Fontane: E s k r i b b e l t und w i b b e l t w e i t e r

  • Wer hat Lust zur Interpretation....:


    Fontane – mit einem eigenartig „aktuellen“ Text – über Menschenvernichtung durch „Flut“ und Rettung am Berge „Ararat“ - und über den Überlebenswillen der Menschen:


    Theodor Fontane:
    Es kribbelt und wibbelt weiter


    Die Flut steigt bis an den Arrarat,
    Und es hilft keine Rettungsleiter,
    Da bringt die Taube Zweig und Blatt -
    Und es kribbelt und wibbelt weiter.


    Es sicheln und mähen von Ost nach West
    Die apokalyptischen Reiter,
    Aber ob Hunger, ob Krieg, ob Pest,
    Es kribbelt und wibbelt weiter.


    Ein Gott wird gekreuzigt auf Golgatha,
    Es brennen Millionen Scheiter,
    Märtyrer hier und Hexen da,
    Doch es kribbelt und wibbelt weiter.


    So banne dein Ich in dich zurück
    Und ergib dich und sei heiter,
    Was liegt an dir und deinem Glück?
    Es kribbelt und wibbelt weiter.
    *
    (E.: 1885 - Juni 1888)


    *
    Wer hat Lust, sich zu äußern mit Hinweisen, mit einer Interpretation…?


    Angaben:


    (Als ED in: „Zur guten Stunde“. Bd.3, 1889, NA, Sp.23 [Oktober 1888]; dann in den Bänden „Gedichte“ 1889, 1892, 1898.)
    Im DL/SNM Marbach befinden sich eine Disposition und zwei Entwürfe zu diesem Gedicht. Die Disposition (Tinte) lautet:
    1. Strophe. Noah. Die Welt ist weg. Da sieh, sie ist wieder da. Die Taube fliegt. »Und es kribbelt und wibbelt weiter.«
    2. Strophe. Christus. Ein Gott wird gekreuzigt, der Tempelvorhang zerreißt »und es kribbelt und wibbelt weiter«.
    3. Strophe. Hunger, Krieg, Pest. Die apokalyptischen Reiter, »es kribbelt und wibbelt weiter«.
    4. Strophe. Du kleines Ich. Was bist du? was klagst du? Begreife dein Nichts, sei heiter, »es kribbelt und wibbelt weiter«. Dein Ich ist nicht. Sei heiter. Es kribbelt und wibbelt weiter.


    Am Rand der Disposition Fontanes (und zwischen den Zeilen): Entwürfe für den Text mit Bleistift und Tinte (mit Tinte korrigiert).


    So lauten in dieser ersten Niederschrift:
    2,3 Aber die Lust am Leben sich nicht bannen läßt
    3,2 Der Blutstrom (korrigiert aus: Und das Blut) strömt tiefer und breiter / Doch alles als ob nichts geschah
    4,1 Banne allen Gram in dich zurück. - Der korri­gierte Entwurf weicht nur in 2,1 (Es ziehn in Geschwadern von Ost nach West) von der ersten Niederschrift auf dem Einzelblatt ab.


    In diesem Entwurf (Tinte) folgende Korrekturen: (mit Tinte) 2,1 nie rastend über gestr.: ewig 3,2 Millionen über gestr.: zehntausend; (mit Bleistift) 2,1 sicheln und mähen AV zu: ziehen, nie rastend; die AV 1,1 (stieg zu:steigt), 1,2 (half zu hilft), 2,3 (Und doch zu: Aber), 3,2 (Nun zu: Es) hat Fontane gestrichen bzw. für D nicht übernommen; ebenso nahm er die Korrektur in 1,2 (Es korr. aus: Und es) zurück und strich die Einfügungen in 3,3 (Für vor Märtyrer und für vor Hexen).


    Anmerkungen:

    *„Es kribbelt und wibbelt“: Nach Heinz Hölleke (Wirkendes Wort. Düsseldorf, Juli/August 1985) geht die Formulierung auf »Der Sächsische Prinzenraub« aus »Des Knaben Wunderhorn« und auf ein Guckkastenlied (abgedruckt bei Büsching und von der Hagen: „Sammlung deutscher Volkslieder“. 1807, S. 55 f.) zurück; letzteres lieferte auch die Verknüpfung mit der Arche Noah.
    Die 5. Strophe des Guckkastenliedes lautet:
    Auk die Arche Noah soll
    Sick hier präsentiere;
    Kribbli, wibbli, alles voll
    Von vierfüßke Thiere;
    Paar und Paar marschier sick ein,
    Auk faulest die auf zwei Bein,
    Die Familie Noah.


    * „Arrarat“(F.s Schreibweise): Ararat: Erloschener Vulkan im Hochland von Armenien; nach der falsch interpretierten Bibelstelle (1. Mose 8): Berg Noahs, auf dem die Arche landete. Noah hatte eine Taube ausgeschickt; als sie mit einem Ölblatt zurückkehrte, erkannte er, daß die Sintflut beendet war.


    * „apokalyptische Reiter“: Nach N.T., Offenbarung Joh. 6: die personifizierten, galoppierenden Menschengeißeln: Krieg, Hunger, Pest und Tod.
    *
    (Text, Angaben und Anmerkungen nach: Th. F.: GBA. Gedichte. Bd. 1. Aufbau-Verlag. 1995. S. 42; 460f.)

    Kafkas Maus kriegte a posteriori gesagt:<br />...&quot;&#039;Du mußt nur die Laufrichtung ändern&#039;, sagte die Katze und fraß sie.&quot;<br />*<br />Das kann also jede(r) wissen; jede(r) Leser(in) z&#039;mind&#039;st.

    Einmal editiert, zuletzt von Antonius EY ()

  • INTERPRETATION VON KUNERT
    zu Fontanes Gedicht "Es kribbelt...":


    GÜNTER KUNERT: FONTANE - MISANTHROPISCH


    Zur menschlichen Hybris gehört es ganz offenkundig, kollektive Erfahrungen weder zweckdienlich vermitteln noch als Lehre nutzen zu können. Eine Tatsache, gegen die sich unser Verstand sträubt, da wir uns unzweifelhaft für vernünftige Wesen halten und diese Selbstüberschät­zung mit allen irrationalen Mitteln zu verteidigen pflegen. Manchmal jedoch läßt sich die trostlose Wahrheit unserer genetisch bedingten Beschränktheit nicht wunschgemäß verheimlichen. Irgendeiner kommt und lüftet den Schleier über dem verdrängten Faktum. Unerwarteterweise hat dies ein Autor getan, dem eher die Bezeichnung human, gar humanistisch angeheftet worden ist: Theodor Fon­tane, der Erzähler einer Berlinschen und märkischen Klein weit. In diesem kaum bekannten Gedicht erweist er sich als resignativer Misanthrop - falls man gewillt ist, eine desillusionierte Anschauung der Menschheit so zu benen­nen.
    Was während der Epoche noch den glaubhaften Schein ei­ner hoffnungsträchtigen Entwicklungsfähigkeit besaß, ist hier mit dem Neutrum »Es« schon radikal disqualifiziert. Dieses »Es« reduziert das Gemeinte, Menschheit eben, auf seinen rein organischen Charakter, der jedoch durch die entsprechenden Verben »kribbeln« und »wibbeln« as­soziativ in Bezug zum Insektenbereich, zum Ameisenhau­fen gesetzt wird. Unter diesem Aspekt erweist sich Ge­schichte, wie andeutungsweise in den ersten drei Strophen dargestellt, als die totale Sinnlosigkeit. Fontane wird hier plötzlich dem Vorläufer und Geistesverwandter des Philo­sophen Theodor Lessing, dessen Werk »Geschichte als Sinngebung; des Sinnlosen« wie die spätere theoretische Bestätigung der Fontaneschen Verse gedacht wirkt.
    Fontane, auf einer Lese-Reise im Jahr 1989, würde gewiß die berüchtigte Frage zu hören bekommen, wo denn das Positive bleibe und ob denn sein Pessimismus nicht weit­hin Lähmung verbreite und zum Suizid anstifte. Dann müßte er wohl erwidern, daß, selbst wenn eine winzige Minorität solche Konsequenzen) aus den unbestreitbaren Einsichten zöge, die Mehrheit dennoch weiterkribbeln und -wibbeln würde. Er könnte zum Beispiel darauf hin­weisen, daß nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges so­gar fünfzig Millionen Menschern mehr auf der Erde exi­stierten als zuvor und daß gegenwärtig, trotz global sinkender Lebens- und Umweltqualität, bereits die Sechs-Milliarden-Grenze überschritten sei, ohne daß ein Einhalten des Kribbelns und Wibbelns abzusehen wäre. Und, Herr Fontane, was unternehmen Sie gegen diese heraufziehende Katastrophe? Wie kämpfen Sie dagegen an?
    In der letzten Strophe nennt der Schriftsteller sein Credo, das nun auch nicht gerade ermutigend klingt und die Leser enttäuschen muß. Es ist nämlich die Forderung nach dem Verzicht auf Individualität, auf individuelles Dasein: Man habe sich selber zurückzunehmen und sich ins doch offen­kundig Unabänderliche zu schicken. Erst wer die Waffen in diesem sinnlosen Kampf streckt und kapituliert, wer sich mit den unveränderlichen Gegebenheiten abfindet, fände zu einer ruhigen Heiterkeit. Ein uraltes Rezept, das wir bereits bei Marc Aurel in den »Selbstbetrachtungen« nachlesen können, wo es heißt: »Zieh dich in dich selbst zurück! Die in uns zur Herrschaft bestimmte Vernunft ist darauf angelegt, ihr Genügen in sich selbst zu finden, wenn sie das Rechte tut und dabei Frieden in ihrer Seele hat.« Und fernerhin: »Es ist sinnlos, dem Schicksal zu grollen; denn es nimmt keine Klagen an.« Aber Fontanes Gedicht schließt nicht mit billigem Trost, mit einer Flucht zu metaphysischen Mächten. Obgleich es die Frage nach dem persönlichen Glück mit verneinendem Unterton formuliert, bleibt die Frage dennoch zur Beant­wortung dem Leser überlassen. Und die allerletzte, refrainartige Zeile enthält den Stachel der Beunruhigung, weil sie den Blick nicht von den Termiten lassen kann, mit denen wir identisch geworden sind.
    *
    (Aus: Frankfurter Anthologie. Bd. 4. S. 295ff.)


    Meine Meinung:
    Nein, Fontane ist auch angesichts von Flutkatastrophen nicht destruktiv-melancholisch; er nimmt solche Menschheitskatastrophenthemen auf, ist mitteilsam über Umstände, Befürchtungen, auch hoffnungsvoll in Bezug auf das Leben der Mesnchen, das weiterging, seit der Frühgeschichte, wie sie im jüdischen AT aufgezeichnet ist.
    Sein religiös wacher Blick geht auch über - als Ausgaben aus dem A.T. - zur nächsten religionsgeschichtlichen Station – der Begründung des Christentums durch die Kreuz-Akklamation Christi, sein Urteil fällt hier etwas despektierlicher aus.
    Er denkt an christlichen Entgleisungen - parallel zu den Fluten der Natur - nennt er sie: Mördereien an "Märtyrer" und "Hexen" - wobei er keine Schuldzuweisungen vornimmt, aber er fordert uns dazu heraus - wenn wir schon den "Gott" glauben, der - lange vor seiner Ermorderung - die "Zehn Gebote" der alten Juden ehrte und weiterempfahl und zwei neue verkündet: Nächstenliebe und Feindesliebe. Vermächtnisse des Pazifismus...
    Auf dieser christlich-religiösen Ebene vermag Fontane ehrlichen Herzens nicht an Gerechtigkeit, Glück, Freiheit, Ewigkeit und Gottes Frieden zu denken.
    Er empfiehlt uns - lediglich - realistisch-angemessen - Heiterkeit in der Ergebung.

    Kafkas Maus kriegte a posteriori gesagt:<br />...&quot;&#039;Du mußt nur die Laufrichtung ändern&#039;, sagte die Katze und fraß sie.&quot;<br />*<br />Das kann also jede(r) wissen; jede(r) Leser(in) z&#039;mind&#039;st.

  • Eine zweite Interpretation:


    Werner Weber:


    Interpretation zu Fontanes „Es kribbelt und wibbelt weiter“



    Es gibt Gedichte, die sagen alles, was gesagt sein soll. Und es gibt andere Gedichte, die verschweigen das meiste; oder besser: sie setzen es voraus, tippen es nur an, mit einem Wort, mit einer Wendung - das Gedicht wird zur Kurzmeldung, hinter welcher große Geschichten mitlauten; es wird zur Unterhaltung zwischen Gleicherfahrenen, zwischen Weggenossen, die sich auf einen Wink hin verstehn, weil sie dieselbe Gegend durchwandert haben und nun wissen, was dort links und rechts geschah. Gegend des Geistes, des Glaubens, des Zweifels und der Hoffnung. Um solche Gedichte erfassen und im Erfassen genießen zu können, ist Besinnung nötig. In dem Gedicht «Es kribbelt und wibbelt weiter» besinnt sich ein Weggenosse und kommt durch das Besinnen zu einem Schluß. Zu wem redet er? Zum Gefährten, zu mir, zu dir? Oder ist er sich selber Gefährte und spricht sich selber zu? Selbstgespräch? Zwiegespräch? Wohl das eine im andern versteckt, und so wird der Schluß, wird die Folgerung, wird die Belehrung höflich - denn ich kann sie für mich oder für den ändern gelten lassen; ich bin frei vor den Folgen dieser Unterhaltung.


    Der Dichter, der da spricht, ist kein Moralberserker. Aber woher weißlich das? Wo steht es in dem Gedicht? Es «steht» in der Art, wie der Dichter spricht: beiläufig, gewöhnlich, dem Boden nach. Er plaudert sich am Großen, Schrecklichen, Er­habenen vorbei - «Ararat», «apokalyptische Reiter», «Gol­gatha» ; und wenn der Geist und die Seele an die Arbeit wol­len, um das Große, das Schreckliche, Erhabene zu fassen, dann sind sie schon im Zerstreuungsrefrain «Es kribbelt und wib­belt weiter». Vor dieser Sprache bin ich frei. Und so geschieht dann bei solchen Gedichten das Merkwürdige: Man drängt sich ihnen auf, weil sie sich selbst einem nicht aufdrängen - die listige Gleichgültigkeit ihrer Worte zieht uns an wie die listige Spröde einer Schönen.


    «Die Flut steigt bis an den Ararat.»


    Das Dichten und Trachten der Menschen war bös. Es reute den Schöpfer, «daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden»; er wollte sie wieder vernichten und mit ihnen alles Vieh, alles Gewürm und die Vögel unter dem Himmel. Nur Noah war ersehen, die Vernichtung zu überdauern, Noah mit seiner Sippe und mit ihm «allerlei Tiere von allem Fleisch, je ein Paar .. . daß sie lebendig bleiben bei dir». Auf Geheiß des Schöpfers wurde die Arche gebaut, dreistöckig, mit vielen Kammern; die Fugen der Schiffswand strich Noah zu mit Pech; oben blieb ein kleines Fenster offen. Die Tür zur Arche war in der Mitte einer Längsseite; da hindurch ging; Noah mit den Seinen und mit dem erwählten Getier, als der Regen einsetzte; «und der Herr schloß hinter ihm zu». Vierzig Tage und vierzig Nächte fiel der Regen. Das Wasser stieg »und überstieg die Gebirge. «Also ward vertilgt alles, was auf dem Erdboden war.» Als das Wasser zurückging, ließ sich die Arche nieder auf dem Gipfel des Berges Ararat. War die: Erde in den Tiefen schon frei und trocken? Noah ließ ein«en Raben aus der Luke fliegen; aber der meldete ihm nichts. Er ließ eine Taube wegfliegen; sie kehlte zurück, «denn das Gewässer war noch auf dem ganzen Erdboden». Nach sieben Tagen sandte er abermals eine Taube aus - und: «Die kam zu ihm zur Abendzeit, und siehe, ein Ölblatt hatte sie abgebrochen und trug's im Munde.» Die Erde, der Lebensort wird wieder offen sein. Gott setzt den Regenbogen in die Wolken: Zeichen des Bundes zwischen Gott und der Erde.
    Vorher fiel das Wort: «Seid fruchtbar und mehret euch und reget euch auf Erden ...» - Und wie schließt die erste Strophe des Gedichts? «Es kribbelt und wibbelt weiter.»

    «Es sicheln und mähen von Ost nach West / Die apokalyptischen Reiter.»


    - Das Lamm öffnet die Siegel am Buch der göttlichen Ratschlüsse. Beim Lösen des ersten Siegels erscheint der Reiter auf dem weißen Pferd, mit Bogen und Krone; er ist das Gleichnisbild für den Sieger, den siegreichen Christus. Beim Lösen des zweiten Siegels der Reiter auf dem roten Pferd mit großem Schwert; beim Lösen des dritten der Reiter auf dem schwarzen Pferd, die Waage in der Hand; zuletzt der Reiter auf dem fahlen Pferd - es sind die Gleichnisbilder für die drei Strafengel, für den Krieg, für die Hungersnot und den Tod; dem ersten ist gegeben, «den Frieden zu nehmen von der Erde und daß sie sich untereinander er­würgten»; und der Name des dritten ist «Tod»; «die Hölle folgte ihm nach». - Der Dichter wird bei seiner Arbeit aber nicht nur den Bericht aus der Offenbarung des Johannes ge­genwärtig gehabt haben, sondern auch die von der Apoka­lypse angeregten Bildberichte der Kunst; denjenigen Dürers, denjenigen Böcklins.

    «Ein Gott wird gekreuzigt auf Golgatha.»


    Da scheint beim Einsatz der Strophe das Große, Schreckliche, Erhabene, welches bis dahin im Tarnspiel des Hinplauderns fast ganz verborgen werden konnte, blank hervorzutreten. Der Sprache vergeht das Lächeln, und dort in dem «Märtyrer hier und Hexen da» glaubt man es ihr nicht - und nun auch nicht in dem «Doch es kribbelt und wibbelt weiter». Das «doch» ist verräterisch; in ihm bringt sich die Sprache, die ihr Lächeln selbst nicht mehr glaubt, mit leisem Ruck noch einmal zum Lächeln, als sei sie erschrocken über die Nahe des Großen, Schrecklichen, Erhabenen. Und so geht es jetzt rasch auf den Schluß zu, als sagte eine heimliche Stimme: Mach schnell, sonst merkst du, wie ungeheuer alles ist. «Was liegt an dir und deinem Glück?» Ist das die milde Ruhe der Selbstbescheidung? Oder Schmerz über die eigene Nichtigkeit? Oder Trauer über die eigene Ohnmacht? Oder Vertrauen in eine Vorbestimmung, welche dein Würfeln schon im Becher be­fiehlt, wie sie dann auf denn Tisch liegen müssen? Waltet Vertrauten oder nur Ergebung? Ist's schwer oder leicht? Es ist wohl alles in allem - wie das Menschendasein selbst, von welchem die vier Strophen reden. «Weiter»; viermal fällt das Wort auf die wichtige Stelle am Strophenschluß; viermal wird es; durch ein Reimwort vorgemeldet. Und dann bleibt uns sein Nachhall im Ohr, über den Schluß des Gedichtes hinaus: weiter. Und vor uns streckt sich der Weg, welchen Menschen gehen, lebend, überlebend.


    *
    (W.Weber. Tagebuch eines Lesers. Bemerkungen und Aufsätze zur Literatur. Olten und Freiburg i. Br. 1965. S. 65ff.)

    Kafkas Maus kriegte a posteriori gesagt:<br />...&quot;&#039;Du mußt nur die Laufrichtung ändern&#039;, sagte die Katze und fraß sie.&quot;<br />*<br />Das kann also jede(r) wissen; jede(r) Leser(in) z&#039;mind&#039;st.

  • Hallo Antonius,


    hab den Thread erst jetzt realisiert. Eins meiner Lieblingsgedichte. Allerdings würde ich da gar nicht so tiefgründig in die Interpretation einsteigen wollen. Was es für mich aussagt, ist einfach, dass es immer weitergeht und dass man sich selbst nicht so wichtig nehmen soll.


    Angesichts der im Gedicht geschilderten Katastrophen und dem Schrecklichen, was nach Fontanes Ableben noch passiert ist, könnte man natürlich sagen, dass Fontane das menschliche Leid verharmlost, aber das ist damit sicher nicht gemeint. Genauso wenig ist er, wie das Kunert zu meinen scheint, ein defätistischer Misanthrop.
    Ich denke, ähnlich wie du und Weber, dass die Aussage positiv ist: Es geht immer weiter, auch wenn wir nur mehr als Torf beteiligt sind: Das Leben und auch das menschliche Leben in all seinen Spielarten (kribbelt und wibbelt) steht über dem Einzelnen.
    In Lebenskrisen, die man nicht vermeiden kann (z.B: Tod, Krankheit), gibt mir der Gedanke Trost, dass ich nur ein kleines Rädchen im Getriebe bin.
    Mir gefällt auch der Ton dieses Gedichtes, die Kontrastierung der "erhabenen Katastrophen" mit den lautmalenden Insektenwörtern: Es zeigt meiner Ansicht nach - im Gegensatz zu Kunerts Meinung - Fontanes abgeklärte Menschenfreundlichkeit und Weisheit, die auch so wunderbar in seinen Romanen zum Ausdruck kommt. Er macht sich auf sanfte Weise lustig, aber er verletzt nicht.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)