Christiane und Goethe

  • Hallo zusammen,


    nein, nicht das gleichnamige Buch von Sigrid Damm steht hier zur Diskussion, das in diesem schönen und angenehmen Forum sicher auch schon vorgestellt und diskutiert wurde.


    Vielmehr geht es mir hier um die Ehe zwischen Goethe und Christiane Vulpius, die seit 1788 als Lebensgemeinschaft bestand und der 1806 die offizielle Trauung folgte. 1816 verstarb Christiane nach kurzer und sehr schwerer Karnkheit.


    Was mich schon immer ein wenig irritierte, gleichzeitig aber auch faszinierte, ist die Festellung, was den größten Dichter und Denker seiner Zeit, J.W. von Goethe, veranlasst hat, sich eine Lebenspartnerin zu suchen und zu finden, die eigentlich weit unter seinem geistigen und kulturellen Niveau war. Ich bitte jetzt, nicht auf die anderen eventuell hinlänglich bekannten Qualitäten zu verweisen, welche die Fanstasie der Männer zu erregen weiß. Letztlich dauerte diese seltsame Beziehung doch immerhein 28 Jahre. Eine Bettgeschichte war es also sicher nicht.


    Was meinen die anderen Forenteilnehmer, welche Gründe mögen Goethe bewogen haben, diese fast drei Jahrzehnte dauernde Verbindung einzugehen?


    Etwas ratlos
    Leila

  • Zitat von "Leila Parker"


    Was meinen die anderen Forenteilnehmer, welche Gründe mögen Goethe bewogen haben, diese fast drei Jahrzehnte dauernde Verbindung einzugehen?


    Hallo Leila,


    vielleicht war es für diesen fast ständig mit Denken und Dichten geistig sehr beschäftigten Mann einfach wichtig und erholsam, sich bei einer einfachen, praktisch veranlagten und vielleicht auch warmherzigen Frau auszuruhen.
    Die meisten Zeitgenossen verstanden die Verbindung damals nicht. Aber dieses Phänomen ist so selten nicht.


    Liebe Grüße,
    Gitta

  • Hallo Gitta,


    für diese These spricht viel, gibt es in der Geschichte doch viele gleiche Verbindungen wie z.B. zwischen Otto von Bismarck und seiner Frau u.v.a.


    Aber bei Goethe wundert es mich doch sehr. Nun, ich werde doch das Buch von Sigrid Damm "Chrstiane und Goethe" demnächst lesen müssen.


    Liebe Grüße
    Leila


    P.S. Habe mir gerade deine Farbradierungen angeschaut. Ich bin begeistert. Deine Arbeiten gefallen mir sehr gut. :smile:

  • Hallo zusammen!


    Christiane,

    Zitat von "Leila Parker"

    die eigentlich weit unter seinem [sc. Goethes] geistigen und kulturellen Niveau war.


    Mal anders gefragt: Wer - Männlein wie Weiblein - war denn in der näheren und weiteren Umgebung Goethes auf seinem Niveau?


    Schiller, sicherlich. Doch der kam erst später in Goethes Nähe und war in Bezug auf Goethes Lebenszeit schon fast nur episodisch.


    Der Herzog spielte lieber mit Soldaten und Schauspielerinnen.


    Die Stein glaubte es wohl zu sein, war aber m.E. intellektuel wie gefühlsmässig weit zurück.


    Seine Jugendfreunde hatte Goethe ebenfalls hinter sich gelassen; die meisten waren sowieso am Leben gescheitert. Mit Ausnahme des russischen Generals Klinger hat er m.W. auch keinen mehr getroffen bzw. treffen wollen.


    Herder war ein ungeheuer komplizierter und anstrengender Charakter. Die Freundschaft der beiden war seit längerem wohl nur noch nominell.


    Mit Wieland war das Verhältnis freundschaftlich-distanziert, wobei die Betonung wohl auf "distanziert" zu legen ist.


    Den Philosophen Fichte hat Goethe letzten Endes so wenig verstanden wie dessen Kollegen Hegel. Die Schlegels waren sowieso nur ein kurzfristiges Feuerwerk; ihre Haltung zu Goethe war mehr verehrend als anderes.


    Am ehesten hätte wohl Anna Amalia noch Goethes Niveau gehabt, aber da waren die Standesunterschiede halt dann doch zu gross.


    Der Rest der weimar-jenaischen High Society war eh nicht berauschend; warum also kein Kind aus dem Volk? Abgesehen davon lag dies Goethe wohl auch so nahe. Es ist ja bezeichnend, dass Goethes beste Freunde im reifen und späten Mannesalter (von Schiller abgesehen - dieses Verhältnis war ein besonderes) relativ bescheidene Gestalten waren wie der Kunscht-Meyer oder Zelter. Last but not least gehört m.E. hierhin auch Goethes völliges Verkennen kongenialer Autoren wie Kleist, Hölderlin, Jean Paul.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,
    hallo zusammen,


    natürlich hast Du, lieber Sandhofer, in Bezug auf Goethes geistiges Umfeld völlig recht, aber mir geht es eigentlich nur um seine Beziehung zu Christiane.


    Nun habe ich gestern noch gelesen, dass Goethe sich durchaus ordinärer Umgangsformen bedient und ebensolche Gespräche im kleineren Kreis geführt haben soll. Mir eröffnet sich da ein vielleicht ganz anderer Goethe als er mir hinlänglich bekannt war. Interessant.


    Liebe Grüße
    Leila

  • Hallo Leila, hallo zusammen,


    Deine Frage finde ich so spannend, dass ich zwischenzeitlich (bei dieser doch etwas sonderbaren Verbindung ist ein wenig literarischer Voyeurismus bei mir nicht abzustreiten :breitgrins: ) ein wenig in meiner Goethe-Biografie stöberte. Es ist die von Richard Friedenthal, Goethe, Sein Leben und seine Zeit, Piper Verlag München u. Zürich. Diese Biografie wird allgemein als sehr zuverlässig beschrieben und sie gilt als Standardwerk.
    Darin wird an einer Stelle versucht, dieses in der Weimarer Gesellschaft abgelehnte und diffamierte Verhältnis zu durchleuchten. Da heißt es:


    Seine Ehe ist eine Beziehung, die nicht nur den Weimarern Philistern fragwürdig erscheint. Er selber hat sie …..als schwere, fast lebensbedrohende Fessel empfunden. Seine Anhänglichkeit an die Gefährtin bleibt bestehen…..Trotz ist dabei, auch Dankbarkeit für treue Pflege, mutige Haltung im Notjahr und einfache Gewöhnung. Erträglich ist das Verhältnis nur, weil er sich jede Freiheit nimmt. Christiane nimmt das geduldig hin.


    Also auch hier eine merkwürdige Ambivalenz.
    Mit „Notjahr“ ist die Anwesenheit Napoleons in Jena gemeint. Leila, Du hast auf die gar nicht so gebildete Konversation hingewiesen, diesbez. fand ich folgende Aussage:


    …..die ganze innere Roheit der hochkultivierten Gesellschaft bricht zuweilen aus…..Der Oberforstmeister Nordheim sagt auf der Redoute zu Goethe: „Schick dein Mensch nach Hause! Ich habe sie besoffen gemacht!


    Tja, die feine Gesellschaft! Dann wieder:


    Um die Meinung der Weimarer Gesellschaft hat sich Goethe aber überhaupt nicht gekümmert….


    Etwas weiter:


    Aber er lässt sie doch immer wieder allein.Wenn Gäste kommen, isst sie nicht mit bei Tisch……, nur Vertraute bekommen sie zu sehen.
    Ein Landgut wird erworben…….das Bemühen Goethes, für Christiane eine etwas angesehenere und gehobenere Position zu schaffen.


    Dann schließlich die räumliche Trennung:


    So zieht er sich, vor allem wenn er arbeiten will………nach Jena zurück in eine Art Junggesellenwirtschaft. Christiane hat von Weimar her für Zufuhr an Lebensmitteln zu sorgen und darf auch gelegentlich einmal zu Besuch kommen.


    Soweit einige Auszüge. Letztendlich erklären alle diese Zitate nicht, warum Goethe bei dieser angeblich nicht zu ihm passenden Frau blieb.


    @ Sandhofer: Es gab vielleicht eine Frau im Umfeld des Dichterfürsten, die er als geistig oder bedingt literarisch ebenbürtig betrachtet. Ich meine Marianne von Willemer, die „Suleika“. Ihre Gedichte im West-Östlichen Divan befinden sich nach Meinung von Biografen (z. B. auch der von Friedenthal, S. 512) und meiner bescheidenen auf der gleichen poetischen Höhe wie diejenigen von Goethe selbst.


    Liebe Grüße,
    Gitta

  • Hallo Gitta,


    deinen Beitrag habe ich mit großem Interesse gelesen und komme immer mehr zu der Überzeugung, daß ich meine Vorstellungen über den Goethe meiner Schulzeit korregieren muß. Auch die wenigen Biografien, die ich über Goethe gelesen habe, waren zumeist eine einzige große Lobhudelei bezüglich des Dichterfürsten.


    So lese ich wieder in dem schon mehfach erwähnten Buch von Ludwig Raschdau:


    "17. November 1895. Weimar. Wie mir der Geheime Hofrat Ruhland erzählt, der Berater der Großherzogin in allen Goethefragen, liegen hier im Archiv noch manche Schätze von und über Goethe, die die hohe Frau
    unter Siegel, als nicht druckfähig hält. So sind doch manche Dinge vorhanden, die den Leser erschrecken würden. Goethe hat mit Wieland und einem Dritten, dessen Name mir entfallen, sich Scherze geleistet, die um die Wette sich in Priapeen überboten. Auch sind von Goethe Zeilen vorhanden, in denen er sich über religiöse Gegenstände abfällig äußert, so z.B. über die drei großen Religionsschöpfer Moses, Christus und Mohammed."


    Sigrid Damms "Christiane und Goethe" werde ich mir zur Pflichtlektüre machen.


    Liebe Grüße
    Leila

  • Zitat von "Leila Parker"

    Was meinen die anderen Forenteilnehmer, welche Gründe mögen Goethe bewogen haben, diese fast drei Jahrzehnte dauernde Verbindung einzugehen?


    Etwas ratlos
    Leila


    Liebe! Ich denke für Goethe wäre kein anderer Grund in Frage gekommen, mit einer Frau zusammen zu leben.


    Fast sicher
    Hubert

  • Zitat von "sandhofer"

    Mal anders gefragt: Wer - Männlein wie Weiblein - war denn in der näheren und weiteren Umgebung Goethes auf seinem Niveau?


    Schiller, sicherlich.


    Schiller sicher, aber da weder Schiller noch Goethe schwul waren und homosexuelle Ehen damals kein Thema :breitgrins: warum hätten die beiden den heiraten sollen? Ich hätte an Goethes Stelle auch lieber die Vulpius genommen, als Schiller!


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "Gitta"

    @ Sandhofer: Es gab vielleicht eine Frau im Umfeld des Dichterfürsten, die er als geistig oder bedingt literarisch ebenbürtig betrachtet. Ich meine Marianne von Willemer, die „Suleika“. Ihre Gedichte im West-Östlichen Divan befinden sich nach Meinung von Biografen (z. B. auch der von Friedenthal, S. 512) und meiner bescheidenen auf der gleichen poetischen Höhe wie diejenigen von Goethe selbst.


    Hallo Gitta,


    in Goethes Leben gab es viele Frauen, die annähernd zu ihm gepasst hätten. M.M.n. keine so gut wie die Vulpius. Wenn es aber eine gab, die überhaupt nicht zu ihm passte, dann Marianne von Willemer: Was bitte hätte der alte Mann mit dem kleinen Mädchen anfangen sollen?


    Dass die Gedichte der "Suleika" im Divan so sehr auf Goethes Höhe sind, was m.M.n. unverkennbar ist, liegt möglicherweise nur daran, dass alles von Goethe stammt, eine Gunst, die der alte Dichter der jungen Frau gewährte, wer weiß welche Gunst Marianne Goethe gewährte, dass er sie unsterblich machte?


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "Hubert"


    in Goethes Leben gab es viele Frauen, die annähernd zu ihm gepasst hätten. M.M.n. keine so gut wie die Vulpius. Wenn es aber eine gab, die überhaupt nicht zu ihm passte, dann Marianne von Willemer: Was bitte hätte der alte Mann mit dem kleinen Mädchen anfangen sollen?


    Hallo Hubert,


    in dieser Hinsicht kann ich Deine Bedenken zerstreuen Es gibt zahlreiche ältere Herren, die mit kleinen Mädchen etwas "anfangen" können.:zwinker: : Goethe war 65, Marianne v. Willemer 30, als sie sich kennenlernten, also wahrhaftig kein kleines Mädchen mehr. Solche Altersunterschiede kenne ich in meinem Bekanntenkreis etliche, darunter sehr gute Verbindungen, auf jeder Ebene menschlichen Zusammenlebens. Zudem sah Goethe auch in älteren Jahren noch passabel aus, und Marianne wird als etwas "füllig" beschrieben, genau wie Ch. Vulpius. Friedenthal schließt in seiner Biografie eine erotische Anziehungskraft beider jedenfalls nicht aus. Und als noch älterer Mann hat sich Goethe ja nochmal unsterblich verliebt - in die neunzehnzehnjährige Ulrike, die er sogar heiraten wollte!
    Wenn Du weiter unten von "Gunst" sprichst, die Marianne dem Goethe vielleicht gewährte, widerlegt das Deine These vom alten Mann, der mit ihr nichts hätte anfangen können.


    Zitat

    Dass die Gedichte der "Suleika" im Divan so sehr auf Goethes Höhe sind, was m.M.n. unverkennbar ist, liegt möglicherweise nur daran, dass alles von Goethe stammt, eine Gunst, die der alte Dichter der jungen Frau gewährte, wer weiß welche Gunst Marianne Goethe gewährte, dass er sie unsterblich machte?


    Auch da kann ich mich nur auf die Biografen berufen, die meinen, einige Gedichte im Divan seien von Marianne. Die Literaturgeschichte spricht gar vom "Mariannen-Geheimnis", von Chiffre-Briefen der beiden, dies alles läßt unsere Phantasie blühen.
    Deine Vermutungen können genau so richtig sein, vielleicht hast Du auch neuere Forschungsergebnisse. Wenn Du Recht hast, wäre es einer der schöneren Charakterzüge Goethes.


    Grüße,
    Gitta


    P.s. Deiner Meinung, daß Goethe aus Liebe die Verbindung (von Zusammenleben kann zeitweise keine Rede sein) zu Christiane aufrecht erhielt, stimme ich zu. Obwohl oder gerade weil Goethe mit dieser Liebe viel Schindluder trieb. Liebe hat ihre eigenen Gesetze. :smile:

  • Zitat von "Gitta"


    in dieser Hinsicht kann ich Deine Bedenken zerstreuen Es gibt zahlreiche ältere Herren, die mit kleinen Mädchen etwas "anfangen" können.:zwinker: : Goethe war 65, Marianne v. Willemer 30, als sie sich kennenlernten, also wahrhaftig kein kleines Mädchen mehr.
    ...
    Wenn Du weiter unten von "Gunst" sprichst, die Marianne dem Goethe vielleicht gewährte, widerlegt das Deine These vom alten Mann, der mit ihr nichts hätte anfangen können.


    Hallo Gitta,


    Goethe war mit 65 m.M.n. schon ein alter Mann, aber Marianne - da hast Du natürlich Recht, war mit 30 sicher kein kleines Mädchen mehr, da habe ich mich vertan, danke für den Hinweis.


    Was die "Gunst" betrifft - vielleicht haben wir beide da jeweils an etwas anderes gedacht? Frauen können m.M.n. viele Arten von Gunst gewähren -


    Liebe Grüße von Hubert