Beiträge von Bluebell

    Hmm ... ganz so negativ wie viele von euch sehe ich die Idee nicht. Einmal davon abgesehen, dass der SUB schrumpfen und ein paar alte Perlen endlich wiedergelesen werden würden, könnte ich mir damit auch selbst etwas beweisen, nämlich Selbsdisziplin. Ich verstehe zwar schon das Argument "wenn Platz und Geld, wozu", aber trotzdem wäre so ein Experiment ein Signal, dass ich meiner Bücherkauflust nicht ganz willenlos ausgeliefert bin, sondern durchaus auch noch meine Vernunft einschalten kann. (Muss gerade an den klassischen "Ich könnte ja aufhören, wenn ich wirklich wollte"-Raucher denken :zwinker: ).


    Ein großer Nachteil wäre aber, dass ich gerne intuitiv lese und bei meiner Lektüreauswahl sehr offen für Inspirationen bin. Und solche Inspirationen von außen für ein ganzes Jahr ignorieren zu müssen ... das wäre mir dann doch eine zu starke Einschränkung.


    Allerdings versuche ich mich gerade an einem Kompromiss - ich kaufe seit einiger Zeit keine Bücher mehr für "irgendwann", sondern nur solche, wo ich zumindest einen groben Plan im Kopf habe, wann in nächster Zukunft ich sie lesen möchte.

    Wie ist's mit der Eloge auf den Floh: Buch 2, Strophe 9?


    Oder kurz vorher, als er beschreibt wie "der Allmächtige" menschliche Rümpfe frisst und dabei Hirn im Bart picken hat ... da sagt er so etwas Ähnliches wie: "Wer kann sich schon so frisches Hirn leisten?". :rollen:


    Mitten im 2. Gesang merke ich, dass ich schon wieder anfange, ganze Absätze nur zu überfliegen. Muss wohl wieder eine Pause einlegen und warten, bis die Konzentration(swilligkeit) wieder kommt ... tut mir leid, dass ich tempomäßig so dahinkrieche, aber flotter geht's irgendwie nicht!

    Ein paar Seiten bin ich weitergekommen, und ich muss sagen, der liebe Comte macht es mir nicht leicht. Auf eine geniale Formulierung wie:


    Plötzlich lehrte ich ihn, [...] dass er, im Gegenteil, nur aus Bösem und einer winzigen Menge Gutem bestünde, welches die Gesetzgeber mit Mühe vor dem Verdunsten retten.


    folgt kaum zwei Seiten später eine gekünstelte Merkwürdigkeit wie:


    Ich ergreife die Feder, die den Zweiten Gesang konstruieren wird ... ein Instrument, das den Flügeln eines fuchsroten Seeadlers ausgerissen wurde.


    Hmpf. Ich kann mir nicht helfen, aber da bin ich gedanklich wieder bei einem sich irrigerweise ziemlich toll vorkommenden Deutschschüler.


    Aber nicht nur sprachlich, auch inhaltlich gibt der Autor es mir kalt-warm. Da wechseln sich scharfsinnige Beobachtungen mit dramatischer Effekthascherei ab ... ich schaffe es einfach (noch?) nicht, mir auch nur ein vorläufiges Urteil über das alles zu bilden. Nur das eine: dass ich hier ein ziemliches Kuriosum in Händen halte! :breitgrins:


    Das mit den Hispanozismen wird übrigens nicht erwähnt, das ist wirklich interessant.


    Und wenn ich mir deinen letzten Beitrag durchlese, Sandhofer, bin ich ja echt gespannt, was mich da noch erwartet! :entsetzt:


    PS:



    Wie überhaupt Ducasse sehr, sehr viele literarische Reminiszenzen einflicht.


    Bei sowas finde ich es dann immer besonders schade, dass ich noch nicht so viele Klassiker kenne.

    sandhofer:
    Im Taschenbuch stehen Fußnoten bzgl. Urversion.
    Deinen Vergleichen (Gianozzo, Nachtwachen, Ducasse ...) kann ich mangels Leseerfahrung leider nicht folgen.


    Anita:
    Novalis und Konsorten hatten es mir als Teenager ein Zeitlang recht angetan, aber als ich später wieder einmal einen Blick hineingeworfen habe, war es mir (zumindest in der damaligen Situation) auch zu dick aufgetragen.
    Einerseits schade, dass du nicht mehr weiterliest, aber ich habe selber auch noch nicht entschieden, wie ich weitermache ... aufhören möchte ich eigentlich (noch) nicht, dazu reizt es mich dann doch noch zu stark, aber oberste Priorität hat das Buch bei mir auch nicht mehr. Ich glaube, dass ich in kleinen Häppchen weitermachen werde ... und vielleicht geht mir der Knopf ja noch auf. :zwinker:

    Hallo Anita,


    ich bin auch schon mit dem 1. Gesang durch und wollte mich soeben mal an einer vorsichtigen Zwischenbilanz versuchen - und da sehe ich, dass deine Eindrücke ja ganz ähnlich sind wie meine! Zum Glück, denn ich hielt mich schon für einen ganz fürchterlichen Banausen. :breitgrins:


    Also dieses Buch gehört definitiv zum Seltsamsten, was ich jemals gelesen habe. Auch wenn immer wieder einzelne Stellen auftauchen, die mir gefallen, fehlt mir der Zugang zum "Gesamtkonzept" leider völlig. In ganz schlechten Momenten habe ich sogar eher das Gefühl, die Tagebucheintragungen eines eingerauchten 17jährigen Gruftis zu lesen als einen literarischen Klassiker ... und die Komik scheint mir, sofern vorhanden, dann doch eher unfreiwillig. :clown:


    Dass sich der Erzähler an Dingen erfreut, die einen normalen Menschen ängstigen, während er bei "schönen" Anblicken (Kind in der Wiege) traurig wird - na gut, das mag damals ein Novum gewesen sein, aber hat das Zeug zum Schocker heute auch längst verloren. Wie die Hexen bei Macbeth ("schön ist hässlich, hässlich schön") ... :zwinker:


    Naja, es gibt aber wie gesagt auch lichte Momente, so fühlte ich mich in der Strophe Eine Familie sitzt um eine Lampe ... ganz stark (und gar nicht schlecht) an den Erlkönig erinnert.
    Dass die nächste Strophe dann mit "Er, der nicht weinen kann [...], bemerkte, dass er sich in Norwegen befand" beginnt, war wiederum für ein verwirrtes :schulterzuck: gut.


    Wenn die nächsten 4 Gesänge wirklich auch in dieser Tonart weitergehen, ohne dass sich irgendwas herauskristallisiert, frage ich mich aber schon, wozu das Ganze eigentlich. Aber mal sehen ...

    Hallo liebe Mitleser,


    ich bin mitten in der 9. Strophe des ersten Gesanges, also ca. gleich weit wie Anita.
    Auf der ersten Seite dachte ich noch: Oh mein Gott, welch ein Pathos. Es war mir fast zu theatralisch, mit welcher Überzeugung der Autor ankündigt, dass sein Werk den Leser bestimmt völlig verstören wird - aber es geht dann ja tatsächlich ganz schön zur Sache, und vor 150 Jahren muss das Buch noch um ein Vielfaches krasser gewirkt haben (ähnlich wie der Weiße Hai in den 1970ern, während er heute im Sonntagnachmittagsprogramm läuft :zwinker: ).


    Der Text erzeugt starke Bilder im Kopf, und mit Tabubrüchen spart Lautréamont auch nicht.



    In der Strophe Ich werde in wenigen Zeilen darlegen, … erzählt Lautréamont Conrads „Herz der Finsternis“ in Kurzform.


    Jaja, da ist er wieder, unser lieber Mr. Kurtz! :breitgrins:


    Übrigens: hat jemand von euch "The Dark Knight" gesehen und musste bei der Strophe Mein ganzes Leben lang sah ich die Menschen mit engen Schultern ... auch ganz stark an diesen Herrn hier denken? :entsetzt:

    Anita: Wie desillusionierend ...! :breitgrins:


    Jaqui: Ich sag ja, es lässt mich nicht los. :zwinker: Aber mittlerweile ist die Geschichte doch irgendwie greifbarer für mich geworden (mir fällt gerade kein anderes Wort ein) und spukt mir nicht mehr ständig im Kopf herum.


    Der muss schön langsam frei werden für neuen Lesestoff! :clown:

    Vielleicht lohnt es sich den Film mal anzuschauen. Bisher ist er immer an mir vorbei gegangen.


    Geht mir auch so.


    Das Buch lässt mich nicht los ... das Buch und das Gefühl, dass es noch viel mehr zu verstehen gibt, als ich beim ersten Mal lesen erfassen konnte. Helft mir mal! :zwinker: Ich habe gerade die Stelle noch einmal gelesen, wo Marlow Kurtz' Aufsatz liest - diese edlen und gutherzigen (und optimistischen) Ansichten zum Kolonialismus, mit der plötzlich donnernden Randnotiz "Rottet sie alle aus, die Tiere!".
    Also wie ist das nun mit den ominösen "Methoden" von Kurtz? Werden diese Methoden eigentlich irgendwo konkret geschildert? Dreht es sich dabei nun um Verständnis, Einfühlungsvermögen, Kommunikation etc. oder um Härte und Brutalität?
    Wenn ersteres: was zur Hölle haben dann die gepfählten Köpfe zu bedeuten??
    Wenn zweiteres: warum lieben ihn die Schwarzen? - tun sie das überhaupt in dem Ausmaß, wie es sich die Weißen im Buch einreden? Oder handelt es sich nicht vielleicht eher um ein aus Furcht geborenes Dienen?


    Und wofür vergöttern ihn die Weißen nun wirklich - dafür, dass er (zumindest theoretisch) die Völkerverständigung predigt, oder für das viele Elfenbein, das er zusammenträgt? Glauben die wirklich, dass er diese Mengen mit ganz lieb Bitten zusammenbekommt? Oder sind sie einfach nur geil darauf und akzeptieren seine altruistische Fassade deshalb allzu bereitwillig ohne nachzufragen?


    Eine Zeitlang dachte ich, dass sich Kurtz vielleicht selbst etwas vormachen will - dass er nicht nur dem Unternehmen den nächstenliebenden Intellektuellen vorspielt, sondern sich auch ein bisschen selbst austricksen möchte, um sein schlechtes Gewissen zu unterdrücken und seine Selbstachtung zu behalten. Aber wenn die Köpfe das sind, wofür ich sie halte - nämlich Machtdemonstration & eine Art "Statussymbol" einerseits sowie ein Selbstschutz durch Einschüchterung der Wilden andererseits - dann stimmt meine Theorie nicht mehr. Dass er sowas nur zu ihrem Besten macht, das kann sich kein Mann mehr einreden - es sei denn, er ist tatsächlich schizophren ... aber auf diese Art geisteskrank hat er auf mich nun auch wieder nicht gewirkt, das war für mich eine andere (durch die äußeren Umstände verursachte) Verrücktheit.


    Wenn ich mich richtig erinnere, sind die Köpfe für Marlow ja so eine Art Beweis, dass es Kurtz im entscheidenden Moment an Selbstbeherrschung fehlt (oder so ähnlich). Seht ihr das auch so? Dann bin ich überhaupt vollkommen auf dem falschen Dampfer. Denn wie ein blindes Wüten wirkt die Sache gar nicht auf mich, eher wie eine zwar hasserfüllte, aber doch wohlüberlegte und gezielte Geste.


    Und schließlich: idealistischer Entwicklungshelfer oder böser Kolonialist - wovon steckt wohl tatsächlich mehr in Kurtz? Solange er nicht persönlich auf der Bildfläche erschien, wusste ich überhaupt nicht, was ich von ihm halten sollte. Danach kam es mir zuerst so vor, als ob er eigentlich schon ein Idealist wäre, dessen Dämon eben zu gewissen Zeiten aufblitzt, später schien es mir eher umgekehrt. Und nun? Ich weiß nicht ...


    Entschuldigt, falls der Beitrag etwas wirr geraten ist, ich habe vieles gerade erst beim Schreiben für mich selbst ausformuliert. Aber vielleicht habt ihr ja noch den einen oder anderen Kommentar und könnt noch ein bisschen Licht in mein Hirn bringen! :zwinker:

    Kaum zu glauben, aber am Wochenende bin ich nun auch fertig geworden. :zwinker:
    Diese Schlussszene zwischen Marlow und der Verlobten brachte ja nochmal eine ganz neue Note hinein, finde ich ... die Frau kam mir auf ihre Weise (in ihrer Trauer) genauso verrückt vor wie Kurtz und ich konnte lebhaft mit Marlow mitfühlen - fand die Situation unheimlich beklemmend und beängstigend und wäre am liebsten auf und davon! :entsetzt:


    So, und nun zu Kurtz - ich geb's zu: ich habe diese Figur nicht verstanden. Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob ich vielleicht an irgendwelchen Schlüsselstellen unaufmerksam war oder ob ich wirklich so schlecht zwischen den Zeilen lese ... na gut, Conrad wirft dem Leser ja schon einige Brocken hin und man bekommt eine Ahnung davon, was mit Kurtz los war und wie sich alles entwickelt hat, und Anitas Erklärung finde ich auch sehr einleuchtend. Aber so wirklich schlau werde ich aus dem Kerl nicht ... vielleicht komme ich ja noch auf etwas, wenn ich das Buch ein bisschen setzen lasse, aber im Moment bin ich recht ratlos. Es lässt mich aber auch nicht los, ich bin schon ziemlich hineingekippt und dass ich das Gefühl habe, nicht alles enträtselt zu haben, knabbert nun noch.

    20 Seiten vor Schluss werde ich gerade nicht wirklich schlau aus dem Buch - aus den Menschen, aus ihren Handlungen, daraus wie sie zueinander stehen ...
    Marlow hat nun endlich Mr. Kurtz kennengelernt (kurz zuvor hat ihm dieser seltsame Russe erzählt, was Kurtz veranlasst hat). Auch die kleine Verfolgungsszene im nächtlichen Urwald hat bereits stattgefunden.


    Für mich hat die Geschichte nun etwas sehr Traumartiges bekommen - und das liegt nicht nur daran, dass Conrad mehrmals das Wort "Alptraum" verwendet hat. Dieser unglaublich naive russische Harlekin ... Marlows merkwürdiger "Spaß" daran, Kurtz nachzustellen ... Kurtz "positives" (?) Verhältnis zu den Schwarzen (was haben dann bitte die Köpfe auf den Pfählen verloren?) ... und noch einiges mehr.


    Vieles wirkt gerade ziemlich surreal auf mich und mir schweben gerade doch einige Fragezeichen über allem ... ich werde das Buch wohl erst einmal zu Ende lesen und abwarten, ob mir dann noch einiges klarer wird.

    Wie, keine Heldentode? Na, dann muss ich wohl durchhalten, denn kläglich verrecken werde ich ganz sicher nicht! :elch:
    Nein, keine Sorge - ich bin nur etwas langsamer, aber das liegt absolut nicht am Buch und abbrechen ist gar kein Thema. Gefällt mir viel zu gut! :smile:


    Ich bin jetzt im dritten Teil und hatte bereits eine etwas unschöne Begegnung mit aufgespießten Köpfen. :entsetzt:
    Marlow geht der ganze Kurtz-Kult schön langsam auf die Nerven und er meint sarkastisch, das liegt vielleicht daran, dass er ihn noch immer nicht reden gehört hat.


    Übrigens habe ich noch einmal zurückgeblättert - da ist wirklich kein Hinweis im Text, dass Kurtz' Verlobte schwarz sein könnte. Wie komm ich bloß darauf? :hm:

    Hui, ihr seid schon fertig ... und mir fehlen sogar noch ein paar Seiten vom zweiten Teil. :redface:
    [size=7pt]Aber ich schwöre, das Wetter ist schuld!! :engel:[/size]


    Nichtsdestotrotz bin ich noch immer ganz im Bann der Geschichte und werde wohl in ein paar Tagen auch fertig sein.


    Zu der Frage, ob die Freundin von Kurtz schwarz ist: das habe ich mich auch schon gefragt, dabei bin ich noch gar nicht an der von Jaqui zitierten Stelle! Aber irgendetwas muss mich schon bei ihrer ersten Erwähnung (irgendwo zwischen Seite 80 und 95 in meiner Ausgabe, kann leider gerade nicht nachsehen) darauf gebracht haben. *grübel*


    Lassen wir dann mal den 20. Juli so stehen, vielleicht will ja Bluebell auch noch was dazu sagen, sie hat ja auch Interesse bekundet.


    Hier, jawoll ja! 20. Juli ist perfekt! Mein Buch ist schon länger da und ich musste mich schon sehr zurückhalten, um nicht gleich parallel zur Conrad-Runde damit anzufangen! :breitgrins:


    sandhofer: Ach, schade ... zuerst dachte ich, mit "muss passen" meinst du den Termin ... war wohl ein Freud'sches Missverständnis. :sauer:

    Ich bin auch noch immer im Nebel (ca. Seite 80) - unserem gar nicht nebeligen Hochsommerwetter der letzten Tage sei Dank. :zwinker:


    Das Wort Finsternis gebraucht Conrad wirklich häufig


    Mittlerweile ist mir noch ein anderes Wort aufgefallen: leer. Das leere Land, der leere Strom, leere Flussstrecken (du liebe Zeit, neue Rechtschreibung) ... das ist irgendwie ungewöhnlich, aber treffend und gefällt mir sehr gut.
    Und noch eine Besonderheit im Ausdruck: Conrad schreibt des Öfteren "dort drinnen", wo ich intuitiv eher ein "dort draußen" erwarten würde. Er bezieht sich dann auf das Land, den Dschungel etc., also ist "drinnen" durchaus logisch - aber man ist eben eher an ein "draußen" gewohnt, wenn von drohender Gefahr die Rede ist. Es ist nur ein ganz feiner Unterschied, aber der erzeugt für mich trotzdem nochmal eine etwas "eigenere" Stimmung.



    ich bin nun fast am Ende des 2. Kapitels und diesen Nebel fand ich sehr gut beschrieben. Ich hatte das Gefühl Conrad beschreibt hier das Eindringen des weißen Mannes in die Welt der Schwarzen. Die Weißen waren blind (wie im Nebel) für die Anliegen der Afrikaner. Sie hatten keine Ahnung was sie anrichten und man sieht ja auch, dass sie diese Leute gar nicht als Menschen wahrnehmen, sondern als Tiere, die man wie Hunde dressieren kann.


    Der Nebel lichtet sich zwar hin und wieder, aber die Erkenntnis hier etwas falsches zu tun, kommt nicht oder nur sehr, sehr zaghaft.


    Das beschreibst du sehr schön.
    Man wirft Conrad ja durchaus auch Rassismus vor. Im ersten Teil wollte ich schon fast schreiben, dass ich das für sehr übertrieben halte und dass man an dieses Buch nun mal nicht unsere heutigen Maßstäbe der "political correctness" anlegen darf.
    Im zweiten Teil gab es nun aber durchaus schon einige Stellen, wo ich verärgert die Stirn runzeln musste (auch wenn man Marlows Wahrnehmung nicht mit Conrads Einstellung gleichsetzen darf).
    Mir kam es so vor, als ob Marlow den Afrikanern im ersten Teil noch mehr Sympathie und Mitgefühl und vor allem weniger Arroganz entgegen bringt. Wie er seinen Heizer beschreibt, ist absolut demütigend ("dressiert" trifft den Nagel auf den Kopf, Jaqui)! :grmpf: Im ersten Teil hatte Marlow ja auch noch kaum direkt mit den Einheimischen zu tun, während er jetzt richtig mit ihnen zusammen arbeiten und leben muss. Das ist psychologisch durchaus interessant, denn auch in heutigen Städten ist die Ausländerfeindlichkeit ja dort am stärksten, wo die Kulturen tatsächlich aufeinanderprallen und sich arrangieren müss(t)en.


    Bluebell: Dein Versuch das Buch auf Englisch zu lesen ist wirklich sehr löblich, auch wenn ich es nie versuchen würde. Ich hätte immer Angst ich verpasse etwas sehr wichtiges.


    Ja, in diesem Fall würde die Gefahr bei mir auch bestehen, wenn ich auch nur eine halbwegs annehmbare Lesegeschwindigkeit zustande bringen wollte. Bei meinem Englischversuch auf den ersten paar Seiten habe ich genau aus dieser Sorge viele Sätze mehrmals und ganz langsam gelesen, plus Vokabeln nachgesehen, und das war einfach nicht spaßig. :sauer:
    Ein bisschen enttäuscht bin ich schon darüber, weil ich z.B. mit Jane Austen im Original total gute Erfahrungen gemacht habe, obwohl ich mich ursprünglich ein bisschen gefürchtet hatte, und erst vor kurzem habe ich Oscar Wilde sehr flüssig und mit recht wenig Nachschlagen, fast so schnell wie auf Deutsch gelesen. Aber Conrads Stil und Vokabular verlangt mir wohl doch noch zu viel ab.


    Ich habe den ersten Teil gestern auch beendet und will heute gleich mit dem zweiten weitermachen.


    Mr. Kurtz hat bisher noch etwas von Mrs. Columbo :breitgrins: - ständig fällt sein Name, aber in Erscheinung ist er noch nicht getreten und der Leser (bzw. Marlow) kann sich noch kaum ein Bild davon machen, was es mit Kurtz' legendärem Status wirklich auf sich hat.


    Etwas beschäftigt mich noch. Und zwar ist das "Herz der Finsternis" ja unter anderem für seine vielen Symbole berühmt. Ich habe aber den Verdacht, dass mir vieles davon entgeht. :redface: Zwar macht es mir Spaß, ein bisschen mit Interpretationsansätzen herumzuspielen, wenn mir etwas ins Auge sticht - aber ich fürchte, so einiges fällt mir gar nicht erst auf.
    Wie geht es euch damit? Welche Symbole sind euch bisher aufgefallen? Meint ihr, Sekundärliteratur wäre nützlich (welche)?

    So,
    ich habe mir nach kurzem Probelesen gestern diese Version gekauft:


    [kaufen='978-3423191319'][/kaufen]


    Die Übersetzung ist von Sophie Zeitz und ganz wunderbar! Sobald Marlow zu erzählen begann, hat die Geschichte einen starken Sog entwickelt und ich hätte am liebsten gleich stundenlang durchgelesen (hatte aber nur Zeit bis Seite 38).


    Schon bevor Marlow den afrikanischen Kontinent überhaupt das erste Mal betritt, liegt so eine bedrohliche Atmosphäre in der Luft. Die von Anita erwähnten Details blendet Marlow zwar nicht aus, aber er deutet sie auch nicht als Vorzeichen, während beim Leser sehr wohl bereits eine erste, dunkle Ahnung entsteht, dass da etwas in der Luft liegt, dass irgendetwas "schief" läuft.


    Bei der Beschreibung Afrikas dann - bei der Fahrt an der Küste entlang, aber auch schon vorher bei der Betrachtung des Flusses auf einer Landkarte - da meinte ich regelrecht die Trommeln zu hören und etwas Großes, Finsteres, Mächtiges, Bedrohliches zu spüren:


    Zitat von "Seite 16"

    ... wie eine riesige entringelte Schlange, den Kopf im Meer, deren Körper sich reglos weit durch ein riesiges Land windet und deren Schwanz in den Tiefen des Kontinents verschwindet. Und als ich ihn in einem Schaufenster auf der Landkarte sah, zog er mich an wie die Schlange einen Vogel - einen törichten kleinen Vogel.


    Sehr eindringlich fand ich auch die Beschreibung des französischen Kriegsschiffes, das mit seinen Kanonen blind in den Dschungel schießt - und außer Stille natürlich keine Antwort erhält - sowie ein paar Seiten später die Sprengung, nach der der Fels ganz unverändert da steht. Die Absurdität dieser beiden Szenen vermittelt schon einen ersten Eindruck von der Mentalität hinter dem Kolonialismus.
    Der "Hain der Toten" schließlich, wo Conrad die ausgehungerten, abgearbeiteten Afrikaner als "spitzwinkelige Bündel" beschreibt, die sich in den Schatten der Bäume zum Sterben zurückgezogen haben, und gleich darauf die erste Begegnung mit dem strahlend sauberen, weißen Europäer und dessen rassistischen Aussagen ... das war wie mit den Fingernägeln über die Tafel zu kratzen. :entsetzt:


    Mir gefällt die Lektüre bisher (im wahrsten Sinne des Wortes :teufel: ) unheimlich gut und ich bin froh, nach den Startschwierigkeiten nun doch noch so hineingekippt zu sein. Und wie gehts euch so damit?

    Ich habe mich gestern an die ersten paar Seiten dieser englischen Ausgabe gewagt:


    [kaufen='978-3150091616'][/kaufen]


    Ich dachte, dadurch, dass bei den roten Reclams die schwierigsten Vokabeln gleich am unteren Seitenrand stehen, müsste das doch ganz flüssig laufen. Allerdings stelle ich mein Englisch gerade sehr in Frage :entsetzt: ... ich musste mich wirklich sehr konzentrieren und oft auf die Vokabeln gucken, sodass überhaupt kein richtiger Lesefluss zustande kam.


    Bisher kann ich auch noch nicht viel mehr sagen, als dass ich die Bildgewalt und die Atmosphäre - nachdem mein Hirn die Beschreibungen freigeschaufelt hatte :breitgrins: - schon sehr mächtig fand. So weit wie ihr bin ich aber noch nicht, und ich werde mir heute noch eine deutschsprachige Ausgabe besorgen, damit das Ganze mehr Spaß macht. Die Reclamversion behalte ich aber wegen des Kommentars.


    Mehr kann ich leider noch nicht beitragen! Aber bald. :winken:

    Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das hierher passt, aber ich versuch's einfach mal. :smile:


    Mit dem Buch selbst habe ich noch nicht angefangen, aber abgesehen vom Wikipedia-Artikel über den Autor habe ich auch nochmal meine Sammelbiographie Wilde Dichter hervorgekramt und das Kapitel über Joseph Conrad gelesen.


    [kaufen='978-3492251730'][/kaufen]


    Er scheint ja wirklich ein unruhiger Geist gewesen zu sein. Ein gebürtiger Pole, der wegen der politischen Aktivitäten seiner Eltern als Kind eine Zeitlang im russischen Exil verbringen musste, früh Vater und Mutter verlor, danach vom Onkel erzogen wurde und schließlich als junger Bursche ausbrach, um zur See zu fahren.
    Sein Vater brachte ihm schon früh die großen Schriftsteller nahe; dass er selbst professionell schreiben könnte, zog Conrad jedoch lange nicht Erwägung. Die englische Sprache erlernte er erst jenseits der 20, dennoch schrieb er seine Werke auf Englisch, als er nach vielen Jahren die Seefahrerei schließlich bleiben ließ. Zuvor hatten ihn seine Reisen (als Leichtmatrose, Matrose, sogar Kapitän) in die exotischsten Gebiete der Erde gebracht - auch in jene, die damals tatsächlich noch weiße Flecken auf der Landkarte waren!


    Während er viele dieser Fahrten genoss, scheint die in den Kongo ein traumatisches Erlebnis für ihn gewesen zu sein. Ihn verstörte nicht nur das Schicksal der Ureinwohner, sondern er wurde auch noch schwer krank, musste zeitweise in einer Hängematte durch den Urwald getragen werden und wäre beinahe mit einem Kanu gesunken, das kenterte als er darin transportiert wurde (zu diesem Zeitpunkt trug er die Manuskripte zu seinem ersten Roman bei sich).


    Viele seiner Erlebnisse verarbeitete er später literarisch. Jedoch ging ihm das Schreiben in einer Fremdsprache nicht leicht von der Hand - er war ein Perfektionist, entwarf manchmal zehn Versionen eines Satzes bevor er sich für eine entschied. Seine Bücher zu Papier zu bringen muss ein ziemlicher Kampf für ihn gewesen sein. Dass er sehr lange betonte, aus bloßem Zeitvertreib und ohne Ernsthaftigkeit zu schreiben, wirkt da nicht 100% glaubwürdig - vielleicht resultierten solche Aussagen eher aus einer Unsicherheit bezüglich der Qualität seiner Werke (Conrad war sehr selbstkritisch).


    Seine Ehe war wohl eine "Heirat aus Bequemlichkeit", eine große Leidenschaft oder Seelenverwandtschaft bestand nicht. Conrad war sein Leben lang ein unnahbarer, eher einzelgängerischer Typ, der sich schwer tat mit sozialen Beziehungen. Auch litt er an Depressionen. Außerdem scheint er ganz gerne die eine oder andere Fassade inszeniert zu haben, sodass man kaum in ihn hineinsehen konnte und sein wahres Innenleben schwer einzuschätzen war.


    Das als grobe Zusammenfassung und erste Einstimmung - bitte um Korrektur, wenn ich etwas falsch dargestellt habe. :winken:
    Ich bin gespannt, wie ich das Buch mit diesem Hintergrundwissen über die Biographie des Autors lesen werde ...