Eeva-Liisa Manner: Das Mädchen auf der Himmelsbrücke

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    Mit Leena in die Kindheit zurück .. und auf die magische Brücke



    "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" ist ein neunjähriges Mädchen namens Leena, das an der finnischen Ostseeküste bei ihrer Großmutter aufwächst. Die Mutter starb kurz nach der Geburt, der Vater hat sich davongemacht, die Oma ist nach einer Anzahl Schicksalsschlägen zu einer frömmelnden, in Trauer versunkenen alten Frau geworden. Leena hat keine gleichaltrigen Freundinnen und gilt wegen ihrer verträumten und leicht verschusselten Art bei der Lehrerin als "faul und starrsinnig".



    Der kleine Roman gibt auf 134 Seiten einen kurzen Zeitraum (wohl nur ein paar Wochen) im Leben Leenas wieder, konsequent subjektiv aus ihrer Sicht erzählt: einen Schultag, durchsetzt von strengen Verweisen der Lehrerin; Herumstromern in der Stadt, Beobachten des Flusses und des Regens; ein transzendenter Augenblick, als das Kind zum erstenmal Orgelmusik von Bach hört, und ein Gespräch mit einer Nonne und dem Hausmeister des Klosters. Leena bekommt einen Brief von ihrem geliebten Onkel, und er sendet ihr ein magisches Geschenk. Viel mehr passiert nicht - jedenfalls nicht an äußerer Handlung.



    Leena ist ein besonderes kleines Mädchen. Sie ist allein in ihrer Welt, und sie ist immer traurig. "... eine endlos lange, ewige Trauer, eine Trauer, die nicht zu erklären und dennoch selbstverständlich war ... eine Trauer, die alles umfasste, was sie kannte oder wahrnahm: Baum und Vogel, Haus, Himmel, Wolke, Regen, Wind, Menschen. (...) Alles war für diese Trauer bestimmt. Dass es bestimmt war - dass alles fertig und durch nichts zu ändern war -, daher kam wohl diese alles umfassende Trauer." (S.17 f.) Leenas ganze Erlebniswelt ist von dieser Grundstimmung geprägt. Doch paradoxerweise ist Leena kein "unglückliches" Kind in dem Sinn, dass in ihrer Welt die Dinge anders sind, als sie nach ihrem Gefühl sein sollten. Das unterscheidet sie von vielen unverstandenen Kindern der klassischen Literatur wie in Hermann Hesses "Unterm Rad" oder Ebner-Eschenbachs "Vorzugsschüler". Die klassischen Leiden der Kindheit, das Unverständnis der Erwachsenen, die nörgelige Lehrerin, Scham und Ohnmacht, selbst die kaputten Schuhe sind bloße Stolpersteine auf Leenas magischen Wegen. Für sie hat die Realität so wenig Bedeutung, dass es beinahe schon egal ist, was geschieht - es ist ohnehin alles ein Traum. Besonders in der zweiten Hälfte der Erzählung löst sich ihr Erleben in märchenhaft-lyrischen Sprachbildern auf. Leena ist glücklich, weil ein Stein aus ihrer Hand unter Zwitschern davongeflogen ist. "Ihre Hand hatte den Stein zum Leben erweckt" (S. 139)



    Wer bei der "Himmelsbrücke" des Titels an die Regenbogenbrücke des Volksmund denkt, liegt gar nicht so verkehrt: Leenas "Reich ist nicht von dieser Welt" - durchaus auch im biblischen Sinn. Dass sie kein klassisches verzweifeltes Kind ist wie Hans Giebenrath oder Hanno Buddenbrook, macht die Erzählung vielleicht etwas weniger bedrückend. Andererseits ist die Auflösung der Realität in eine Traumwelt bis hin zu existenzphilosophischen Fragen natürlich unbefriedigend für solche Leser, die in erster Linie nach dem Wohlergehen des Kindes fragen.




    "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" ist ein Roman, der inhaltlich und formal der Lyrik näher steht als der Prosa. Es ist kein Buch für den Mainstream und nichts für jemanden, der in erster Linie unterhaltsame und entspannende Lektüre sucht. Dass der ambitionierte Guggolz-Verlag dieses Buch trotzdem in einer bezaubernd aufgemachten Ausgabe herausgebracht hat - in Form eines Büchleins, das mehr wie ein Lyrikband in der Hand liegt denn wie ein Roman -, in einer ausgezeichneten Übersetzung und durch eine Kurzbiographie der Autorin ergänzt, verdient jedenfalls höchste Anerkennung. Deshalb von meiner Seite Höchstwertung, auch wenn klargestellt werden muss, dass dies kein Buch für alle ist und man ein Stückweit auf die Himmelsbrücke mit muss, um es mit Freude lesen zu können.

  • Eine sehr schöne, wertschätzende Rezension. Es ist aber schon, wie du schreibst, nichts für jeden. Man muss wohl ein Gespür für das Magische, Lyrische mitbringen.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Eine sehr schöne, wertschätzende Rezension. Es ist aber schon, wie du schreibst, nichts für jeden. Man muss wohl ein Gespür für das Magische, Lyrische mitbringen.

    In der Leserunde gab es einige Teilnehmerinnen, die ihren Unwillen äußerten, hauptsächlich aus zwei Gründen: einmal gibt es in dem Buch keine klare Trennlinie, eigentlich überhaupt keine Trennlinie zwischen Wirklichkeit und Traumwelt, eine Folge der streng subjektiven Erzählweise, und dann - vor allem - Achtung Spoiler:


    Wir haben sogar eine Stellungnahme des Verlegers bekommen, der u.a. meinte:

    " ... ich kann nur sagen, dass ich den Roman viel stärker auf der Grenze zwischen Traum, innerer Welt und äußerer Welt lese, vieles sind Traumbilder, innere Bilder, die eher auf einer metaphorischen Ebene gelesen werden sollten."


    Hier gibt es auch ein Gespräch mit dem Übersetzer:
    Sebastian Murmann über "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke"


    (Link führt zu deutschlandfunk . de. )