Hartmann von Aues Iwein gilt zu Recht als eines der ganz grossen höfischen Epen des deutschen Mittelalters. Hartmann greift - über den Franzosen Chrétien de Troyes - auf die Sagenwelt um Artus zu. Allerdings tritt das keltisch-magische stark zurück zugunsten des zeitgenössisch-hofischen Denkens.
Artus und seine Tafelrunde gelten als die Vorbilder ritterlichen Lebens und Benehmens. Allerdings ist diese Welt um Artus bei Hartmann, wenn man näher hinschaut, doch sehr brüchig geworden. Zu Beginn, wie Kalogreant sein Abenteur mit dem Hüter der Quelle erzählt, haben sich Artus und seine Gattin - zum Mittagsschläfchen hingelegt. Später stösst er allerdings zu seinen Mannen, und sie beschliessen, Kalogreant zu rächen. Iwein, mit Kalogrenas verwandt, möchte diese Rache eigentlich persönlich ausüben, und so schleicht er davon, um vor dem Heer an der Quelle einzutreffen. Er begiesst den Stein, der Hüter der Quelle, Askalon (wahrscheinlich eine der wenigen Reminiszenzen an keltisch-magische Gottheiten), erscheint, Iwein verwundet ihn tödlich. Doch es gelingt dem Ritter noch, nach Hause zurückzukehren. Iwein, der ihn verfolgt, wird vom fallenden Tor eingeschlossen und verdankt es nur der Schlauheit einer Frau, Lunete, dass er a) überlebt und b) gar die Witwe Askalons zu heiraten vermag
Nach der Hochzeit überredet Gawein, der ideale Ritter der Tafelrunde und zugleich Iweins bester Freund, diesen, nicht auf seiner Burg in den Armen seiner Gattin zu verbauern oder verjunkern, sondern weiterhin der "aventiure" zu pflegen. Widerwillig gibt Iweins Gattin Laudine ihm dafür ein Jahr Urlaub. Es kommt, wie es kommen muss: Wieder zurück im alten Junggesellentrott vergisst Iwein sich und die ihm gesetzte Frist, auch der scheinbar so ideale Ritter Gawein denkt offenbar nicht mehr daran. Laudine verstösst ihren Gatten öffentlich. Iwein wird wahnsinnig und verschwindet.
Durch eine Zaubersalbe wieder hergestellt, setzt Iwein alles daran, seine Laudine zurückzuerobern. Hat er sich bisher aus Spass an der Freude geschlagen, so tut er es nun, anonym, mit einem Löwen als einzigem Helfer, um Recht und Ordnung wiederherzustellen und den Schwachen beizustehen.
Artus lässt sich in der Zwischenzeit mal kurz seine Frau entführen, alle seine Ritter werden vom Entführer besiegt, er selber bleibt äusserst passiv. Der einzige, der den Entführer besiegen könnte, Gawein, ist offenbar gerade anderweitig beschäftigt, und macht sich erst viel später - zu spät - an die Verfolgung. Auch im Fall der zwei Jungfrauen, die um das Erbe ihres Vaters streiten und den Streit im gerichtlichen Zweikampf austragen lassen, wird sich herausstellen, und Gawein muss es selber zugeben, dass dieser ideale Ritter sich für die falsche Seite entschieden hat. Nein, die Idealwelt des Artushofes isb bei Hartmann äusserst fadenscheinig geworden.
Umso schöner liest sich das Epos auch für den heutigen Leser. Der "rîter mittem Leun", wie der namenlose Iwein genannt wird, bis er seine Laudine wieder hat, ist nicht nur ein makelloser Held, er stellt auch bereits den zwischen vielfältigen Anforderungen lavieren müssenden modernen Menschen dar.
Und die Sprache ... :
Ein rîter, der gelêret was
unde ez an den buochen las,
swenner sîne stunde
niht baz bewenden kunde
daz er ouch tihtennes pflac
(daz man gerne hœren mac,
dâ kêrt er sînen vlîz an:
er was genant Hartman
und was ein Ouwære
der tihte diz mære.
Ach ja ...