Zitat von "finsbury"Alles anzeigen
Was meinst du denn mit Stil, Michael? Allein die sprachlich Verwirklichung oder auch die Intention, die hinter der Story steht?
[...]
Dieses Buch finde ich viel fesselnder geschrieben, aber meine Lieblingsautorin wird Anna Seghers nicht. Dazu lassen mich viele Personen - unabhängig von den Ereignissen, nur als Typ - zu kalt und einige interessante wie Franz und Ernst greifen gar nicht richtig in die Handlung ein. Komisch finde ich auch die vielen Verniedlichungsformen in den Spitznamen, dagegen die andeutenden Landschaftsschilderungen schön.
Insgesamt finde ich es sehr berührend, wie sie das Schicksal der politisch Verfolgten und deren trotziges "Dennoch" schildert.
Ich lese jetzt von Jorge Semprun "Der Tote mit meinem Namen", auch ein Stück "Lager"literatur.
HG
finsbury
Hei finsbury,
hallo Ivy
Ich habe das Buch jetzt durch.
Mit Stil, finsbury, meine ich die sprachliche Gestaltung. Z.B. störten mich, wie dich offenbar auch, die Verniedlichungsformen. Ich frage mich, ob das die mundartliche Eigenart dieser Region ist, die Anna Seghers hier bewusst verwendet, dem Volk sozusagen auf´s Maul schauend. Gemäß der Darstellung einfacher Leute und Lebenssituationen verwendet sie eine Sprache, die oft einfach, mir manches Mal zu einfach gestrickt ist. Obwohl mir bewusst ist, dass dies ihrerm gesellschaftlichen Standpunkt sehr angemessen sein mag.
Das heißt nicht, dass ich einige ihrer Beschreibungen nicht auch als sehr poetisch und treffend empfände. Oft kann ich jedoch mit ihrem "sozialistischen Idyllenzustand", der von ihr selbst m.M.n. hinterher aufgebrochen wird, weniger anfangen.
In Kap 6;II heißt es:
ZitatWie er Mangolds Gehöft umfuhr, kam die Sonne ein klein wenig durch. Aber es blinkte jetzt nicht mehr in den abgeernteten Bäumen. Hinter Mangolds Gehöft fällt das Land ab in unendlicher Eisamkeit. [...]
Das ist die Öde die unter dem Korn gewuchert hat.
Damit, meine ich, wird die idyllische Anfangsperspektive aufgebrochen. Auch hier ist die Natur eine Art Spiegel. Die Leute sind durch die existentielle Konfrontation mit dem nationalsozialistischen System und im Speziellen mit der Flucht Georgs aus diesem ursprünglichen Zustand herausgerissen worden. Für Franz z.B. bleibt nur eine ungemeine Einsamkeit, die sich hier auch in der Naturbeschreibung ausdrückt.
Viele andere Charaktere machen eine ähnliche Entwicklung durch. Röder wird völlig aus seinem Leben gerissen, seine Frau Liesl erst recht. Fiedler findet aus seiner Passivität zu alten Idealen zurück. Der Kreß beweist erstmalig Mut und wird aktiv, was offenbar auch seine private Situation beeinflusst. Selbst für Ernst ändert sich einiges, obwohl er an keinem (politischen) Geschehen überhaupt beteiligt ist. Es wird angedeutet, dass sich die Grundstücksverhälnisse ändern (wenn ich das richtig im Kopf habe) und sich Veränderungen für seinen beruflichen Alltag ergeben. (Abschiedszene mit Eugenie.)
ZitatInsgesamt finde ich es sehr berührend, wie sie das Schicksal der politisch Verfolgten und deren trotziges "Dennoch" schildert.
Das hat mich auch sehr beeindruckt. Vor allem die Angst vor dem Abbruch der Kontinuität der Historie, im Speziellen der Arbeiterbewegung.
Zitat"Die ganze Generation hatte man ausgerottet. (...)
Wenn man kämpft und fällt und ein anderer nimmt die Fahne und kämpft und fällt auch, und der nächste nimmt sie und muss dann auch fallen, das ist ein natürlicher Ablauf, denn geschenkt wird uns gar nichts. Wenn aber niemand die Fahne mehr abnehmen will, weil er ihre Bedeutung gar nicht kennt?"
Kap. 3;II
Somit ist die Flucht Georgs ein befreiender Schlag gegen diese Befürchtung. Das siebte Kreuz bleibt leer, nach sieben Tagen Flucht, die in sieben Kapiteln von Anna Seghers beschrieben werden. Na wenn das keine "Schöpfung" einer neuen, "sozialistischen" Welt darstellen soll?
ZitatIch lese jetzt von Jorge Semprun "Der Tote mit meinem Namen", auch ein Stück "Lager"literatur.
Bevor ich Anna Seghers angefangen habe, hatte ich von Semprun "Was für ein schöner Sonntag" begonnen. Leider habe ich es erst einmal zur Seite gelegt, obwohl es mir sehr gut gefallen hatte. Werde es wohl jetzt wieder vornehmen. Kennst du Bücher von Imre Kertesz?
LG,
Michael :smile:
PS.: Ich hoffe, Ivy, ich habe an einigen Stellen nicht zu viel vorweggenommen. Ich habe bemüht mich allgemein auszudrücken. :zwinker: