Beiträge von Lost

    Für mich klingt das nach einer frühen Kritik der „instrumentellen Vernunft“ – ein Begriff, den Adorno und Horkheimer im 20. Jahrhundert benutzen, um den geistigen Weg von der Aufklärung zum industriellen Völkermord in Auschwitz zu beschreiben.


    Eine gute Zusammenfassung hast du da gegeben Tom. Hinzufügen möchte ich noch, dass Herder auch das kritisiert was wir heute als Sekundärliteratur bezeichnen würden - er schießt sich im Journal auf die Enzyklopädisten ein - er kapiert noch nicht, dass zu seiner Zeit die Menge des Wissens beginnt zu explodieren.

    Mann, was Herder alles vorhatte geht sich in einem Leben ja gar nicht aus. Er wollte überall das Beste zusammen tragen und noch mehr schreiben und noch mehr zusammen tragen. Eigentlich bewundernswert, aber anstatt dass er einfach mal wo anfängt, schreibt er lieber drüber was er noch vorhat und was er alles schon versäumt hat.


    Herder war eben in einer euphorischen Stimmung. Schließlich hatte er sich gerade selber befreit aus einer Situation, unter der er unter Umständen sein ganzes weiteres Leben gelitten hätte. Kein Wunder, dass mit der Befreiung auch solche ausufernden Pläne entstehen und vielleicht kompensierte er auch mit seiner Begeisterung Angstgefühle, seine Zukunft war ja nun nicht gerade abgesichert.


    Ich versuche heute das Buch fertig zu lesen, obwohl es eine mühsame Angelegenheit ist, denn die vielen unbekannten Einzelheiten machen mir es schwer eine großen Entwurf zu entdecken.


    Ich bin jetzt auch mit dem "schulischen Teil" fertig. Der Schulreformer Herder stimmt erstaunlicherweise nicht gedankenlos ein in den stimmgewaltigen Chor der damaligen Begeisterung für die antiken Kulturen. Er nimmt die antiken Sprachen nicht grundsätzlich wichtiger als die „lebenden“, räumt ihnen dennoch angemessenen Raum in seinem Curriculum ein. Zunächst Latein – eine tote Sprache, aber literarisch lebt sie; in der Schule kann sie leben. Der Autorenkanon enthält wenig Überraschungen, aber die Tatsache, dass er wenig übersetzen will, frappiert: Alles lebendig gefühlt, erklärt, Rom gesehen, das Antike einer Sprache gekostet … welche schöne Morgenröte in einer antiken Welt! Dann Griechisch, die wahre Blume des Altertums in Dichtkunst, Geschichte, Kunst, Weisheit! Sie sei zwar älter als das Lateinische, stelle aber trotzdem so etwas wie den End- und Höhepunkt der antiken Sprachkunst dar – alles ist auf sie bereitet, wie blühende Kinder auf ihre blühendere Mutter!


    Hebräisch schließlich müsste mit der kleinsten Auswahl und bloss als orientalische, botanische, poetische Sprache eines Buchs oder einer vortrefflichen Sammlung wegen getrieben werden. … Als orientalische Natur und Nationaldenkart betrachtet – welch eine Welt! Auch hier wieder Begeisterung für eine Sprache, die Herder eng verbunden mit der jeweiligen Kultur betrachtet. Das hat mWn. vor ihm noch keiner so gesehen.


    Wenn ich das richtig verstanden habe, dann hat sich der Humanismus zunächst an der römischen Literatur entwickelt und die vorchristlichen römischen Quellen wurden ausgewertet. Schließlich geht der Begriff soweit ich weiß ja auf Cicero zurück. Die "Wissenschafts" - Sprache Latein war da wohl auch eine Hilfe. Herders schwärmen für Griecheland leitet dann wohl auch den Weg in die Klassik. Ohne dass ich antike Quellen selbst in den Originalsprachen lesen kann, erscheint mir auch das alte Griechenland für die geistige Entwicklung und logischerweise auch so fundamental gewesen zu sein, dass die folgenden Kulturen letzlich mehr verfeinerten und weniger völlig neue Gedankengebäude errichteten.

    Mittlerweile frage ich mich, wie Herder sein ganzes Wissen über die aktuellen Verhältnisse sammeln konnte. Ich nehme an, ein Smartphone hatte er nicht dabei und Riga war ja keine Metropole. Zeitungswissen, persönliche Kontakte, Briefe? Er schreibt über nahezu jedes europäische Land, die Niederlande haben es ihm besonders angetan, beurteilt die politische und wirtschaftliche Lage recht scharfsinnig (seine Hinweise auf Handel und Finanzen zum Beispiel) und traut sich auch Vorhersagen zu machen. Ein ängstlicher Intellektueller ist er nicht. Heute wäre er bestimmt eine Bereicherung für Talkshows. Vermutlich sind aber auch Aspekte erst nach der Reise hinzugefügt, zum Beispiel wenn er über das Schauspiel schreibt, wie es sich in Frankreich entwickelt. Das kann er erst in Nantes erfahren haben, denke ich, und wenn das stimmt haben wir es nicht mit chronologischen Aufzeichnungen zu tun.


    Ja Tom. Ich will ja nicht seine Bedeutung anzweifeln und mittlerweile habe ich auch von der klassischen Viererbande Notiz genommen. Aber mit diesem Programm aus dem Journal und dann Pfaffe in Weimar, mitleidig belächelt von diesem Lackaffen Goethe, das ist keine Karriere wie sie ihm vorgeschwebt hat, da bin ich sicher. Und von seinen Werken, ist da heute so viel noch greifbar, so wie es von Schiller und Goethe ist? Er stand im Schatten und hatte selbst keinen, wie der arme Schlemihl und vielleicht hat er auch seine Seele dem Teufel verkauft wie auch der Faust, wo wir wieder bei der unbewiesenen Vermutung wären, dass Goethe es bemerkt hat. :zwinker:

    So, das wars. Eure Häme, die ihr gleich entfalten werdet, könnte ihr euch recht herzlich rektal applizieren. Ich bin fertig hier.


    Das ist ein lächerlischer Rückzug. Dein Lamento stimmt vorne und hinten nicht und wenn in der Mitte einiges wahr ist, dann kann man sich als gebildeter Mensch dagegen wehren ohne pauschal zu stänkern. Ich bedauere deinen Rückzug übrigens, du warst recht lebhaft was ganz gut tut. Aber wenigstens ist es ein Abschied mit Ansage.

    Herder bricht eine Lanze für das Deutsche, allerdings zulasten der lateinischen Sprache, was man evtl. als Angriff auf die (katholische) Kirche deuten kann.


    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass Herder die sprachliche Vermittlung vom Katheder herab als untauglich ablehnt. Er nennt es mit Sprache und Gewohnheit lernen. Einige Zeilen später: Man müsse lehren, das zu finden, was die Sprache als Vorurteil einprägte. Diese Sprachskepsis hat mich überrascht.



    Herder hält immer wieder das protestantische Fähnlein hoch.


    Herder hat sich ja mit der Herkunft der Sprache später beschäftigt (auf meinem EReader habe ich einen Text von ihm) aber was er mit "Sprache als Vorurteil" meint verstehe ich nicht - da bin ich wohl auch achtlos drüber gesurft.


    Das Journal entpuppt sich als Lebensprogramm in solchem Umfang, dass es kein Wunder ist, wenn aus Herder nichts geworden ist, er hat wohl doch nur andere was werden lassen.

    Mit Herders Schulkonzept bin ich durch. So einen Idealismus lass ich mir gefallen-da ist noch nichts vom späteren Geniekult zu spüren, da geht es um die Breite. Ob seine stürmenden Kollegen über sowas Gedanken gemacht haben, oder haben sie ihn belächelt, so wie heute Reformer belächelt werden, denen Inhalte mehr bedeuten als Kosten?
    Mir ist aufgefallen, dass er zwar öfters auf Newton und Hume zu sprechen kommt, die englische Sprache bedeutet für seine Bildungspläne aber wenig.


    Er übernimmt sich natürlich in jefder Beziehung. Auch dann wenn er auf die Politik zu sprechen kommt, in der Art: "Wenn ich was zu sagen hätte". Da ist er ein reiner Aufklärer, denn wie anders als mit dem Glauben an den reinen Vernunftmenschen kann man solche Projekte für realisierbar halten.
    Die meisten Einzelheiten in den politischen Bemerkungen, die er anspricht, sagen mit wenig bis nichts.

    Nebenbei: ich stelle gerade fest, dass man Google Translate nicht wirklich trauen kann, die scheinen gängige Übersetzungen von Titel gespeichert zu haben. Aus "Преступление и наказание)" machte Google erst "Crime and punishment)" (also wie bei Geier: Verbrechen und Strafe) - als ich die versehentlich aus der Wikipedia mitkopierte ")" gelöscht habe, wurde daraus: "Schuld und Sühne". Seltsam.


    Was passiert, wenn du die Begriffe einzeln eingibst (ich habe da meine sprachlichen und technischen Probleme es selbst zu machen)?

    Mittlerweil bin ich doch in die Nähe von Seite 50 vorgedrungen und noch immer in den ausufernden Plänen Herders, sehr detailiet vorgetragen was seine Verstellung von Schule betrifft und sehr ehrgeizig was seine Pläne zu Russland betreffen. Sein Denken hat sich wohl auf dem Schiff durch seine Gedanken über die Seefahrt und das Meer beeinflusen lassen. Es taucht aus dem Seemannsgarn, das ihm wohl gesponnen wurde, eine Theorie über Mythologie und Volksweisheit hervor-vielleicht schon die Keimzelle seiner späteren Arbeiten.
    Mir fällt es etwas schwer zum Journal zu greifen und weiter zu lesen, die Einzelheiten sind mir nicht so wichtig und so surfe ich mehr über Herders Gedankenwellen hinweg, als dass ich darin versinke.

    Ein Zitat aus dem Nachwort:


    "In den Anfangsszenen des Faust stellte Goethe, wie die Forschung allgemein richtig gesehen hat, einen Gelehrten dar nach Art Herders, Faust, ursprünglich etwa als Dreißigjähriger gedacht, erwarb mit unermütlichem Fleiß die Kenntnisse aller Disziplinen. Er versäumt darüber das Leben, veraltet früh. Seine Gelehrsamkeit ist ihm suspekt, da sie ihm nur als ein "in Worten kramen" erscheint."


    Nach den ersten Seiten des Journals kommt mir das auch plausibel vor. Allerdings solche platten Floskeln: "...wie die Forschung allegmein richtig gesehen hat...", machen mich auch wieder misstrauig. Jedenfalls ist dieser Enthusiasmus und die Verzweiflung des Fausts am Anfang des Schauspiels im Journal bei Herder auch zu finden. Goethe musst sich ja nicht direkt auf das Journal beziehen, er hat Herder ja kurz nach der Reise kennen gelernt. Und wie das Leben allgemein richtig lehrt, ist der erste Eindruck.... :zwinker:


    Die Goetheforscher sind um Belegstellen gebeten. :winken:

    das hat sich bei mir schnell gelegt. Es hat sich anderes Buchgefühl eingestellt.


    Es ist halt so, als würde man immer dasselbe Buch lesen. Man müsste ein Buch mit Ereadermulde herausbringen- leere Seiten für Notizen und verschiedene Schutzumschläge dafür. Überhaupt hat der Handel noch nicht begriffen, dass eine Eraederhülle auch Notizblock und Stiftschlaufe braucht- wenigstens für die Geräte ohne komfortable Texteingabe.
    Dann könnte man sich zu Weihnachten 7 Umschläge und den Download von Prousts verlorener Zeit schenken lassen (um dann "Feuchtgebiete" zu lesen). :breitgrins:

    Die ersten Erfahrungen mit dem kleinen Kindle sind gemacht und bestätigen alles was Giesbert geschrieben hat. Schlecht, sehr schlecht (wenn ich nichts übersehen habe) ist lediglich die Organisation des Geräts. Alles muss man auf dem Ding selbst machen, mit dieser umständlichen Texteingabe. Das sollte über den Computer machbar sein, oder über "Mein Kindle", das wäre lange nicht so zeitaufwendig. Für mich nicht optimal ist die Empfangsgempfimdlichkeit für das WiFi-mein Leseplatz ist gerade an der Grenze und gestern bekam der Kindle manchmal keine Verbindung.


    Ich habe mir eine Menge von den kostenlosen Klassikern heruntergeladen. Die erste Novelle: Leutnant Burda von Ferdinand von Saar ließ sich sehr gut lesen, viel besser als mit meiner selbst formatierten Version, die ich über Calibre vom Text der Gutenberg-CD erstellt habe, bei der sich eine verrückte Absatzformatierung einstrellte.


    Schwer fällt es mir noch, auf meinem Leseplatz, umgeben von richtigen Büchern, ohne das Gefühl ein Buch in der Hand zu halten, dieser Schachtel meine volle Aufmerksamkeit zu schenken.

    Danke Giesbert für die ausführliche Beurteilung des kleinen Kindle.
    Ich habe mich lange dagegen ausgesprochen, aber weil ich mit der Formatierung meines Italica nicht zufrieden bin, teilweise ist der Umbruch ekelhaft und lesen macht dann keine Freude, habe ich mir am WE auch den kleinen Kindle bestellt (zurück schicken geht ja). Über das Leseprogramm für meinen MAc (das Amazon anbietet) hatte ich mir einige kostenlode Klassikerausgaben angeschaut und fand die Formatierung in Ordnung. Jetzt konnte ich meine Kindleseite bei Amazon (die ich schon habe, obwohl das Gerät noch nicht da ist) schon gut füllen Es gibt wirklich eine Menge von kostenlosen Ausgaben klassischer (gemeinfreier) Literatur und sogar eine billige kommentierte Ausgabe von Platons Gastmahl, so dass die ganze Arbeit des Konvertierens in vielen Fällen nicht notwendig ist.
    Wahrscheinlich kann ich morgen die ersten Erfahrungen sammeln.

    Hallo blackwood,


    du hast es dir reiflich überlegt. Ich denke wir alle freuen uns auf deinen nächsten Schritt: die Beteiligung an den Diskussionen und Leserunden.


    Herzliich willkommen.


    Ebenfalls eine gute Vorbereitung ist Arno Schmidts Radioessay "Vom Primzahlmenschen". Der Beitrag gefällt mir gut und ersetzt so manch dröge Biografie.


    http://www.amazon.de/Nachricht…d=1319644276&sr=8-2-fkmr0


    Ohne deinen Tipp hätte ich dieses Radioessay übersehen, und mit deinem Tipp hatte ich nun ein großes Vergnügen daran wie Herders Leben in Form von Schmidts geistreichen Formulierungen vorüberzog. Bis zur Lektüre werde ich es bestimmt noch ein zweites Mal hören.