"Therese" erschien 1928 und ist somit der dritte und letzte Roman von Arthur Schnitzler. Therese Fabiani ist eine Tochter des Österreicher Bürgertums vor dem Krieg (der Roman beginnt in den 1890er Jahren). Nachdem der psychisch erkrankte Vater als Ernährer wegfällt, beschäftigt sich Thereses Mutter recht erfolgreich mit dem Schreiben von Fortsetzungsromanen, um die Familie durchzubringen. Der Bruder nimmt ein Studium auf, Therese zieht nach Wien und verdingt sich als Gouvernante und Hauslehrerin. In den Folgejahren - bis 1913, als der Roman endet - nimmt sie eine erstaunliche Vielzahl von Stellungen an, die Schnitzler meist in wenigen Sätzen beschreibt. Immer passiert irgendetwas - entweder wird in den Familien, in denen sie arbeitet, nervtötend gestritten, oder man bezichtigt Therese der Faulheit oder des Diebstahls, oder der Hausherr stellt ihr nach, oder die Kinder, die sie betreuen soll, führen sich unerträglich auf. Diese Vielzahl an Stellen ist irgendwie befremdend, man hat den Eindruck, dass sie alle paar Wochen die Stellung wechselt.
Therese ist eine finanziell unabhängige, ungebundene junge Frau und genießt alle Freuden dieses Daseins. Da läuft etwa bei einem Spaziergang im Park ein augenzwinkernder Offizier vorbei und schon am nächsten Tag begegnet er ihr an der gleichen Stelle wieder, man nimmt Kontakt auf, es geht alles recht schnell. Beim Picknick verliert man sich im Gebüsch, oder der junge Mann lädt sie einfach in seine Wohnung ein. Sagt sie nein, ist es damit erledigt - nein heißt nein. Solche Verhältnisse, sollte man meinen, könnte eine junge Frau dieser Zeit aus vollen Zügen genießen. Doch Therese hat irgendwie nichts davon. Niemand versteht sie so richtig, alles geschieht halbherzig und lauwarm. Sie wird schwanger von einem Künstler, der sich sofort aus dem Staub macht; Therese denkt an Abtreibung, lässt die Gelegenheit dann aber verstreichen. Die Geburt des Kindes wird zum Wendepunkt in ihrem Leben. Sie denkt einen kurzen Augenblick daran, den Kleinen sofort zu töten, drückt ihm ein Kissen auf den Körper, aber als sie es wegnimmt, atmet er noch. So nimmt sie das Kind an. Sie lässt es auf dem Land von Fremden großziehen, um weiter ihrem Beruf nachzugehen, und fährt alle Wochenenden auf Besuch hinaus. Und so geht es mit ihrem Leben weiter; Gelegenheiten zu heiraten lässt sie ungenutzt verstreichen, weil ihr Herz nicht recht dabei ist; sie wird ein zweites Mal schwanger und diesmal sucht sie wirklich einen Engelmacher auf - auch dies ohne Probleme. Im Grunde erfährt sie äußerlich keine Widerstände in ihrem Leben. Doch glücklich scheint sie zu keiner Zeit zu sein.*
Ein Fixpunkt in ihrem Leben ist ihr Sohn, der kleine Franzl. Ihm lässt sie viele Unarten durchgehen, besorgt mehrfach neue Pflegestellen, wenn er sich als untragbar erwiesen hat. Der Junge wird frech und macht ihr Vorhaltungen, weil er "keinen Vater habe". Dem weiß Therese nichts entgegenzusetzen, weil sie wegen ihres halbherzigen Tötungsversuchs nach der Geburt noch immer ein schlechtes Gewissen hat. So geht alles seinen Gang und führt zu nichts Gutem.
Der Roman wurde, laut Nachwort, zunächst abgelehnt mit der Begründung, er sei zu pessimistisch und nicht spannend genug. Das stimmt vollkommen. Dass ich ihn trotzdem mit Interesse zu Ende gelesen habe, liegt an der zeitlichen Einordnung. Therese liegt exakt in der Mitte zwischen Gabriele Reuters Antiheldin Agathe in "Aus guter Familie" (1895) und von Doderers Strudlhofstiege (1951). Agathe ist wie Therese eine Bürgerstochter, die keinen Gatten findet, welkt ohne Aufgabe und Lebenszweck dahin und vergleicht sich mit einer Knospe, die verfault, ehe sie blüht. Doderers unverheiratete (und verheiratete) Frauen lassen dagegen, wie man so sagt, garantiert nichts anbrennen, gehen voll Fröhlichkeit ihren Impulsen nach und machen, was sie wollen. Zwischen beiden steht Therese, die zwar auch machen kann, was sie will, aber es scheint sich nie richtig anzufühlen. Der Roman hat einen eigenartig müden, depressiven Ton; schon in den ersten Kapiteln hat man das Gefühl, dass nicht mehr viel passieren wird. Bei Perlentaucher wird eine Kritik zitiert: es fehle der "ästhetische Widerstand", außerdem sei der Erzählfluss zu weich für die spröde Handlung. Besser kann man es nicht ausdrücken. Interessant ist das Buch wirklich nur aus literaturhistorischen Gründen; Schnitzler hat Lesenswerteres geschrieben.
*) Mir kam beim Lesen eine Metapher in den Sinn, die ich mal bei Solschenizyn gelesen habe, sinngemäß zitiert: das schwerste Leben hätten nicht diejenigen, die Meere stauen oder Stollen graben, sondern diejenigen, die sich Tag für Tag am Türbalken den Kopf stoßen. Das passt exakt auf Therese.