Mommsen (1902) war Historiker, Eucken (1908) Philosoph,Bergson (1927) dito ...
Der Nobelpreis für Literatur hat schon immer alle Formen von Geschriebenem berücksichtigt.
Mommsen (1902) war Historiker, Eucken (1908) Philosoph,Bergson (1927) dito ...
Der Nobelpreis für Literatur hat schon immer alle Formen von Geschriebenem berücksichtigt.
Naja, das war wohl eher eine politische Entscheidung, als eine literarische.
Der Nobelpreis für Literatur war schon immer ein politischer Preis, kein literarischer. Nobels Testament verlangte ausdrücklich "Idealismus" von den Preisträgern bzw. deren Werken - nicht aber literarische Qualitäten...
Habe die Lektüre wieder aufgenommen und den sehr langen 28. Hpt abgeschlossen
Ich habe jetzt wieder zu Dir aufgeschlossen, fürchte aber, ausser uns beiden liest niemand mehr mit.
[...] und endlich finden sie sich - Viktor und Klotilde.
Nachdem er einen oder zwei Hundposttage früher noch eine andere halbnackt gesehen und sie geküsst hat ...
Immer wieder großartig, wie JP sentimentalen Kitsch durch überraschende Wendungen (zum Grab), die einen kalt berühren, und witzige sprachliche Bilder zur Kunst umwandelt.
Ich mag ansonsten weder das eine noch das andere - aber bei Jean Paul kann ich es nicht nur verzeihen; ich finde, dass gerade dies seine Kunst ausmacht. Sterne, den er immer wieder erwähnt, war ihm hierin ein guter Lehrmeister.
Auch wieder ein absichtlicher Bruch der Formalismen: Am Ende des 28.Hpt kommt nun endlich die Vorrede zum dritten Heftlein, das bereits seit 80 Seiten andauert.
Ein nachträglicher Gag, wenn ich die Anmerkungen richtig verstehe - das war in der ersten Auflage noch anders.
Krzyzanowskis "Der Club der Buchstabenmörder"
Scheint gerade gehypt zu werden. Ich bin über andere Geleise darauf gestossen und das Buch liegt nun auch bei mir...
Ich finde für mich eigentlich die alte DDR-Ausgabe in drei Bänden (Aufbau-Verlag, 1962) durchaus und immer noch genügend. Wenn Du die auftreiben kannst...
Menschen, die am Rand einer Gesellschaft stehen oder diese als 'Neulinge' betrachten, sehen oft Dinge, die die Alteingesessenen nicht wissen oder sehen.
Ja. Aber der durchschnittliche Literaturpreisträger übt sich in Nabelschau, nicht darin, die anderen zu betrachten (Melinda Nadj Abonji). Und den Literaturkritikern geht einer ab dabei - wohl, wiel sie es sind, die die Gesellschaft der Preisträger als 'Neulinge' betrachten. Die Faszination des Edlen Wilden und der Südsee... Am liebsten mit barbusigen jungen Damen...
Autobiografische gefärbte Beziehungskisten bzw. Coming-of-Age-Stories - am besten mit Migrationshintergrund oder sexueller Orientierung (Édouard Louis: Das Ende von Eddy) verknüpft - sind beim durchschnittlichen Kritiker / der durchschnittlichen Kritikerin in den letzten Jahren ungeheuer en vogue. Da geht der Kritik das Zäpfchen ab und sie macht sich vor Freude in die Hose...
Bin inzwischen im 28. Hpt.
Dann bist Du jetzt weiter als ich - ich habe gerade den 22. Hundposttag beendet. Wunderschön der Beginn:
Zitat von Jean PaulDer Leser wird sich ärgern über diesen Hundposttag; ich meines Orts habe mich schon geärgert.
Diese Mischung meta-poetischer Reflexionen und sentimentaler Ergiessungen (der Brief von Giulia, Joachimens Schwester) sowie Hofsatire ist so typisch Jean Paul, dass man diesen Hundposttag als Zusammenfassung des ganzen Werks gelten lassen könnte...
Im Gegensatz zu dem, was ich versprochen habe, habe ich natürlich noch keine Zeile weitergelesen. Dafür aber in meiner aktuellen Hauptlektüre, der Ästhetik von F. Th. Vischer, Folgendes zu Jean Paul gefunden:
Dem Humor eines J. Paul fehlt Objectivität in doppeltem Sinne; er verfolgt wohl die geheimſten Irrgänge des Wahnſinns, der in den Widerſprüchen der Subjectivität liegt, ſofern ſie in ſich und in den Kreis des engeren ſozialen Lebens eingeſchloſſen lebt, aber den großen Wahnſinn des öffentlichen Lebens, der Geſchichte, des Staats ſieht er zwar, ſtellt ihn aber ſchroff und ſchrill neben die ſchöne Seele hin und geht auf dieſer Seite zu keiner Verſöhnung fort. Allerdings gehört dieß größere Schauſpiel auch nicht in den Roman, in die Bildungsgeſchichte des Subjects, die er zur Aufgabe hat, aber die gewaltige Phantaſie ſchafft ſich eben für den größeren Horizont auch die rechte Gattung. Allein es iſt noch ein anderer äſthetiſcher Mangel da: es kommt zu keiner gediegenen Form. Das humoriſtiſche Subject ſchiebt ſich überall vor, man hat das Gefühl, es ſei mit dem Erzählen eigentlich gar nicht Ernſt, es beſchreibt komiſch, ſtatt Komiſches zu beſchreiben, der Gehalt der Perſönlichkeit des dichtenden Subjects geht nie ganz in Geſtaltung über, ſieht überall nackt durch die Ritzen hervor. Daher iſt es Pferdearbeit, einen Sterne, einen J. Paul zu leſen. (§ 480)
:breitgrins:
OT:
Viktor leidet an seiner scheinbar nicht erwiderten Liebe zu Klotilde hund versucht dem durch höfische Besuche zu entkommen, [...]
Ein schöner und so ganz zum Titel des Romans passender Verschreiber ... :smile:
[...] aufgrund der Verknüpfungsfähigkeit der Erinnerungen mit bestimmten Sinneseindrücken.
Hm ... Synästhesie geht ja weiter. Sie verknüpft Sinneseindrücke, die von verschiedenen Sinnen geliefert wird. So, wie z.B. gewisse Töne für den Synästhetiker blau sind, andere gelb usw. Während die Fähigkeit zu aberwitzigen Verknüpfungen wohl anders benannt sein müsste...
Im Moment habe ich die Hundsposttage auch zur Seite gelegt, weil es hier nicht weitergeht.
Wenn wir das natürlich alle machen, dann kommen wir nirgends hin. Ich werde im Laufe der nächsten Woche also weiterlesen - gehauen oder gestochen... :breitgrins:
Was meint ihr dazu, dass JP vielleicht Synästhetiker war. Ich habe dazu Links in den Materialienthread gestellt.
Entschuldige, dass ich erst jetzt reagiere. Ich weiss es nicht, halte es nicht für unmöglich, glaube aber ähnlich wie klaus, dass es auch die Fähigkeit gibt, entlegenste Dinge miteinander zu verknüpfen, ohne dass es dazu Synästhesie braucht. Mein Vater war so einer, der die seltsamsten Kombinationen zusammenstellen konnte, und sich danach königlich über seine Witze amüsierte, die kein Mensch verstand. Na ja: Keiner ausser mir; selbst meine Schwester verzweifelte daran. Und ich merke, dass ich, je älter ich werde, immer ausgeprägter über diesen seltsamen Humor verfüge. (Und deswegen Jean Paul auch immer mehr mag.)
Ja, als Einstieg in JP wären die für mich vielleicht wirklich besser gewesen, wobei den Katzenberger hatte ich ja schon als Aperitif.
Dr. Katzenbergers Badereise ist m.M.n. der beste Einstieg in Jean Paul. Die Flegeljahre leiden darunter, dass Jean Paul kein Ende gefunden hat. Der Titan ist was ganz anderes, das sah auch Jean Paul so. Also wäre der Siebenkäs der nächste...
Da fällt mir ein: hat irgendjemand den 2. Schalttag gefunden? Der scheint verschwunden zu sein ... :breitgrins:
Wenn er denn je da war ...
[...] aber ich finde es oft ganz schwer zu entscheiden, wo JP ironisiert oder doch der Sentimentalität seiner Zeit verfällt.
Ich vermute, es gibt für Jean Paul kein entweder-oder. Immer nur beides zusammen und miteinander und zur selben Zeit...
Ich ertappe mich, offen gesagt, dabei, dass mich die Story gar nicht interessiert, sondern nur Jean Paul Satzbau und seine Digressionen...
(Die Stories sind, m.M.n., bei Jean Paul sowieso immer recht hanebüchen und die Story-Line inkonsequent...)
Das ist nur eine vergleichsweise harmlose misogyne Frotzelei, von denen es in den Hundposttagen nur so wimmelt.
Einerseits ist es das - Jean Paul weist des öftern nicht mehr als gewöhnliches Stammtisch-Niveau auf. Andererseits karikiert er hier einen Trend, eine Modeströmung seiner Zeit: Die zunehmende Zahl (Romane) schreibender Frauen, die gerade um jene Jahrhundertwende explosionsartig zunahm. Einige davon waren gar nicht schlecht, aber der rapide Zuwachs musste Staunen erregen: Ausser der Karschin und der Gottschedin gab es soo viele anerkannte Autorinnen vorher nicht, und auch unmittelbar nachher nicht. Da war Droste-Hülshoff schon ein Wundertier. Erst der in vielem mit der Romantik verwandte Expressionismus brachte wieder Frauen in die Literatur. (In England waren die Verhältnisse andere, in Frankreich ebenso.)
Stecke jetzt mitten im 8. Hundposttag, hinke also hoffnungslos hinterher. Ich hoffe aber, morgen etwas mehr Lesezeit zu haben.
Ich werde jetzt dann wieder bremsen und anderes lesen, keine Sorge. :winken:
Der dritte Schalttag bringt "echte" Aphorismen Jean Pauls (der auch oft Sätze schreibt, die man gern aus dem Zusammenhang reisst und als Quasi-Aphorismen zitiert).
Zwei Dinge vergisset ein Mädchen am leichtesten, erstlich wie sie aussieht – daher die Spiegel erfunden wurden –, und zweitens, worin sich das von daß unterscheidet. Ich besorg' aber, daß sie den Unterschied, bloß um meinen Satz umzustoßen, von heute an behalten werden. Und dann geht mir einer von den beiden Probiersteinen verloren, an die ich bisher gelehrte Frauenzimmer strich – der zweite, den ich behalte, ist ihr linker Daumennagel, welchen das Federmesser zuweilen voll Narben geschnitten, aber selten, weil sie die Feder leichter führen als schneiden.
Das und dass war also schon damals ein Problem...
Mittlerweile bin ich im 9. Hundpoststück (habe anderes für Jean Paul zurückgelegt, weil er mich wie immer fasziniert). Jean Paul ist wie kein zweiter zugleich zynisch und zum-geht-nicht-mehr-romantisch und ich weiss nie, soll ich nun über die Zynismen Jean Pauls lachen, die er zum Amüsement des Lesers eingebaut hat oder über seine Sentimentalität, die genuin ist und gerade deshalb für uns Heutige komisch wirkt...
Ich bin mit dem 4. Hundposttag durch - aber es ist zu heiss für Belletristik...