O S T E R -Spaziergänge

  • Leitmotto:
    Wolfdietrich Schnurre: Kommt der Messias ?


    „Kommt der Messias, Schimon?“
    „Natürlich nein. Mit seinem Kommen würden doch alle Hoffnungen zunichte gemacht.“
    „Aber warum wird sein Kommen trotzdem verkündet?“
    „Um auch denen, die tiefer verzweifelt sind als wir, noch den Ausweg in die Hoffnung zu lasen.
    „Aber dann ist er doch eine Lüge, ein Popanz!“
    „Was noch nicht ist, kann auch keine Lüge, kein Popanz sein, Lea.“
    „Aber was kommen soll, muß schon irgendwo existieren.“
    „Ja. Als Verheißung.“
    „Schimon: Was ist eine Verheißung, die nicht eingelöst wird?“
    „Das Wesen des Glaubens.“


    (Stenografischer Eintrag aus: Wolfdietrich Schnurre: Der Schattenfotograf 1978. Neuauflage: Berlin Verlag, 2010


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    Frühlings-Bildleiste aus der vorjährigen ZEIT
    URL: http://zeus.zeit.de/bilder/200…ezial/spriessende_385.gif



    Osterspaziergänge

    durch Raum und Zeit, Aue und Wald, Stadt und Land, Buchregal und Internet...:



    Frühling


    URL: http://www.sirius-arts.de/imag…test/osterspaziergang.jpg]


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    Vom Eise befreit... Goethes allbekannte, routiniert zu absolvierende Verse aus der Szene „Vor dem Tor“ im Faust-Drama sind im „Urfaust“ und im „Fragment“ von 1790 noch nicht enthalten. Sie ist wohl im Februar 1801 entstanden; sie zeigt Faust nicht mehr als einsamen Gelehrten in der Osternachtsszene im Studierzimmer, sondern als geehrten Bürger der Reichsstadt und kennzeichnet in einer Revue typisierter Figuren die gesellschaftliche Umwelt Heinrich Fausts, gleichzeitig das banale Volksgerede und die philiströse Enge Wagners. Faust wieder belebte Lebensenergie – nach der entscheidenden Osternacht – entspringt dem frühlingshaften Naturgeschehen und der religiösen Auferstehungsüberzeugung; doch führt ihn die Gedankenfülle des reflektierenden Monologs wieder in ein geistiges Außenseitertum zurück, in seine „faustische“ Versuchung. Das für den Handlungsfortgang der Szene wichtige Motiv ist das Auftauchen des Pudels, der sich als Verführer Mephisto entpuppen wird; hier wird nicht nur die Standardfassung des Lesebuch-„Osterspaziergangs“ geboten, sondern auch Wagners Antwort; auf den dialogischen und pragmatischen Kontext der gesamten Dramenszene verweise ich zusätzlich.
    Als ein besonders beliebtes Thema ist Fausts „Osterspaziergang“ wiederholt variiert worden; die Vergleichstexte werden hier geboten, um ein klassisches Motiv hinsichtlich Religion und Naturgefühl zu diskutieren: Frühling und Auferstehung; Glaube und Naturwissenschaft; Ichbewusstsein und Verantwortungsbereitschaft.
    Ostern ist das älteste christliche Kirchenfest, ursprünglicher als Weihnachten und Pfingsten; direkt in der Übernahme des jüdischen Passahfestes (Pessach) verständlich.
    In der jüdischen Bedeutung und dem Ritus des Opfer- und Erntefestes der Israeliten liegen die Wurzeln der christlichen Gestaltung und Symbolik; doch dieses Thema soll hier nicht aufgearbeitet werden.


    [size=18px]Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)[/size]
    Vom Eise befreit...
    (Aus: Osterspaziergang. Faust I)


    FAUST:

    Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
    Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
    Im Tale grünet Hoffnungsglück;
    Der alte Winter in seiner Schwäche
    Zog sich in rauhe Berge zurück.
    Von dorther sendet er fliehend nur
    Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
    In Streifen über die grünende Flur;
    Aber die Sonne duldet kein Weißes,
    Überall regt sich Bildung und Streben,
    Alles will sie mit Farben beleben;
    Doch an Blumen fehlt's im Revier,
    Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
    Kehre dich um, von diesen Höhen
    Nach der Stadt zurückzusehen.
    Aus dem hohlen, finstern Tor
    Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
    Jeder sonnt sich heute so gern.
    Sie feiern die Auferstehung des Herrn;
    Denn sie sind selber auferstanden:
    Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
    Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
    Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
    Aus der Straßen quetschender Enge,
    Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
    Sind sie alle ans Licht gebracht.
    Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
    Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
    Wie der Fluß in Breit und Länge
    So manchen lustigen Nachen bewegt;
    Und bis zum Sinken überladen
    Entfernt sich dieser letzte Kahn.
    Selbst von des Berges fernen Pfaden
    Blinken uns farbige Kleider an.
    Ich höre schon des Dorfs Getümmel;
    Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
    Zufrieden jauchzet groß und klein:
    Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!


    WAGNER:


    Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren
    Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
    Doch würd ich nicht allein mich her verlieren,
    Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
    Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben
    Ist mir ein gar verhaßter Klang;
    Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
    Und nennen's Freude, nennen's Gesang.


    (Aus Goethes “Faust. Erster Teil“. Verse 903-948; bildungsbeflissen „Osterspaziergang“ genannt. Die Entgegnung Wagners, des Famulus, ist hier für den Vergleich mit dem folgenden Tucholsky-Text mit wiedergegeben)


    **


    Doch an Blumen fehlt’s im Kohlen-Revier,
    Forsythien stehn tapfer dafier:


    URL: http://www.n-tv.de/images/200404/5233597_Bottrop.jpg



    Tucho:
    URL: http://www.miscelle.de/_imgroot/kurt-tucholsky.gif


    [size=18px]Kurt Tucholsky:[/size]
    OSTERSPAZIERGANG
    (Aus einer aufgefundenen Faust-Handschrift)


    Faust:


    Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
    durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
    das deutsche Volk zahlt des Krieges Zeche,
    und keiner bringt das Verlorene zurück.
    Die alten Monarchen, in ihrer Schwäche,
    zogen sich in die Versenkung zurück.
    Von dorther senden sie, fliehend nur,
    ohnmächtige Schauer körniger Reden.
    Und sie beschuldigen jeder jeden,
    und schütten Memoiren auf die Flur.
    Überall regt sich Gärung und Streben.
    Aller, will sich mit Rot beleben.
    Doch an Blumen fehlt es im Revier.
    Nehmt kompromittierte Führer dafür!
    Kehre dich um, von diesen Höhen
    auf das Land zurückzusehen.
    Aus dem hohlen, finstern Tor
    dringt ein buntes Gewimmel hervor.
    Jeder sonnt sich heute so gern:
    die Kriegsgesellschaft, der Stahlkonzern,
    denn sie sind wieder auferstanden
    aus Reklamierungs- und andern Banden,
    aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
    aus dem Druck Von mitunter beschossenen Dächern,
    aus der Straßen quietschender Enge,
    aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
    sind sie wieder ans Licht gebracht.
    Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
    durch die Dörfer zum Hamstern schlägt.
    Mancher bezieht manchmal etwas Senge,
    weil er zu wenig Geld hinlegt.
    Hier fühl ich wahrhaft mich erhoben:
    Was kümmert uns ein verlorener Krieg!
    Amerikanisches Mehl wird verschoben -
    nur der Schieber reitet den Sieg!
    Hätten wir nur genug zu essen,
    wär das Alte mit Gunst vergessen;
    Ludendorffen entbieten wir Huld ...
    Keiner ist schuld! Keiner ist schuld!
    Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
    hier ist des Volkes wahrer Himmel.
    Zufrieden jauchzt die Reaktion:
    Keine Angst! sie vergessen schon!


    Wagner:


    Mit euch, Herr Doktor, zu spazieren
    ist ehrenvoll und ist Gewinn;
    Doch würd ich nicht allein mich her verlieren,
    weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
    Das Schreien und Sozialisieren
    ist mir ein gar verhaßter Klang;
    das will ja nur das Volk verführen -
    uns Reichen wird ganz angst und bang.
    Wir wollen wieder die alten Zeiten,
    wir wollen wieder die Menge leiten -
    Zufrieden jauchzt dann Groß und Klein:
    Ich bin kein Mensch! Ich darfs nicht sein!
    (1919; erschienen am 20.04.19; in der Berliner Volkszeitung; in K.T.: G.W. Bd. 2. S. 78))


    *


    Eduard Mörike


    Url: http://www.onlinekunst.de/fruehlingsgedichte/e_moerike.jpg


    [size=18px]Eduard Mörike:[/size]
    Auf ein Osterei geschrieben


    Ostern ist zwar schon vorbei,
    Also dies kein Osterei;
    Doch wer sagt, es sei kein Segen,
    Wenn im Mai die Hasen legen?
    Aus der Pfanne, aus dem Schmalz
    Schmeckt ein Eilein jedenfalls,
    Und kurzum, mich tät's gaudieren,
    Dir dies Ei zu präsentieren,
    Und zugleich tät es mich kitzeln,
    Dir ein Rätsel drauf zu kritzeln.
    Die Sophisten und die Pfaffen
    Stritten sich mit viel Geschrei:
    Was hat Gott zuerst erschaffen,
    Wohl die Henne? wohl das Ei?
    Wäre das so schwer zu lösen?
    Erstlich ward ein Ei erdacht:
    Doch weil noch kein Huhn gewesen,
    Schatz, so hat's der Has gebracht.


    **


    [size=18px]Emmanuel Geibel:[/size]
    Ostermorgen

    Die Lerche stieg am Ostermorgen
    Empor ins klarste Luftgebiet
    Und schmettert', hoch im Blau verborgen,
    Ein freudig Auferstehungslied,
    Und wie sie schmetterte, da klangen
    Es tausend Stimmen nach im Feld:
    Wach auf, das Alte ist vergangen,
    Wach auf, du froh verjüngte Welt!

    Wacht auf und rauscht durchs Tal, ihr Bronnen,
    Und lobt den Herrn mit frohem Schall!
    Wacht auf im Frühlingsglanz der Sonnen,
    Ihr grünen Halm' und Läuber all!
    Ihr Veilchen in den Waldesgründen,
    Ihr Primeln weiß, ihr Blüten rot,
    Ihr sollt es alle mit verkünden:
    Die Lieb' ist stärker als der Tod.

    Wacht auf, ihr trägen Menschenherzen,
    Die ihr im Winterschlafe säumt,
    In dumpfen Lüsten, dumpfen Schmerzen
    Ein gottentfremdet Dasein träumt.
    Die Kraft des Herrn weht durch die Lande
    Wie Jugendhauch, o laßt sie ein!
    Zerreißt wie Simson eure Bande,
    Und wie der Adler sollt ihr sein.

    Wacht auf, ihr Geister, deren Sehnen
    Gebrochen an den Gräbern steht,
    Ihr trüben Augen, die vor Tränen
    Ihr nicht des Frühlings Blüten seht,
    Ihr Grübler, die ihr fern verloren
    Traumwandelnd irrt auf wüster Bahn,
    Wacht auf! Die Welt ist neugeboren,
    Hier ist ein Wunder, nehmt es an!

    Ihr sollt euch all des Heiles freuen,
    Das über euch ergossen ward!
    Es ist ein inniges Erneuen
    Im Bild des Frühlings offenbart.
    Was dürr war, grünt im Wehn der Lüfte,
    Jung wird das Alte fern und nah,
    Der Odem Gottes sprengt die Grüfte -
    Wacht auf! der Ostertag ist da.
    *
    (Emanuel Geibel - 1815-1884 -; aus Geibels „Juniusliedern“)



    Ein Stück üppige Geibel-Verehrung


    URL: http://www.onlinekunst.de/herbstlyrik/Geibel.jpg


    **
    Das Grab Rilkes in Raron:
    URL: http://www.vs-natura-beef.ch/images/Grab.jpg


    [size=18px]Rainer Maria Rilke:[/size]
    Vor-Ostern
    - Neapel -


    Morgen wird in diesen tiefgekerbten
    Gassen, die sich durch getürmtes Wohnen
    unten dunkel nach dem Hafen drängen,
    hell das Gold der Prozessionen rollen;
    statt der Fetzen werden die ererbten
    Bettbezüge, welche wehen wollen,
    von den immer höheren Balkonen
    (wie in Fließendem gespiegelt) hängen.


    Aber heute hämmert an den Klopfern
    jeden Augenblick ein voll Bepackter,
    und sie schleppen immer neue Käufe;
    dennoch stehen strotzend noch die Stände.
    An der Ecke zeigt ein aufgehackter
    Ochse seine frischen Innenwände,
    und in Fähnchen enden alle Läufe.
    Und ein Vorrat wie von tausend Opfern


    drängt auf Bänken, hängt sich rings um Pflöcke,
    zwängt sich, wölbt sich, wälzt sich aus dem Dämmer
    aller Türen, und vor dem Gegähne
    der Melonen strecken sich die Brote.
    Voller Gier und Handlung ist das Tote;
    doch viel stiller sind die jungen Hähne
    und die abgehängten Ziegenböcke
    und am allerleisesten die Lämmer,


    die die Knaben um die Schultern nehmen
    und die willig von den Schritten nicken;
    wahrend in der Mauer der verglasten
    spanischen Madonna die Agraffe
    und das Silber in den Diademen
    von dem Lichter-Vorgefühl beglänzter
    schimmert. Aber drüber in dem Fenster
    zeigt sich blickverschwenderisch ein Affe
    und führt rasch in einer angemaßten
    Haltung Gesten aus, die sich nicht schicken.


    *


    R. M. Rilke; im Sommer 1908 (vor dem 15.7.08), Paris. (Aus: R.M.R.: Gesammelte Gedichte. 1962. S. 351ff.)


    *
    [size=18px]Mascha Kaléko:[/size]


    Mascha Kaléko:
    Osterspaziergang


    Ganz unter uns: Noch ist es nicht so weit.
    Noch blüht kein Flieder hinterm Heckenzaune.
    Doch immerhin: Ich hab ein neues Kleid,
    Bürofrei und ein bisschen Frühlingslaune.


    Was hilft uns schon das ganze Trübsalblasen –
    Da weiß ich mir ein bessres Instrument.
    Ich pfeife drauf... Mich freut selbst kahler Rasen
    Und auf das Frohsein gibt es kein Patent.


    Mich fährt die Stadtbahn auch ins freie Feld,
    Mir weht der Märzwind gleich den Weitgereisten
    Ich hab mein’ Sach’ auf nichts gestellt.
    - Das kann man sich noch leisten.


    Blau ist der Himmel wie im Bilderbuch.
    Die Vögel zwitschern wie in Frühlingsträumen.
    Herb mischt die Waldluft sich mit Erdgeruch
    Und frühem Duft von knospig reifen Bäumen.


    Die Sonne blickt schon ziemlich interessiert.
    Und wärmt beinah. - Doch, während ich sie lobe,
    Verschwindet sie, von Wolken wegradiert.
    Es scheint, sie scheint nur Probe.


    Ganz unter uns: Noch kam der Lenz nicht an,
    Obgleich schon Dichter Frühlingslieder schrieben.
    - Erst wenn man frei auf Bänken sitzen kann,
    Dann wird es Zeit, sich ernstlich zu verlieben...
    *
    (1933; in: Mascha Kaléko: Das lyrische Stenogrammheft. 11986. Rororo 1784. S. 35)


    *
    [size=18px]Heinz Kahlau:[/size]
    Osterspaziergang


    Vier Wochen vorher sah ich sie im Dorfkrug.
    Sie lehnte an der Tür, trug Holzpantinen,
    blies sich von Zeit zu Zeit die Locke aus der Stirne
    und sah mit leerem Blick auf die Papiergirlanden,
    die über dem Gestampf der Paare schwangen.
    Die Blasmusik war nur zum Schweigen gut.
    Sie stieß sich mit der Schulter ab vom Pfosten,
    zog ihre Jacke fester, ging hinaus.
    Ich fragte sie, ob wir uns sehen können.
    Sie sah mich an und sagte: Ostermontag.
    Ich bin um neun am ersten Luftschutzbunker.
    Dann gab sie mir die Hand und lief davon.


    Wir gingen schweigend zwischen Kiefernstämmen.
    Der Wald war überschwemmt, an trocknen Stellen
    war alles aufgewühlt von wilden Schweinen.
    Die Wasserreiser an den grauen Weiden
    besetzt mit großen Kätzchen - kükengelb.
    Die Sonne fiel in hellen, warmen Rhomben
    auf gelbe Kätzchen und auf nasses Moos.
    Ich war schon neunzehn, sie war achtzehn Jahre.
    Ich mager, rotblond, sie war schwarz und rund.
    Ich trug zerfetzte nasse Leinenschuhe,
    gefärbte Khakihosen, Drillichjacke
    und einen wehrmachtsgrauen langen Schal.
    Sie schwarze Holzpantinen, wollne Strümpfe
    und einen weiten Rock aus einer Decke,
    ein weißes Turnhemd, eine enge Jacke,
    die nicht zu knöpfen ging, sie hielt sie oben zu.
    Wir küßten uns und sprangen über Pfützen,
    wir sprachen über Blasmusik und Essen,
    wir rissen Kätzchen ab und färbten uns die Nasen
    mit Blütenstaub und küßten sie uns sauber.
    Wir setzten uns auf einen Eichenstubben,
    wir sagten uns, daß wir uns wirklich liebten.
    Ihr war es ganz egal, daß wir nicht wußten,
    wie spät es war. Sie hatte keinen Hunger.
    Es gab zu Mittag nur Kartoffelsuppe,
    die hatte sie am Tag davor gekocht.
    Mein Zug fuhr erst um fünf. Wir gingen weiter
    und suchten einen trocknen Flecken Erde.
    Am Rande einer überschwemmten Wiese
    stand ein verbrannter Heereskübelwagen.
    Wir setzten uns auf eine Panzerplatte
    und legten meinen grauen Schal darunter.
    Da war die Sonne weg, und es begann zu gießen.
    Durchnäßt und traurig liefen wir zurück.


    Ihr Vater wartete vor der Barackentür.
    Er durfte mich nicht sehn, wir trennten uns
    und fragten nicht, wann wir uns wieder sehn.
    Ich stand im Wald und sah den Vater schimpfen,
    sie ging an ihm vorbei durch ihre Tür.
    Ich weiß nicht, wie sie hieß. Ich sah sie nie mehr.
    Doch an den Wald, die Kätzchen und den Regen
    kann ich mich noch, so oft ich will, erinnern.
    (H. K.: Du. Liebesgedichte. Berlin/Weimar: Aufbau Verlag. 1980. S. 8ff.)


    **


    Der letzte Osterspaziergang ist bestimmt noch nicht gewandert,
    gesurft,
    gelesen -


    geschrieben...

    Kafkas Maus kriegte a posteriori gesagt:<br />...&quot;&#039;Du mußt nur die Laufrichtung ändern&#039;, sagte die Katze und fraß sie.&quot;<br />*<br />Das kann also jede(r) wissen; jede(r) Leser(in) z&#039;mind&#039;st.

    Einmal editiert, zuletzt von Antonius EY ()

  • Liebe(r) Antonius Ey,


    als Kontrast sozus. zu Deinen langen Gedichten möchte ich einen kurzen Auszug aus einem ursprünglich auch langen Gedicht setzen. Es ist aus der "Mutter Courage" von Brecht und hat mich schon zu Schulzeiten beeindruckt. Man kann es mit einer christlichen Ostergeschichte in Verbindung bringen, was wahrscheinlich an der Wortwahl liegt:


    Das Frühjahr kommt. Wach auf, du Christ!
    Der Schnee schmilzt weg. Die Toten ruhn.
    Und was noch nicht gestorben ist
    Das macht sich auf die Socken nun.


    Viele Grüße,
    Gitta

  • Dank fürs Mitwandern - liebe Brechtin, liebe "Christin"!


    Osterspaziergänge, von „kommod“ bis „poetisch“:
    In Ilmenau erfunden...; ein Kultur-"Event" - ob erfolgreich, wiederholt....?


    Goethe
    URL: http://www.maschinenbau.tu-ilmenau.de/ham/goethe.JPG



    ':blume:'


    URL: http://www.wortschatz.de


    - eine UNI-Datei -eine teilnahmslos registrierende Wortquelle, zur Beurteilung von alltäglichen oder sonntäglich feierlichen Bewegungen, genannt "Spaziergang" zur rechten Zeit:


    In Provincetown, dem alten Walfängerhafen auf Cape Cod, gibt es nicht nur schöne Sandstrände für den Osterspaziergang, sondern auch die höchste Konzentration von Anti-Bush-Memorabilia in den USA. (Aus: Der Spiegel ONLINE)


    Zum Beispiel, als verfrühter Osterspaziergang, endlich einmal nach Leipzig! (Quelle: Die Zeit 1997)


    DAS KOMMT AUF UNS ZU! Ein Osterspaziergang mit dem Spezialisten Johann Wolfgang von Goethe. (Aus: Die Zeit 2001)


    In kühl teilnahmsloser Manier zitiert er den berühmten Monolog "Habe nun, ach!", oder den "Osterspaziergang". (Aus: Die Welt Online)


    Vorsicht beim Osterspaziergang an der Alster: Nicht jedes Ei auf der Wiese ist aus Schokolade. (Aus: Die Welt Online)


    Osterspaziergang um den Fernsehsessel (Aus: Die Welt Online)


    Beim Osterspaziergang Sonne und Musik genießen (Aus: Die Welt Online)


    Er wandelte das Finale von Goethes Osterspaziergang ab: "Ich hör schon Potsdamer Getümmel - hier ist des Volkes wahrer Himmel: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!", rief er als künftiges Motto der Bundesgartenschau aus. (Aus: DIE WELT 2001)


    Verzichten mussten die Bayern an den Feiertagen nicht nur auf eine traditionelle Pferdewallfahrt, sondern auch auf einen Osterspaziergang im Sonnenschein. (Aus: DIE WELT 2001)


    Der eigene Osterspaziergang im Nymphenburger Schlosspark - das ist Tradition bei der Schauspieler-Familie - fiel heuer buchstäblich ins Wasser. (Aus: DIE WELT 2001)


    Der Osterspaziergang im verregnet-kalten Berlin? (Aus: DIE WELT 2001)


    Dort werden ab 11 Uhr Auferstehungsbilder gezeigt, ein Osterspaziergang von Beuys zu Rubens. (Aus: DIE WELT 2001)


    "Wir erwarten in Sanssouci an diesem Wochenende einen regelrechten Besucheransturm, denn der Schlosspark lädt traditionell zum Osterspaziergang ein", sagt Gert Streidt von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. (Aus: DIE WELT 2001)


    Das Schloss Sanssouci lädt zum Osterspaziergang ein. (Aus: DIE WELT 2001)


    Den Osterspaziergang kann man auch in den kommenden Monaten gut noch nachholen - bei der Bundesgartenschau in Potsdam. (Aus: DIE WELT 2001)


    Vom Eise befreit sind Strom und Bäche", heißt es in Goethes Osterspaziergang. (Quelle: DIE WELT 2001)


    Vielleicht doch lieber Osterspaziergang, obwohl der Gesichtserker, kurz aus dem Tageleuchter gereckt, die nasse Kälte spürt? (Aus: DIE WELT 2001)


    Nachhilfe für den Osterspaziergang: Die Sportsprache wird so lange international, bis sie falsch verstanden wird (Aus: DIE WELT 2001)


    [Teleempfehlung, verspätet, versäumt - nie mehr gutzumachen:]
    Nach einem entspannenden Osterspaziergang mit der Familie gibt es dann noch was fürs Herz: "Tage wie dieser" auf Pro 7 um 20.15 Uhr, ein wunderbarer Familienfilm mit der schönen Michelle Pfeiffer und dem Frauenschwarm George Clooney. (Aus: DIE WELT 2001)


    :blume:


    URL: http://www.maschinenbau.tu-ilmenau.de/ham/goethediplom.gif


    Nein, kein Leistungsnachweis nötig, damit kein Erlebnis-, pardon: Ergebniseinbruch verkraftet werden muss...

    Kafkas Maus kriegte a posteriori gesagt:<br />...&quot;&#039;Du mußt nur die Laufrichtung ändern&#039;, sagte die Katze und fraß sie.&quot;<br />*<br />Das kann also jede(r) wissen; jede(r) Leser(in) z&#039;mind&#039;st.

  • Hallo,


    aus gegebenem Anlaß, d. h., was sich heute im nördlichsten Bundesland abspielte, einen Vers aus Kurt Tucholskys Gedicht "Fröhliche Ostern":


    Die deutsche Politik... Was wollt ich sagen?
    Bei uns zu Lande ist das einerlei –
    und kurz und gut: Verderbt euch nicht den Magen!
    Vergnügtes Fest! Vergnügtes Osterei!

    [Blockierte Grafik: http://www.hifi-forum.de/images/smilies/drinking.gif]


    Hier kann man das ganze Gedicht lesen:


    http://efg.wtal.de/fried/ksv_12.htm


    Grüße,
    Gitta

  • Schöner ist es, i h n zu h ö r e n: ihm, dem Wortkünstler Emil Steinberger zuzuhören...


    Was von OGTERN...


    Emil Steinberger: Der Telegrafenbeamte



    Der Telegrafenbeamte sitzt am Tisch und versucht, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Links steht ein Telefon.
    Also, vier senkrecht - Grautier - das hat vier Buchstaben und fängt mit einem E an, dann fehlt einer und dann geht's mit EL weiter. Ein Grautier mit EEL - EGEL - EGEL - EGEL? IGEL? IGEL? - ah das ist eher ein I, ja, aber dann stimmt es ja aber waagrecht nicht mehr.
    Die Hühner tun es - LEGEN - ja, dann gibt es aber senkrecht genau gleichwohl wieder EGEL - das ist doch kein Tier das - EGEL - das ist jetzt ein dummes Kreuzworträtsel das.


    Ja und dann sechs waagrecht hieße es ja dann OG, OG... OGTERN - OG... OG... OGTERN - was ist denn das wie­der? OGTERN »kirchlicher Feiertag« - hab ich noch nie gehört das. Gibt es acht noch einen ändern Feiertag mit einem G drin? WEIH-NACH-TEN - nein, das hat keinen G - ... PFINGSTEN, PFINGSTEN, PFINGSTEN - PFING-NG-NG ... das könnte einen G haben - ja, dann wäre aber das O wieder falsch - woher kommt denn dieses O her?
    »Kirchliches Instrument« - ORGEL -ja, aber wenn es jetzt PFINGSTEN heißen würde, dann hieße es ja dann statt ORGEL »PRGL« - und beim kirchlichen Feiertag PG... PG... PGTERN -


    trr - trr -
    Ja, ja, ja PRGL - PGTERN -
    trrr ... trr ...


    Ja, Telegrafenamt. Wie? Nein, wir haben hier nur eine Über­lastung gehabt. PRGL - PG PG PGTERN - wie, was meinen Sie was? Nein, ich habe hier nur noch rasch ein indisches Tele­gramm durchgegeben.
    Also, immer zuerst gerade den Namen angeben - wie ist der Name? Keller - mit CK? Ah, normal, ah das sagt man gleich am Anfang oder? -Ja und nachher, was kommt nachher?
    »Bitte Ziegel an Bianco zum doppelten Tarif«. Ist in Ord­nung, wir wollen das sofort notieren he: bitte Ziegel an Bianco - au -jetzt ist mir noch der Spitz abgebrochen, ja das ist jetzt noch's Beste das. Hab' doch noch irgendwo ein zweites Bleistift gehabt.
    Ja, hören Sie, überlegen Sie sich das Ganze noch einmal, he, wie? Ah, das ist definitiv - eh ja, das kann ich ja nicht wissen.
    Also, wohin gehen die Ziegel? »An Tegula AG in Lissabonn«
    - ist in Ordnung - Wir machen, daß das alles nach oben kommt. Ja, auf Wiederhören...
    Ausgerechnet Lissabonn, Lissabonn, wo ist jetzt auch noch dieses Lissabonn? Es muß irgendwie ein Vorort sein von Bonn.
    - So jetzt muß ich hier ein Messerli holen, damit ich das Blei­stift -
    trrr ... trrr ... wo ist jetzt das Messerli - ich habe doch da ein Messerli gehabt, ich habe doch da immer ein Messerli hier gehabt.
    Trrr ... Ja, ja. -Telegrafenamt - Herr, Herr Messerli? - Ja, Sie hab' ich soeben gesucht, Sie. Ja - was ist, was?
    Was? Ein Telegramm? Also geben Sie's an.
    »Herrn Zrotz, Berghaus Pragel« - PRGEL? - Nein, ich wollte nur rasch sehen, ob etwa am Pragelpaß eine Lawine hin­untergekommen ist. Ja, und nachher, was kommt nachher? »Fünfzig Jahre stark und froh, Herbert mach nur weiter so!«
    Ist in Ordnung, das werden wir alles so durchgeben. Auf Wiederhören Herr Messerli.


    So - jetzt müssen wir's aufschreiben, sonst nachher - trrr – trrr-
    Ja, jetzt kommt schon wieder eins - zuerst muß ich das doch aufschreiben - sonst nachher -
    Trrr ... trrr ... so,ja wahrscheinlich, ausgerechnet noch ein ... Ja, Telegrafenamt. - Herr Iseli? Was ist? Ein Telegramm? Wohin? Nach New York - bei diesem Wetter?
    Nein, ich mache nicht Spaß, aber ich kann's nicht selber bringen, he - also, geben Sie's an.
    »Herrn Hanspeter Iseli, Quarkey-Street, New York« In Ordnung, ja, was? Buchstabieren?
    Q wie Quark - A wie Angst - R wie Rückversicherungsge­sellschaft - K wie Kakao - E wie Emil und am Schluß ein Ypsi­lon wie ein -Ypsilon.
    Und nachher, was kommt nachher? »Überraschung für Mami, bitte an Ostern heimkommen.« Ist in Ordnung, wir werden das gerne so dem Hanspeter berichten, ha.
    Eh, Moment, rasch, sind Sie sicher, daß er an Ostern heim­kommen soll, nicht etwa an OGTERN? Ja, ja der kommt sowieso nach Hause, he. Ja, auf Wiederhören, Herr - eh Herr ... Heißen Sie eigentlich Iseli oder ISEL? Ah, Iseli - sonst hätte ich noch fragen müssen, ob er ein Grautier sei.
    Trrr ... trrr ... ja wahrscheinlich, mehr kann ich nicht im Kopf behalten.
    Ja, ja Telegrafenamt. Herr Meier. Ja, hab' ich auch schon gehört. Ja, was ist was? Ein Telegramm? - Warum? Wie? Aha, aha Ihr Freund ist gestorben. Ah, sehr gut, sehr gut...
    »Rudolf soeben gestorben, bitte heimkommen, Dein Schwa­ger«. Ist in Ordnung. Muß das ein Glückwunschtelegramm sein - so mit diesen Blümchen oben durch? Ah normal.
    Ja, der kann es auch so lesen. Ja, ja, das werden wir so durch­geben. Auf Wiederhören ...
    So jetzt, so jetzt, trrr ... trrrr ... das ist jetzt aber das letzte, das ich noch annehme.


    Ja, Telegrafenamt - Herr Dürrenmatt? - kenn ich nicht - ja halt! Bist Du etwa der von der letzten Reserveübung? Den wir in den Säulitrog geschmissen haben, he? Hehehe -
    Ja, ich notiere alles, ja. Wohin? »Schauspielhaus Zürich«. In Ordnung - ja und dann? »Ist die Meisel nächste Saison frei? Habe neues Stück auf Lager. Gruß Dürrenmatt.«


    Ist in Ordnung, jawohl, muß das auch ein Glückwunschtele­gramm sein? Nein, sonst hatten wir dann aus diesem Text einen Vers daraus gemacht.
    Nein, nein, das hätten wir schon übernommen. Ja, es können ja schließlich nicht alle Leute dichten.
    Ja, ah, Sie wollen es lieber in Prosa - Ausgezeichnet, dann werden wir für Sie alles so durch-eh-brosamen, he.
    So, jetzt muß ich einmal alles notieren, sonst gibt es eine Katastrophe - au! - da wäre ja ein zweiter Bleistift gewesen. Natürlich am dümmsten Ort.


    So, was haben wir jetzt alles gehabt?


    - Ja, ich glaube, ich beginne am besten von hinten. »Fünfzig Jahre stark und froh, Dürrenmatt mach weiter so«.


    »Ist die Meisel noch am Lager, sende Ziegel - Gruß Dein Schwager«.
    »An Regula in Lissabonn, bitte an Ostern zum doppelten Tarif«.


    Ja, es war noch etwas mit dem ... Aha ja, »Überraschung für Mami, bin soeben gestorben«.


    Ah, es war noch etwas, dort, das mit dem, das mit dem Quar­key, Quarkey - nimm ... ich Esel -


    ESEL? - Vier senkrecht!


    *


    (Aus: Meta Lepus: Der kleine Hasenbegleiter. Ein Osterbrevier. München Serie Piper 2615. 164-167)

    Kafkas Maus kriegte a posteriori gesagt:<br />...&quot;&#039;Du mußt nur die Laufrichtung ändern&#039;, sagte die Katze und fraß sie.&quot;<br />*<br />Das kann also jede(r) wissen; jede(r) Leser(in) z&#039;mind&#039;st.

    Einmal editiert, zuletzt von Antonius EY ()


  • Das lyrikmail kann übrigens wie eine Art newsletter täglich bezogen werden. Wer also jeden Morgen eines Werktages mit einem Gedicht beginnen möchte, kommt dabei sicher auf seine/ihre Kosten.


    Damit wünsche ich euch allen ein frohes Osterfest!


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Nachträgliche Nachrichten zur Osterzeit:
    (Text eines Nazi-Gedichts und gekürzter Entwurf einer Abiturklausur für Deutsch Gk)


    Heinrich Anacker: Deutsche Ostern 1933


    Hört ihr die Osterglocken
    Frohlocken?
    So haben wir noch zu keiner Frist
    Des Festes Sinn verstanden
    Wie heute ... Denn Deutschland selbst ist
    leuchtend auferstanden. :


    Hört ihr die Osterglocken
    Frohlocken?
    Auch Deutschland erlitt sein Golgatha,
    Und ward ans Kreuz geschlagen –
    Nun hat das Bittre, das ihm geschah,
    Herrliche Frucht getragen.


    Hört ihr die Osterglocken
    Frohlocken?
    Auch Deutschland hatte der Mütter viel
    Mit dem Schwert im blutenden Herzen –
    Nun läßt alte das österlich-hohe Ziel
    Vergessen alle Schmerzen.


    Hört ihr die Osterglocken
    Frohlocken?
    Auch Deutschlands Grab ist heute leer:
    Das Volk hat heimgefunden –
    Und war der Stein auch noch so schwer,
    Es hat ihn überwunden.
    Hört ihr die Osterglocken Frohlocken?
    So haben wir noch zu keiner Frist
    Die Botschaft tief verstanden –
    Denn Deutschland ist, wie der Heilige Christ,
    Leuchtend auferstanden!


    (Aus Heinrich Anackers nationalsozialistischem Gebetuch "Die Fanfare. Gedichte der deutschen Erhebung". München 1934. S. 112f.)


    Voraussetzungen zu den Abituranforderungen:


    Kenntnisse in der Analyse politischer Lyrik sind für die Lösung Grundvoraussetzung; die weiterführende Aufgabenstellung macht es noch nötig, dass Texte oder Tendenzen zur NS-Kulturpolitik bekannt sind, wie die Richtlinien es z.B. für die Jahrgangsstufe 13 vorschlagen. In diesem Zusammenhang müsste außerdem die Behandlung von Fragen der Wirkung und Rezeption von literarischen Texten geläufig sein.


    Literaturhinweise: A. Schöne: Über politische Lyrik im 20. Jahrhundert, Göttingen 1965.
    Biograf. Artikel zu H.A., in: H. Sarkowicz und A. Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Hamburg 2002. 71f.


    Zur Analyse:


    Zum Verfasser:
    H.A. (1901 - 1971) früher, begeisterter Wortführer der nationalsozialistischen Bewegung in Berlin; literarische Veröffentlichungen (besonders Gedichte), die politisch von der NSDAP ab 1931 gefördert wurde; der Dichterling galt als "fortschrittlicher" 'Lyriker der braunen Front'.


    Vorüberlegungen zur Interpretation:


    Drei Komplexe sind in der Analyse besonders zu berücksichtigen:
    - Das Stichjahr "1933" ist der Hintergrund im historischen Zusammenhang, auf den der Text direkt sich bezieht und der im Verstehen berücksichtig werden muss:
    - Das Heilswort "Ostern" nimmt einen bedeutsamen Begriff der christlichen Religion auf, der den Blick lenkt auf die Art der Verarbeitung christlicher Inhalte im Text
    - Die Bezugsgruppe "Deutsche" verweist hier als Adjektiv, dass das gemeinte und propagierte 'Ostern' in seiner religiösen Bedeutung national eingeschränkt verstanden werden soll (im Widerspruch zu einer christlichen Begriffsverwendung); die nationalsozialistische, rassistische Ideologie, die „Deutsch“ als bevorzugt gegenüber anderen Nationalitäten und sozialen oder religiösen Gruppen gemeint ist, tritt programmatisch hervor


    Zum historischen Kontext "Ostern 1933":


    - Ereignisse der gewaltmäßigen Etablierung der NS-Herrschaft als Ablösung der ersten deutschen Demokratie bis 1933 haben zuvor stattgefunden: Ostern 1933 fiel auf den 16. /17. April.
    - Vereidigung der Präsidialregierung Hitlers.
    - Aufhebung der verfassungsmäßigen Grundrechte (durch die propagandistische, polizeiliche und verwaltungsmäßige "Gleichschaltung").
    - "Ermächtigungsgesetz". Die Grundlage der unumschränkten NS-Gewaltherrschaft ist damit vorhanden.


    Der Text stellt gleich zu Beginn (nach direkter Ansprache - Frage - an die deutschen Zuhörer) heraus, dass die Gegenwart - d.h. der Zeitpunkt, den die Überschrift angibt und der in der 1. Zeile ("Osterglocken") herausgestellt wird - als geschichtlich herausgehobenes, einmaliges Ereignis ("noch zu keiner Frist") vorgestellt ist.
    Das machtpolitische „Heils-“Geschehen besteht darin, dass es einen besonderen Sinn und Handlung ermöglichen soll, das der Text mit der - für ihn charakteristischen Parallelisierung politischer und nationaler Vorgänge mit christlichen Traditionen umschreibt: die Besonderheit der Gegenwart besteht im als parallel gekennzeichneten Hinzutreten des nationalen, kämpferischen Aspekts zum überkommenen Osterfest:
    "Deutschland selber ist / leuchtend auferstanden".
    Diese nationale Intention ist der emotionale Kern, der Zustimmung, Begeisterung und weitere politische Druchseuchung durch Nachahmung und Akklamation und Paradieren und Kampf - in militärisch organisierter Nachfolge - provozieren soll.


    Die zentrale politische Intention, die hier „operativ-manipulativ“ befördert werden soll durch die Gleichsetzung der politischen Bewegung, die Hitler als „Revolution“ meinte und durchführte mit Gewalt, Geschrei und Lügen – ist der deutsche Faschismus, der die christliche Religion durch eine germanische Götterlehre ersetzen wollte. Hitlers Originalton, zu Anfang noch im kleinen Kreis vorgetragen: „Der christlichen Lehre setze ich mit eiskalter Klarheit die erlösende Lehre von der Nichtigkeit und Unbedeutendheit des einzelnen Menschen und sein Fortleben in der sichtbaren Unsterblichkeit der Nation gegenüber.“ (H. Rauschning: Gespräche mit Hitler. Zürich 1940)

    Goethe: „...wodurch wir uns abermals überzeugen, daß es eine allgemeine Weltpoesie gebe und sich nach Umständen hervortue; weder Gehalt noch Form braucht überliefert zu werden, überall, wo die Sonne hinscheint, ist ihre Entwicklung gewiß.“

  • Lesefunde: Überraschende Kunde zu einem Lieblingsthema..!


    *
    Ich bin so frei, mich hier zu "präsentieren..."! Ist das gestattet...?


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    :rollen:


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    OSTERSPAZIERGANG 2005


    Dass ein junges Kind vor einer einfachen Blume still stand und mit der Lust der ersten Jugend in ihren Kelch schaute und fragte. Warum blühen Blumen?
    Dann sprechen sie zu uns von dem, was sie träumen. Oder wir.
    Sagte mein Vater, ... mir; bevor er nicht wiederkam; im Frühjahr 1945...


    Die Dinge so zu sehen, wie sie sind, war Goethes Ideal. Können wir es je? Sind sie nicht alle längst gedeutet, erklärt, mit Deutungen und Wertungen beladen, fast darunter verschwunden? Es gehört eine eigene Geisteswendung dazu, um das gestaltlose Wirkliche in seiner eigensten Art zu fassen und es von Hirngespinsten zu unterscheiden, die sich denn doch auch mit einer gewissen Wirklichkeit lebhaft aufdrängen.
    Vor dem schneidenden Ostwind, der mich vor sich hertreibt, dass mich fröstelt, fliehe ich in den grau-trauten Wald. Hier kauern, an den Boden gedrückt, im morschen, braungrauen Vorjahrslaub, herrlich viele Anemonen, weiße Federflämmchen, „Erderschütterer“ sagte Benn, ein Mann, der für diese Blume nicht einen weiblichen Beinamen begriff.
    Traure ich: Feinblattgeburten der Kälte, einer alten, geheimnisvoll sich offenbarenden Motion gehorsam, existieren sie mit mir zusammen und ziehen neben sich die roten Stränge des Sauerklees, unbegreiflich zart, schütter wie der Erdmulch, in den sie ihre leicht wurzelnden Fädenwurzeln tauchen; meine Hand verschwendet keine Kraft, sie herauszuheben, kühler Hauch und leichtes Sprossen; sind der weiten Landschaft verschwistert, strömen ihren eigentümlichen Duft aus, ohne zu verschwenden: Sie gewähren keine fortstehlende Trunkenheit, und doch ist auch ihr Dasein ein zart schwebender Rausch. Der Ruhm des harmlosen Lebens strahlt von ihnen aus. Hier ist kein Gift gelegt, hier gehen Romeo und Julia (bevor sie dem verirrenden Trank verfielen). Hier dürfen auch die Eichelhäher laut werden. Harsch rasselt die Stimme der Wachsamkeit. Laut sind sie nur in der Einsamkeit des Innern. Im Vorraum zu meiner Welt hier, wo der Wald sich lichtet, sind sie listig und schweigsam im Wissen, wie gern man ihnen nachstellt, wie keck sie lärmen können. Das weinhefenfarbige Gefieder des Leibes, das Sammetschwarz von Schwingen und Schwanz und der intensiv blaue, schwarz-gebänderte Flügelfleck, welch überrealistisches Zusammenspiel des Azurnen mit dem Orphischen!
    Aber wie Nietzsche mit Fistelstimme nach dem Übermenschen rief, womit er den Menschen für sich als Retter meinte, so bedeutet »surrealistisch« nichts als eigentlich wirklich. Warum heben wir oft die Stimme; wie wir, sowohl am Objekt ermattet wie von seiner Übermacht gepeinigt, glauben, es erschöpft zu haben, und eines schneidenden Tones, einer schreienden Farbe der Sensation bedürfen.
    Das kalte, graue Auge des Hähers bedeutet nicht Freundschaft, auch nicht Feindschaft im Tier. Aber es deutet auf eine Qualität der Natur, die keine Vertraulichkeit duldet. Vieles hatten wir mit einer falschen Lieblichkeit behängt, so wie die Bezeichnung »Kinder- und Hausmärchen« den alten Mythen der Frauen des Volkes ihre Unerbittlichkeit nehmen sollte. Die große Poesie lebt aus dem Urgrund und duldet keime Abschwächung. Wir sind ihr heute wieder nahe, wie ihr das 18. Jahrhundert fern war, wenn es das notwendige Ende dies »Königs Lear« zu einem frohen Beisammensein umfälschte und den Taxus beschnitt, um dem wilden Wachstum zu entgehen. Alle Konventionen brachen, neue entstanden. Unter dem Hergebrachten leiden alle Künste. Es glaubt jeder, richtig zu sehen, wenn er das Alte, scheinbar Wohlbekannte in den Bildern findet. Aber jener Schauer desorganisiert; erst, um zu organisieren. »Niemand mag lesen als das, woran er schon einigermaßen gewöhnt ist.« Gegen diese Gewöhnlichkeit des Gewohnten richtet sich die immer junge Kunst. Hier muß jeder sich wagen und entscheiden, ob er neu lese, neu sehe, welche Bereicherung an Wirklichkeit, das heißt an Wirksamkeit, er erfahre. Niemand darf sich bequem auf »Natur« berufen.
    Als ein französische Maler einem General seine Bilder erläuterte, überzeugte er diesen so wenig, dass sein Besucher sich immer wieder auf die Frage zurückzog, wo bei solchen Bildern eigentlich die Natur bleibe; sie sei doch getötet. „Die Natur, mein General“, erwiderte der Künstler im liebenswürdigsten Ton, „die Natur, das ist einfach eine Hypothese“. Der Meister hätte sich auf Kant berufen können, »dass die Natur an sich nichts ist als ein Inbegriff von Erscheinungen, mithin kein Ding an sich, sondern bloß eine Menge von Vorstellungen des Gemüts«. Und so begnüge oder vergnüge sich das Modell, dem Künstler als Idee der Vollendung zu dienen.
    Bin ich abgeirrt von Goethes waldlichtem Ideal? Aber jetzt handelt es sich um den Gehalt, und »den findet nur der, der etwas dazu zu geben hat«.
    Dieses Etwas kann ich nicht besser bezeichnen als eine intensive Parteilichkeit der Empfindung. Ob den Klassiker Goethe ein Picasso erschreckt hätte, wie ihn Beethoven und Kleist erschreckten? Auf jeden Fall würde er sich ihm in der Intensität des Wachstums, des Aneignens vereint empfunden haben. In einem reizenden Aufsatz las ich von dem französischen Maler über Picassos mythische Kunst: „Wenn der griechische Hauptgott der Vielgottheiten zu seinem Samungsvergnügen sich in einen Stier, einen Schwan oder in einen sametnen Goldregen zu verwandeln vermochte, so braucht er keineswegs auf ewig in den Formen dieser Figuren seiner eigenen Zauberei gefangen zu bleiben. Er zeugt, er sinniert, was Künstler zeugen. Er schafft sein Werk, ohne jemals zuzulassen, dass in der Darstellung eines Gegenstandes dessen ganze Realität enthalten sei.“
    Die ganze Realität? Auch ich vernahm nur einen Teil, da ich, Ostern entgegen, durch die Wälder und en Höhenweg durch den Pärde-Redder strich, an dem Hainbuchengebüsch, den Dornhecken entlang, die mit grünen Spitzen, frühlingsnah und aufbruchbereit standen, durch die Anemonenflecken wie Wieschen, weiße Flocken, von paarungsbereiten Rotkehlchen umsungen, wo der Wind schwieg, am Kanal entlang, wo die Brassen sich zum Laichen sammelten. Ewiges Paradox, dass wir, das Ganze zu erfahren, an das Einzelne gebunden sind, dass wir - gefesselt in der Anschauung - frei und bilderstark zu sein wünschen.