Lyrik-Anthologien

  • Zu Lyrik haben wir hier im Forum eigentlich wenig, was schade ist.
    Hier möchte ich eine wenig gelungene Anthologie von Lyrik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorstellen.



    Curt Hohoff (Hg.): Flügel der Zeit. Deutsche Gedichte 1900-1950


    Diese Anthologie kam durch eine ältere Kollegin zu mir, die vor vielen Jahren in den Ruhestand ging und einen Teil ihrer Bücher an ihre Kollegen weiterreichte. Der Gedichtband erschien als Original-Taschenbuch in der Fischer Bücherei 1956.

    Der Herausgeber Curt Hohoff (1913-2010) war ein konservativer Schriftsteller und Literaturkritiker, der nach dem Zweiten Weltkrieg u.a. für die „Welt“ und die „Süddeutsche“ schrieb und in München lebte.

    Seinen Konservatismus erkennt man recht gut in der Gedichtauswahl. Er präsentiert eine breite Auswahl von Lyriker*innen von Hans Arp bis Carl Zuckmayer, jedoch nicht die progressiven Texte, sondern diejenigen, denen er eine überzeitliche Gültigkeit und Schönheit bescheinigt. Das hat zur Folge, dass der Expressionismus, die politische Lyrik der Weimarer Zeit und die Trümmerliteratur kaum vorkommen, sondern diejenigen Gedichte ausgewählt werden, die sich dem klassischen Versmaß unterwerfen, von deutlichem Wohlklang sind und sich vor allem mit der Natur, Liebe, dem Tod, der Ewigkeit und anderen religiösen Themen beschäftigen. Andere wichtige Themen wie den Holocaust, die Technisierung der Welt, die Großstadt finden sich in dem Gedichtband kaum, das Erleben des Krieges selten und eher indirekt. Kurt Tucholsky, Nelly Sachs und Paul Celan kommen gar nicht vor X(.

    Ich habe in dieser Anthologie einige sehr schöne Gedichte gefunden, auch von Autoren, von denen ich vorher noch nie etwas gelesen habe, wie zum Beispiel Peter Gan oder Karl Krolow. Aber bei den Autoren, die ich etwas kenne, wie Brecht, Benn, Ringelnatz u.a. fand ich nicht die Gedichte, die ich in einer Anthologie für besonders wichtig gehalten hätte. Aus heutiger Sicht würde man da sicher anders verfahren und zusammenstellen. Die Aussparung von zeitgeschichtlich derart bedeutenden Themen wie oben angesprochen ist schon reichlich tendenziös.

  • Hm ... von Krolow habe ich eine Zeitlang alles gekauft, was es gab. Der war wirklich gut. Aber Celan auszulassen, geht gar nicht. Nun, Hohoff versuchte ja lange, Celan Epigonalität nachzuweisen. Insofern passt es ins Bild.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Über Hohoffs Vergleich des Celan-Gedichtes mit einem von Yvan Goll habe ich auch gelesen und dass daraus eine Schmutz-Kampagne gegen Celan losgetreten wurde, wobei ich allerdings nicht weiß, ob Hohoffs Einwurf nur der Anlass war oder ob er sich auch später an dieser Kampagne beteiligt hat. Jedenfalls war er auf mehreren Augen ganz schön blind.