Juli 2006 - Dostojewskij: Verbrechen und Strafe

  • Ich musste bei der Traum-Szene mit dem Pferd daran denken, dass ein Mensch (ausser etwa man erschiesst ihn "fachmännich") doch wohl meist nicht sofort tot ist. (Glaube in "Im Westen nichts Neues" gibt es eine längere Stelle, in der ein Mensch langsam erwürgt wird.) In dem Traum gibt es dann auch Rufe, dass mit einem Beil das ganze ruckzuck erledigt wäre - daran musste ich denken, als er das erste Beil nicht entwenden konnte.
    Aber man sieht an dieser Traum-Stelle auch sehr schön, dass Raskolnikow durchaus noch fähig ist Mitgefühl zu empfinden, im Traum als kleiner Junge mit dem Tier mitleidet und kein Unmensch ist, wie dieses pferdeschindende Sadistenpack.


    Gruß!

  • Ich bin jetzt beim dritten Teil angelangt und bis dato mehr als begeistert von diesem
    einzigartigen Roman :smile: . Was mir an Dostojewskijs Werken immer auffällt ist die
    große Verbundenheit zu seiner realen Umwelt, die er mit in seine Geschichten einbezieht.
    Dostojewskij schaffte das was sich Lew Tolstoij immer wünschte, er war dem einfachen, armen
    russischen Volk nahe. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen, lebte in ihnen und starb in
    ihnen und genau das findet man den Werken dieses Mannes wieder.
    Da ich auch ein großer Bewunderer der Dichtkunst Tolstoijs bin habe ich schon einige Male
    versucht einen Vergleich zwischen den beiden "Künstlern" anzustellen. Doch kam ich
    bis dato immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.
    Dostojewskij und Tolstoij sind religiöse Vorboten der russischen Literatur, die die Frage nach
    einer anderen, außerrationalen, göttlichen Erkenntnis aufwerfen. Der Eine in optimistischer
    Form (Tolstoij; "Die Auferstehung" etc.) und der andere in pessimistischer (Dostojewskij; "Die Dämonen").
    Tolstoij hat den Worten des Adels auf vortreffliche Weise Ausdruck verliehen und genau dies
    ist eine völliger Kontrast zu Dostojewskij geschichtlichen Inhalten.


    Nun gut, ich bin wohl ein wenig Abseits des eigentlichen Themas :breitgrins: .


    Wie gesagt ich habe nun den zweiten Teil des Romans beendet.
    Was mir besonders auffiel (und dazu gibt bestimmt einige Interpretationsansätze) ist die Wandlung bzw.
    fast schon Metamorphose Raskolnikoffs nach dem Tod oder besser gesagt während des Sterbens Marmeladows.
    Es hat den Anschein als hätte sich das moralisch menschliche Denken bei ihm, auch bei klarem Verstand, durch-
    gesetzt. Keine seiner humanen Hilfen wird von ihm bereut oder kritisiert (bsp. gibt er bei vollem Bewusstsein
    der Familie Marmeladow, nach dem Tod des Mannes, seine 20 Rubel und ist darüber sogar erfreut).


    Eine Frage stellt sich mir jedoch.
    Was hat der Bezug auf die Pfandleiherin zu bedeuten ? (S. 253; Rashin)


    "[...] Habe ich etwa vorhin nicht gelebt? Mein Leben ist noch nicht mit dem alten Weib zu Ende
    gegangen. Gott hab sie selig! Und damit genug, Mütterchen - ruhe sanft! [...]"


    Bedauern findet sich in diesen Gedanken wohl kaum wieder. Eher ist es eine zynische Rechtfertigung
    Raskolnikoffs. Schuldgefühle sind mit diesem Gedankengut nicht zu erwarten (....fürs erste nicht).
    Rodion legte nach dem sterben Marmeladows seine menschenverachtende Art ab und began sogar
    Freude am Sozialismus und der Nächstenliebe zu haben, was auf seine Umwelt, zu jener Zeit,
    wohl einen genau so seltsamen Eindruck macht wie sein früheres verqueres Verhalten.

    Mit freundlichem Gruße<br />Bergman

    Einmal editiert, zuletzt von Bergman ()

  • Über ca. 270 Seiten ist mir ein Charakter besonders ans Herz gewachsen.
    Raskolnikows Freund Rasumichin ist für mich bis zu diesem Zeitpunkt wohl der sympathischte
    aller Handlungsträger. Zwar ist er bisschen wirr, auch seine Handlungen sind nicht immer nachzu-
    vollziehen, aber er scheint ein wirklich gutes Herz zu haben (was zu dieser Zeit wirklich eine Seltenheit
    ist). Ein wirklich anständiger Narr. :smile:




    MfG
    E-head

    &quot;Und was sind sie eigentlich?&quot;<br />&quot;Ich bin ein Clown&quot;, sagte ich, &quot;im Augenblick besser als mein Ruf&quot;


  • Da kann ich dir voll und ganz zustimmen, und das Bild, wie du bald merken wirst, bleibt auch noch die nächsten 300 Seiten so konstant.
    Rasumichin ist wirklich ein besonderer Charakter, insbesondere wenn man an seine erste Beschreibung von ihm denkt. Raskolnikow erzählte, dass er kaum Freundschaften an der Uni gepflegt hat und das Rasumichin, der einzige war mit dem er sich verstand. Nach dieser Schilderung waren sie aber keineswegs die dicksten Freunde gewesen und nun hatten sie sich seit einigen Monaten gar nicht mehr gesehen und dann kommt Raskolnikow zu ihm, benimmt sich absolut daneben und trotzdem tut Rasumichin alles für ihn, von dieser Begegnung an rückt er ihm praktisch nicht mehr von der Seite. Das ist schon irgendwie beachtlich.
    Auf jeden Fall ist er meiner Meinung nach die sympatischte Figur in diesem Roman.

    Die Kultur der Menschheit besitzt nichts Ehrwürdigeres als das Buch, nichts Wunderbareres und nichts, das wichtiger wäre. (Gerhart Hauptmann)

  • Da kann ich dir voll und ganz zustimmen, und das Bild, wie du bald merken wirst, bleibt auch noch die nächsten 300 Seiten so konstant.
    Rasumichin ist wirklich ein besonderer Charakter, insbesondere wenn man an seine erste Beschreibung von ihm denkt. Raskolnikow erzählte, dass er kaum Freundschaften an der Uni gepflegt hat und das Rasumichin, der einzige war mit dem er sich verstand. Nach dieser Schilderung waren sie aber keineswegs die dicksten Freunde gewesen und nun hatten sie sich seit einigen Monaten gar nicht mehr gesehen und dann kommt Raskolnikow zu ihm, benimmt sich absolut daneben und trotzdem tut Rasumichin alles für ihn, von dieser Begegnung an rückt er ihm praktisch nicht mehr von der Seite. Das ist schon irgendwie beachtlich.
    Auf jeden Fall ist er meiner Meinung nach die sympatischte Figur in diesem Roman.


    Rasumichin ist ein bodenständiger Realist, jedoch erinnert sein humanes Handeln
    stets ein wenig an den Charakter des Fürsten Myschkin ("Der Idiot").
    Ich würd sogar soweit gehen und sagen das Dostojewskij mit der Figur der Rasumichin
    eine der wirklichsten Lichtfiguren erschaffen hat, an die selbst Aljoscha Karamarsow nicht
    heran reichen kann. Er ist eine Mischung aus Myschkin und dem jüngsten Karamarsow mit der
    wichtigen Eigenschaft des Realismus.

    &quot;Und was sind sie eigentlich?&quot;<br />&quot;Ich bin ein Clown&quot;, sagte ich, &quot;im Augenblick besser als mein Ruf&quot;

    Einmal editiert, zuletzt von Eraserhead ()


  • Man sieht aber, dass die Tat ihn gleichsam psychologisch vom normalen Leben abgeschnitten hat (warum genau, darüber kann ich bis jetzt, gegen Ende Teil 2, aber nur allgemein spekulieren), und er diese Lebensabschneidung eigentlich nicht (wahrhaben) will. Später, im Gespräch mit Mutter und Schwester (Mitte von Teil 2), spricht er ja auch von einer anderen Welt, in der er sich "jetzt" befinde.


    Gruß!

  • Auf Seite 290 (Übersetzung von S. Geier) findet sich eine interessante Charakterisierung
    zu Raskolnikow (von Rasumichin vorbegracht).
    Dort heißt es:


    Zitat

    "Ich kenne Rodion seit andertalb Jahren: Er ist mürrisch, unfreundlich, verdrossen, hochmutig
    und stolz; in letzter Zeit, vielleicht schon wesentlich länger, argwöhnisch und hypochondrisch.
    Großmutig und gutherzig. [...] Manchmal ist er übrigens kein Hypochonder, sondern nur kalt und
    gefühllos bis zur unmenschlichkeit."


    Das ist wie ich finde eine zutreffende Einschätzung zu Raskolnikows Charakter. Über die 300 Seiten die
    ich bisher hinter mich gebracht habe, fanden sich alle Aussagen Rasumichins wieder.
    Doch woher kann dieser wissen, dass Rodja tatsächlich "gutherzig" ist? Alle Zusammenstöße (die der
    Leser mitbekam) der beiden Handlungsträger waren auf einer extremen Spannung, seitens Raskolnikows,
    aufgebaut und auch frühere Begegnungen (von denen der Leser nur indirekt etwas erfährt) waren feindlich
    geschildert worden.
    Außenstehenden ist zwar bekannt das Rodja eine humane Seite an den Tag legen kann. Rasumichin dürfte
    dieses Verhalten jedoch völlig fremd erscheinen.



    Nochmals zum Mord und Raskolnikows Theorien:
    Bis dato wandte sich Rodja nur ein kurzes mal in Gedanken dem Mord an Aljona Iwanowna zu (S. 253; Rashin).
    Es war ein kurzer Rechtfertigungsversuch seinerseits (darauf will ich jedoch gar nicht eingehen; siehe mein letztes Posting).
    Viel interessanter ist doch die Fallgrube in seiner faschistoiden Theorie (deren geistige Väter Solon, Mohammed und Napoleon
    sind). Den ersten Mord beging er wie er selbst sagte an einer Kreatur die die Welt nicht braucht.
    Doch verschwendet er keinen Gedanken (bis Seite 300 :zwinker:) an sein zweites Opfer, die einfältige und fromme Lisaweta.
    Raskonlikows bisheriger geistiger Zustand, so instabil er auch sein mochte, war noch recht harmlos.
    Die Last dürfte um ein vielfaches steigen, wenn er schließlich den zweiten Mord resumiert.


    Ich möchte nichts gespoilert bekommen was den Verlauf der weiteren Handlung angeht, dies ist bloß der Versuch eines
    Interpretations-Ansatzes :breitgrins:



    P.S:
    Ich hab mir gestern die Geier Übersetzung aus einer Bibliothek ausgeliehen (sogar die gebundene Buchform; eine wirklich feine
    Sache) und kann nur bestätigen, dass diese Fassung einfach großartig zu lesen ist. Meine Rashin Ausgabe habe ich fürs erste
    weggelegt. Sorry, Geier kann man einfach mehr genießen :zwinker: :smile:

    Mit freundlichem Gruße<br />Bergman

    Einmal editiert, zuletzt von Bergman ()

  • Hallo allerseits


    Vielen Dank und ein großes Lob an die Leserunde!! Dieses Buch war vor vielen Jahren mein erster Dostojewski - damals war ich zwölf. Alle, die ich danach gelesen habe, habe ich mehr geliebt aber ihr verleitet mich zum Wiederlesen:)


    :eis:


    Daniela

    &quot;Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde.&quot; - John Irving


  • Der selbstzerstörende Pessimismus des Buches traf wohl nicht unbedingt den Geschmack einer 12 jährigen :breitgrins:


    Vor etwa einem Jahr (mit 16) hab ich "Schuld und Sühne" zum erstenmal gelesen und musste nach der Hälfte leider abbrechen,
    weil eine Pflichtlektüre dazwischen kam die mich in Anspruch nahm. Dann hatte ich erstmal meine Böll-Zeit und nun versuche
    ich es zum Zweitenmal.
    Eine filmreife Geschichte ;)

    Mit freundlichem Gruße<br />Bergman

    Einmal editiert, zuletzt von Bergman ()

  • Hallo allerseits


    Bergman - Doch, das Buch hat mich an Dostojewski herangeführt. Ich würde es eben wegen der Düsterheit nicht unbedingt als Einstiegsdroge empfehlen, aber für mich war es etwas. Noch heute (viele Jahre später ..!!) bin ich dem damaligen Lehrer dankbar, dass er es mir empfohlen hat.


    Danach hatte ich mir die Brüder Karamasow vorgenommen und fand sie um Welten besser, das ist alles.


    Viel Spaß und Nachdenken beim Weiterlesen :)


    :eis:


    Daniela

    &quot;Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde.&quot; - John Irving

  • Abend zusammen!


    Bin jetzt gerade auf Seite 356/Geier angekommen; Raskolnikow ist bei Porfirij zu Besuch.
    Besonders gelungen finde ich R.s Ausführungen über seinen Artikel, der Porfirij ja besonders zu interessieren scheint. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, warum Raskolnikow diesen Mord an Aljona Iwanowna beging, auch ein großer Teil seiner Gesamteinstellung wird untersucht, indem Dostojewskij ihn erzählen lässt. Meiner Meinung nach wirklich gelungen, mal gucken, wie es weiter geht... :lesen:


    Gruß, Monolith


  • Abend zusammen!


    Bin jetzt gerade auf Seite 356/Geier angekommen; Raskolnikow ist bei Porfirij zu Besuch.
    Besonders gelungen finde ich R.s Ausführungen über seinen Artikel, der Porfirij ja besonders zu interessieren scheint. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, warum Raskolnikow diesen Mord an Aljona Iwanowna beging, auch ein großer Teil seiner Gesamteinstellung wird untersucht, indem Dostojewskij ihn erzählen lässt. Meiner Meinung nach wirklich gelungen, mal gucken, wie es weiter geht... :lesen:


    Gruß, Monolith


    Nun bin ich auch beim 5.ten Kapitel angelangt und musste wirklich schmunzeln als Raskolnikow sich mit Rasumichin
    einen Spass erlaubt und dieser sich vor Wut wie ein wilder Stier verhält, beginnt rot zu werden und vor sich hin zu stottern :breitgrins:


    Klar ist der eigentliche Hintergedanke Raskolnikows ernst, aber ohne den Zusammenhang zu kennen ist die Szenerie
    durchaus humorvoll.


    MfG
    E-head

    &quot;Und was sind sie eigentlich?&quot;<br />&quot;Ich bin ein Clown&quot;, sagte ich, &quot;im Augenblick besser als mein Ruf&quot;

    Einmal editiert, zuletzt von Eraserhead ()

  • Hui..... habe gerade den 3 Teil beendet und kann mich nur der allgemeinen Begeisterung anschließen :klatschen:.
    Allem voran faszinierte mich das 5.te Kapitel und die Theorien Raskolnikows bez. "gewöhnlicher" und außergewöhnlicher"
    Menschen, sowie Rasumichins Aussagen zum Sozialismus.


    Diesen Teil zähle ich für mich zu meinen (bisherigen) Höhepunkten des Romans. ;)

    Mit freundlichem Gruße<br />Bergman

  • Die Theorie mit den ausser-gewöhnlichen Menschen hat sicher die Assoziationen zu Nietzsches Übermenschen geweckt. Wobei es möglich wäre, dass Dostojewskij auf diese Theorie durch einen gleichen Einfluß kam, der evtl auch insgeheim Nietzsche umtrieb.


    Gruß!

  • Hallo,


    eine kurze Frage obwohl ich nicht zu eurer Leserunde gehöre: ich habe heute angefangen, ich hab die DTV-Ausgabe und mir verschwimmen die Buchstaben obwohl ich noch keine Lesebrille brauche.Welche Ausgabe könntet ihr mir empfehlen?


    Judith :smile:

  • Hallo nochmal,


    nun hab ich mich eingelesen und es passt schon auch mit der Ausgabe, musste bloß näher ans Licht rücken :breitgrins:,


    aber das tut ja der allgemeinen Erleuchtung gut :breitgrins:


    Judith :winken: