifen konnten.
    Überhaupt kommt mir die ganze Geschichte immer abstrakter vor. Man taucht im Sanatorium in einen langen Traum ein. Was bekommt man noch von der Außenwelt mit? Sie interessiert einen doch überhaupt nicht mehr.


    Viele Grüße
    Leseratte

    ...Dann sagte ein Lehrer: Sprich uns vom Lehren.<br />Und er sagte:<br />Niemand kann Euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern Eures Wissens schlummert.<br /><br />Khalil Gibran<br />Der Prophet