Gisela Elsner

  • Zu dieser leider etwas vergessenen Autorin haben wir wohl bisher keinen Thread. Nun also.


    Gisela Elsner: Der Nachwuchs. Roman (1968)


    Zur Autorin:

    Gisela Elsner (1937-1992) entstammte einer großbürgerlichen Familie, lebte nach einem geisteswissenschaftlichen Studium als freie Schriftstellerin an verschiedenen Orten, auch außerhalb Deutschlands. 1992 beging sie nach einem Zusammenbruch Suizid. Elsner wurde durch ihren ersten Roman „Die Riesenzwerge“ 1964 sehr schnell bekannt. Sie litt während ihres Schriftstellerlebens immer unter dem Widerspruch zwischen ihrer bürgerlichen Herkunft und ihrem antikapitalistischen Standpunkt, den sie unter anderem durch ihre langjährige DKP-Mitgliedschaft und ihre Sympathie für den DDR-Sozialismus ausdrückte. Sie verfiel in eine starke Krise, als nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und der Widervereinigung sich kein Verlag mehr fand, der ihr Werk veröffentlicht hätte. Zuvor war es schon längere Zeit nur noch in der DDR veröffentlicht worden. Über ihr widerständiges und zugleich unglückliches Leben hat ihr Sohn, der Regisseur Oskar Roehler mit Hannelore Elsner in der Hauptrolle den Film „Die Unberührbare“ gedreht, der wichtige Auszeichnungen erhielt.

    Der hier vorgestellte Roman ist ihr zweiter.


    Zum Inhalt:

    Der Ich-Erzähler, ein unbeholfener großer junger Mann, der sich in seinem Körper unwohl fühlt und sich ständig mit ihm beschäftigt, lebt mit seinen Eltern, die er nur als seine „Ernährer“ bezeichnet, in einem Einfamilienhaus in einer gutbürgerlichen Villensiedlung. Er beharrt freundlich, aber stur auf seiner ausschließlichen Selbstbeschäftigung und wehrt Mitarbeit im Haushalt, (Fort)bildung und Arbeit durch scheinbar hilflose Passivität ab. Stattdessen beobachtet und seziert er seine Umgebung (Eltern, Nachbarschaft, Untermieter, Bau- Beschäftigte, bei einem Urlaub Wirte, Bauern und Großgrundbesitzer) gnadenlos in ihrer bürgerlichen Selbstzufriedenheit, ihrer Fixierung auf insbesondere repräsentatives Eigentum und vor allem ihre Zwänge: in der Erziehung, bei der Körperpflege, in der Selbstdarstellung, ihrem Machtanspruch, ihren Beziehungen in der Familie und zu Untergebenen. Gnadenlos stellt die Autorin durch ihren Ich-Erzähler die durch Besitz und Geltungsanspruch bestimmte und korrumpierte Gesellschaft, das Aufeinandereinhacken der Abhängigen, die Fahrradfahrer-Mentalität (nach unten treten, nach oben buckeln) in teilweise drastischen Beschreibungen dar, die bis hin zur völligen Vertierung von in Abhängigkeit gehaltenen Menschen reicht. Sprachlich ist der Roman auch schwer zu ertragen, wenn auch sehr kunstvoll gestaltet: Durch ständige Wiederholungen, Variationen durch Zerdehnung des schon vorher Gesagten werden die Mechanismen einer solchen Gesellschaft und die in ihr herrschende Ödnis und Langeweile dem Leser ins Gehirn gehämmert.


    Meine Meinung:

    Dieser Roman fasziniert mich und stößt mich zugleich ab. Die Lektüre dieses kurzen, unter 200 Seiten langen Romans, konnte ich nur in 20–Seiten-Schritten pro Lesetag ertragen. Gleichzeitig erreicht er durch die Kohärenz von Inhalt und Gestaltung eine soghafte, wenn auch abstoßende Wirkung, die sich aber vor allem auf die dargestellte Gesellschaft bezieht. Elsner hat es nicht verdient, vergessen zu werden. Ihrem Werk wohnt auch heute noch eine große Aktualität inne, weil sich zwar das Aussehen, aber nicht die dahinter liegenden Mechanismen unserer Gesellschaft geändert haben.