Wehe, Wehe, Wehe! - Schillers Braut von Messina

  • Endlich die Zeit zur Lückenfüllung haben – ein Privileg des Alters. Meine jüngste Lückenfüllung ist Friedrich Schillers „Braut von Messina“. Nach dem geläuterten Urteil über Höhe- und Tiefpunkte bekannter Werke (wie gut ist der Wallenstein tatsächlich, wie unbefriedigend Kabale und Liebe…) nun also die Entdeckung eines dramatischen Fossils.


    Die Braut von Messina ragt unter den anderen Werken Schillers durch demonstrative Antikisierung heraus. Nicht nur die Einbeziehung des Chors, die in einer langstieligen Vorrede erläutert wird, greift Elemente der antiken griechischen Tragödie auf, das Trauerspiel liest sich zudem wie eine Kollage von Motiven, die sich bis zu Sophokles zurückverfolgen lassen. Ein Familienfluch, der sich tantalidenähnlich über die Generationen eines Fürstengeschlechts hinzieht, war ausgelöst durch eine hinter der unmittelbaren Erzählebene gelegene Mesalliance des alten Fürsten, der seine Tochter zur Braut machte, und mit ihr zwei Söhne zeugte – sowie eine Tochter, deren Existenz nach einer Weissagung das ganze Haus einmal in den Untergang reißen werde. So ereignet es sich dann auch tatsächlich: die seit ihrer Geburt verborgen gehaltene Tochter soll zum Fest des Friedensschlusses zwischen den einander feindlichen Brüdern endlich präsentiert werden dürfen, in der voreiligen Annahme der Fürstin, nun drohe keine Gefahr mehr. Die schuldlose Tochter ist allerdings das Objekt des Werbens der beiden ahnungslosen Brüder, und so erschlägt der jüngere in rasender Eifersucht den von der Mutter ohnehin bevorzugten älteren. Im schaurigen Höhepunkt kommt die Erfüllung des Verhängnisses ans Licht – der Fluch ist erfüllt und kann sich in der Katharsis der Selbstentleibung des Brudermörders und so im Untergang des restlichen Fürstengeschlechts auflösen.


    Schön, würdig und formvollendet, weitgehend in geradlinigen fünffüßigen Jamben abgefasst, das ist die Geschichte der feindlichen Brüder. Schiller muss sich viel von der Wiedererweckung der Chöre im Schauspiel versprochen haben, und in der Tat ist die Implementierung gleich zweier Chorgesellschaften in Teile der Handlung eine neue Idee – gewesen. Interessant ist auch, dass diese Chöre von einem bestimmten Punkt an mehr wissen als die Protagonisten der Handlung und damit einen Teil der Spannung auf die Bühne selbst bringen – und dies auch mit vernehmlichem Klagen („Wehe, Wehe, Wehe!“) hörbar machen. Nur: das formal vielleicht vollkommenste Schauspiel Schillers ist eben ein versteinertes Stück Vergangenheit geblieben, ähnlich der Replikation einer Akropolis.

    Einmal editiert, zuletzt von Diaz Grey () aus folgendem Grund: Korrektur von drei Typos.