Hallo zusammen,
einige Links zu unserer Leserunde:
Wikipedia zu Stendhal und zu Rot und Schwarz.
Und zu Stendhal noch der Gutenberg-Eintrag.
Grüße
Manjula
Hallo zusammen,
einige Links zu unserer Leserunde:
Wikipedia zu Stendhal und zu Rot und Schwarz.
Und zu Stendhal noch der Gutenberg-Eintrag.
Grüße
Manjula
Hallo zusammen,
hier also die Leserunde zu "Rot und Schwarz". Zur Einstimmung der amazon-"Klappentext":
ZitatRot und Schwarz – das sind die Farben der Republik und der Geistlichkeit. Julien Sorel, Zimmermannssohn, hübsch, intelligent und besessen von unbändigem Ehrgeiz, vermag beiden Gesinnungen zu dienen, wenn es nur der Karriere förderlich ist...
Stendhals berühmtester Roman – einer der wichtigsten im 19. Jahrhundert überhaupt – trägt autobiographische Züge und ist eine Abrechnung mit der verhassten Gegenwart der nachnapoleonischen Ära. Gleichzeitig finden sich in diesem Buch aber auch einige der schönsten Verführungs- und Liebesszenen, die die Weltliteratur zu bieten hat.
Na, wenn das keine Empfehlung ist :zwinker: Ich wünsche uns allen viel Vergnügen.
Liebe Grüße
Manjula
So, und hier leicht verspätet meine ersten Eindrücke (weit bin ich allerdings noch nicht):
Das Buch beginnt sehr schön mit der Schilderung der Provinz, die für den Reisenden malerisch, für den Einwohner aber erdrückend ist. Und es tauchen auch gleich "typische Provinzler" auf: der eitle Bürgermeister, der sich seiner Industriellenherkunft schämt, der etwas aufmüpfige Pfarrer und der bauernschlaue Sorel (besonders hat mir bei ihm die Beschreibung "Es siegte die Gerissenheit des Bauern über die Gerissenheit des reichen Manns, der sie zum Leben ja nicht braucht" gefallen).
Die Einführung von Julien klingt ja zunächst nach einem leidenschaftlichen Leser: Sein Vater erwischt ihn beim Lesen, als er arbeiten soll.
ZitatNichts war dem alten Sorel verhaßter; vielleicht hätte er Julien seinen zarten Wuchs verziehen, der ihn für Schwerarbeit untauglich machte und von seinen älteren Brüdern so sehr unterschied; aber diese Lesesucht war ihm ein Dorn im Auge, er selbst konnte nicht lesen.
Als Julien sich nicht stören läßt, schlägt sein Vater ihm das Buch unsanft aus der Hand und gibt ihm eine Kopfnuss, wobei zweiteres den Sohn nicht so sehr stört:
ZitatEr hatte Tränen in den Augen, nicht so sehr wegen der Schmerzen, als weil er sein geliebtes Buch verloren hatte.
Aber kurz darauf stellt sich ja heraus, dass er kein großer Leser ist und wohl auch sonst ein ganz schönes Früchtchen.
Und es werden auch ganz nebenbei einigen Spitzen verteilt:
Zitat[...] ein ganz erstaunliches Gedächtnis, wie man es häufig mit Dummheit gepaart findet.
Na, da freut man sich doch über sein schlechtes Gedächtnis :zwinker:
Ich lese übrigens die von Elisabeth Edl übersetzte Ausgabe.
Liebe Grüße
Manjula
Hallo zusammen,
am Wochenende habe ich die ersten 90 Seiten gelesen. Der Roman liest sich bisher sehr flüssig, ohne Durststrecken.
Interessant ist natürlich Juliens Charakter, der hervorragend dargestellt wird. Man hält ihn, den schwächlichen und lesebegeistertenJungen, der vom Vater und den körperlich überlegenen Brüdern mißhandelt wird und der schüchtern und weinerlich am ersten Diensttag vor die Frau des Bürgermeisters tritt, für ein bemitleidenswertes Opfer und ist fast erschrocken als wie kaltblütig und herzlos der ohne jegliche Liebe erzogene sich entpuppt, unterscheidet er sich doch kaum von seinen Brüdern, nur dass er statt seinen Fäusten seinen Verstand verwendet um sich durchzusetzen. Sein Plan ohne jeglichen religiösen Glauben und einzig aus Karrierebewußtsein ein geistliches Amt anzustreben, runden seinen Charakter noch ab.
Ich bin gespannt wie sich sein Verhältnis zur Frau des Bürgermeisters weiterentwickelt. Bisher waren seine kurz entfachten Leidenschaften keine echten Gefühle, es ging ihm nur um Eroberungslust und die Bestätigung begehrt zu werden. Ob es dabei bleibt ?
Die von Dir, Manjula, zitierten Stellen sind mir auch besonders in Erinnernung geblieben.
Ich lese die Übersetzung von Walter Widmer.
Viele Grüße,
Zola
Hallo zusammen,
bin wieder in Internetreichweite und freue mich, dass ihr noch nicht so weit voraus galoppiert seid.
Wie du, Zola, finde ich auch, dass der Roman ausgesprochen leicht zu lesen, ja richtiggehend spannend ist.
Julien Sorels Charakter finde ich allerdings ziemlich abstoßend. Interessant ist ja, dass der Autor - laut KLL - fand, dass geniale Menschen das Recht hätten, sich auch über die moralischen Grenzen hinwegzusetzen, und dass sich dies Genies in solchen einengenden restaurativen Zeiten wie der nachnapoleonischen Ära in Frankreich, gar nicht anders entwickeln könnten als zu dem dargestellten verschlagenen Karrieristen.
Die Szene im zehnten Kapitel, erster Teil: Julien auf einem Felsen mit Blick über das weite Land erinnert mich sehr stark an Caspar David Friedrichs Bild "Der Wanderer über dem Nebelmeer". Die gleiche Pose. Allerdings hat Friedrich sein Bild mehr als zehn Jahre früher gemalt.
Übrigens lese ich die Übersetzung von Otto Flake, einem Herrn, dem ich eine lange schriftliche Arbeit widmete. Lustige Wiederbegegnung!
Interessant, wie viele Übersetzungen es von diesem, allerdings ja auch weltberühmten Roman gibt: drei zufällige Leser und sofort drei Übersetzungen: Was da wohl noch alles existiert?
Bin in Kapitel I,16. Übrigens entpuppt sich Julien bisher auch weiterhin als leidenschaftlicher Leser, Manjula!
HG
finsbury
Hallo zusammen,
ich bin mittlerweile im 23. Kapitel. Julien Sorel erweist sich als doch noch nicht so abgebrüht, wie er gerne wäre. Erkennbar war dies beim Essen im Haus des Armenhausverwalters, wo im klar wird, dass das was dort verpraßt wird, bei den Gefangenen eingespart wird oder bei der fingierten Versteigerung. Er erkennt, dass man sich als Angehöriger der reichen und herrschenden Klasse stärker über moralische Bedenken hinwegsetzen muß, als ihm das bisher möglich ist.
Als Frau de Renal ihn eine zeitlang etwas kühl behandelt ertappt er sich fast bei einem Gefühl wie Eifersucht.
Aber er hat fest das Ziel im Auge, dass er sich weiterentwicklen muß um nach oben zu kommen. Sein Gewissen stört ihn dabei, auf die Idee ihm nachzugeben und seine Ziele zu überdenken kommt er gar nicht.
Zitat von "Finsbury"
Julien Sorels Charakter finde ich allerdings ziemlich abstoßend. Interessant ist ja, dass der Autor - laut KLL - fand, dass geniale Menschen das Recht hätten, sich auch über die moralischen Grenzen hinwegzusetzen, und dass sich dies Genies in solchen einengenden restaurativen Zeiten wie der nachnapoleonischen Ära in Frankreich, gar nicht anders entwickeln könnten als zu dem dargestellten verschlagenen Karrieristen.
Dnake für die Erläuterungen, Finsbury. Bisher war mir noch nicht bewußt, dass Stendhal Sorel als "vorbildlichen" Charakter darstellen wollte.
Viele Grüße,
Zola
Hallo zusammen,
bin jetzt auch im 23. Kapitel: Interessant, wie auch schon im neunzehnten Jahrhundert in der Kommunalpoitk gekungelt wurde: Manchmal möchte man doch mit Nietzsche von der "ewigen Wiederkehr des Gleichen" sprechen.
@ Zola: Ich denke, dass Stendhal Julien in seiner im Roman aktullen Ausformung nicht als vorbildhaft zeigen will, sondern damit deutlilch macht, in welche Richtung sich ein eigentlich genialischer Charakter in restaurativen und repressiven Zeiten entwickeln muss. Bestimmt wollte er Juliens Verhalten gegenüber Mme de Renal und seine Heucheleien nicht als vorbildlich darstellen. Das Ende wird dann ja wohl auch Juliens Reue zeigen.
Ob mir das Buch so recht gefällt, weiß ich noch nicht: Wie auch hier, habe ich immer Schwierigkeiten mit diesen merkwürdig gebrochenen, oft von Karrieresüchten geprägten Charakteren der französischen Romane.
Irgendwie sind es immer ähnliche - vor allem männliche Hauptfiguren, ob nun in den "Gefährlichen Liebschaften", den "Verlorenen Illusionen", in "Therèse Raquin", ""Bel ami" usw.* Vielleicht bricht da bei mir der deutsche Idealismus durch :breitgrins: : Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass diese oben geschilderte Art Mensch so vorherrschend ist!
*Die Frauen sind natürlich häufig auch von ähnlichen Egoismen geprägt, gerade bei Balzac und Zola, auch bei Flaubert. Daneben gibt es immer diese naiven Gutmenschinnen, zu denen auch Mme de Renal gehört.
HG
finsbury
Hallo zusammen,
leider konnte ich diese Woche nur wenig lesen, habe aber heute schön aufholen können und bin gerade in Kapitel 18 (Ein König in Verrières).
Juliens Charakter finde ich zum einen ebenfalls ziemlich abstoßend, zum anderen aber auch undurchschaubar. Seine Affäre mit Mme. Rênal scheint einerseits stark von seinem Ehrgeiz geprägt, die Fortschritte seiner Eroberung sieht er als "Siege" an [über wen? Mme Rênal? Ihren Gatten? Das "System"]; andererseits ist er aber auch verletzt, wenn er sich zurückgewiesen fühlt. Naja, zumindest ein Charakter, an dem man sich reiben kann. Er wird übrigens ziemlich oft als "dumm" bezeichnet.
Eine Anspielung im 17. Kapitel ist mir nicht klar, und zwar als der Kammerdiener sich im Heuspeicher mit M. Valenod und anderen trifft, die er alle duzt. Mein erster Gedanke war ein Geheimbund, liege ich da falsch?
Was mir auch aufgefallen ist, dass in manchen Kapiteln die Überschriften wechseln. Z.B. heißt das 14. Kapitel ja "Die englische Schere", auf der übernächsten Seite steht aber als Kopfzeile "Eine Amtsenthebung". Ist das bei Euren Übersetzungen (es würde mich auch interessieren, wie viele es gibt!) auch so? Ich ertappe mich schon dabei, dass ich bei jedem Umblättern linse, ob sich etwas geändert hat :zwinker:
Zitat von "finsbury"Übrigens entpuppt sich Julien bisher auch weiterhin als leidenschaftlicher Leser, Manjula!
Stimmt, im 17. Kapitel sind ihm die Bücher ja sogar wichtiger als eine Liebesnacht :breitgrins:
Euch beiden noch schöne Ostern
Manjula
Hallo zusammen,
ähnlich wie du, Finsbury, bekomme ich auch langsam ein "Balzac-Gefühl", mir kam dieses Wochenende auch Lucien aus den "Verlorenen Illusionen" in den Sinn. Der rücksichtslose Karrierist, der versucht aus der Unterschicht nach oben zu kommen, scheint ein beliebtes Romanthema der damaligen französischen Autoren gewesen zu sein.
Vielleicht gab es zur damaligen Zeit diesen Menschentyp in Frankreich häufiger als wir denken ? Es kann gut sein, dass sich nach der französischen Revolution viele zutrauten unabhängig ihrer Herkunft hochzukommen, auch wenn dies weiterhin eigentlich nur über Adels- oder Priesterstand möglich war. Die Ehrfurcht vor diesen Ständen schien jedenfalls nicht mehr so groß gewesen zu sein, der Adel galt wohl nicht mehr als von einer höheren Macht auserwählte Schicht, sondern als ein Stand, in den es jeder durch Fleiß und List schaffen konnte.
Dies ist der erste Roman dieser Art, den ich lese, wo jemand versucht über den Priesterstand Karriere zu machen (zumindest fällt mir gerade kein anderer ein), in den anderen Romanen wurde meist versucht ein Adelstitel zu erschwindeln oder von entfernten Verwandten anzunehmen.
Manjula, die Kapitel heißen bei mir gleich wie bei dir, was schon einmal ein gutes Zeichen ist. Die Übersetzer scheinen sich gut an das Original gehalten zu haben.
Kann es sein, dass der geändete Kapiteltitel einfach nur ein Druckfehler ist ? Gibt es nicht auch eine Kapitel, das "die Amtsenthebung" heißt ? Das kommt mir bekannt vor. Vielleicht ist dem Verlag bei der Kopfzeile einfach ein Fehler passiert ?
Ich bin jetzt im 4. Kapitel des 2. Teils. Julien fängt an fast sympathisch zu wirken, was aber einzig daran liegt, dass er als Angestellter des Marquis zu Beginn eher ein bischen in eine Opferrolle gerät. Er ist beeindruckt von dem fast höfischen Leben beim Marquis, in das er sich noch nicht richtig eingewöhnt hat.
Ich habe vor wenigen Jahren Stendhals "die Kartause von Parma" gelesen (sonst kenne ich noch nichts von ihm), vor allem die Hauptpersonen sind sich recht ähnlich.
Viele Grüße,
Zola
Hallo zusammen,
ich habe gestern noch ein bischen weitergelesen und muß mich korrigieren. Wenige Kapitel später stellte sich heraus, dass sich Juliens Aufstieg doch klassisch gesellschaftlich (und nicht über die Kirche) vollziehen wird, da er jetzt als Verwandter des Marquis ausgegeben wird.
Gar nicht in den bisherigen Roman passend fand ich die Kapitel über Juliens Duell, das ja eigentlich der Auslöser oben genannter Entwicklung war. Das war schon eines Gogols würdig, der andere Duellant (eigentlich als Stellvertreter seines Kutschers) noch im Schlafanzug, nachdem man endlich einen Grund für ein Duell gefunden hatte.
Jedes Kapitel beginnt mit einem kleinen Zitat. Interessant ist, dass darunter wohl auch erfundene Zitate von bedeutenden Romanfiguren gemischt wurden. Man kann spekulieren, ob der Autor für manche Fälle keine passenden Zitate mehr fand und aus der Not eine Tugend machte.
Viele Grüße,
Zola
Hallo, ihr beiden,
bin inzwischen im 48. Kapitel angelangt. Mir gefällt der Roman immer gut, so lange es nicht um Liebe geht: Wenn Julien und inzwischen auch Mathilde sich zwischen ihren Gefühlen, Eitelkeiten und gesellschaftlichen rücksichten zerfleischen, geht mir das persönlich immer etwas auf den Keks.
Wobei: Mathilde hat sich Julien ja wirklich verdient! Da schenkt eins dem anderen nichts.
Die Darstellung der Gesellschaft und politischen Intrigen der Juli-Monarchie ist schon grandios, auch diese absolute Langeweile in einer restaurativern und repressiven Gesellschaft.
@ Manjula: Bei mir heißt das 14. Kapitel nur "Die englische Schere". Wenn es bei Zola "Die Amtsenthebung" heißt, bist du als einzige im Besitz beider Titel! :breitgrins:
Zitat von "Zola"
Gar nicht in den bisherigen Roman passend fand ich die Kapitel über Juliens Duell, das ja eigentlich der Auslöser oben genannter Entwicklung war. Das war schon eines Gogols würdig, der andere Duellant (eigentlich als Stellvertreter seines Kutschers) noch im Schlafanzug, nachdem man endlich einen Grund für ein Duell gefunden hatte.
Es gibt aber doch häufiger burleske Szenen, in denen sich Julien mehr oder weniger lächerlich macht, was dann häufiger seine empfindliche Eigenliebe kränkt: im Umgang mit den Honoratioren von Verrières, im Café in Bésancon,
Zitatbeim ersten Ritt mit Graf Norbert,
seine Überlegungen hinsichtlich des nächtlichen Rendezvous mit Mathilde und sein Fastangriff auf sie mit dem Dekosäbel in der Bibliothek.
Bis bald
finsbury
Hallo zusammen,
nun bin ich im 62. Kapitel.
ZitatDie politische Intrige, in die Julien als Bote verwickelt wurde, wird wunderbar satirisch geschildert. Ich überlege nur, was die Adligen damals dazu trieb, fremde Armeen ins Land zu holen. Hatten sie solche Angst vor einer wiederholten Machtübernahme durch den vierten Stand, dass sie lieber eine Besatzungsarmee mit den damit einhergehenden Terrritorial- und Machtverlusten in Kauf nehmen wollten?
Burlesk fand ich auch die Methode des russischen Grafen, eine kalte Geliebte zurückzugewinnen. Julien kopiert sie bisher erfolgreich: Mathilde scheint nun längerfristig sein zu werden.
Diese ständige Mischung zwischen ehrlichen Gefühlen und taktischen Überlegungen ist mir aber nach wie vor schwer erträglich beim Lesen.
Dabei denke ich, dass Stendhal wohl schon nah an der Wahrheit ist.
Ein gnadenloser Analytiker!
Wie weit seid ihr?
Noch ein schönes Wochenende
HG
finsbury
Hallo finsbury!
Ich persönlich finde es bei einem Klassiker eigentlich überflüssig, Spoiler zu setzen - schliesslich kennt man ja den Ausgang des Buches im allgemeinen sowieso (bald). Mit dem Hinweis auf das Kapitel weiss ich ja, ob ich den Teil schon gelesen habe und kann allenfalls das Posting noch warten lassen.
Grüsse
Sandhofer
Hallo sandhofer,
grundsätzlich hast du Recht, es kommt aber auch auf den Klassiker an: Stendhal schreibt schon spannend, und da will ich lieber niemanden vor den Kopf stoßen, der sich gerne die Spannung erhalten will. Soll ja auch vorkommen, dass man deshalb dran bleibt.
Aber es ist ein interessantes Problem, das vielleicht mal grundsätzlich in einem eigenen Thread diskutiert werden sollte, falls es das noch nicht gab :zwinker: .
HG
finsbury
Hallo zusammen,
ohje, ich hinke Euch wohl meilenweit hinterher: ich bin eben bei Juliens Erfahrungen im Seminar angekommen (Kapitel 26). Mir gefällt Stendhals lakonische Art, die manchmal auch sehr ironisch wird, z.B. in Kapitel 26:
ZitatIm Seminar kann man sein weiches Ei auf eine Weise essen, die Fortschritte im frommen Leben verrät.
Ich habe übrigens einen interessanten Artikel über "meine" Übersetzung gefunden, werde ich gleich im Materialienthread posten. Die Unterschiede der einzelnen Übersetzungen scheinen gar nicht so klein zu sein. Ach, und die Frage mit den Überschriften hat sich auch geklärt, im Anhang heißt es bei mir:
ZitatUnsere Ausgabe enthält als erste deutsche Übersetzung auch Stendhals Kolumnentitel, die auf der rechten Seite eine Art fortlaufenden Kommentar zum Roman darstellen. Stendhal hat diese Titel, ebenso wie die Kapitelüberschriften und Motti, erst in seine Korrekturfahnen eingetragen und wechselnd auf den Inhalt des Kapitels oder der Seite gestellt.
So, jetzt werde ich mich bemühen, Euch nachzukommen :zwinker:
Liebe Grüße
Manjula
Hallo zusammen,
Zitat von "finsbury"
grundsätzlich hast du Recht, es kommt aber auch auf den Klassiker an: Stendhal schreibt schon spannend, und da will ich lieber niemanden vor den Kopf stoßen, der sich gerne die Spannung erhalten will.
So einer bin ich zum Beispiel :zwinker:
Wenn ich in Leserunden Beiträge finde, die meinem Lesestand vorausgreifen, lese ich diese eigentlich nur, wenn das Buch langweilig ist oder ich den Inhalt sehr genau kenne - beides ist bei "Rot und Schwarz" nicht der Fall. Insofern finde ich die Spoiler sehr hilfreich. Übrigens sagt die Kapitelzahl bei Übersetzungen manchmal wenig aus. Finsburys Ausgabe scheint durchgehend nummeriert zu sein, die Nummerierung beginnt in meiner Ausgabe in jedem Teil von vorne, ganz zu schweigen von Büchern, wo die Übersetzer in der Kapitelaufteilung "gewütet" haben.
Viele Grüße,
Zola
Hallo zusammen,
Zitat von "finsbury"Mir gefällt der Roman immer gut, so lange es nicht um Liebe geht: Wenn Julien und inzwischen auch Mathilde sich zwischen ihren Gefühlen, Eitelkeiten und gesellschaftlichen rücksichten zerfleischen, geht mir das persönlich immer etwas auf den Keks.
Das "Geturtel" hat aber auch seine interessanten Seiten. Die beiden Charaktere werden dabei deutlich herausgestellt, vor allem die Zerrissenheit Mathildes zwischen ihren wahren Gefühlen für Julien (die wie bei Frau de Renal hauptsächlich einem Unterwerfungszwang entspringen, Julien scheint der Typ von Mann zu sein, der Frauen dieser Neigungen anzieht), ihre gesellschaftliche Stellung und ihre gesellschaftliche Verpflichtung eine "Gute Partie" abzubekommen.
Zitat von "finsbury"Es gibt aber doch häufiger burleske Szenen, in denen sich Julien mehr oder weniger lächerlich macht, was dann häufiger seine empfindliche Eigenliebe kränkt: im Umgang mit den Honoratioren von Verrières, im Café in Bésancon,
Vor allem habe ich den Eindruck, dass diese Szenen im Laufe des Romans immer weiter zunehmen, die Verführungsidee des Russen, den Julien in Straßburg trifft, ist schon zum Schießen. Dass Julien dies noch entgegen seines Verstandes umsetzt ist um so lustiger.
Es scheint, dass nachdem Stendhal die Person Juliens in den ersten Kapiteln des Romans ernst in seinen Charakterzügen und Eigenschaften vorstellte, er sich jetzt richtig über ihn lächerlich machen möchte.
Aus der "Kartause von Parma" ist mir diese humoristische Art Stendhals gar nicht in Erinnerung.
Viele Grüße,
Zola
Hallo ihr beiden,
nun bin ich fertig mit der Lektüre. Insgesamt muss ich sagen: ein sehr lohnenswerter Roman, auch wenn sich mir häufig die Haare aufgestellt haben, wenn Juliens Innerstes dargestellt wurde.
Wie du, Zola, finde ich auch, dass die burlesken Szenen in der zweiten Hälfte zunehmen. Im Nachwort meiner Ausgabe von Franz Blei (insgesamt äußerst schlecht zu lesen und ungemein schwafelig) wird dazu auch bemerkt, dass Stendhal die Ironie als ein sehr wichtiges Hilfsmittel beim Schreiben und dem Ertragen der Welt begriff.
ZitatAlles anzeigenAm Ende komme ich nicht so ganz damit klar, warum Julien eigentlich sterben muss. Einerseits will er es wohl, deshalb nimmt er die überreichlich dargebotenen Rettungsmöglichkeiten nicht wahr. Andererseits hat er doch nun seine wahre Liebe erkannt und genießt die gegenseitige Zuneigung: Warum nimmt er sich dann die Chance auf zukünftiges Liebesglück, vor allem auch in Anbetracht der Tatsache, dass für Mme de Rénal ihre Kinder anscheinend plötzlich keine Rolle mehr spielen und ja auch Julien von seinen Karriereabsichten genesen ist?
Ich finde, das Ende ist ein bisschen lieblos gestrickt, so als hätte Stendhal keine rechte Lust mehr gehabt: In meiner Übersetzung häufen sich auch am Ende die Satzfragmente, mehrfach steht in einer Aufzählung von Gefühlen und Begründungen "usw.usw." und die letzten Kapitel haben keine Titel und keine Motti mehr.
Franz Blei bemerkt in seinem Nachwort, dass Stendhal eigentlich immer nur an den ganz jungen Helden Interesse hatte: Wenn die Leidenschaft und der jugendliche Überschwang verloren sind, interessieren ihn seine Helden nicht mehr und er fasst das Ende nur noch kurz zusammen oder lässt sie eben, wie seinen Julien, grandios untergehen.
Die letzten Ausführungen wenden sich wieder Mathilde zu und ihrem melodramatischen Umgang mit Juliens abgeschlagenem Kopf zu. Das ist schon fast englischer, schwarzer Humor.
Man bekommt einen wirklich guten Eindruck in das Leben der nachnapoleonischen französischen Gesellschaft. Am Stil Stendhals gefällt mir gut, dass er relativ unprätentiös ist und auch selten ins Schwafeln gerät: Bei Balzac gibt's in dieser Hinsicht doch eine Menge Längen.
Ich habe noch die "Armance" von Stendhal auf meinem SUB: Vielleicht werde ich mich ja bald mal darum kümmern.
HG
finsbury
Hallo zusammen,
zwischenzeitlich bin ich mit dem Buch ebenfalls fertiggeworden.
Den Schluß fand ich gelungen. Nach der Tat, die nahe Verurteilung zum Tode vor Augen, wandelt sich Julien plötzlich. Zum einen scheint er jetzt echte Liebesgefühle verspüren zu können: für Mathilde (die diese nun als genauso ehrlich wirkendes Gefühl erwidert) und für Frau de Renal.
Seine Sehnsucht nach einem existierenden liebenden Gott (noch quälender für ihn durch seine Gewissheit, dass dieser nicht existiert) ist ebenfalls Folge dieser Wandlung.
Ich denke Julien war sich selbst bewußt, dass er erst jetzt, das drohende Todesurteil vor Augen, echte menschliche Liebe verspüren konnte und vielleicht wollte er genau deshalb das Todesurteil vollstreckt haben, da er wußte, dass eine Begnadigung ihn nur wieder zur alten kalten Berechenbareit zurückführen würde ?
Der Autor läßt dies offen.
Stilistisch hat mir das Buch sehr gut gefallen, nur das Gefühlsleben der Hauptpersonen stand für meinen Geschmack etwas zu sehr im Vordergrund.
Stendhals Nachfolgewerk "Lucien Leuwen" würde mich noch interessieren, die Hauptfigur scheint Julien sehr ähnlich zu sein (und nicht zu scheitern).
Im Nachwort fand ich die Anmerkung , dass Stendahl durch eine Zeitungsnotiz auf das Romanthema gekommen war. Die Rahmenhandlung der drei Hauptpersonen war dadurch vorgegeben. Ich finde es immer wieder interessant wie oft Autoren durch wahre Begebenheiten zu Erzählthemen angeregt werden.
Viele Grüße,
Zola