September 2006 - Marcel Proust

  • Du besitzt schon eine kleine Proustbibliothek, oder? Toll. Die Recherche verführt aber auch dazu. Ich besitze sonst keine Sekundärliteratur, habe mir aber das Proustlexikon gekauft, schleiche schon länger um "Paintings in Proust" herum und das von Dir genannte Buch würde mich auch reizen...


    Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • So, ich habe das dünne Büchlein nun vor mir liegen. Es enthält etliche SW-Abbildungen mit Frauen der Zeit, die natürlich alle wunderschöne lange Kleider tragen.


    Mit Texten kann ich aber leider nicht so recht weiterhelfen. Obwohl zahlreiche Stellen kursiv als Zitat gekennzeichnet sind, werden diese Zitate nicht nachgewiesen, so dass unklar bleibt aus welchem Werk sie stammen. Eine richtig lange Stelle, in der Proust nur über Kleider sinniert, gibt es wohl nicht, es sind lediglich zahlreiche einzelne Sätze zitiert.


    Gruß, Thomas

  • Hallo Steffi, hallo Manjula
    hallo zusammen,


    ich nähere mich dem Ende und zwar mit etwas Wehmut gehe ich dem Ende des Buches entgegen. Man spürt immer mehr, dass wir dem Höhepunkt entgegen gehen; Schlüsselfigur - die Tochter von Gilberte, Mademoiselle de Saint-Loup. In ihr vereint sich Swann, Odette, Gilberte, Robert. Ich fand sie überaus schön. Noch voller Hoffnungen, lachend, aus ebenden Jahren gestaltet, die ich verloren hatte, sah sie meiner Jugend gleich.


    Zuvor gab es jedoch noch eine sehr schöne Beschreibung:


    War sie nicht, .... gleich einem jener sternförmigen Kreuzungspunkte in den Wäldern und auch in unserem Leben, an denen Wege von den verschiedensten Punkten her zusammenkommen? Sie waren zahlreich für mich, die Wege, die Mademoiselle de Saint-Loup zusammentrafen und strahlenförmig von ihr aus weiterführten. Vor allem aber trafen in ihr die beiden Gegenden aufeinander, in denen ich so viele Spaziergänge gemacht hatte und so vielen Träumen nachgegangen war - durch ihren Vater, Robert de Saint-Loup, die Gegend von Guermantes, durch Gilberte, ihre Mutter, die Gegend von Méséglise, in der man "unterwegs zu Swann" war. Der eine führte mich über die Mutter des jungen Mädchens und die Gärten der Champs-Élysées bis zu Swann, zu den Abenden in Combray, zu der Gegend von Méséglise; der andere über ihren Vater zu meinen Nachmittagen in Balbec, wo ich ihn wider am besonnten Meer stehen sah.....


    und so fügt sich alles zusammen!


    Genial.


    Nachtrag:
    im Anhang ist noch ein Auszug aus einem Interview mit Marcel, den ich sehr interessant fand:


    "Nun, für mich ist der Roman nicht nur die Psychologie der Fläche, sondern die Psychologie in der Zeit. Diese unsichtbare Substaz der Zeit habe ich zu isolieren versucht, aber dazu war es nötig, daß das Experiment von einer gewissen Dauer war. Ich hoffe, am Ende meines Buches wird das eine ode andere bedeutungslose gesellschaftliche Ereignis, eine Heirat zwischen zwei Personen, die im ersten Band klar unterschiedenen Welten angehörten, veranschaulichen, daß Zeit vergangen ist, und die Schönheit mancher patinierter Bleie in Versailles annehmen, denen die Zeit ein smaragdenes Kleid übergezogen hat."


    das ist ihm gelungen.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo zusammen,


    ich habe nun das Buch ebenfalls beendet.


    Zitat von "Steffi"

    Ich finde, dass der letzte Band die ganzen Überlegungen und Themen wunderbar abrundet, aber gleichzeitig ist es natürlich auch schade, dass die Suche nun ein Ende hat - zumindest auf dem Papier. Die Gedanken und auch die Personen werden mich wohl nie mehr loslassen Schon jetzt verspüre ich Lust, wieder ganz von vorne zu beginnen. Oder zumindest mal mittendrin etwas zu lesen.


    dem kann ich mich nur anschließen. Das ENDE im Buch zu lesen stimmt irgendwie nicht mit meinen Gedanken überein. Es ist eigentlich ein Kreislauf und kein Ende.
    Sehr schön hervorgehoben hat der Erzähler wie dringend es nun für ihn ist, mit seinem Werk zu beginnen, dass der Tod nämlich nicht für seinen Körper ein Schrecken darstellt, sondern für sein Werk.


    Sätze wie .... Einen Körper zu haben aber ist die große Bedrohung für den Geist. ... oder ... Dem Geist sind Landschaften gegeben, deren Betrachtung ihm nur eine Zeitlang gestattet ist..... gehen unter die Haut, insbesondere im Zusammenhang mit der "Recherche".


    Ich möchte mich bei euch bedanken für die letzten 2 1/2 Jahren mit der "Suche..." Es war sehr schön und ich hoffe, wir machen bald mal wieder ein Projekt gemeinsam.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    ich bin nun auch kurz vor dem Ende – auf den letzten 100 Seiten werden ja rasant viele Fäden verknüpft, die vorher noch lose erschienen. Proust verwendet ja auch dieses Bild, als er die Verbindungen beschreibt, die zwischen den Guermantes, Saint-Loup, Swann, Gilberte… verlaufen und schließlich in Mademoiselle de Saint-Loup zusammentreffen. Das von Maria gepostete Zitat fand ich auch sehr schön!


    Die Beziehungen und Querverbindungen scheinen übrigens nur Marcel noch bewusst zu sein. Den anderen Teilnehmern der Gesellschaft ist z.B. Swanns Stellung und Herkunft nicht klar. Sogar die Herzogin bringt Vergangenes durcheinander: sie glaubt, Marcel schon länger zu kennen, als das der Fall ist, und meint, ihn mit Swann, nicht aber mit Bréauté bekannt gemacht zu haben. Diese selektive, individuell unterschiedliche Erinnerung beschreibt Proust sehr schön:


    Zitat

    Unser parallel verlaufendes Leben ist wie eine jener Alleen, an denen man in bestimmten Zwischenräumen Blumenvasen symmetrisch, jedoch nicht einander gegenüber, angeordnet findet.


    Zitat

    Unsere Vorstellungen von ihm [dem Namen] sind aber so ungenau und bizarr und entsprechen so wenig denjenigen, die er selbst von uns hat, dass wir vollkommen vergessen haben, wie wir uns um ein Haar mit ihm duelliert hätten, uns aber gleichwohl erinnern, dass er als Kind in den Champs-Elysées seltsame gelbe Gamaschen trug, während er sich trotz allen unseren Versicherungen nicht im Geringsten daran erinnert, in solchen Gamaschen mit uns gespielt zu haben.



    Ähnlich geht es Marcel und der Herzogin, als sie über deren rotes Kleid sprechen; an die Nachricht von Swanns schwerer Krankheit erinnert sich keiner der beiden.


    Eine Folge dieser verlorenen Erinnerungen ist, dass sich niemand an die alte Ordnung und Rangfolge erinnert, was Marcel sogar besser dastehen lässt: er gilt als alter Vertrauter des Adels und nicht als unbedeutender Provinzler.


    Dagegen ist die Umkehrung der alten Ordnung äußerst schmerzhaft für die Berma: alle ziehen die Gesellschaft bei den Guermantes der ihren vor; sogar ihre Tochter und ihr Schwiegersohn gehen heimlich (während sie sich zum Blutspucken zurückgezogen hat!) dorthin und demütigen sich und auch die Berma durch ihr kriecherisches Verhalten gegenüber Rahel (die wiederum ganz nach oben gespült wurde).


    Die gesellschaftliche Stellung ist wirklich nichts Festes: Odette, die ich einige Seiten zuvor schon unwiderruflich auf dem Abstellgleis sah, hat wieder mal einen Liebhaber, der ihr völlig verfallen ist und den sie entsprechend demütigt. Und er, der Herzog von Guermantes, gibt das eins zu eins an seine Gattin weiter. Die Liebe scheint eher ein Gift als eine Himmelsmacht zu sein.


    Sehr schön und treffend fand ich noch die beiden folgenden Zitate:


    Zitat

    Wenn ich eine einfache gesellschaftliche Bekanntschaft oder sogar einen rein stofflichen Gegenstand nach Verlauf einiger Jahre in meiner Erinnerung wieder fand, so stellte ich fest, dass das Leben unaufhörlich neue Fäden darum gewoben hatte, die sie schließlich mit dem schönen, einzigartigen Samt der Jahre weich umkleideten, ähnlich dem, der in alten Parks ein schlichtes Wasserrohr mit einer smaragdenen Hülle umgibt.


    Zitat

    …denn unsere eigenen Irrtümer und Lächerlichkeiten haben selten die Wirkung, uns, sogar nachdem wir sie ganz und gar durchschaut haben, nachsichtiger gegen die der anderen zu stimmen.


    Interessant fand ich auch die nacaratfarbene Robe eines Gastes, lt. Wikipedia soll die Farbe so aussehen: http://en.wiktionary.org/wiki/nacarat. Und daneben wirken Fuchsien blaß? Hm.


    Schöne Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo Manjula,
    hallo Steffi,




    Ähnlich geht es Marcel und der Herzogin, als sie über deren rotes Kleid sprechen; an die Nachricht von Swanns schwerer Krankheit erinnert sich keiner der beiden.


    Manjula, das erinnert mich an die roten Schuhe, die auch nochmals erwähnt wurden, doch dass in dem Zusammenhang der Onkel (?) des Herzog von Guermantes im Sterben lag, wird auch nicht mehr erwähnt. (und jetzt hoffe ich, dass mir mein Gedächtnis keinen Streich spielt und stimmt was ich hier schreibe).


    Edit:
    es hat mir keine Ruhe gelassen und ich habe nachgeschaut und wurde tatsächlich fündig. Es war der sterbende Cousin des Herzogs, Amanien d'Osmond. Die roten Schuhe der Herzogin waren wichtiger als der sterbende Cousin. (Guermantes)



    Zitat


    Interessant fand ich auch die nacaratfarbene Robe eines Gastes, lt. Wikipedia soll die Farbe so aussehen: http://en.wiktionary.org/wiki/nacarat. Und daneben wirken Fuchsien blaß? Hm.


    das habe ich garnicht bemerkt. Ist doch gut, wenn man in einer Lesegruppe ist !



    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo zusammen,


    ihr habt wirklich schöne Textstellen zitiert ! Euren Gedanken kann ich voll zustimmen. Unter den verknüpften Fäden waren für mich einige, die mir gar nicht mehr bewußt waren. Anderes hat sich mehr aufgedrängt, als ich gedacht bzw. in Erinnerung hatte. Sehr raffiniert !


    Zur Farbe: das wäre mir auch nicht aufgefallen, aber von den Rosen her weiß ich, dass damals die Farbbenennung manchmal etwas anders war als heute, gerade was Farbschattierungen betraf. Wer weiß, wie fuchsienrot damals aussah ...


    Gruß von Steffi

  • Guten Morgen zusammen,


    Zitat

    von den Rosen her weiß ich, dass damals die Farbbenennung manchmal etwas anders war als heute, gerade was Farbschattierungen betraf. Wer weiß, wie fuchsienrot damals aussah ...


    Ah, das ist interessant. Dass sich solche Bedeutungen auch ändern können, war mir gar nicht bewusst.


    Ich bin nun auch mit dem Buch fertig. Wobei „fertig“ wohl nicht das richtige Wort ist


    Zitat

    Es ist eigentlich ein Kreislauf und kein Ende.


    Dieses Gefühl hatte ich auch, es ist eher ein Kreislauf, da ja das „Ende“ wieder direkt zum Anfang führt. Ein schöner Kunstgriff - und raffiniert, da er den Leser dazu führt, gleich wieder von vorn anzufangen.


    Besonders berührt haben mich auf den letzten Seiten die Ängste des Erzählers, er könne sein Werk aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit nicht vollenden. Wie oft muss Proust selbst diese Gedanken gehabt haben! Das muss wirklich sehr quälend sein.


    Für mich waren die wichtigsten Themen dieses Bands die Gedanken zur Erinnerung und zum Verhältnis Buch – Leser. Zum ersten hatte ich ja schon nach der Szene in der Bibliothek einiges geschrieben; diese Schilderung hat mich so mitgerissen, ich hatte bei ganz vielen Sätzen den Eindruck, hier spricht mir Proust „aus der Seele“, auch wenn ich diese Gedanken nie ganz greifen konnte und schon gar nicht so perfekt hätte ausdrücken können wie er. Auch seine Ausführungen zum zweiten Punkt haben mich sehr angesprochen. Dass ein Buch für jeden Leser etwas anderes ist, dass also keine Deutung für sich in Anspruch nehmen kann, die einzig richtige zu sein, finde ich ungemein erleichternd. Wenn ich bisher meine Eindrücke zu einem Buch mit denen anderer Leser verglichen habe, kam ich immer ins Grübeln: Warum habe ich über diese Stelle einfach weg gelesen, während sie anderen so wichtig erschien? Und warum ist eine Szene, die mich ganz tief angerührt hat, anderen gar nicht aufgefallen? Proust gibt hier Antwort.


    So ganz kann ich meine Gedanken zu der Recherche noch nicht zusammenfassen (insbesondere zum Thema Zeit rumort es noch in mir), aber ich kann sicher sagen, dass dieses Werk für mich eine Art „Lebensbuch“ ist, da es mir so viele Anregungen, Gedankenanstöße und neue Einblicke gegeben hat und künftig auch noch geben wird. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei Euch für diese sehr schöne Leserunde bedanken. Ohne Euch wäre mir vieles entgangen, und das gemeinsame Lesen hat mir sehr viel Freude bereitet.


    Viele liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo Manjula,



    So ganz kann ich meine Gedanken zu der Recherche noch nicht zusammenfassen (insbesondere zum Thema Zeit rumort es noch in mir), aber ich kann sicher sagen, dass dieses Werk für mich eine Art „Lebensbuch“ ist, da es mir so viele Anregungen, Gedankenanstöße und neue Einblicke gegeben hat und künftig auch noch geben wird. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei Euch für diese sehr schöne Leserunde bedanken. Ohne Euch wäre mir vieles entgangen, und das gemeinsame Lesen hat mir sehr viel Freude bereitet.


    "Lebensbuch" - das ist schön geschrieben. Ich kann Proust auch noch nicht loslassen und ich merke, dass ich andere Bücher nun sehr viel sensibler lese, besonders wenn ein anderer Autor sich "Zeit und Erinnerung" als Thema nimmt (z.b. "Museum der Unschuld" von Orhan Pamuk). Da ich die Proust-Biographie von Tadié noch nebenher lese, wird mich Proust auch in diesem Jahr begleiten.


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Wie schwer ist denn die Tadié-Kost? Kann man das so weglesen oder ist es doch (stellenweise) ermüdend?


    Gruß, Thomas


    Hallo Thomas,


    ich kann Tadié nach 200 Seiten sehr empfehlen. Bisher überhaupt nicht ermüdend (außer das Gewicht des Buches *g*), gute Kapiteleinteilungen, Leben und Werk sehr gut verwebt, dass es mir nicht verwirrend vorkommt wie beim Lesen der Proust-Biographie von Ronald Hayman. Die lag mir persönlich überhaupt nicht.


    Der Tadié hat ca. 1265 Seiten, aber davon sind 348 Seiten Anmerkungen. Bibliographie, Register.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Manjula,
    hallo zusammen !


    Ich bin mir auch sicher, dass Proust mich nie wieder ganz loslässt und sich sozusagen in meine Erinnerungen eingeschlichen hat. Am meisten fasziniert mich, dass er am Leser genau das demonstriert, das er uns 7 Bände lang erklärt hat.


    Gruß von Steffi