Auch ich bin jetzt durch.
Die letzten 200 Seiten haben mir gut gefallen und ich bin entsprechend schnell durchgekommen.
Stolz sehe ich nicht so negativ wie du, Zefira. Sicherlich ist er schrecklich von sich eingenommen und seine Sicht der Beziehung zwischen Olga und Oblomov ist dementsprechend, aber immerhin gibt er Olga wenigstens in Ansätzen die Umgebung, die ihr wacher Geist braucht. Ich finde, dass Gontscharow sehr ausgewogen und differenziert die Licht- und Schattenseiten der Hauptpersonen darstellt, bis auf Olga, die ja wie ein Ideal erscheint, wie auch Neuhäuser in seinem Nachwort schreibt. Oblomovs Schicksal betrauern wir Leser, weil er so sympathisch dargestellt wird, obwohl ja eigentlich dazu gar kein Anlass besteht. Was eigentlich ist denn so rein an seiner Seele? Er durchschaut die Petersburger Gesellschaft, das zeigt eher seine Klugheit, aber er kümmert sich um nichts, lässt die Beziehung zu Olga aus Faulheit schleifen, zieht sie dann durch seine Versicherungen unnötig in die Länge und ist zwar wohl charmant, aber im Wesentlichen ein verantwortungsloser Faulpelz, der für die von ihm Abhängigen keinen Finger krumm macht. Er sieht sich zwar ehrlich und macht sich nichts vor, aber ändern tut er deshalb nichts. Und das ist eine Masche - die ich selbst auch oft drauf habe - nach dem Prinzip: Und ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert.
Stolz dagegen ist der Macher, der vor der Ruhe flieht, weil sie ihn vielleicht zur Reflexion über seine besinnungslose Hast durchs Leben veranlassen könnte. Ich finde, dass der Hinweis Neuhäusers auf die "Ennui" und Depression, die den modernen, aus der festen religiösen Orientierung entlassenen Menschen befällt, wenn er über genügend selbstbestimmte Zeit verfügt, eine sehr sinnvolle, die Zeiten übergreifende Interpretation des Romans ermöglicht. Und sie passt auch noch wunderbare in unsere Zeit, denn was machen wir anders, als vor der Sinnfrage in den Konsum, in einen vollgestopften Freizeitterminkalender zu fliehen? Ob man dabei zum modernen Oblomov in Form einer Couch-Kartoffel mit Serienkonsum wird oder ein moderner Stolz ist, der nach dem Job vom Fitnessstudio zum Ökotreff und von da zu allen möglichen Kulturveranstaltungen hastet, das sind nur Varianten des Stils unserer Zeit.
Der beste Mensch in diesem Roman ist für mich Agafja Matwejewna, die ihr Leben völlig ohne Hintergedanken in Oblomovs Dienst stellt. Allerdings heißt das nicht, dass ich das gut finde.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass mir die Lektüre auch beim zweiten Mal viel gebracht hat. Ich habe den Roman davor 1987 gelesen und konnte mich weder an irgendeine Szene noch meine Meinung zu dem Buch erinnern. Beim Reread habe ich einige Male das Buch aus der Hand legen müssen, weil ich mich sowohl bei einigen Beschreibungen von Oblomov als auch von Stolz ertappt fühlte …. .