Philosophie und Faust I

  • Es gibt zwar schon einen Faust-Thread, aber hier möcht ich mal ein bisschen den philosophischen Gehalt von Faust I diskutieren. Ich fang mal an:
    Ich bin der Meinung, dass sich im Faust vor allem das philosophische Gedankengebäude von Arthur Schopenhauer wieder findet. Bei Faust kann man diesen blinden Willen erkennen, der ihn immer weiter treibt, ohne dass er auf Dauer eine befriedigende Lösung findet.
    Ein weiterer Aspekt ist das Mitleid, das Faust am Ende des Stückes für Gretchen empfindet ("Als Missetäterin im Kerker zu entsätzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Geschöpf!").
    Was sagt ihr dazu?

  • Hallo zusammen!


    Hab den Thread mal aus der Schüler- und Pflichtecke herausgenommen.


    Schopenhauer? Wenn, dann hätte Schopenhauer seine Philosophie von Goethe genommen. Was - in einem bestimmten Rahmen - auch wohl so war.


    Einen blinden Willen kann ich im Faust aber bei bestem Willen nicht erkennen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"

    Schopenhauer? Wenn, dann hätte Schopenhauer seine Philosophie von Goethe genommen. Was - in einem bestimmten Rahmen - auch wohl so war.


    Einen blinden Willen kann ich im Faust aber bei bestem Willen nicht erkennen.


    Zum ersten Punkt: Den bestimmten Rahmen müssen sie erklären.
    Zum zweiten Punkt: Der blinde Wille, bezieht sich auf das unaufhörliche Streben Fausts. Er ist ein Getriebener. Keine Wissenschaft bring ihn ans Ziel.
    Deswegen geht er ja den Pakt mit Mephisto ein.

  • Zunächst ist in der Tat festzuhalten, daß Schopenhauer nach dem "Faust" kam.


    Der Wille Faustens ist ja gerade ein Erkenntniswille. Die Formulierung "blinder" Wille ist hier meiner Ansicht nach sehr irreführend - es ist als Erkenntniswille im Gegenteil ein "sehender" Wille oder Wille zum Sehen.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Johann"

    Zum ersten Punkt: Den bestimmten Rahmen müssen sie erklären.


    Müssen? Kein Mensch muss müssen - und ein sandhofer müsste? :breitgrins:


    Aber er will ja: Ich dachte da an die Farbenlehre, deren Jünger zumindest der sehr junge Schopenhauer war. Als er dann anfing, eigene Gedanken dazu zu entwickeln, entliess ihn Goethe aus der Jüngerschaft. Aber abgefärbt haben auf Schopenhauer dürfte sie ziemlich sicher. Ich mag jetzt aber ehrlich gesagt nicht auf Spurensuche gehen ...


    Zum Rest hat Roquairol wohl das Nötige geschrieben.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Wo ist unser Wille und sei es der der Erkenntnis
    wenn wir LIEBEN? Ich glaube kaum das Faust irgendeinen
    Willen hatte als er Gretchen kennen gelernt hat.
    Ausser Einen, und ein Schelm wer böses dabei denkt.
    Im übrigen hatte Goethe mit der Philosophie wohl
    nicht unbedingt eine Ehe auf Lebenszeit geschlossen. Wenn überhaupt.
    Der Faust und ein philosophisches Gedankengebäude,
    das passt nicht zusammen.


    s.

  • So einfach ist das nicht. Es finden sich immer wieder Merkmale verschiedener
    Philosophien in literarischen Werken. Und dass dabei spätere Erkenntnisse vorweggenommen werden, ist nicht selten.
    Und im Faust ist tatsächlich viel Schopenhauer. Ich hab noch einen Aspekt: Mephisto beschreibt im "Prolog im Himmel" das menschliche Leben als Leiden. Hier nimmt Goethe sogar Freud vorweg, wenn Mephisto sagt: "Er nennts Vernunft und braucht's allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein."

  • Hallo Johann!


    Ich weiß, ich bin jetzt fürchterlich realitätsbezogen, aber es doch sehr wahrscheinlich, dass Freud und vor allem Schopenhauer von Goethe und seinem Faust profitiert haben, über Goethes Philosophie im Faust nachgedacht und weiterentwickelt haben.


    Ich kann deine Gedankendänke insofern nicht nachvollziehen, da in Goethes "Faust" kein Schopenhauer drin sein kann. Da ist einfach nicht möglich.


    Gruß Leila


  • Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Schopenhauer ging eher von Kant aus. Goehte war ja kein Philosoph im Sinne von Kant oder Schopenhauer. Freud wiederum knüpfte an Schopenhauer an.


    Natürlich kann in Faust "Schopenhauer" enthalten sein. Die Dinge, die ich bis jetzt erwähnt habe, sind alles Merkmale der Philosophie Schopenhauers. Es spiegeln sich ja auch noch andere Philosophen in "Faust", z.B. Platon.

  • Hallo Johann!


    Ja, jetzt weiß ich wie Du es meinst und ist für mich nachvollziehbar. Philosophie und deren Interpretation ist für mich noch Neuland und harrt der Entdeckung. Vielen Dank.


    Gruß Leila

  • Zitat von "Leila Parker"

    Hallo Johann!


    Ja, jetzt weiß ich wie Du es meinst und ist für mich nachvollziehbar. Philosophie und deren Interpretation ist für mich noch Neuland und harrt der Entdeckung. Vielen Dank.


    Gruß Leila


    Das ist sehr interessant, glaub mir!

  • Das passt gut, das Thema - wir haben gerade über die Ferien aufbekommen, Faust noch einmal zu lesen. Kurz vorher hat unser Lehrer uns die folgende Aufgabe zur Diskussion gegeben:


    Fausts Lage im Vergleich zu Camus' Weltverständnis (auf Grundlage der erarbeiteten Auszüge aus dem "Mythos des Sisyphos" und des Romans "Der Fremde")
    Besondere Gesichtspunkte:
    - Lebensgefühl
    - Verhätnis zu Natur, Gesellschaft, Welt im allgemeinen, Transzendenz
    - Religion
    - Vergleich der Charaktere (Faust, Meursault)


    Leider war ich an dem Tag nicht da :(
    Aber vielleicht habt ihr Lust, darüber nachzudenken? Immerhin läuft momentan auch eine Leserunde zu Camus' "Der Fremde".


    Ich werde mich selbst später noch dazu äußern.


    Jetzt nur:


    Mit Camus' Existenzialismus im Hinterkopf ist die Szene "Nacht" mit den angedeuteten Selbstmordgedanken interessant.

    Und noch eine private Frage:
    Ich habe von Goethe den Anfang seiner Farbenlehre, die Wahlverwandtschaften, Faust I und Anfang und Ende der Leiden des jungen Werther gelesen. Ich finde alles ziemlich ätzend. Hat irgendjemand einen Tipp, wie ich mich mit etwas mehr Begeisterung daran machen kann, Faust I noch einmal zu lesen? Momentan ist meine Motivation irgendwo bei 0° Fahrenheit :rollen:


    Herzliche Grüße
    Nightfever

  • Zitat von "Johann"


    Natürlich kann in Faust "Schopenhauer" enthalten sein.


    Mit solchen Formulierungen bringst du dich in Teufels Küche: Nein, in Faust kann kein "Schopenhauer" sein, ebensowenig wie im Hamlet "Nietzsche" sein kann. Daß in literarischen Werken Ideen zu finden sind, die erst später von Philosophen systematisiert werden, ist etwas ganz anderes.


    Dennoch ist der Faust philosophisch bedeutsam - siehe z.B. Oswald Spengler, der sich dadurch zu seinem "faustischen Menschen" anregen ließ, und so ganz falsch lag er wohl nicht damit.

  • Hallo,


    unbestritten ist wohl, dass Goethe und Schopenhauer sich getroffen haben, aber dies erst lange nach der Verfassung der ersten Teils des Faust. Und der gute Goethe war sehr freundlich zum Heisssporn Schopenhauer. Und in der Farbenlehre wollte der Jüngling ihm noch etwas Neues erzählen...


    Natürlich finden sich bei Goethe Aspekte der Philosophie Schopenhauers. Denn keiner von allen baut im luftleeren Raum, alle haben ihre Bezugspunkte und Vorarbeiter. Jeder kann sich auf Platon berufen, der dann in den Werken erscheint. Und Goethe mag geahnt haben, was Schopenhauer dezidiert ausspricht (so einem Kerl ist ja alles zuzutrauen...), aber das Bier kann nicht getrunken werden, bevor dass Fass angezapft wurde.


    Gruß
    Holk

  • Nightfever: Ein Tip, der vielleicht etwas hart klingt: Laß es einfach. Ich habe früher auch schon mal versucht, mich zu einer Lektüre zu zwingen, weil es sich um einen "Klassiker" handelte, aber im Nachhinein muß ich feststellen, daß es überhaupt nichts bringt. Vertiefe dich lieber in die Bücher, zu denen du eine echte Neigung verspürst. Wenn dies bei Goethe nicht der Fall ist, laß ihn einfach liegen - vielleicht fühlst du dich ja in zehn oder zwanzig Jahren zu ihm hingezogen.

  • Hallo,
    lieber Johann, du schreibst: Und im Faust ist tatsächlich viel Schopenhauer. Ich hab noch einen Aspekt: Mephisto beschreibt im "Prolog im Himmel" das menschliche Leben als Leiden. Hier nimmt Goethe sogar Freud vorweg…


    Nun, dann hat Goethe ja auch gleich den ganzen Buddhismus ausgehaucht, denn die Beschreibung des menschlichen Lebens als Leiden und gar als Philosophie ist schon um viele Jahrhunderte älter. Nein, es ist ein Ding der Unmöglichkeit den Faust auf das Schopenhauerische Werk zu beziehen, so sehr es Schopenhauer auch ehren mag. Ich denke da vor allem an Roquairols antwort: Goethe war eher denn Schopenhauer. Und im tiefsten Kern hatte Goethe etwas anderes mit seinem Faust im Sinn als zu Philosophieren.


    siodmack

  • Hallo zusammen!


    Nightfever: Ich schliesse mich Roquairol an.


    Johann: [list]Keiner dichtet und denkt im luftleeren Raum. Und so haben auch Goethe und Schopenhauer natürlich gemeinsame Quellen bzw. Bezugspunkte. Platon, den Urvater der abendländischen Philosophie sowieso, aber auch Kant. (Den Goethe allerdings eher in der Schiller'schen Umformung rezipiert hat, um ihn dann seinerseits umzuformen. Aber auch Schopenhauer hat Kant natürlich sehr stark umgeformt.)
    Aber: Da Goethe vor Schopenhauer war, kann man sinnvollerweise höchstens sagen, dass in Schopenhauer Goethe drin ist.
    Es ist ein Merkmal der hohen Qualität klassischen Schrifttums, dass auch spätere Zeiten ihre Probleme, Gedanken und Ideen darin wiederfinden können. Dass wir in Faust auch Freud oder Foucault oder allgemein die Probleme des postmodernen Abendländers des 21. Jahrhunderts wiederfinden können, macht, dass Faust eben auch vom postmodernen Abendländer des 21. Jahrhunderts immer noch rezipiert wird. Während der lange Zeit als Klassiker geltende Klopstock heute vergessen geht.[/list:u]
    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "siodmack"

    Hallo,
    lieber Johann, du schreibst: Und im Faust ist tatsächlich viel Schopenhauer. Ich hab noch einen Aspekt: Mephisto beschreibt im "Prolog im Himmel" das menschliche Leben als Leiden. Hier nimmt Goethe sogar Freud vorweg…


    Nun, dann hat Goethe ja auch gleich den ganzen Buddhismus ausgehaucht, denn die Beschreibung des menschlichen Lebens als Leiden und gar als Philosophie ist schon um viele Jahrhunderte älter. Nein, es ist ein Ding der Unmöglichkeit den Faust auf das Schopenhauerische Werk zu beziehen, so sehr es Schopenhauer auch ehren mag. Ich denke da vor allem an Roquairols antwort: Goethe war eher denn Schopenhauer. Und im tiefsten Kern hatte Goethe etwas anderes mit seinem Faust im Sinn als zu Philosophieren.


    siodmack


    Schopenhauer hat sich sehr für die östlichen Religionen interessiert und an ihnen angeknüpft. Es ist egal, ob Goethe vor Schopenhauer war oder nicht. Jede Philosophie erhebt den Anspruch auf Universalität. Schopenhauer hat seine Vorstellungen sicherlich nicht am "Faust" orientiert, dennoch finden sich Merkmale seiner Philosophie in Goethes Werk, das mit Kenntnis von Schopenhauer und anderen Philosophen verständlicher wird.

  • Zitat von "siodmack"

    Und im tiefsten Kern hatte Goethe etwas anderes mit seinem Faust im Sinn als zu Philosophieren.
    siodmack


    Diese Bemerkung verstehe ich überhaupt nicht. Was hatte er im Sinn? Was meinen sie mit "Philosophieren"?