Eduard von Keyserling und das szenische Recycling: Die schwarze Flasche

  • Eduard von Keyserling ist als Romancier, Novellist und Erzähler mäßig bekannt. Ich hege eine ausgeprägte Vorliebe für die Schwerelosigkeit seines Stils. Selbst die Ironie des Thomas Mann kann daneben schon einmal etwas schwerfüßig wirken. Als Dramatiker ist der kurische Graf heute völlig vergessen. „Die schwarze Flasche“ zeigt ihn als Bühnenautor mit einem Sinn für bitter unterlegten Humor, die Uraufführung soll 1902 auf einer Kabarettbühne der "Elf Scharfrichter" in München stattgefunden haben.


    Das Stück beansprucht mit seinem einen Aufzug und der strengen Einheit von Zeit, Ort und Handlung nicht mehr als ein Hotelzimmer, vier Personen und eine gute halbe Stunde Zeit. In dieser Aufstellung spielt sich eine schwarz unterlegte Groteske ab: ein so erfolgloser wie überschuldeter junger Poet hat sich mit seiner etwas naiven, just dem Elternhause entführten Geliebten in einem Hotelzimmer eingemietet, um mit ihr zusammen mit großem Gestus aus der Welt zu scheiden. Der Tod lauert in einem mitgebrachten schwarzen Fläschchen, aber zuvor will das Paar den Abschied von der schnöden Welt gebührend feiern – bei Filet und Sekt. Über den irdischen Genüssen wird die wankelmütige Geliebte an dem gemeinsamen Vorsatz zunehmend irre, und als der Zimmerkellner das Dessert serviert, gewinnt der Schrecken vor dem Tode endgültig die Oberhand über das eigentliche Vorhaben. Die burleske Steigerung erreicht ihren Höhepunkt, als der tatsächlich ernsthaft todesssehnsüchtige Zimmerkellner auf der Szene erscheint und um eine Mitreisegelegenheit ins Jenseits bittet.

    Kenner des erzählerischen Werks von Keyserlings erkennen das Motiv vielleicht wieder: es ist die – recht schwungvolle – szenische Bearbeitung einer Episode aus „Die dritte Stiege“. Es spricht sehr für den Autor, dass er den Vorhang nicht über einer schwankhaften Pointe fallen lässt, sondern über einem Mollakkord: der enttäuschten Hoffnung des ernsthaft lebensmüden Kellners.


    Das schmale, aber reizvolle kleine Werk ist in einer erschwinglichen broschierten Ausgabe in der "Dramatischen Bibliothek" des kleinen Lunata-Verlags zu bekommen, ferner in einer gebundenen Edition zu einem für ganze 32 Seiten prohibitiven Preis von etwa 22 Euro gebraucht oder sage und schreibe fast 90 Euro neu bei der Friedenauer Presse - und umsonst im Projekt Gutenberg.