Galsworthy: Forsyte Saga 2: In Chancery

  • Der Roman fesselt mich noch genauso wie früher. Bin jetzt etwas über die Mitte hinaus und habe gerade den zweiten Teil des zweiten Buches begonnen. Das nächste Verhängnis mit den Hauptpersonen Soames - Irene - der junge Jolyon naht, und auch durch die Beziehung zwischen Val und Holly kommt es zu neuem Konfliktpotential zwischen dem Jolyon- und James-Zweig. Die zahlreichen Anspielungen auf den Burenkrieg haben mich erstmal durch die Weiten des Internets und meiner Geschichtsnachschlagewerke geführt. Auch hier wieder der typische Forsyte-Blick: Wenn es um Besitz geht, ist fast jedes Mittel recht, ihn zu erhalten und möglichst zu erweitern.

  • Ich habe gestern und heute fast in einem Rutsch das zweite Buch gelesen und mit Interesse die Entwicklungen (und Verwicklungen) von Soames, Irene und dem jungen Jolyon verfolgt. Aber statt mich ausführlicher mit dem Burenkrieg zu befasssen, habe ich mich mit den Lebensumständen von Galsworthy selbst beschäftigt und mehr darüber erfahren, woher er seinen Stoff für die Forsyte Saga genonmmen hat. Neben den Figuren mag ich vor allem seinen Humor und die liebevolle Art, wie er beispielsweise Irene oder die Kinder beschreibt.

  • Ich habe noch 60 Seiten bis zum Ende von Buch 2. Ja, diese Art, auf der einen Seite Gesellschaftskritik zu üben, aber dennoch ein Herz für das Personal zu haben, sogar für den von der Besitzgier zerfressenen, aber einsamen Soames, das ist eine große Stärke Galsworthys, die er auch mit vielen seiner britischen SchriftstellerkollegInnen teilt. Gerade dafür schätze ich die englische Literatur so sehr, dass sie kaum je schwarz-weiß malt, sondern bei aller Kritik immer mit einem Augenzwinkern auf die menschlichen Schwächen sieht. Im Kapitel 14 "Eine fremdländische Nacht" ist mir aber wieder sehr aufgefallen, dass dieser Roman eben nur den Typus einer Klasse zeigt, den des Besitzbürgertums und dessen völliges Unverständnis für das breite Volk, dass nur als latente Bedrohung und von Trieben beherrscht wahrgenommen wird.

  • Ich habe gerade erst mit dem zweiten Buch begonnen und festgestellt, dass das Ganze mir immer besser gefällt. Zum Beispiel das Kapitel über den alternden James, der in seinem Sorgenstuhl darüber hadert, wie es mit der ganzen Welt bergab geht - Cicely und Imogen und die ganzen jungen Leute haben Fahrräder und fahren ständig irgendwo herum, aufs Geld gibt es nur noch vier Prozent und Dartie hat die Perlen seiner Frau versetzt - das ist sowas von typisch und doch durchaus liebevoll-augenzwinkernd erzählt. Mit Soames kann man sich nicht anfreunden; er will ja eigentlich keine Frau, sondern nur so eine Art Klon von sich. Aus der Stammtafel sehe ich, dass er noch eine Tochter bekommt - das wird noch was Nettes werden ... || Ich lese gespannt weiter.

  • Bin mit dem zweiten Buch fertig. Man hat solch ein Lesevergnügen dabei, Genau, Zefira, der alte James ist wieder eine köstliche Figur. Bei Irene springt auch im zweiten Buch bei mir nicht der Funke über, sie wird mir von Galsworthy zu sehr ikonisiert und auf ein Podest gestellt, für mich strahlt sie wenig Leben aus. Auch in der ansonsten schönen Novelle am Ende des zweiten Buches - parallel zu der nach dem ersten Buch - wird sie von ihrem eigenen Sohn ebenfalls idealisiert, er entdeckt an ihr das Prinzip der Schönheit.

    Soames' Verhalten gegenüber seiner Ehefrau bei der Geburt von Fleur ist schon ein Höhepunkt seines Besitzbürger-Verhaltens. Erst entscheidet er sich gegen seine Frau und für den vermeintlichen Sohn, dann kommt er ewig nicht, um ihr zu danken und sein Kind zu begrüßen. So ein Verhalten kann man sich heute gar nicht vorstellen!! Und da hilft es auch nicht, dass gerade sein Vater gestorben ist.

  • Ich habe gerade erst den ersten Teil des zweiten Buchs beendet. Aber Soames' unmöglichen Auftritt bei Irene - in dem Sinn, dass er von ihr "nur einen Sohn" will und ansonsten kann sie ihrer Wege gehen - habe ich gelesen. Wundert mich bei ihm nicht, ebensowenig die sehr ausdrucksvolle Darstellung ihres Widerwillens.

    Ich verstehe deine Vorbehalte gegenüber Irene. Aus der Perspektive des "jungen Jolyon", der sie ja später heiraten wird, wird fortwährend auf ihre Schönheit abgehoben. Diese Schönheit war es ja wohl auch, die damals Soames dazu bewogen hat, seinen Antrag x-mal zu wiederholen. Glück bringt diese Schönheit nicht - und irgendwelchen Esprit lässt Irene vermissen, sie sagt ja so gut wie nichts. Ich frage mich auch hin und wieder, was ich damit eigentlich anfangen soll. Vielleicht gewinne ich ein paar Erkenntnisse, wenn (oder vielmehr falls) die Ehe mit Jolyon noch ein wenig beschrieben wird.

    Interessant ist das Scheidungsrecht der Zeit, was ja wohl mit den "Schlingen des Gesetzes" gemeint ist.
    Soames kann die Scheidung nicht mit Berufung auf die Affäre Bosinney beantragen, dazu liegt diese Affäre zu lange zurück. (Außerdem hat er sie vergewaltigt. Rein juristisch aus seiner Sicht ist das eine "Verzeihung" ihres Fehltritts. )

    Er könnte auf Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft klagen, wie Winifred es mit Dartie tut. Das geht ihm aber gegen den Strich, es hat etwas Unwürdiges. Folglich bleibt ihm nur eine weitere Affäre Irenes als Scheidungsgrund, aber diesen Gefallen tut sie ihm nicht.
    Und was könnte Irene tun, um geschieden zu werden? Gar nichts. Soames hat weder Affären (seine Gänge ins Puff zählen nicht), noch würde sie ihm den Gefallen tun und ihrerseits auf Wiederherstellung der Ehegemeinschaft klagen. Das will sie ja gerade nicht.

    Das ist schon ein miserables Gesetz. <X

  • Boahhhh ... ich muss mir mal Luft machen.

    Zweites Buch, dritter Teil, achtes Kapitel "James wartet":

    James zu Emily über Soames: "Wenn er stirbt, erlischt der Name."
    Emily: "Da sind doch all die anderen Forsytes."
    James: "... Ich bin dann im Grab, und niemand wird dasein, wenn er nicht wieder heiratet."
    Auf die Mitteilung, dass Soames' Scheidung läuft:
    "Ich werde meinen Enkelsohn nicht mehr sehen."
    Emily: "Soames wird so schnell machen, wie er kann."

    Ich dachte, der größte Darsteller menschlicher Blödheit sei Flaubert. Aber Galsworthy steht ihm anscheinend nicht nach.

    edit: Dummheit ist wohl das falsche Wort. Hybris, Borniertheit, Spießbürgertum? Die Familie gibt sich so weltmännisch mit ihren Bildersammlern und internationalen Geldinteressen, und dann diese geistige Beschränktheit ...

  • Nun, das schließt sich ja keineswegs aus, sondern ist ein Paket aus Eigentumssucht und Bereicherungsmanie. Die internationalen Kontakte sind nichts anderes als imperiale Ausbeutung und Gemälde sammelt Soames nicht wegen ihres ästhetischen Reizes, sondern als Geldanlage , weil er ein Näschen für Kulturtrends hat.

  • Der Wunsch nach einem Sohn ist ja nichts Ungewöhnliches, auch heute noch.

    Aber dieses "Soames wird so schnell machen, wie er kann" - da komm ich nicht drüber weg.
    Ich weiß ja schon aus der Stammtafel, dass er eine Tochter kriegt. Das wird noch lustig.

  • Ja, nun bin ich durch und habe auch die seltsame Wendung mit der Geburt der Tochter gelesen.
    Ich weiß nicht recht, was ich von dieser medizinischen Zwangslage halten soll. Die Operation, die der Arzt für nötig hält, kann doch nur ein Kaiserschnitt sein? Warum meint er dann, er könne die Mutter wahrscheinlich retten, das Kind würde aber dann "tot geboren"? Ein Kaiserschnitt ist m.W. eine Gefahr für die Mutter, nicht für das Kind (vorausgesetzt, es ist voll ausgetragen, aber das war ja wohl der Fall).


    Wie auch immer - Soames hat mir ein wenig leid getan in dieser Situation. Er ist doch ein armer Sack, dass er aus seinen Denkmustern einfach nicht herauskommt.
    Das zeigt sich noch mehr in den ersten Kapiteln des dritten Buchs, mit dem ich heute morgen angefangen habe.

  • ... Er ist doch ein armer Sack, dass er aus seinen Denkmustern einfach nicht herauskommt.

    ...

    In der kleinen Bemerkung zu finsburys Beitragslöschung (Zitat: ... weil sich der Beitrag auf das zweite Buch "In Fesseln" bezieht.) fiel mir die Übersetzung des Titels auf. Wörtlich übersetzt müsste es doch einfach "In der Kanzlei" oder so was ähnliches heissen? "In Fesseln" passt aber gut zu diesem Gefesseltsein in Denkmustern.


    Wenn ich eure Beiträge lese, freue ich mich schon sehr auf die weitere Lektüre. Nächste Woche bin ich in den Ferien, und daher auch kaum online. Dafür wird es aber keine Zugfahr-Zwischendurchlektüren geben, und ich kann mich so richtig auf die Forsytes konzentrieren. Melde mich Ende Monat wieder :winken:

  • Das ist eine altmodische Bedeutung von "chancery", nämlich in der Tat "in Fesseln" oder sogar "im Schwitzkasten" (aus dem Ringen oder Boxen). Natürlich könnte auch ein Gerichtsverfahren gemeint sein, aber ich glaube nicht, wenn ich mich an eine Stelle in Kapitel VIII erinnere, die ich auf Seite 289 des englischen E-Books gefunden habe: "Both their necks in chancery - and hers so pretty!" Insofern passen die Schlingen doch gut.