Der Stricker: Daniel von dem blühenden Tal

  • Der Stricker war wohl ein Wander- und Vortragsdichter niederer Provenienz, also kein Ministerialer, aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts.


    "Daniel von dem blühenden Tal" ist ein Artusritter- Versepos, das starke Bezüge zu Hartmann von Aues "Iwein" aufweist, aber eine eigenständige nachklassische (bezogen auf die Hochzeit der mittelhochdeutschen ritterlichen Versepik) Dichtung ist und viele originelle Verarbeitungen antiker Stoffe und Motive, wie z.B. das Medusenhaupt, aufweist.


    Zum Inhalt:

    Daniel von dem blühenden Tal kommt an Artus' Hof, weil dort die weltbesten Ritter zu finden sind und er sich in dieser idealen Gemeinschaft aufhalten und beweisen will. Kurz nach seinem Eintreffen kommt ein Riese mit der Aufforderung des Königs Matur aus Cluse, dass er Artus die große Ehre erweisen wollte, dass dieser sein Vasall werden dürfe. Artus geht zum Schein auf das "Angebot" ein und Daniel macht sich auf, den Riesen zurückzuverfolgen und das Königreich Cluse auszuspionieren. Dabei hilft er unterwegs mehreren edlen Frauen, deren Männer oder Väter Opfer verschiedener Monster geworden sind, die oft ihre Ahnen in literarischen Werken der Antike haben. Neben heldischen Kräften nützt Daniel sein waches Hirn und setzt diese Bedränger immer trickreich außer Kraft. Auf diese Weise erobert er auch mit den inzwischen nachgezogenen Rittern unter Artus' Führung das Land Cluse, das er nun zum Dank für seine Verdienst von Artus als Lehen bekommt. Nach all den vielen Abenteuern feiert man nun ein mehrwöchiges rauschendes Fest.

    Zur Übertragung:

    Helmut Birkhan hat in den 90er Jahren eine erste Prosaübersetzung ins Neuhochdeutsche verfasst, die frisch und spannend zu lesen ist, aber sich, reflektiert und mit Anmerkungen versehen, nahe an das Original hält


    Meine Meinung:
    Es war witzig, so kurz nach Beendigung meiner Don Quichote-Lektüre einen echten Ritter"roman" aus der "Original"-Zeit zu lesen. Aber obwohl dieser Text alle Elemente des Märchens und der Übertreibung aufweist, die im DQ kritisiert werden, kommt er doch frisch und frech daher. Der Stricker lässt seinen Daniel - im Vergleich zu den klassischen Artusromanen von Chrétien, Wolfram und Hartmann - geradezu modern agieren: Er benutzt Listen und nicht nur die Kraft und das Geschick seines Armes und seine hohe moralische Überlegenheit, die er natürlich auch hat, um seine Abenteuer zu bestehen und die bedrohten Frauen zu befreien. Dabei kommt öfter sehr originell für diese Zeit, wie ich finde, der innere Monolog zum Zuge, in dem Daniel überlegt, ob er sich nun den Moralgesetzen des Rittertums beugen oder lieber seine List benutzen soll, um ein Abenteuer zu bestehen. Dass er öfter das Letztere wählt, hat auch einen Zug von Modernität, weil er sich aus dem Konzept seiner Zeit befreit. Es gibt auch eine schöne Szene, wo der Bescheidenheitskodex am Artushof ironisiert wird, weil er in diesem Falle sinnvolles Handeln verhindert.


    Fazit: Eine vergnügliche Lektüre, die gar nicht zopfig wirkt und einen mir neuen Dichter auf das Parkett des Mittelalters bringt.