Mai 2006: Wolfgang Koeppen - Tauben im Gras

  • Ja Steffi, vielleicht sehe ich das mit dem Rassismus etwas zu hart. Vielleicht auch, weil ich mich in meiner eigenen ostdeutschen Heimat manchmal beginne unsicher zu fühlen. Vielleicht auch, weil mein Studienkollege in Potsdam zusammengeschlagen wurde. Oder der rassistische Mord hier in Belgien... Sicher auch, weil ich einige der ostdeutschen Werte verlorengehen sehe, die gerade dagegen wirken wollten... Aber das Thema Rassissmus ist für mich sehr wichtig in diesem Roman. Ich werde aber etwas anders wichten, das ist sicher notwendig...


    Was du über die Besatzung schriebst, ist natürlich auch ein gewichtiges Argument. Es bestanden ja Pläne der Westalliierten, bis zu Millionen deutsche Kriegsgefangene in Lagern sterben zu lassen, oder bei Aufräumungsarbeiten zu gefährden (beliebt war zum Beispiel Mienenräumen mit bloßen Händen). Zum Glück (für diese Männer) kam der kalte Krieg und die Wiederbewaffnung und wurden auch deutsche Soldaten wieder gebraucht, um sich gegen die kommunistische Gefahr hier, oder die faschistisch imperialistische Gefahr dort zu wehren. Vielleicht, nein sogar sicher, hat die schnelle Wiederbewaffnung viele Leben gerettet und sogar mit dem enormen atomaren Abschreckungspotential einen konvetionellen dritten Weltkrieg verhindert. Die Restauration und deutsche Teilung als lebensrettende Maßnahme, ich sollte behutsamer argumentieren bei der Kritik der Restauration. Ich werde mich da noch mal schlau machen, ich habe die Details etwas verloren. Wie es im Osten aussah, kann ich noch besser erinnern, wir wohnten ja im grenznahen Gebiet, hatten viel sowjetisches Militär bei uns stationiert und mussten auch Jubeln, bis 1989. Bleibt aber alles ein schwieriges Thema, das ich übrigens meisterhaft in Uwe Johnsons Meisterwerk "Jahrestage" behandelt finde... Geschichte ist doch ein ziemlich schwieriges Handwerk...


    Bis später, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo FA,


    Zitat

    Bleibt aber alles ein schwieriges Thema, das ich übrigens meisterhaft in Uwe Johnsons Meisterwerk "Jahrestage" behandelt finde... Geschichte ist doch ein ziemlich schwieriges Handwerk...


    Ich finde es schon wichtig, dass du dieses Thema anschneidest - und ich denke, dass es auch Koeppen ein großes Anliegen war.


    Für mich ist nur die Rolle der amerikanischen Soldaten noch nicht so eindeutig. Warum, z.B. bekommen sie diese Namen, Odysseus und Washington ? Ich bin mir auch nicht sicher, was Koeppens Haltung zu Adenauers Westpolitik war, zumindest in "Das Treibhaus" wird diese Politik doch stark kritisiert.


    Leider habe ich, im Gegensatz zu dir, recht wenig Ahnung von der deutschen Geschichte des 20. Jh., mein Geschichtsunterricht endete mit dem 2. Weltkrieg, im Nachhinein empfinde ich das als Skandal. Deshalb freue ich mich umsomehr, dass wir Koeppen gemeinsam lesen.


    Gruß von Steffi

  • Zitat

    Ein bißchen finde ich die Ähnlichkeit mit dem späteren Koeppen auch gruselig, ob er sich damals schon so gesehen hat oder ob es ein unbewußtes Erkennen seiner selbst war ?


    Gruß von Steffi


    Hallo zusammen,
    bevor ich die anderen Beiträge lese, hake ich erstmal hier ein. Ich hatte auch so ein Gruseln, weil ich manche Passagen von ihm fast schon visionär finde. Habt ihr bereits die Episode mit Schnakenbach? Er experimentiert mit chemischen Formeln um ein "Belebungsmittel" zu finden. Heute heißt es "Ectasy" (schreibt man das so?).


    Oder nochmals Schnakenbach, der den Wehrdienst umging, weil er nicht kämpfen wollte, er verachtete den Soldatenstand. Doch er stellt sich vor, "wissenschaftlich" einen Krieg zu führen und dazu wäre er bereit gewesen.


    Einen Krieg ohne Soldaten, einen globalen Krieg der Gehirne, deren einsame Träger Todesformeln ausbrüten, sich hinter Schalttafeln setzen und mit einem Fingerdruck auf irgendeine Taste in einen fernen Erdteil das Leben vernichten. S. 114


    Koeppen spielt hier vermutlich auf die Atombombe an. Aber so ein Krieg vom Schaltpult aus geht heute auch ohne Atombombe.


    Ich finde es erschreckend visionär von Koeppen.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Zitat von "Friedrich-Arthur"

    Immer wieder kehrte Koeppen zurück zum Rassissmus und dessen dämonische Zähigkeit. Dabei nutzt er besonders die Beziehungen und das Erscheinen schwarzer amerikanischer Soldaten. Nach all dem Rassissmus und Morden des Zweiten Weltkrieges, nach dem Vernichtungskrieg im Osten, dem Völkermord an Juden und Zigeunern, dach den Euthanasieentartungen, dem systematischen Auslöschen von Regimekritikern und –gegnern, Andersdenkenden usw. sollte man annehmen, die Deutschen hätten eine grundlegende Lehre gezogen, aber viele scheinbar nicht. Ich sehe hier eine Kernaussage des Buches: die Deutschen waren immer noch bewusste oder unbewusste Rassisten, zumindest ein bedeutender Teil der Bevölkerung. Koeppen erachtete sie als immer noch totalitär und demokratieunfähig.


    Hallo zusammen,
    hallo Friedrich-Arthur


    ich glaube, dass Koeppen nicht nur Deutschland mahnt, sondern auch die Siegermächte. Das habe ich bisher aus dem Buch heraus gelesen und deswegen benutzt Koeppen den Schwarzen amerikanischen Soldaten oder auch Odysseus.


    S. 59 zum Beispiel erzählt von dem Washingtons Telefonanruf nach Hause und er erinnert sich daran, dass er dafür kämpfte, dass Tafeln abgerissen wurde Für Juden verboten, aber in seiner Heimat gibt es immer noch Tafeln mit Für Schwarze verboten. Und wenn er zurück geht nach Amerika hat sich trotz seines Kampfes nichts verändert.


    S. 107 Odysseus als nächstes Beispiel. Auch ein Schwarzer. Er überblickt vom Turm aus über München.


    ...er wußte nichts von Europa, aber er wußte, daß dies eine Hauptstadt der weißen Leute war, eine Stadt, aus der sie gekommen waren und dann Orte wie New York gegründet hatten. Die Black Boys waren aus dem Wald gekommen. War hier nie Wald gewesen, immer nur Häuser? Natürlich, auch hier war Wald gewesen, dichter Urwald, grünes Gestrüpp, Odysseus sah gewaltige Dschungeln unter sich wachsen....was gewesen war, konnte immer wieder kommen


    Mißstände aus Sicht einer Minderheit? Nicht nur aus der Sicht Deutschlands?


    LG
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    was mir an dem Roman sehr gut gefällt sind die fließenden Übergänge. Koeppen nimmt ein Stichwort von einer Begebenheit in die andere, z.B. wenn er die Personen wechselt.


    Beispiel:
    Washington im Kaufhaus und möchte Clara etwas schenken, dann geht es ohne Absatz fließend mit Odysseus weiter.



    Washington legte seine große braune Hand auf ein Stück gelber Seide. Die Seide verschwand wie ein gefangener Schmetterling unter seiner Hand. Die schwarze Hand des Negers und die gelblichen schmutzigen Hände der Griechen nahmen die Würfel, schleuderten sie auf das Tuch, ließen sie hüpfen, springen und rollen. Odysseus hatte gewonnen.


    Washington kommt besser weg in der Beschreibung gegenüber Odysseus. Ob das was zu bedeuten hat?


    zweites Beispiel, wieder Washington nach dem Spiel, dann Schnitt zu Dr. Frahm:


    Washington pfiff ein Lied. Er war glücklich. Er verließ pfeifend den Duschraum.


    Dr. Frahm wusch sich. Er stand im Waschraum der Schulteschen Klinik und wusch sich die Hände.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    das Visionäre einiger Themen hat mich auch überrascht. Koeppen nahm viele Theman vorweg, die Jahre und Jahrzehnte später erst die öffentlichen Diskussionen beherrschten. Manchmal denke ich, dass Koeppen auf seine Art einer der Wegbereiter der 68er war. Vielleicht etwas vermessen, dies zu behaupten, doch kann man es auch nicht einfach so von der Hand weisen.


    Die fließenden Übergänge habe ich nicht nur bei den Begebenheiten bemerkt, sondern auch zwischen geschichtlichen Rückblicken, Gegenwart/Nachkriegssituation und teils visionären Vorblicken, zwischen Europa und Amerika.


    In einer Zeit, in der der dritte Weltkrieg drohte, die Menschen zwischen den Ruinen des Zweiten Weltkrieges nach Essbarem suchten und nach bewahrbarem Stolz, schnitt Koeppen Themen an, wie Rassismus, kulturelles Erbe und deren Neuentwicklung, Kriminalität, die Stellung der Frau in der Gesellschaft/Gleichberechtigung/Emanzipation, das Rechtssystem, den beginnenden kalten Krieg usw. Mir zeigt es, das Koeppen thematisch eher mit der Gegenwart und besonders Zukunft beschäftigt war, als mit der Vergangenheit. Vergangenheitsbewältigung ist bei Koeppen immer als Alsgangspunkt für die Bewältigung zukünftiger Themen zu verstehen und nicht als Thema ansich, sie ist nur eine Façette seines Schriebens. Oder seht ihr das anders?


    Urlaubsgrüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Zitat von "Friedrich-Arthur"


    In einer Zeit, in der der dritte Weltkrieg drohte, die Menschen zwischen den Ruinen des Zweiten Weltkrieges nach Essbarem suchten und nach bewahrbarem Stolz, schnitt Koeppen Themen an, wie Rassismus, kulturelles Erbe und deren Neuentwicklung, Kriminalität, die Stellung der Frau in der Gesellschaft/Gleichberechtigung/Emanzipation, das Rechtssystem, den beginnenden kalten Krieg usw. Mir zeigt es, das Koeppen thematisch eher mit der Gegenwart und besonders Zukunft beschäftigt war, als mit der Vergangenheit. Vergangenheitsbewältigung ist bei Koeppen immer als Alsgangspunkt für die Bewältigung zukünftiger Themen zu verstehen und nicht als Thema ansich, sie ist nur eine Façette seines Schriebens. Oder seht ihr das anders?


    Hallo Friedrich-Arthur
    Hallo zusammen,


    ich sehe das auch so. Mit einer Einschränkung. Die Gewaltbereitschaft, die unter der Oberfläche der Protagonisten brodelt und entweder auf die Vergangenheit zu beziehen ist oder weil Gewalt generell im Menschen steckt? Ich weiß darauf keine Antwort.


    Mir fiel es bei Christopher und seinem Sohn Ezra auf. Christopher findet Deutschland schön und dann die neue Generation, spiegelnd in Ezra, der kleine Junge mit Gewaltfantasien.


    Wie weit seit ihr denn?


    Wie fandet ihr den Gewaltausbruch, oder wars nur panisches Angstverhalten, von Odysseus? Joseph kommt ins Krankenhaus.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    ich bin nun durch. Wie ihr wißt, habe ich das Buch vor Jahren bereits gelesen, trotzdem war ich über die Gewaltbereitschaft der Menschen gegen Ende des Buches überrascht. Das hatte ich entweder vergessen oder verdrängt.


    Die Schlusssätze sind beeindruckend.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    @FA: Deinen Sätzen über die Vergangenheitsbewältigung kann ich nur zustimmen !


    Bei Odysseus Gewaltausbruch bin ich noch nicht - ich denke aber, anhand von Ezra wird deutlich, dass sich die nächste Generation von den Kriegsgreueln nicht distanzieren wird und dass Koeppen mögicherweise befürchtet, dass alles sich noch (durch Gewöhnung ?) verschlimmern könnte. Die Kinderbande um Heinz spiegelt das auch wieder, denke ich.


    Das Thema des Romans geht tatsächlich über die Beschreibung des Ist-Zustandes weit hinaus. Er zeigt die Gefahren, die in der Zukunft liegen und die Themen, mit denen sich die Deutschen und die Siegermächte beschäftigen sollten. Warum sich das dann so lange hinzog bzw. hinziehen wird, beschreibt Koeppen dann in den folgenden zwei Romanen, die meiner Erinnerung nach mindestens genauso deutlich aber schon viel resignierter sind.


    Wenn ich es mir so überlege, ist es für mich nicht überraschend, dass Koeppen mit soviel Weitblick an der Realität verzweifelt ist. Was hätte er auch danach noch schreiben sollen, es wäre alles banal gewesen.


    Gruß von Steffi

  • Hallo aus dem kühlen Südhessen.



    Mit dem Roman komme ich nur langsam voran, gerade die Hälfte habe ich gelesen. Es hat nur Sinn wenn ich mich gut konzentrieren kann, denn es passiert doch viel. Ich habe den Eindruck, dass Koeppen einige Personen portraitiert die sehr gut gekannt haben muss. Henriette, zum Beispiel, ist mit soviel Feinsinn beschrieben und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht mit einer realen Figur aus Koeppens Leben verbunden ist.
    Kann es sein, dass Odysseus und Joseph Züge von Don Quichote und Sancho Pansa aufweisen? Den Roman von Cervantes habe ich vor langer Zeit gelesen und inhaltliche Aspekte sind mir nicht mehr gut vertraut, doch bis zu der Stelle an der ich jetzt mit >Tauben im Gras< gekommen bin passen die beiden Gespanne nach meinem Gefühl gut zusammen.
    Wenn Philipp ein Selbstportrait ist, dann war Koeppen zu der Zeit sehr unsicher, wie er sich entwickeln kann. P. resigniert bei jeder kleinen Herausforderung und dabei bekommt er seine kleinen Chancen doppelt serviert. Da lässt er sich vor dem geplanten Interview mit Edwin (für wenn steht Edwin ? ) soweit verunsichern und flieht, das kleine Schicksal lässt ihn dann doch dem Dichter in einer günstigen Situation begegnen und statt nun die Gelegenheit zu nutzen gerät er so sehr in Verlegenheit und macht sich aus dem Staub. Wenn Koeppen hier über sich schreibt, dann will er sich mit der Figur des Philipps bestrafen, wie eine Art Selbstgeißelung erscheint es mir.

  • Zitat von "Bloom"

    Hallo aus dem kühlen Südhessen.



    Mit dem Roman komme ich nur langsam voran, gerade die Hälfte habe ich gelesen. Es hat nur Sinn wenn ich mich gut konzentrieren kann, denn es passiert doch viel. Ich habe den Eindruck, dass Koeppen einige Personen portraitiert die sehr gut gekannt haben muss. Henriette, zum Beispiel, ist mit soviel Feinsinn beschrieben und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht mit einer realen Figur aus Koeppens Leben verbunden ist.
    Kann es sein, dass Odysseus und Joseph Züge von Don Quichote und Sancho Pansa aufweisen? Den Roman von Cervantes habe ich vor langer Zeit gelesen und inhaltliche Aspekte sind mir nicht mehr gut vertraut, doch bis zu der Stelle an der ich jetzt mit >Tauben im Gras< gekommen bin passen die beiden Gespanne nach meinem Gefühl gut zusammen.
    Wenn Philipp ein Selbstportrait ist, dann war Koeppen zu der Zeit sehr unsicher, wie er sich entwickeln kann. P. resigniert bei jeder kleinen Herausforderung und dabei bekommt er seine kleinen Chancen doppelt serviert. Da lässt er sich vor dem geplanten Interview mit Edwin (für wenn steht Edwin ? ) soweit verunsichern und flieht, das kleine Schicksal lässt ihn dann doch dem Dichter in einer günstigen Situation begegnen und statt nun die Gelegenheit zu nutzen gerät er so sehr in Verlegenheit und macht sich aus dem Staub. Wenn Koeppen hier über sich schreibt, dann will er sich mit der Figur des Philipps bestrafen, wie eine Art Selbstgeißelung erscheint es mir.


    Hallo zusammen,
    hallo Bloom


    Odysseus und Joseph : Don Quichote und Sancho Pansa. Ein guter Gedanke. Das paßt schon irgendwie. Vielleicht hatte Koeppen vor verschiedene Erzählstile einzubauen? Den pikaresken Roman, den inneren Monolog .... noch etwas? *grübel*


    Emilia und Jekyll und Hyde:
    Koeppens Frau war, soviel ich weiß, Alkoholikerin. Somit könnte hier Erlebtes mit reinspielen.


    Edwin:
    steht vielleicht für die Exil-Schriftsteller insgesamt?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria, Steffi und Bloom,


    ich habe es gerade mal bis Seite 70 geschafft zu lesen, es sind zur Zeit wieder lange Tage, die wenig Zeit zum Lesen lassen.


    Ich weiß nicht, welche Personen Koeppen vor Augen hatte, als er das Buch schrieb, oder ob er dies beabsichtigte, aber ich finde - egal, wer die Vorbilder waren -, dass alle Figuren gut durchdacht und -komponiert sind und auch einen Eindruck von den wahren Menschen in der ausgebomten Nachkriegsstadt geben. Damit stimme ich Marias und Blooms Ansichten über die Figuren und Vergleiche zu.


    Ich glaube auch, dass Steffis Ansicht, über die Zukunftsgefahren und die Mahnung Koeppens an die Mächte, darüber nachzudenken, eines der weiteren Hauptanliegen des Romanes war. Diese visionären Gedanken sind keine Hirngespinste oder gut getroffenen Mutmassungen eines sensiblen Schriftstellers, sondern sie sind die Besorgnis eines Menschen einer Kriegsgeneration, der befürchtet, dass die Menschen auch nach der Katastrophe, die der 2. Weltkrieg war, nichts oder wenig gelernt haben.


    Was mir auffällt, ist, wie gut Koeppen in der deutschen Geschichte zu Hause war, wie genau er sie kannte, welche Details und Symbole er nicht übersah und wie er dadurch nicht nur genaue Motivationen und Atmosphären nachzeichnen konnte, das Buch glaubwürdig erscheinen ließ, sondern durch diese Kenntnis erst die visionären Aussagen machen konnte. Koeppen schrieb während des Krieges an keinem Buch, aber er nahm alles auf, war hellsichtiger Beobachter, der sich sein Album für die Zeit danach zurechtmachte. Als ich den Abschnitt über Heriette las, über deren Familie, musste ich sofort an Max Liebermann denken. Welch eine Ählichkeit seines Lebens und Schicksals mit dem von Henriettes Vater. Ich las das mit Gänsehaut und es war fast so eindringlich, wie der Abschnitt, in dem Carla Dr. Frahm aufsucht...


    Manche Tage kann ich nicht mehr lesen, selbst wenn ich Zeit hätte. Das Buch lässt ein schnelles Lesen kaum zu und zu oft kann muss ich einhalten und berührt mich die Lektüre. Ich greife eine eurer Anmerkungen auf: was sollte Koeppen nach seiner Trilogie des Scheiterns noch schreiben, ohne banal zu wirken. Vielleicht war dies wirklich ein gewichtiges Argument für sein "verstummen"... Vielleicht...


    Später mehr.


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo,


    eure Beiträge erhellen mir schon einige Aspekte. Danke für den Hinweis auf die familiären Verhältnisse von Koeppen. Damit erhielt ich bei den Episoden mit Philipp mehr Verständnis. Auch der Hinweis auf Liebermann ist für mich interessant. Ihn kenne ich nur aus der Autobiographie von Sauerbruch und weiß, dass er ein bekanntes Adenauerportait gemalt hat.
    Ich hatte spontan an Viktor Klemperer gedacht, aber es gibt ja eine Fülle von Beispielen, Männer die im Kaiserreich sehr national eingestellt waren und die dann von der braunen Horde abgeschlachtet wurden und das einfach nicht wahr haben konnten. Wir können das heute, nachdem das passiert ist, ananlysieren, aber ich kann auch nachvollziehen, wie unglaublich das zunächst erschien.


    Noch ein persönliches Leseerlebnis mit dem Roman. Parallel lese ich eine Biographie von Friedrich dem Großen und hatte gestern einen Abschnitt über die Verhältnisse in Preußen Mitte des 18.Jahrhunderts, in dem auch auf die Berliner Porzellanmanufaktur eingegangen wurde. Einige Minuten später las ich die Szene im Antiquitätenladen, in dem Emilia die Tasse verkaufen wollte und die Bemalung geschildert wurde. Das hatte einen ganz dichten Bezug zum Text, den ich vorher in der Biographie gelesen hatte.


    Am Abend könnte es weiter gehen und ich wünsche allen gute Gelegenheiten


    Bloom

  • Hallo und auch Dank an Alle die den roman lesen und ihre Eindrückeschildern.


    So ich bin durch. Musste auch sein, denn nächste Woche bin ich auf Reisen und will nicht meinen dicken Koeppen mitnehmen.
    Es wird ja richtig furios zum Schluss und in der Episode mit Edwins Vortrag klärt er uns auch über Titel und Hintergrund auf. Mein Fazit zum Schluss: Koeppen beschreibt keine Nachkriegszeit sondern eine Zwischenkriegszeit. Niemand hat etwas gelernt und alles was von Übel ist beginnt von neuem. Nun, wenigsten was uns in Mitteleuropa betrifft hat er sich geirrt, wenigstens was die Ereignisse betrifft. Keine Kriegserlebnisse für meine Nachkriegsgeneration und ich bin gespannt, ob mir irgendjemand eine Generation in Deutschland nachvollziehbar nennen kann, die es besser getroffen hat wie meine (*1950).
    Wie schnell das umkippen kann, da gibt uns sein Roman schon zu denken. Mir wird nun nichts anderes übrig bleiben als zur Gesellschaftsgeschichte von H..J.Wehler zu greifen um mir die Zeit bis 1949 noch aus Sicht eines Historikers vor Augen zu führen.


    Bin gespannt, wann ich mich an den Folgeroman wage.


    Wagt vielleicht jemand mit ?


    Bloom

  • Hallo !


    Ich komme jetzt zu Edwins Vortrag - da ihr schon geschrieben habt, dass das eine Schlüsselstelle ist, bin ich sehr gespannt.


    Bloom, deine Theorie über Don Quichote würde ich etwas erweitern. Ich finde, es gibt immer wieder Paare, die sich ähnlich sind: Odysseus und Washington, Philipp und Edwin, Emilia und Kay(?), Heinz und Ezra usw. Die Personen erleben jeweils unterschiedliche Perspektiven und doch hängen sie seltsam zusammen, fast als wären es zwei Aspekte einer Persönlichkeit.


    Zitat

    Bin gespannt, wann ich mich an den Folgeroman wage.


    Wagt vielleicht jemand mit ?


    Ich kenne ja schon beide, sie sind mindestens genauso gut wie dieser hier. Ich weiss nicht, welcher zeitmäßig zuerst kommt, aber Tod in Rom würde ich gerne nochmal gemeinsam lesen.


    Und viel Spaß, Bloom, falls es eine Urlaubsreise ist; falls nicht, dann auch :breitgrins:


    Gruß von Steffi

  • Zitat von "Steffi"

    .


    Bloom, deine Theorie über Don Quichote würde ich etwas erweitern. Ich finde, es gibt immer wieder Paare, die sich ähnlich sind: Odysseus und Washington, Philipp und Edwin, Emilia und Kay(?), Heinz und Ezra usw. Die Personen erleben jeweils unterschiedliche Perspektiven und doch hängen sie seltsam zusammen, fast als wären es zwei Aspekte einer Persönlichkeit.


    Bei dem Paar lag ich dann doch etwas daneben denke ich mittlerweile. Trotzdem meine ich, es steckt ein Geheimnis in den Beiden, dem ich nicht auf die Spur gekommen bin. Koeppen lässt es ja offen, ob Odysseus den kleinen amen Joseph getötet hat oder nicht. Es passt nicht, aber der Charakter von Odysseus wird auch nicht im Roman intensiv beleuchtet und warum sollte er nicht auch in Panik geraten können. Ich frage mich, für was steht Joseph in der Beziehung zu Odysseus ? Ein Dichter schreibt nie ohne Hintergedanken. Man liest: "Ein Vogel fällt vom Baum" und es stellt sich heraus, es war vom Untergang der Römischen Reichs die Rede ;-)
    Die Odyssee kenne ich nicht mehr so gut, dass ich dort eine Parallelgestalt für Joseph benennen könnte, in der Mythologie bin ich sowieso nicht beandert. Vielleicht hat jemand eine idee, was dahinter stecken könnte.


    Nochmal Grüße an alle Mitleser
    Bloom

  • Hallo zusammen!


    Ihr habt mich abgehängt, was garnicht so schwer war. Ich bin gerade bei der Szene in der Heinz Ezra den Hund verkaufen will. Sehr schön geschrieben die Sichtweisen und das Nachdenken aus der Sicht eines 11jährigen Jungen. Koeppen hatte viel Einfühlungsvermögen.


    Grüße und schönes Wochenende, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen,


    ich glaube, ich sollte eine Entschuldigung fürs schnelle Lesen in die Runde werfen. Ich bin selbst überrascht, denn sonst hänge ich immer hinterher. Vielleicht lag es auch daran, dass ich "Tauben im Gras" zum 2. Mal las. Es las sich diesmal so flüssig und rund, mich riss es richtig mit dem Strom der Erzählung mit. Plötzlich war ich durch. :rollen:


    Liebe Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Ich habe das Buch nun heute morgen auch fertig gelesen. Auch Edwins philosophische/anturwissenschaftliche Weisheiten können keinen Lösungsweg für die Personen aufzeigen. Die Jugend - Heinz und Ezra - versagt, da sie, verstrickt in einer Märchenwelt, doch letzendlich wieder dem Prinzip des Stärkeren folgt. Der Gedanke Carlas - alle Menschen sind gleich - scheitert an der Gesellschaft, stellvertretend dafür auch die Presse als Meinungsmacher. Einfach versuchen zu überleben, ist erbärmlich.


    Einziger Hoffnungsfunke (aber wirklich bloß ein Fünkchen) ist der europäische Gedanke. Erstaunlich, wie Koeppen zu Beginn des Kalten Kriegs doch so weitblickend war !


    Gruß von Steffi