September 2006 - Marcel Proust

  • Hallo zusammen,


    Hiermit eröffne ich die neue Leserunde. Willkommen in Proust’s Welt! Hier lesen wir den 3. Teil: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ – „Guermantes“.


    Der erste Satz lautet:
    Das morgendliche Vogelgezwitscher kam Françoise fade vor.


    Ursprünglich begann „Guermantes“ mit dem 1. Satz aus dem 2. Abschnitt:
    In dem Alter, da die Namen uns das Bild des Unergründbaren zeigen, das wir selbst in sie hineingelegt haben, zu demselben Zeitpunkt, da sie für uns auch einen wirklichen Ort benennen und uns demnach zwingen, das eine mit dem anderen in einem Maße gleichzusetzen, dass wir aufbrechen, um in einer Stadt nach einer Seele zu suchen, die sie nicht enthalten kann, die aus ihrem Namen zu vertreiben wir aber auch nicht mehr die Macht... usw.



    Der Satz geht über die halbe Seite. Ich finde es vernünftig, dass er den Leser mit diesem 1. Satz nicht gleich ‚erschlägt’ .


    Der 1. Abschnitt beinhaltet die ganze Proustsche Welt, wie wir sie bereits von den vorherigen Bänden kennen. François und Combray werden erwähnt. Es werden „Mädchen“ erwähnt, wenn hier auch die Dienstboten gemeint sind, doch gibt es einen schönen Übergang von der „Mädchenblüte“, wenn auch ein nüchterner.


    Sogar die Eisenbahn wird im Abschnitt eingebaut, die für den Erzähler doch immer eine große Rolle gespielt hat. Sie wird mit dem Laufburschen eingeflochten, dem der Umzug wie ein Urlaub vorkommt,... er glaubte sich auf dem Lande; ein Schnupfen verschaffte ihm noch dazu – als habe er etwas durch ein schlecht schließendes Fenster in der Eisenbahn „etwas eingefangen“ – das köstliche Gefühl, er sei weit in der Welt herumgekommen; bei jedem Nieser beglückwünschte er sich, eine so schicke Stelle gefunden zu haben...


    Wichtig ist der Ort an dem die Familie umzieht. Sie beziehen eine Wohnung im Nebenbau des Guermantesschen Stadtpalais’. Schon ist man im „Thema“ drin. Leider ist die Gesundheit der Großmutter angeschlagen, deswegen der Umzug. Das ist traurig.


    Das Melusinenmotiv darf ebenfalls nicht fehlen. Wir erinnern uns, dass der Erzähler bereits Gilberte mit einer Melusine verglich. Nun wird das Element Wasser und eine Märchengestalt, eine Fee, in Verbindung mit der Madame de Guermantes gebracht. (2. Abschnitt, am Ende des obigen erwähnten langen Satzes).


    Auf der S. 14 wird es wiederholt: ...wenn ich mich einfach in Paris Madame de Guermantes, Lehensherrin des Ortes und Dame vom See, einen Augenblick näherte, ...


    Als Erklärung steht bei mir im Anhang:
    Die Dame vom See ist die Fee Viviane, Geliebte des Zauberers Merlin und Erzieherin Lanzelots. In gewissen Versionen der Sage wird sie mit Melusine in Verbindung gebracht.


    Ich finde diesen Aspekt wichtig, zeigt es doch ein gewisses Bild, das Proust dem Leser von den Frauen in seinem Werk weist und gibt vielleicht auch einen versteckten Hinweis für zukünftige Ereignisse. Interessant finde ich, dass er Albertine (bisher) kein solches "Mysterium" zuschrieb.


    Auf den ersten 36 Seiten fehlt nur noch eine Beschreibung des Zimmers des Erzählers. Mal sehen wann diese erfolgt.


    Wie gefällt euch der Einstieg in „Guermantes“? Mir sehr gut.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo zusammen,


    damit ich nichts durcheinander bringe:


    Müssen wir auf zwei Frauen der Guermantes achten? Die Fürstin Guermantes (auch Fürstin Guermantes-Bavière genannt) und die Herzogin von Guermantes (die Schwägerin der Fürstin?).


    :rollen:


    viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Guten Abend,


    ja, die Einleitung umfasst tatsächlich die Welt Prousts, wie wir sie bisher kennen gelernt haben. Besonders gut gefallen haben mir die Gedanken, die der Erzähler sich um den Namen der Guermantes und Namen allgemein macht. Es ging mir beim Lesen (übrigens nicht zum ersten Mal) so, dass ich dachte "Stimmt genau!" - nur könnte ich das nie so exakt ausdrücken.


    Für mich ein sehr gelungener Einstieg - viel weiter bin ich allerdings noch nicht. Aber morgen ist ja Feiertag :zwinker:


    Ich wünsche Euch einen schönen solchen.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Dafür habe ich bei Jokers das Proust-Lexikon für 4,95 € bestellt :klatschen:


    Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen !


    Auch mir hat die Einleitung sehr gut gefallen ! Eine sehr gelungene Verbindung zwischen der bisher kennengelernten Proustschen Welt und Marcels Gedanken. Auch ein bißchen Witz und Ironie ist vorhanden und ich bin gleich wieder in Paris eingetaucht.


    Die Guermantes sind für mich sehr verwirrend, Herzogin, Fürstin usw., aber auch, welche Stellung sie innerhalb der Gesellschaft innehaben (sehr weit oben auf jeden Fall) und auch, welche Beziehung die Familie Marcels zu ihnen hat, außer das sie aus der gleichen Umgebung kommen. Diese gesellschaftlichen Verwicklungen finde ich momentan sehr verwirrend und ich werde mal wieder in das Proust-Lexikon schauen.


    Gruß von Steffi

  • Guten Abend,


    ja, die Welt der Guermantes ist für mich auch noch nicht ganz durchschaubar - aber wir haben ja noch einige Seiten vor uns. Was mir an diesem Band gut gefällt, ist, dass Françoise, die mir irgendwie ans Herz gewachsen ist, wieder eine größere Rolle einnimmt. Sie ist zwar verschroben, ihr Standesdünkel ist wahrscheinlich größer als der ihrer Herrschaft, aber ich mag sie. Und auch dass Combray (und die fast vergessene Eulalie - Proust lässt wirklich keine Figur unter den Tisch fallen) wieder erwähnt werden, ist schön.


    Viele Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen,


    „Guermantes“ ist so gehaltvoll und ich bin ganz überwältigt.


    Da wäre der Opernbesuch. Diesmal läuft es ganz anders für den Erzähler ab, als bei seinem ersten, als er die hohen Erwartungen an die Berma hatte. Er bemerkt, dass er sich nicht mehr einer falschen Vorstellung von einem dramatischen Genie hingab. Er näherte sich ohne großes Verlangen dem Objekt. Vielleicht sollte er auch der Damenwelt so begegnen.


    Der Opernbesuch war wunderbar beschrieben.
    Die Loge der Fürstin von Guermantes benennt er „Grotte“. Dann der Höhepunkt, der Auftritt der Herzogin von Guermantes und endlich trifft ihn ein Blick von ihr!


    sie aber, die mich erkannt hatte, ließ den blitzenden, himmlischen Funkenregen ihres Lächelns auf mich niederfallen.


    Jetzt fällt er meines Erachtens wieder ins alte Verhaltensmuster zurück. Auf den Spaziergängen versucht er der Herzogin zu begegnen, die ihn jetzt eher abweisend zur Kenntnis nimmt.


    Er hebt sie auf Götterstatus, z.B. einer ägyptischen Gottheit, der Vergleich mit einem Vogel folgt. Ihre Erscheinung verwandelt sich jeden Tag, genauso wie ihre Kleid und Hut.


    Schön fand ich diese Beschreibung:
    Was ich liebte, war die unsichtbare Person, die das alles in Bewegung setzte, war sie, deren Feindseligkeit mich bekümmerte, deren Herannahen mich bestürzte, deren Leben ich fassen und deren Freunde ich hätte verjagen wollen....


    Er gibt sich u.a. ritterlichen Träumen hin, wie er die Herzogin rettet usw..


    Wie weit seit ihr? Ich bin nun in der Garnison. Marcel besucht Saint-Loup. (S. 130)


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo !


    Ja, ich empfinde das genau wie ihr. Es ist ganz herrlich beschrieben und man merkt auch den Unterschied zwischen dem mondänen Paris und dem verschlafenen Balbec. Marcel ist ja ein richtiger Snob, deshalb wohl auch die Verehrung der Herzogin. Ich meine, dass das mehr von der Sehnsucht nach der oberen Gesellschaft und nicht von Liebe bestimmt ist.


    Das Melusine-Motiv in der Oper fand ich ebenfalls schön gewählt. Unter Wasser ist ja das Sehen am wichtigsten, Sprechen und Hören kann man ja nicht. Beim tauchen empfindet man auch die Ruhe und die Schönheit, aber man kommt an das Innere nicht heran. So scheint es auch mit den Herzögen, Fürstinnen usw. zu sein, der Schein ist eben alles ! Proust geht ja bei diesem Opernbesuch auch nicht auf das eigentlich hervorstechende an der Oper ein, nämlich die Musik und die Stimme.


    Nicht vergessen möchte ich auch das Bild des alten Türabtreters als Schwelle zur gehobenen Gesellschaft :breitgrins:


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen !


    Marcel ist nun in Doncières. Zuerst übernachtet er in der Kaserne bei Saint-Loup, ein sehr intimes Wiedersehen wie ich finde und leichte homoerotische Anklänge. Er überträgt das Antlitz der Herzogin auf Saint-Loup.


    Dann steht er am Fenster und betrachtet die Landschaft, die er personalisiert. Besonders die Assoziationen des Nebels hat mich fasziniert und begeistert:
    Indem er die Form der Anhöhe durchtränkte und sich mit demGeschmack der Schokolade, ja mit dem ganzen Gewebe meiner damaligen Gedanken vermischte, durchdrang dieser Nebel, ohne dass ich im geringsten an ihn gedacht hätte, alle meine Gedanken dieser Zeit mit seiner Feuchte, ...


    Es folgt eine Beschreibung seines Zimmers im Hotel, die er ebenfalls als Personen darstellt. Diese Personalisierungen geben, finde ich, eine sehr intensive Wirkung aber auch ein bißchen etwas kindlich-naives.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    Wie fandet ihr die Episoden über den Schlaf? Ich empfand sie ganz hervorragend. Die Beschreibung ist über Seiten hinweg sehr dicht, wissenschaftlich und poetisch sogleich:


    S. 116:
    Trotz allem ist die Welt, in der man während des Schlafes lebt, eine so andere, daß Menschen, die den Schlaf nur mit Mühe finden, vor allem aus der unsrigen herauskommen wollen.....
    Nicht weit von dort liegt der behütete Garten, in dem wie unbekannte Blumen die verschiedenen Arten des Schlafes wachsen, die ganz anders sind, je nachdem sie aus dem Stechapfel, aus indischem hanf oder den verschiedenartigen Ätherextrakten hervorgehen, ob es sich um einen Belladonnaschlaf oder einen durch Opium oder Baldrian erzeugten handelt, Blumen, die geschlossen bleiben bis zu dem Tag, da der auserwählte Unbekannte sie berührt, sie zm Aufblühen bringt und auf lange Stunden hin die Düfte ihrer besonderen Träume in einem staunenden und bestürzten Wesen aufsteigen läßt....


    Proust hatte Einschlafschwierigkeiten und dadurch sicher seine Erfahrungen mit Drogen. Baldrian ist noch das harmloseste Extrakt unter den oben genannten.


    dann wacht man auf und wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, dass man im Schlummer versucht zu erinnern, was man geträumt hat. Manche Träume will man am liebsten eiligst begraben (S. 117)
    S. 118 beschreibt er den bleiernden Schlaf ....


    S. 119 ... Es hat ja tatsächlich ein Tod stattgefunden, wie wenn ds Herz zu schlagen aufgehört hat und wir durch rhythmisches Ziehen an der Zunge wiederbelebt werden....


    Es sind wirklich höchst beeindruckende Seiten über den Schlaf (S. 113 bis S. 120). Darüber könnte man sich ewig unterhalten und immer wieder neues entdecken!



    Zitat von "Steffi"

    Marcel ist nun in Doncières. Zuerst übernachtet er in der Kaserne bei Saint-Loup, ein sehr intimes Wiedersehen wie ich finde und leichte homoerotische Anklänge. Er überträgt das Antlitz der Herzogin auf Saint-Loup.


    Das fiel mir auch auf. Er gab dann auch zu, dass der Grund seines Besuches bei Saint-Loup, die Ähnlichkeit zwischen dem Neffen und seiner Tante ist. Dadurch wollte er der Herzogin näher sein.


    Zitat von "Steffi"

    Es folgt eine Beschreibung seines Zimmers im Hotel, die er ebenfalls als Personen darstellt. Diese Personalisierungen geben, finde ich, eine sehr intensive Wirkung aber auch ein bißchen etwas kindlich-naives.


    Guter Gedanke, das fiel mir garnicht auf.
    seine Befremdung in einem fremden Zimmer zu sein, legt sich dann recht bald:


    Welch ein Segen war dann die Heimkehr ins Hotel! Wenn ich mich ins Bett sinken ließ, war mir, als sei ich Zauberern und Hexenmeistern entronnen, wie sie die von unserem siebzehnten Jahrhundert so geliebten Romane bevölkern. (S. 124)


    Dann zog sich Marcel zum Diner um. Er geht zu Fuß zu der Pension in der Saint-Loup wohnt. Diesmal schaut er in die Häuser, von außen nach innen, und beschreibt seine Gefühle. Sonst ist der Leser es eher gewöhnt, dass der Erzähler aus dem Fenster nach draußen sieht und die Landschaft beschreibt. Faszinierend!


    Jetzt scheint der Erzähler sehr erregt zu sein:
    ...ich meinte, eine Frau werde auftauchen, um es zu stillen; wenn ich im Finstern dann plötzlich ein Kleid vorüberstreifen fühlte, hielt mich die Heftigkeit der Lust, die ich empfand, davon ab zu glauben, diese Berührung sei nur zufällig erfolgt, und ich versuchte, eine erschreckte Passantin in die Arme zu schließen... S. 131


    Sein Besuch bei Saint-Loup und die Ähnlichkeit mit der Herzogin erregt ihn sehr.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo zusammen,


    Manjuli, sind wir zu schnell?


    "Guermantes" liegt mir sehr. Es umfasst alle Elemente der vorigen Bände in einem Stil, der mich sehr einnimmt und ich habe diesmal nicht das Gefühl, dass ich nach 20 Seiten eine Pause einlegen müsste. Ich bin fasziniert von "Guermantes".


    Ich möchte nochmals zurückgehen und zwar auf S. 89 das Geheimnis der Zukunft hat der junge Erzähler erkannt. Das sind so bewegende Momente.
    Es verängstigt ihn. Auf der einen Seite wissen wir, dass Marcel bereits in einem Bordell war (auf S. 233 wird darauf kurz Bezug genommen) und auf dem Sofa seiner Tante Leonie seine ersten sexuellen Erfahrungen gemacht hat, ich glaube mit einer Cousine. Jedoch fürs Leben muß er noch einiges lernen (das Geheimis der Zukunft eben). Diese neuen Erfahrungen des Erwachsenwerdens zeichnet Guermantes aus. Was meint ihr?


    Er schließt Freundschaften in der Garnison, eine enge Freundschaft mit Saint-Loup, er interessiert sich für Mädchen, für reife Frauen, hängt Träumen nach.
    Alles was ein junger Mann so durchmacht. Fehlt nur noch der Tod eines lieben Angehörigen.


    viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo !


    Zitat

    Diese neuen Erfahrungen des Erwachsenwerdens zeichnet Guermantes aus.


    Ja, das empfinde ich auch so.


    Nachdem Marcel von den Soldaten (interessante Beschreibungen des Soldatenlebens - soooo hart war es wohl für die Gutbetuchten nicht ) wieder in Paris ist, trifft er auch auf die Freundin Saint-Loups. Eine "alte Bekannte" ! Im Vergleich zur Beschreibung von Odette kommt sie nicht so gut weg, Marcel wird erwachsener und sieht auch die vielen negativen Seiten. Die Liebe Swanns hat er noch verklärt gesehen, aber diese Beziehung sieht er viel realistischer.


    Hier erfahren wir auch, dass Francoise eine Tochter hat :rollen: Habe ich das nur überlesen oder war das schon bekannt ?


    Zitat

    Fehlt nur noch der Tod eines lieben Angehörigen.

    Kommt noch !


    Gruß von Steffi

  • Guten Abend,


    Zitat

    Manjuli, sind wir zu schnell?


    Eher ich zu langsam :zwinker: aber ich hole auf. Den Opernbesuch fand ich auch sehr schön. Die "meerhaften" Umschreibungen wie Wassergöttinnen, Uferkiesel, Korallenriff waren sehr bildhaft. Bezeichnend, dass die Beschreibung der Besucher deutlich mehr Platz einnimmt als die Oper selbst.


    Dann die Schwärmerei des Erzählers für Madame de Guermantes. Wieder stürzt er sich Hals über Kopf in eine Verliebtheit und richtet alles nach der Angebeteten aus. Sogar seinen Besuch bei Saint-Loup plant er nur wegen ihr. Als er dort ist, scheint sie aber in den Hintergrund zu rücken; jetzt ist Saint-Loup wieder Dreh- und Angelpunkt. Steffi, der homoerotische Unterton ist mir auch aufgefallen. Die "Männerfreundschaft" in der Kaserne scheint ihn anzuziehen.


    Die Passage über den Schlaf fand ich auch wunderbar. Treffend, wie er schreibt, dass man sich an Träume oft erst viel später erinnert, wenn "der Strahl einer ihnen verwandten Idee sie durch Zufall trifft". Er bezeichnet den Schlaf als "wohltuenden Anfall von Geistesverwirrung" - sehr interessant.


    Eine weitere Stelle, die mir sehr gut gefiel, waren Saint-Loups Gedanken über die Kriegskunst. Ob seine Ausführungen über die Schlachten, die immer "Abziehbilder" von früheren Schlachten seien, wohl bewusst eingesetzt wurden im Hinblick auf den folgenden ersten Weltkrieg, der nun eben kein Abziehbild war? Es hat mich jedenfalls nachdenklich gestimmt.


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Hallo zusammen


    Zitat von "Manjula"


    Bezeichnend, dass die Beschreibung der Besucher deutlich mehr Platz einnimmt als die Oper selbst


    Ich mußte an Madame Bovary denken. Darin wird ein Opernbesuch, Lucia di Lammermoor, ausführlich
    beschrieben, sogar die Bühnendekoration. Gustave Flaubert hat die Handlung der Oper mit der
    Situartion der Heldin verbunden.


    Marcel Proust zeigt uns die Opernbesucher. Seine Beobachtungsgabe ist wirklich beeindruckend.


    Zitat von "Manjula"

    Eine weitere Stelle, die mir sehr gut gefiel, waren Saint-Loups Gedanken über die Kriegskunst. Ob seine Ausführungen über die Schlachten, die immer "Abziehbilder" von früheren Schlachten seien, wohl bewusst eingesetzt wurden im Hinblick auf den folgenden ersten Weltkrieg, der nun eben kein Abziehbild war? Es hat mich jedenfalls nachdenklich gestimmt.
    [i]


    gefiel mir auch sehr gut. Dieser Satz war bezeichnend:
    [i]"Im übrigen laß dir sagen, daß dasjenige, was die Entwicklung der Kriegskunst am meisten beschleunigt, die Kriege selber sind. ...... Aber das gehört der Vergangenheit an. Bei den gewaltigen Forschritten
    der Artillerie werden künftige Kriege, wenn es überhaupt noch Kriege gibt, so kurz sein, daß noch ehe man daran denken kann, die Lehren des Krieges zu nutzen, Frieden geschlossen sein wird.


    Als ob eine schnellere Kriegsmaschinerie eine Heilsbringung sein könnte. Oder verstehe ich den Text nicht richtig?


    achja, es war witzig "Ulm" in "Guermantes" zu lesen. Steffi und ich sind ja aus der Nähe von Ulm *grins*


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    Lucia di Lammermoor scheint ja beliebte literarische "Hintergrundmusik" zu sein, in einem Roman von John Irving kommt sie auch an prominenter Stelle vor.


    Zitat

    "Im übrigen laß dir sagen, daß dasjenige, was die Entwicklung der Kriegskunst am meisten beschleunigt, die Kriege selber sind. ...... Aber das gehört der Vergangenheit an. Bei den gewaltigen Forschritten
    der Artillerie werden künftige Kriege, wenn es überhaupt noch Kriege gibt, so kurz sein, daß noch ehe man daran denken kann, die Lehren des Krieges zu nutzen, Frieden geschlossen sein wird.
    Als ob eine schnellere Kriegsmaschinerie eine Heilsbringung sein könnte. Oder verstehe ich den Text nicht richtig?


    Ja, diese Stelle hat mir auch zu denken gegeben. Ich habe sie so verstanden: wenn die Kriegsmaschinerie weiter perfektioniert wird, werden bei jeder Schlacht so viele Tote zu erwarten sein, dass die Heerführer lieber schneller Frieden schließen als immense Verluste zu riskieren. Einerseits hat sich das ja bewahrheitet - im Zeitalter der Atombombe reichte bereits die Drohgebärde. Andererseits gibt es weiterhin blutige, schmutzige, verlustreiche Kriege...Schwer zu beurteilen. Ich bin jedenfalls gespannt, ob der Erzähler diese Gedanken bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs nochmal aufgreift.


    Zitat

    achja, es war witzig "Ulm" in "Guermantes" zu lesen. Steffi und ich sind ja aus der Nähe von Ulm *grins*

    Das fand ich auch witzig (Ulm ist auch von mir nicht so weit weg).


    Liebe Grüße
    Manjula

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

  • Ergänzend noch die Hörbücher:


    In Swanns Welt
    [kaufen='3899409612'][/kaufen]


    Im Schatten junger Mädchenblüte
    [kaufen='3899402979'][/kaufen]


    Die Welt der Guermantes, noch nicht erschienen.
    [kaufen='389940470X'][/kaufen]


    Die Welt der Guermantes


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo zusammen !


    Zitat

    achja, es war witzig "Ulm" in "Guermantes" zu lesen. Steffi und ich sind ja aus der Nähe von Ulm *grins*


    :bang:


    Zitat

    Als ob eine schnellere Kriegsmaschinerie eine Heilsbringung sein könnte. Oder verstehe ich den Text nicht richtig?


    Ich habe es so gelesen, dass Kriege bald unnötig werden könnten, denn die eigentlichen Kriegshandlungen werden überflüssig, damit auch das Soldatenleben usw. und man kann gleich zu Verhandlungen übergehen. Vielleicht ist das aber nur ein Wunschdenken von mir ?


    Marcel wendet sich nun wieder den gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu - die Salons werden wieder wichtig !


    Gruß von Steffi

  • Ich habe es so gelesen, dass Kriege bald unnötig werden könnten, denn die eigentlichen Kriegshandlungen werden überflüssig, damit auch das Soldatenleben usw. und man kann gleich zu Verhandlungen übergehen. Vielleicht ist das aber nur ein Wunschdenken von mir ?


    So würde ich den Text auch verstehen. Vermutlich den größten Irrtum, den Proust hier niedergeschrieben hat. Die Ansicht der kurzen Kriege war ja vor dem 1. Weltkrieg sehr modern. Wie sollte er sich hier irren...


    Gruß, Thomas

  • Hallo zusammen,


    ich bin nun auch bei der Begegnung mit Saint-Loups Geliebten angekommen. Tatsächlich ähnelt diese "Liebesgeschichte" der von Swann nicht nur, was die fast wahnhafte Zuneigung Saint-Loups betrifft, sondern auch bezüglich der Vorgeschichte der Geliebten. Und auch hier wieder: wie quälend muss eine solche Besessenheit sein! Z.B. als Saint-Loup eine Hochzeit deswegen ablehnt, weil sie dann verlassen oder zumindest vernachlässigen würde, da sie ja nichts mehr von ihm zu erwarten hätte. Mir fällt gerade auf, dass dieses "Besessensein" bisher nur bei Männern auftritt, während die Frauen eher kühl und fast berechnend sind. Sieht Proust die Männer als "anfälliger" an, ist das eine Kritik an den Frauen? Oder eher eine Kritik an der Gesellschaft? Frauen wie Odette und Saint-Loups Geliebte sind ja eigentlich gezwungen, so berechnend zu handeln - eine Beziehung "aus Liebe" könnten sie sich ja nicht leisten.


    Ein Stück weit vorher denkt der Erzähler auch wieder über den Schlaf nach, was mir sehr gut gefallen hat: zunächst die Vorstellung, man könne nicht schlafen, dann der Traum von der Schlaflosigkeit und die erneute Reflexion...Wieder genial beschrieben!


    Gut gefallen hat mir auch das "bureau d'esprit" - wie mag wohl ein Büro des Geistes aussehen? :breitgrins:


    Euch einen schönen Sonntag!


    Viele Grüße
    Manjula


    EDIT PS: Steffi: ich meine, dass das Kind von Francoise einmal in "Combray" erwähnt wurde.

    [size=10px] "Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre cœur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden." [/size]

    Einmal editiert, zuletzt von Manjula ()

  • Hallo zusammen !


    Manjula schrieb:

    Zitat

    Mir fällt gerade auf, dass dieses "Besessensein" bisher nur bei Männern auftritt, während die Frauen eher kühl und fast berechnend sind.


    Stimmt - die Frauen sind die Objekte der Begierde. Vielleicht ergibt sich das aus dem damaligen Rollenbild, denn ich denke, Proust sieht seinen "Auftrag" mehr im Beschreiben der damaligen Zeit als in Kritik und Gesellschaftserneuerung. Dass damit natürlich auch die Gesellschaft kritisiert wird, ergibt sich in der Rückschau durch den Leser. Für mich ein sehr raffinierter Ansatz.


    Im Kommentar gibt es immer mal wieder einen Hinweis auf Anspielungen bezüglich des Stils - leider lässt sich das für mich im Text nicht nachvollziehen. Ob man das als durchschnittlicher französischer Leser bemerken kann ?


    Ich befinde mich bereits im Salon von Madame de Villeparisis, die sich theatermäßig als Malerin drapiert. Herrliche Beschreibungen mit viel Witz und feiner Ironie. Wenn sich die Frauen damals so aufführten, ist es kein Wunder, dass sich die Herren den Halbweltdamen zuwandten :breitgrins: Auch Bloch taucht auf, unsympathisch wie eh und je und eine völlig zugespachtelte Dame mit Marie-Antoinette-Frisur.


    Beim Auftritt von Legrandin fiel mir auf, dass er eine Figur ist, die man nicht recht fassen kann. So wie es im Leben viele Menschen gibt, die man hin und wieder sieht, von denen man aber nicht sehr viel weiss, eine rasche Einschätzung vielleicht (bei Legrandin ist es Snobismus) und die man bis zum nächsten Auftritt wieder vergisst. Proust gelingt es dadurch, die Wirklichkeit exakt und lebendig zu schildern.


    Gruß von Steffi